Thierry BretonDer „Kommissar der Konzerne“ dankt ab und teilt auf X gegen Ursula von der Leyen aus

Thierry Breton wird doch nicht erneut EU-Kommissar, stattdessen schickt Frankreich Außenminister Stéphane Séjourné ins Rennen. Die digitalpolitische Bilanz des früheren Industriebosses Breton ist durchwachsen. Am meisten in Erinnerung dürfte seine Politik der offenen Briefe bleiben.

Ein Mann im Anzug mit grauen Haaren und runder Brille lächelt in die Kamera, im Hintergrund eine EU-Flagge
Thierry Breton 2019 bei der Anhörung als Kommissionskandidat im EU-Parlament CC-BY 2.0 European Parliament

Thierry Breton tritt von seinem Posten als EU-Kommissar für den digitalen Binnenmarkt zurück. Das verkündete der französische Unternehmer und Politiker heute in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, den er auf der Plattform X veröffentlichte.

Offenbar kommt Breton damit einem ohnehin bevorstehenden Ende seiner Laufbahn als EU-Kommissar zuvor. Eigentlich hatte der französische Präsident Emmanuel Macron seinen Landsmann für eine weitere Amtszeit nominiert. Dem Brief zufolge soll von der Leyen jedoch interveniert und Frankreich um die Nominierung einer anderen Person gebeten haben.

Die alte und neue Kommissionchefin habe hierfür „persönliche Gründe, die Sie nicht ein einziges Mal mit mir persönlich besprochen haben“ ins Feld geführt, beschwert sich Breton. Im Gegenzug habe sie Frankreich „ein angeblich einflussreicheres Portfolio“ versprochen. Offenbar konnte sich von der Leyen damit durchsetzen: „Ihnen wird jetzt ein anderer Kandidat vorgeschlagen.“

Aus Kreisen des Elysee-Palastes heißt es, dass der derzeitige französische Europa- und Außenminister Stéphane Séjourné den Job übernehmen soll.

Politik der offenen Briefe

Es ist nicht das erste Mal, dass Thierry Breton mit einem auf X veröffentlichten Brief für Schlagzeilen sorgt. Allerdings waren die Briefe in der Vergangenheit nicht an die Kommissionspräsidentin gerichtet, sondern an Elon Musk. Einen ersten Brief an den Inhaber der Plattform X veröffentlichte Breton im Oktober 2023. Darin forderte der EU-Kommissar den Tech-Milliardär auf, effektiver gegen Desinformation vorzugehen, sonst würden Strafen nach dem Digital Services Act drohen.

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Die Art der Kommunikation stieß damals auf Kritik. Auf netzpolitik.org kommentierte etwa Markus Reuter den Brief als „Vershowkampfung von Politik“, der zwar inhaltlich richtig sei, jedoch die Rechtsdurchsetzung der EU ins Lächerliche ziehe.

Musk änderte daraufhin weder das Vorgehen seiner Plattform gegen Hass und Desinformation, noch verzichtete er darauf, rechtsextreme Politiker:innen zu unterstützen oder antisemitische Posts abzusetzen. Thierry Breton schrieb ihm im August 2024 einen weiteren Brief über die Plattform X. Vor einem Livestream des Plattformmoguls mit dem republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump drohte Breton erneut Konsequenzen an, sofern sich Musk nicht an die Regeln der EU halte. Dieser reagierte mit wüsten Beschimpfungen des EU-Kommissars.

Eine Sprecherin der EU ließ mitteilen, dieses Schreiben sei nicht mit der Kommissionspräsidenten oder den Kolleg:innen in der Kommission abgesprochen gewesen. Tatsächlich sei von der Leyen „noch nie so sauer gewesen“, zitiert Euractiv eine Quelle aus ihrem Umfeld.

Durchwachsene politische Bilanz

Die Berufung Thierry Bretons zum EU-Kommissar für den digitalen Binnenmarkt und digitale Industrie war von Beginn an umstritten. Der heute 69-Jährige kam 2019 als Ersatzkandidat für die französische Politikerin Sylvie Goulard ins Rennen, die das EU-Parlament aufgrund von Interessenkonflikten und Ermittlungen der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde abgelehnt hatte. Aufgrund seiner zentralen Rolle in der französischen Digitalindustrie warnten zivilgesellschaftliche Organisationen früh vor Breton als „Kommissar der Konzerne“.

Bis zu seiner Berufung führte Breton das Unternehmen Atos, das mit 110.000 Beschäftigten einer der größten IT-Konzerne Frankreichs ist. Das Unternehmen bietet unter anderem Verwaltungssoftware, Clouddienste und Datenanalyse an und ist auch an der technischen Hochrüstung der „Festung Europa“ beteiligt. In den 2000er Jahren war Breton für einige Jahre Vorstandsvorsitzender der Französischen Telekom und Minister für Wirtschaft, Industrie und Finanzen in den konservativen Regierungen Raffarin und Villepin.

Bretons Bilanz als EU-Kommissar ist durchwachsen. Tatsächlich wurde er nicht der Kommissar aller Konzerne, sondern lediglich ein Kommissar der europäischen Konzerne. Wie kein anderes Mitglied der Kommission stand Breton für einen protektionistischen Kurs in der Digitalpolitik, der sich explizit gegen die Übermacht von Tech-Konzernen aus den USA und China richtet, während er auf eine Förderung der europäischen Digitalindustrie und den Aufbau europäischer Champions zielt.

Die von Breton mitverantworten Mega-Verordnungen über Digitale Dienste und Digitale Märkte gelten durchaus als erfolgversprechend, weil sie europäischen Behörden erstmals die Möglichkeit geben, marktschädliches und anderes gefährliches Verhalten von Online-Plattformen effektiv zu ahnden. Weil die Verordnungen besonders strenge Regeln für große Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzer:innen vorsehen, treffen sie insbesondere ausländische Tech-Konzerne.

Stark umstritten waren Bretons Pläne für eine Neuordnung des Telekommunikationsmarktes. Seine Pläne für eine als Internet-Maut kritisierte Abgabe datenintensiver Dienste wie YouTube und Netflix zugunsten europäischer Telekommunikationsanbieter stieß auf breite Kritik. Zivilgesellschaftliche Organisationen warnten vor einem Angriff auf die Netzneutralität und einer Zerfaserung des Internets.

Auch die von Breton verantworten Verhandlungen über eine ePrivacy-Reform waren gescheitert. Die Verordnung sollte eigentlich EU-Bürger:innen besser vor Online-Tracking schützen und bereits seit Jahren in Kraft sein. Dagegen wehrten sich nicht nur Datenkonzerne wie Meta und Google, sondern auch europäische Telekom-Konzerne und die europäische Online-Werbeindustrie, weshalb Breton das Verfahren auf das Abstellgleis schob.

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