DesinformationWenn die Wahrheit in der Couch steckenbleibt

Ein viraler Witz über vermeintliche sexuelle Vorlieben des republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten J.D. Vance hat den Sprung aus dem Internet auf Wahlkampfpodien geschafft. Manche US-Konservative geben sich empört, glaubwürdig ist das aber nicht. Ein Kommentar.

Eine Couch in einem leeren Zimmer
An einem Couch-Witz hat sich eine Debatte rund um Desinformation entzündet. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com GCP 3D

Es begann als Witz in sozialen Medien: Der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat J.D. Vance habe Sex mit einer Couch gehabt, soll er in seinem Bestseller-Buch geschrieben haben. Der Witz verbreitete sich wie ein Lauffeuer, wurde von einem inzwischen zurückgezogenen Faktencheck der Nachrichtenagentur AP noch weiter verstärkt und schließlich von Vances Gegenstück, dem Demokraten Tim Walz, in dessen erster Wahlkampfrede erwähnt.

Die Menge tobte, selbst Spitzenkandidatin Kamala Harris konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Nach Jahren des unablässigen Lügen-Bombardements durch Donald Trump schießen die Demokraten endlich zurück, freuen sich viele – auch wenn das manchen konservativen Kommentatoren gar nicht gefällt. Walz sollte keinen „Persilschein“ für eine solche Schmutzkübelkampagne erhalten, beschwerte sich ein Kolumnist.

Gut erprobte Desinformationsstrategien

Vor der Übernahme von Twitter durch Elon Musk hätte das soziale Netzwerk irreführende Postings wohl mit einem Hinweis versehen, mutmaßt die ehemalige Mitarbeiterin Sarah Roberts. Was das wirklich gebracht hätte, bleibt offen. Zu rechnen ist damit jedenfalls nicht: Die Moderationsteams hat Musk fast vollständig eingestampft, manipulierte Inhalte verbreitet der Chef nun höchstpersönlich, obwohl das gegen die eigenen Richtlinien verstößt.

Ausgerechnet jene, die jetzt plötzlich Faktenchecks in sozialen Medien vermissen, werfen zugleich fleißig mit Schmutz um sich: Tim Walz, der mehr als zwei Jahrzehnte lang in der US-Armee gedient hatte, sei nicht wirklich ein Veteran, lautet der jüngste Versuch, dessen Glaubwürdigkeit zu untergraben. Schließlich hat die „Swiftboating“ genannte Strategie, die Welt auf den Kopf zu stellen, im Präsidentschaftswahlkampf 2004 gut genug funktioniert.

Doch die Rufe nach mehr Anstand und Faktentreue wirken ähnlich glaubwürdig wie Donald Trump, der jüngst vor einem schwarzen Publikum die ethnische Identität von Kamala Harris in Frage zu stellen versuchte: Sind es doch die Republikaner, die in den vergangenen Jahren einen systematischen Angriff auf einigermaßen gesunde digitale Informationsräume gestartet haben.

Einschüchterungskampagnen gegen Forschung

So hat etwa das Stanford Internet Observatory jüngst eine eigene Abteilung drastisch zusammengekürzt, die unter anderem die Ausbreitung von Falschnachrichten in Wahlkämpfen untersucht hatte – gerade noch rechtzeitig vor den Präsidentschafts- und Kongresswahlen im Herbst. Unter dem Vorwand von Meinungsfreiheit sollen Klagen und umfassende Abfragen des von den Republikanern geführten Repräsentantenhauses Rechnungen in Millionenhöhe verursacht haben.

Die Pforten ganz geschlossen hat schon im Vorjahr ein einschlägiges Forschungszentrum der Harvard-Universität, hier scheint den Druck vor allem Meta ausgeübt zu haben. Der noch junge Forschungszweig steht schwer unter Beschuss: In einem anderen Fall haben es republikanische Politiker:innen sogar bis vor den Supreme Court geschafft, nur um staatliche Stellen – letztlich vergeblich – davon abzuhalten, etwas gegen Desinformation zu unternehmen.

Eingeknickt sind jedoch nicht alle: Weiterhin veröffentlicht etwa das Center for an Informed Public der Universität Washington aktuelle Analysen rund um irreführende Propaganda im Netz. Darin zeigt das Forschungsteam beispielsweise, wie Demokratie schädigende Gerüchte über die Legalität der Kandidatur von Kamala Harris den Sprung aus sozialen Medien über Blogs bis ins Kabel-TV geschafft haben.

Nicht alle Lügen sind gleich

Nun ist nicht jede Lüge gleichwertig oder gefährlich. Ein Sex-Witzchen, das einen reaktionären Spitzenpolitiker auf die Schippe nimmt und dabei vermeintlich präzise Quellenangaben mitliefert, ist etwas fundamental anderes als etwa gezielt geschürter Hass gegen ganze Menschengruppen, den zu rechtsextremen Propagandaschleudern umgebaute Online-Dienste wie X anfachen.

Das zu unterscheiden sollte mit einem Mindestmaß an Medienkompetenz möglich sein, würde man meinen. Und dass Faktenchecks genauso gut nach hinten losgehen wie helfen können, sollte inzwischen auch bei der AP angekommen sein. Offenkundig wird aber: Die Debatte rund um Desinformation steht noch ganz am Anfang. Auch wenn sie manche schon im Keim ersticken wollen.

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