Im Dezember 2023 hat das Bundeskabinett einen Entwurf zur Reform des Bundespolizeigesetzes beschlossen. Nun berät der Bundestag über die geplante Neustrukturierung. Am 22. April wurden der Gesetzentwurf und die Befugnisse der Bundespolizei in einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Inneres und Heimat mit Sachverständigen besprochen.
Die Bundespolizei hat mehrere Aufgaben: Sie soll die Grenzen schützen, den Bahn- und Luftverkehr sicher machen, aber auch staatliche Einrichtungen vor Gefahren schützen. Neben präventiven Maßnahmen übernimmt die Bundespolizei auch Strafverfolgungsaufgaben. So verfolgt sie beispielsweise Verstöße gegen die Vorschriften des Pass- oder Aufenthaltsgesetzes.
Nun soll die gesetzliche Grundlage für ihre Arbeit, das Bundespolizeigesetz (BPolG), erneuert werden. Die Bundesregierung fürchtet, dass das 30 Jahre alte Bundespolizeigesetz nicht so aktuell sei, dass die Bundespolizei ihre Aufgaben entsprechend den technischen und sicherheitspolitischen Entwicklungen durchführen könne. Sie erhofft sich von der Neustrukturierung, das Gesetz wieder auf die Höhe der Zeit zu bringen.
Mehr Befugnisse, weniger unabhängige Kontrolle
Im BPolG gibt es derzeit eine sogenannte allgemeine Befugnisnorm. Sie ermöglicht es der Bundespolizei schon jetzt, weitreichende Maßnahmen zur Gefahrenabwehr einzusetzen. Sie darf die „notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren“, wenn es nicht speziell geregelt ist. Eine solche Regelung bleibt in der geplanten Neuregelung bestehen.
Mehrere Vorschriften des Entwurfs zeigen aber: Etwa bei Überwachungsmaßnahmen will die Regierung der Bundespolizei mehr Befugnisse geben. Die Bereiche betreffen Abfragen von Daten bei den Telekommunikationsanbietern bis hin zur erleichterten Ausstellung von Meldeauflagen, also die Verpflichtung, sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums zur Kontrolle bei der Polizei zu melden.
Auch bei der Telekommunikationsüberwachung sind Erweiterungen geplant. Eine Befugnis zur Überwachung von Kommunikation mit Staatstrojanern, also Quellen-Telekommunikationsüberwachung oder Onlinedurchsuchung, ist nicht vorgesehen.
Keine zusätzliche Rechtssicherheit
Nahezu alle Sachverständige äußerten Kritik am Inhalt und an den Formulierungen im Gesetz. Etwa dass Situationen, in denen die Polizei eine Maßnahme ergreifen kann, zu unkonkret blieben. Die Gesetzgeberin habe entscheidende Gefahrensituationen nicht konkret genug definiert. Dies sei aus Sicht des angehörten Juristen Felix Ruppert von der Ludwig-Maximilians-Universität München aber wichtig. Beamt:innen könnten sonst den Anwendungsbereich von besonders eingriffsintensiven Maßnahmen ausdehnen.
Dieses Problem betreffe unter anderem die Regelungen zur Erhebung von Verkehrs- und Nutzungsdaten und zur Telekommunikationsüberwachung. Bei ersterem kann die Polizeibehörde bei Telekommunikationsanbietern und Netzwerkbetreibern beispielsweise abfragen, wer wann an einem Anrufbeteiligt ist oder war.
Der Entwurf des Bundespolizeigesetzes würde solche Abfragen zur Abwehr einer dringenden Gefahr erlauben, ohne Wissen der Betroffenen. Genauso verhält es sich auch mit dem neuen Paragrafen zur Überwachung der Telekommunikation. Das würde bedeuten, dass in Situationen eingegriffen werden könne, in denen üblicherweise noch kein Tatverdacht begründet ist, schreibt der Sachverständige Ruppert in seiner Stellungnahme.
In der Entwurfsbegründung zur Überwachung der Telekommunikation heißt es dazu, dass damit eine Erkenntnislücke geschlossen werden solle. Vorgesehen sei die Überwachung von weiteren Beteiligten, die eine im Vergleich dazu strengere Regelung aus der Strafprozessordnung noch nicht zulasse.
Die Definition aus dem Entwurf regele dagegen nicht konkret genug, wann eine dringende Gefahr vorliege, kritisiert Ruppert. Gefahrensituationen werden daran festgemacht, ob „bedeutende Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Freiheit“ oder „wesentliche Vermögenswerte“ gefährdet sind oder es wahrscheinlich ist, dass sie gefährdet werden.
Auf verfassungsrechtlich dünnem Eis
Dass neue Bundespolizeigesetz soll nicht nur die alte Rechtsgrundlage modernisieren, es soll auch verfassungsrechtliche Bedenken aus dem Weg schaffen. Hintergrund ist, dass das Bundesverfassungsgericht im April 2016 Teile des Bundeskriminalamtsgesetzes (BKA-Gesetz) für verfassungswidrig erklärte.
Die Richter:innen haben in ihrem Urteil neue Anforderungen an die Durchführung von besonders eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen aufgestellt, die sich so auch im Bundespolizeigesetz wiederfänden. Auf sie seien die verfassungsrechtlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes anzuwenden. Das gelingt nach Ansicht des Sachverständigen Ruppert aber nicht vollständig.
Manche Anforderungen an eingriffsintensive Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung seien sogar herabgesetzt worden. In sämtlichen Normen brauche es keine konkrete Gefahr mehr, sondern nur noch eine „unbestimmte drohende Gefahr“. Der vorliegende Gesetzentwurf begebe sich so auf „verfassungsrechtlich bestenfalls dünnes Eis“.
Nach negativen bundes- und landesverfassungsrechtlichen Entscheidungen über ausgeweitete Überwachungsbefugnisse der Landespolizeien und des BKA hält Ruppert es für möglich, dass das Bundesverfassungsgericht auch das BPolG in ein paar Monaten für verfassungswidrig erklären könnte. Neben dem BKA-Gesetz wurden auch Überwachungsbefugnisse des mecklenburg-vorpommerschen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes und einige sächsische Überwachungsbefugnisse für verfassungswidrig erklärt.
Nicht alles, was technisch möglich ist, ist rechtlich geboten
Immerhin: Außerhalb der Strafprozessordnung und des BKA-Gesetzes wird es vorerst keine weitere nationale Rechtsgrundlage für den Einsatz der Quellen-Telekommunikationsüberwachung, der Online-Durchsuchung und der Wohnraumüberwachung im BPolG geben.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit begrüßte diese Entscheidung. Einmal geschaffene Überwachungsbefugnisse würden im Regelfall nicht mehr zurückgenommen, sondern eher noch ausgeweitet.
Polizeivertreter:innen, die im Ausschuss ebenfalls als Sachverständige sprachen, haben das Gesetz ebenfalls kritisiert. Sie sprachen sich jedoch grundsätzlich für mehr Befugnisse aus, etwa für automatisierte Gesichtserkennung an Bahnhöfen und Flughäfen. Außerdem äußerten sie den Wunsch nach einer gesetzlichen Regelung für den Einsatz von Gummigeschossen, von Tasern und dem sogenannten finalen Rettungsschuss.
> In sämtlichen Normen brauche es keine konkrete Gefahr mehr, sondern nur noch eine „unbestimmte drohende Gefahr“.
Wird bei „unbestimmte drohender Gefahr“ dann Polizei trotz bzw. wegen des Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten, zu einem „do-it-yourself Überwachungs-Dienst“?
Du sprichst einen wunden Punkt an- Die Kernaufgaben von der Bundespolizei lagen tatsächlich einmal woanders und nicht bei der Beschaffung von Informationen im Vorfeld von Gefahren. Ich habe keine sonderlich gute Antwort auf deine Frage aber ich denke mit der Einführung dieses Reformentwurfs hätte die Bundespolizei mehr Anlass selbst zu Überwachen bzw. selber anlasslos zu überwachen.
Geht eigentlich Profiling ohne Vorratsdatenspeicherung?
“Die Bundespolizei […] soll den […] Luftverkehr sicher machen”.
Macht sie aber nicht. Stattdessen delegiert sie diese Aufgabe an Privatfirmen, die schlecht ausgebildete und bezahlte Mitarbeiterinnen dafür einsetzen.
Doch es geht noch weiter: Die Bundespolizei toleriert dabei aktiv Beschleunigungskorruption: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/korruption-fast-lane-flughafen-airport-airline-passagier-k/.
Staatsanwaltschaft, bitte endlich übernehmen und unterbinden!
PS: Der Euphemismus des „finalen Rettungsschusses“ sollte nicht unkommentiert übernommen, sondern als das benannt werden, was er ist: Ein gezielter Todesschuss.
Sammelklage?