EU-KommissionFrankreich schlägt Thierry Breton für zweite Amtszeit vor

Bis Ende August müssen die EU-Länder ihre Kandidat:innen für Kommissionsposten festlegen. Für Frankreich soll erneut Thierry Breton ein Ressort übernehmen. Welches, steht noch nicht fest. Debatten über die Wettbewerbsfähigkeit der EU stehen in jedem Fall bevor.

Thierry Breton und Emmanuel Macron, im Hintergrund die EU-Flagge
Alte Bekannte: Thierry Breton (links) und Emmanuel Macron bei einer Pressekonferenz im Jahr 2016. – Alle Rechte vorbehalten Bild: IMAGO / ABACAPRESS – Montage: netzpolitik.org

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat seinen Landsmann Thierry Breton erneut zum EU-Kommissar nominiert. Seine Erfahrung, Qualitäten und allgemeine Kompetenz würden für Breton sprechen, so Macron in einem Schreiben an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die jüngst vom EU-Parlament in ihrem Amt bestätigt wurde.

Welches Ressort Thierry Breton übernehmen soll, steht noch nicht fest. Nicht selten werden Kompetenzen neu verteilt, wenn sich eine neue EU-Kommission bildet. Gesichert ist aber jetzt schon, dass es mindestens zwei neue Ressorts geben wird, jeweils eines für Generationengerechtigkeit und Mittelmeerraum. Politico zufolge ist Breton an einem wirtschaftlichen „Super-Portfolio“ interessiert, in Frage käme auch eine neue Rolle als Verteidigungskommissar.

Bislang hatte der als industrienah geltende Franzose drei wichtige Abteilungen der Kommission unter sich: DG CONNECT (Telekommunikation und Technologie), DG GROW (Binnenmarkt und Industrie) und DG DEFIS (Verteidigungsindustrie und Weltraum). Vor seinem Einstieg in die EU-Politik war Breton unter anderem Chef des Ex-Monopolisten France Télécom, der nunmehr unter dem Namen Orange firmiert.

Einflussreich vor und hinter den Kulissen

Gemeinsam mit Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ist Breton maßgeblich für die Durchsetzung des Digital Services Act (DSA) verantwortlich. Öffentlichkeitswirksam legte er sich etwa wiederholt mit Elon Musk an, dessen sozialem Netzwerk X Verstöße gegen den DSA vorgeworfen werden.

Von der breiteren Öffentlichkeit wohl weniger bemerkt ist Bretons schier unermüdlicher Einsatz für große Telekommunikationsunternehmen geblieben. In der letzten Legislaturperiode brachte er unter anderem das umstrittene Modell einer Datenmaut ins Spiel, um mit den Gebühren von Inhalteanbietern angeblich den europäischen Ausbau digitaler Infrastruktur mitzufinanzieren.

Im Schlepptau folgte ein nicht weniger umstrittenes Weißbuch zur Zukunft der digitalen Infrastruktur, das die Grundlage für einen „Digital Networks Act“ (DNA) bilden soll. Die Stoßrichtung des möglichen Gesetzes hatte Breton zuvor schon auf der Karriereplattform Linkedin skizziert: Ein konsolidierter, EU-weiter Markt für Telekommunikation soll große Netzbetreiber noch mehr wachsen lassen, bei gleichzeitiger Deregulierung und Harmonisierung der Vorgaben.

Globale Wettbewerbsfähigkeit rückt in den Mittelpunkt

Obwohl die Ideen Bretons deutlichen Gegenwind aus der Zivilgesellschaft, von Verbraucherschutzorganisationen und Betreiberverbänden erhalten hatten und weiter erhalten, deutet sich ein Stimmungswandel an: In eine ähnliche Richtung weisen etwa die Vorschläge des italienischen Ex-Premiers Enrico Letta, dessen Bericht zum EU-Binnenmarkt ein „radikales“ Neudenken fordert.

Ohne den TK-Bereich ausdrücklich zu nennen, fordert auch von der Leyen in ihrem Arbeitsprogramm „einen neuen Ansatz in der Wettbewerbspolitik“, damit europäische Unternehmen einfacher auf globalen Märkten expandieren können. Demnach sind steigende Marktkonzentrationen in Ordnung, solange sie nicht „zu höheren Preisen oder schlechterer Qualität von Waren oder Dienstleistungen“ führen.

Mit Spannung wird nun der mehrfach verschobene und für September erwartete Bericht des ehemaligen EZB-Chefs Mario Draghi erwartet, der sich ebenfalls mit der Wettbewerbsfähigkeit der EU beschäftigt.

Bis dahin sollte die neu besetzte EU-Kommission stehen, Nominierungen der einzelnen EU-Länder sind bis Ende August möglich. Endgültig bestätigt wird sie als Ganzes vom EU-Parlament voraussichtlich im Oktober.

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6 Ergänzungen

    1. > ist nur „noch-Präsident“, oder?

      Demokratien zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine Ewigkeits-Präsidenten haben. Insofern ist jeder Präsident bereits bei Amtsantritt ein „noch-Präsident“.

    2. Die nächste Präsidentschaftswahl ist erst 2027, eine lame duck ist Macron also nicht und sein Ensemble ist immerhin zweitstärkste Partei im Parlament. Nun regelt das französische Recht nicht eindeutig, wer eigentlich Kommissar:innen nominieren darf – und lustigerweise haben sich im Vorfeld u.a. sowohl Mélenchon (ziemlich halbgar, imho) als auch Le Pen gegen Breton ausgesprochen.

      Der Linken wäre wohl nur übrig geblieben, für diesen EU-Posten viel politisches Kapital zu verbraten und entweder einen (womöglich fragwürdigen) Deal mit Macron und Ensemble einzugehen, oder gemeinsam mit den Rechtsextremen die gesamte Regierungsarbeit zu blockieren und erneute Neuwahlen zu erzwingen (lol).

      Soweit ich herausfinden konnte, scheint es dazu aber eh nie eine breite oder ernstzunehmende Debatte in Frankreich gegeben zu haben, bzw. hat Macron einfach Tatsachen geschaffen. Außer vereinzelten Postings in sozialen Medien, etwa von der sich übergangen fühlenden EU-Abgeordneten Manon Aubry, konnte ich nichts finden. (Seitdem twittert sie fast ausschließlich über die Olympischen Spiele, so wichtig scheint es ihr also nicht zu sein.) Aber wer weiß, noch ist Bretons Bestellung nicht in trockenen Tüchern.

        1. Macron fährt die derzeitige Strategie aller neoliberal-konservativen: eine starke Rechtsradikale etablieren und dann als kleineres Übel von Leuten gewählt werden, die ihn eigentlich hassen und die er verachtet.

          Machen zB Dems in USA und CDU/SPD in Deutschland genauso.

          Wobei Hillary Clinton schon demonstriert hat, dass es schiefgehen kann. Aber das ist nicht so schlimm, persönlich können die Akteure ja idR gut damit leben.

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