Umgang mit der AfDDigitalpolitik muss Teil der Brandmauer sein

Bei den kommenden Landtagswahlen in Ostdeutschland könnte die Alternative für Deutschland in gleich drei Bundesländern stärkste Kraft werden. Die digitale Zivilgesellschaft darf die rechtsradikale Partei nicht länger ignorieren, meint unsere Gastautorin. Stattdessen muss sie sich klar und deutlich gegen die AfD positionieren.

Eine in verschiedenen Rottönen abstrakt bemalte Mauer
Viele digitalpolitische Diskussionen erübrigen sich, wenn die Brandmauer fällt. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Tools For Motivation

Aline Blankertz ist Digitalökonomin und schreibt hier als Mitgründerin des digitalpolitischen Kollektivs Strukturelle Integrität. Sie ist außerdem Referentin bei Wikimedia Deutschland für Politik und den öffentlichen Sektor. Als Expertin für Gemeinwohl und Datenpolitik hatte sie der Deutsche Bundestag im Juni dieses Jahres als Sachverständige zu einer Anhörung zum Thema innovative Datenpolitik eingeladen. Auf die Fragen einer AfD-Abgeordneten verweigerte Aline Blankertz die Antwort. Hier erklärt sie, warum Digitalpolitik Teil der Brandmauer gegen die AfD sein muss und was die digitale Zivilgesellschaft dazu beitragen kann.

Am 1. September wird in Sachsen und Thüringen gewählt, am 22. September in Brandenburg. In allen drei Bundesländern hat die AfD laut Wahlumfragen gute Chancen, stärkste Kraft zu werden. Auch wenn wir die Wahlen noch nicht verloren geben dürfen, ist eines klar: Die Suche nach Koalitionen ohne die AfD wird in allen drei Bundesländern äußerst schwierig. Mehr denn je wird sich dann wohl auch die Frage stellen, ob die oft zitierte „Brandmauer“ – die auf lokaler Ebene vielerorts längst eingerissen wurde – auf Landesebene halten wird.

Fest steht damit schon jetzt: Die bevorstehenden Landtagswahlen verleihen der Debatte um den Umgang mit der rechtsradikalen Partei neues Gewicht. Dieser Debatte muss sich auch die digitale Zivilgesellschaft verstärkt stellen. Denn viele digitalpolitische Diskussionen erübrigen sich, wenn extreme Rechte die Macht erlangen.

Angriff auf zentrale Werte und Prinzipien der digitalen Zivilgesellschaft

Die Ziele der AfD richten sich gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip. Dafür gibt es juristisch bestätigte Anhaltspunkte. So verfolgt die AfD laut Oberverwaltungsgerichts Münster Bestrebungen, die gegen die Menschenwürde gerichtet sind, insbesondere von Menschen muslimischen Glaubens und nicht-deutscher Herkunft.

Außerdem tätigt sie dem Gericht zufolge Äußerungen, die dem politischen Gegner „die Existenzberechtigung“ absprechen sollen und an denen es innerhalb der AfD nur wenig Kritik gibt. Das Bayerische Verwaltungsgericht München konstatiert, dass Äußerungen von AfD-Vertreter:innen erkennen ließen, „dass ein Bedrohungs- und Schreckensszenario mit Blick auf Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen muslimischen Glaubens aufgebaut wird“.

Damit greift die AfD auch zentrale Werte und Prinzipien der digitalen Zivilgesellschaft an. An ihrer Seite ist der Einsatz für eine progressive, menschenzentrierte und feministische Digitalisierung undenkbar. Nichtregierungsorganisationen, die sich diesen Zielen verpflichtet sehen, sind für die AfD ein Dorn im Auge. Es ist daher zu erwarten, dass die Partei, wenn sie einmal in Regierungsverantwortung ist, die Ziele der digitalen Zivilgesellschaft nicht nur inhaltlich, sondern auch organisatorisch bekämpfen wird – etwa indem sie versucht, NGOs gezielt die staatliche Förderung oder den Status der Gemeinnützigkeit zu entziehen.

Bislang überwiegt die Zurückhaltung

Der Auseinandersetzung mit der AfD und ihren Zielen können wir also nicht entgehen. Die Frage lautet: Wie können wir uns in dieser Situation ganz praktisch verhalten?

Ich sehe drei Varianten im Umgang: Erstens, zur AfD schweigen oder die Partei ignorieren. Zweitens, sich sachlich mit ihren Positionen auseinandersetzen. Und drittens, ihre rechtsradikale Haltung und Politik offen problematisieren. Bislang überwiegt in der digitalen Zivilgesellschaft der erste Ansatz, teilweise auch der zweite. Beide Ansätze reichen aus meiner Sicht jedoch nicht aus.

Viele von uns haben ein großes Interesse daran, die Themen und Inhalte, an denen wir arbeiten, im politischen Diskurs und Verfahren zu platzieren. Wir verfügen über die entsprechende Expertise und kämpfen für unsere Anliegen. Die Alternative dazu – eine konfrontative Auseinandersetzung mit der AfD und ihrer Rolle im Parteienspektrum – ist deutlich weniger verlockend. Denn sie könnte zulasten unserer Inhalte gehen.

Die dritte Variante des Umgangs bewerten viele Vertreter:innen der Zivilgesellschaft aber auch deshalb als bedenklich, weil die AfD unsere Kritik gegen uns verwenden könnte. Auch deshalb bemühen sich viele Organisationen darum, ihre Positionierung zur AfD intern möglichst konsensual abzusichern. Solange nicht alle Beteiligten – etwa Mitarbeitende, Mitglieder und Spender*innen – eine solche kritische Positionierung befürworten, halten sich Organisationen häufig zurück.

Gemeinnützigkeit unter Druck

Dass die Sorgen vor einer klaren Positionierung gegenüber der AfD real sind, zeigt sich auch beim Thema Gemeinnützigkeit.

Schon seit längerem nimmt die AfD Organisationen ins Visier, die als gemeinnützig anerkannt sind und sich kritisch zu ihr positionieren. So geht die Partei unter anderem gegen die Initiative „München ist bunt!“ vor, deren Gemeinnützigkeitsstatus ein AfD-Abgeordneter bei den zuständigen Finanzbehörden angefochten hat. Die Sorge, dass die AfD auch die vielen gemeinnützigen Organisationen im Digitalbereich ins Visier nehmen könnte, ist daher nicht weit hergeholt.

Wie unsicher der Status der Gemeinnützigkeit grundsätzlich ist, hat sich auch in den vergangenen Monaten deutlich gezeigt. Wiederholt haben Finanzämter digital-demokratischen Projekten die Gemeinnützigkeit aberkannt. Betroffen sind unter anderem das Blog gegen Desinformation Volksverpetzer und das Unternehmen Mastodon, das den gleichnamigen Social-Media-Dienst im dezentralen Fediverse entwickelt.

Für viele Vereine ist es lebensnotwendig, die eigene Gemeinnützigkeit abzusichern. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte informiert darüber, wie sich Vereine mit geringem Risiko politisch engagieren und etwa zu Demonstrationen aufrufen können.

Und offenbar sind solche Beratungsangebote auch in Zukunft erforderlich. Denn die im Koalitionsvertrag versprochene Anpassung der Gemeinnützigkeit im Gesetz bleibt im aktuellen Referentenentwurf des 2. Jahressteuergesetzes 2024 deutlich hinter den Erwartungen der Zivilgesellschaft zurück. Auch die Änderungen für gemeinnützigen Journalismus schaffen keine ausreichende Rechtssicherheit.

Wider die Normalisierung der AfD

Der Wunsch, Digitalthemen konstruktiv zu gestalten und uns zugleich nicht angreifbar zu machen, kann leicht dazu verleiten, dass wir schweigen oder einen rein sachlichen Austausch auf thematischer Ebene suchen. Doch wie viele rechtsradikale, gewalttätige und menschenverachtende Äußerungen braucht es noch, damit offene Kritik aus der digitalen Zivilgesellschaft an der AfD als gerechtfertigt gilt?

Eine Strategie, die sich auf den engen Rahmen digitalpolitischer Sachthemen beschränkt und die übergeordneten Demokratiefragen ausblendet, muss zwangsläufig ins Leere laufen. Denn was bringt es, sich für digitalpolitische Ziele wie eine handlungsfähige digitale Verwaltung, gleiche digitale Rechte von Menschen mit und ohne Migrationserfahrung oder konstruktive Diskussionsräume im Internet einzusetzen, wenn die AfD schon bald in Regierungsverantwortung gelangt und dann dafür verantwortlich ist, diese Ziele umzusetzen – oder zu verhindern?

Wer die Auseinandersetzung mit der AfD auf digitalpolitische Themen beschränkt – und dafür an ihren Veranstaltungen teilnimmt oder sich im Parlament von ihren Vertreter:innen befragen lässt – trägt unweigerlich zu ihrer Normalisierung bei. Einer Partei, die systematisch menschen- und demokratiefeindliche Ziele verfolgt und mit Mitteln des Populismus arbeitet, kann man nicht auf sachlicher Ebene begegnen.

Keine inhaltlichen Anknüpfungspunkte

Im Juni stellte sich mir persönlich die konkrete Frage, wie ich in einer Bundestagsanhörung auf die Fragen einer AfD-Abgeordneten reagiere. Sie wollte damals von mir wissen, welchen Mehrwert das Transparenzgesetz hat und ob die Ampel dieses Versprechen aus dem Koalitionsvertrag aus meiner Sicht noch einlösen werde. Für mich war klar: Ich würde das parlamentarische Handeln der AfD nicht durch eine inhaltliche Reaktion normalisieren. Stattdessen antwortete ich, dass ich meinen Sachverstand nicht einer Partei zur Verfügung stelle, die die Menschenwürde angreift (bei 1:23:35 der Aufzeichnung).

Was hätte eine inhaltliche Antwort von mir bewirkt? Hätte ich die Frage sachbezogen beantwortet und meine bereits zuvor in der Anhörung getätigten Aussagen wiederholt, wäre dadurch womöglich der Eindruck entstanden, es gäbe inhaltliche Anknüpfungspunkte mit der AfD.

Dabei ist gemeinhin sehr wohl bekannt, dass die von der AfD gewünschte Transparenz wenig damit zu tun hat, was die digitale Zivilgesellschaft mehrheitlich darunter versteht – nämlich rechenschaftspflichtiges, diskriminierungsfreies Verwaltungshandeln. Bislang zielen die Transparenzbestrebungen der rechtsradikalen Partei eher darauf ab, AfD-kritische Lehrkräfte und politische Gegner*innen online zu denunzieren und an den Pranger zu stellen.

Die digitale Zivilgesellschaft muss Farbe bekennen

Wie eine kritische Auseinandersetzung mit der AfD aussehen sollte, zeigen einige Beispiele. Bijan Moini von der Gesellschaft für Freiheitsrechte thematisierte in einem Vortrag ein mögliches AfD-Verbot. Der Verband der Digitalwirtschaft bitkom schreibt sachlich und zugleich unumwunden in einem Positionspapier: Die AfD „ist digitalpolitisch rückwärtsgewandt, gesellschaftlich auf Spaltung und Abgrenzung ausgerichtet und stellt den bisherigen demokratischen Rechtsstaat in Frage.“ Und der Verein D64 hat als sein Jahresthema „Digitalpolitik faschismussicher“ ausgerufen.

Dass derart klare An- und Aussagen auf inhaltlicher Ebene notwendig sind, belegt auch das politische Engagement der AfD. So forderte sie beispielsweise vor gut einem Jahr mit Blick auf die europäische KI-Verordnung, dass „die Überprüfung von Reisedokumenten mithilfe von KI-Anwendungen und KI-Anwendungen zum Grenzschutz … nicht untersagt werden [sollen]“.

Und auch die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete, die die Ampelregierung bundesweit durchgesetzt hat, forciert sie. Im Dresdner Stadtrat hat sie die CDU dazu gebracht, einen AfD-Antrag zu unterstützen. So viel zur Brandmauer.

Solidarität und Austausch unter Demokrat:innen

Es gibt darüber hinaus vieles mehr, was noch getan werden sollte.

Zunächst können digitalpolitische Maßnahmen dazu beitragen, die Unabhängigkeit von Aufsichtsbehörden zu stärken. Zum Beispiel sollten etwa Verfahren zur Besetzung von Leitungsposten in Datenschutzbehörden transparent durchgeführt werden, um die Ämter vor politischer Einflussnahme zu schützen. Leider gehen viele Parteien hier mit schlechtem Beispiel voran. Das zeigen etwa die langjährigen Konflikte um die Leitung der Datenschutzbehörde von Sachsen-Anhalt. Oder auch das undurchsichtige Verfahren um die Nicht-Wiederwahl und Nachfolge des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber.

Vertreter:innen der digitalen Zivilgesellschaft sollten darüber hinaus Einladungen zu Gesprächen und Veranstaltungen ausschlagen, an denen AfD-Vertreter:innen teilnehmen. Und Menschen, die daran teilnehmen, müssen sich die Frage gefallen lassen, ob dies nötig und angemessen ist.

Mitunter können auch kleine Gesten wirksam sein: Wenige Tage vor der Bundestagsanhörung im Juni habe ich mich mit anderen Sachverständigen darüber ausgetauscht, wie sie mit Fragen der AfD umgehen werden. Möglicherweise hat diese gemeinsame Bestärkung dazu beigetragen, dass alle Sachverständigen geschlossen schwiegen, als die AfD-Abgeordnete erfolglos eine Frage in die Runde richtete (bei 1:50:15 der Aufzeichnung).

Außerdem braucht es praktische Solidarität mit allen, die sich Angriffen durch die AfD und ihre Unterstützer:innen ausgesetzt sehen. Wie wichtig das ist, erlebte ich, als ich nach der Anhörung im Bundestag auf einem rechtsextremen Medium und in einer Kleinen Anfrage der AfD namentlich erwähnt wurde.

Kommt es zu solchen persönlichen Nennungen oder gar Angriffen, sind wir damit nicht alleingelassen. Organisationen, deren Gemeinnützigkeit aufgrund ihres Engagements gegen Rechtsextremismus gefährdet ist, erhalten etwa Unterstützung von der Gesellschaft für Freiheitsrechte und von Campact. Und der Gegenrechtsschutz-Fonds unterstützt Menschen und Organisationen aus den Bereichen Journalismus, Wissenschaft, Kunst und Kultur, die juristisch von rechts außen attackiert werden.

Bei alledem dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, dass wir als digitalpolitische Zivilgesellschaft vor allem eines tun müssen: den demokratischen Diskurs stärken. Wir müssen Position beziehen gegen jene, die Menschenwürde und Demokratie angreifen oder solche Angriffe legitimieren oder gar befeuern. Wir müssen Allianzen bilden mit jenen, die Gewalt und Intoleranz erfahren.

Dafür aber müssen wir mehr tun als digitalpolitische Gemeinplätze bearbeiten. Stattdessen müssen wir uns klar positionieren, unbequeme Fragen stellen und offen Kritik äußern – über unseren engen Themenbereich hinaus. Nur so können wir auch digitale und analoge Freiheitsräume verteidigen, solange diese noch existieren.

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