Twitter-AmnestieElon Musk holt die Rechtsextremen zurück

Twitter-Chef Elon Musk will gesperrte Twitter-Accounts wieder aktivieren. Fachleute warnen vor „einem Tor zur Hölle“. Was Betroffene von Hass und Hetze jetzt tun können.

Musk erweckt blaue und braune Twitter-Vögel von den Toten
Twitter-Chef Musk ruft alte Geister (Symbolbild) – Musk: IMAGO / Zuma Wire; Vögel: twitter; Landschaft: Pixabay; Montage: netzpolitik.org

Die Selbstzerfleischung von Twitter geht weiter. Der neue Twitter-Chef Elon Musk hat bereits einen Großteil der Belegschaft gefeuert und einen weiteren Teil vergrätzt. Jetzt wendet Musk offenbar den Blick nach außen. Er will die Plattform wieder für Menschen öffnen, die Hausverbot bekommen haben. Gesperrte Accounts sollen zurückkommen, wie Musk am Donnerstag twitterte, und zwar ab nächster Woche. Ausgenommen seien Accounts, die „das Gesetz“ gebrochen haben oder „unerhörten Spam“ verbreiten.

Das heißt im Klartext: Die Nazis kommen wieder, unter anderem. Wer in den letzten Jahren etwa wegen Hass und Hetze von der Plattform geschmissen wurde, darf zurück. Nicht mit neu angelegten Accounts ohne Follower*innen, sondern mit der alten Reichweite. Fachleute halten das für eine Katastrophe. „Das ist so, als würde man das Tor zur Hölle aufstoßen“, twittert die Anwältin Alejandra Caraballo. Caraballo gibt juristische Beratung für Betroffene von digitaler Gewalt an der US-amerikanischen Harvard Law School.

Twitter als Höllenlandschaft? „Ich wünschte ich könnte die Aussage relativieren“, schreibt Josef Holnburger auf Anfrage von netzpolitik.org. „Aber ich sehe es leider sehr ähnlich“. Er ist Geschäftsführer von CeMAS, einem Zentrum zur Erforschung von Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus.

Viele auf Twitter gesperrte Personen hätten gehofft, dass Musk sie zurückholt. Genau das stehe nun bevor. „Sie werden zurückkehren und sich als Gewinner feiern“, schreibt Holnburger.

„Progressive, liberale Stimmen verdrängen“

In den vergangenen Jahren hat Twitter zunehmend eine Strategie namens Deplatforming betrieben, ähnlich wie beispielsweise Facebook und YouTube. Vor allem Rechtsextreme und Verschwörungsideolog:innen haben dadurch ihre Accounts verloren und sind auf alternative Plattformen ausgewichen, etwa Telegram und Truth Social. Eine besondere Signalwirkung hatte der Rauswurf Donald Trumps von Twitter – eine Folge des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar 2021.

Elon Musk dreht das Rad jetzt zurück. Der Account von Donald Trump ist seit dieser Woche wieder da, auch wenn der abgewählte US-Präsident noch nichts Neues getwittert hat. Durch die angekündigte Amnestie werden künftig viele weitere folgen. „Akteur:innen der Szene wittern eine Chance, Menschen ‚außerhalb der Telegram-Blase‘ zu erreichen und freuen sich über höhere Zugriffszahlen auf Twitter“, twittert das Forschungszentrum CeMAS. „Der Tenor ist dabei klar: Man will diesen digitalen Raum erobern und progressive, liberale Stimmen verdrängen.“ Diese Verdrängung würde als „Sieg“ gefeiert.

Sowohl zur Amnestie als auch zur Rückkehr von Trump hatte Elon Musk zunächst eine Twitter-Umfrage gestartet. Twitter-Nutzer*innen sollten abstimmen, ob sie solche Maßnahmen gut finden. In beiden Fällen erhielt Musk eine Bestätigung. Die Abstimmungen sind aber weder repräsentativ noch sicher vor Manipulation – sie haben keinerlei Aussagekraft. Musk erweckt mit diesen Umfragen den Anschein direkter Demokratie. Er twittert auf Latein, die „Stimme des Volkes“ sei die „Stimme Gottes“. Musk betreibt damit eine Selbstinszenierung als Herrscher, die den vermeintlichen Willen des Volkes realisiert – ein zentrales Merkmal von Rechtspopulismus.

„Zentrale Anlaufstellung für Doxing und Belästigung“

Musk hat zwar Ausnahmen von der Amnestie angekündigt, etwa für Accounts, die „das Gesetz“ brechen. Vieles spricht jedoch dafür, dass das in der Praxis wenig Bedeutung hat. Es gibt nicht „das“ Gesetz, sondern zahlreiche Gesetze von Nationalstaaten. In Deutschland muss sich Twitter etwa an das NetzDG (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) halten. Bereits vor der Ära Musk hat Twitter nur in wenigen Fällen Inhalte aufgrund des NetzDG gelöscht. Stattdessen hat die Plattform die eigenen, teils strengeren Richtlinien zurate gezogen. Entsprechend dürfte Twitter kaum genug Informationen haben, um schnell beurteilen zu können, welcher gesperrte Account einst gegen nationale Gesetze verstoßen hat.

In der Washington Post warnt Angelo Carusone von der US-amerikanischen Organisation Media Matters vor den Folgen der Twitter-Amnestie. Media Matters beobachtet und erforscht Desinformation der US-amerikanischen Konservativen. Carusone erwartet konkret die Rückkehr von US-Nazis und Verschwörungsideolog:innen. Twitter würde zu einer „zentralen Anlaufstelle für Doxing und Belästigung und zu einem Motor der Radikalisierung“. Doxing nennt man es, wenn böswillige Akteur*innen private Informationen über eine Person ins Internet stellen, etwa Telefonnummer oder Adresse. Konkret befürchtet Carusone Hetzkampagnen gegen Gesundheitsbeamt*innen, Wahlhelfer*innen und Journalist*innen.

Der Guardian hat das britische „Center for Countering Digital Hate“ um Einschätzung gebeten. Die Organisation engagiert sich gegen Hass und Desinformation. Geschäftsführer Imran Ahmed sagte: „Superspreader von Hass, Missbrauch und Belästigung werden die einzigen sein, die von dieser Entscheidung profitieren“.

Nicht nur Rechte von der Amnestie betroffen

Trotz des Fokus auf Hass und Hetze soll nicht unerwähnt bleiben: Twitter hat auch aus anderen Gründen Accounts gesperrt, die durch die kommende Amnestie zurückkehren dürfen. Immer wieder versuchen Trolle und Rechtsextreme auch die Accounts von Aktivist*innen und vulnerablen Personen zum Verstummen zu bringen. Ihr Werkzeug sind massenhafte Meldungen wegen angeblichen Regelverstößen; teils haben sie damit Erfolg.

Eine weitere Gruppe, die unter Account-Sperren leidet, sind Sexarbeiter*innen. Ähnlich wie Influencer*innen sind sie finanziell auf ihre Online-Community angewiesen. Viele kommerzielle Plattformen wie Twitter haben sie allerdings vermehrt vertrieben und damit ihre wirtschaftliche Existenz bedroht.

Für diese und weitere Accounts von vulnerablen Personen bleibt die Frage, welche Art von Plattform sie im Fall einer Rückkehr überhaupt vorfinden. Bislang konnten Betroffene von Hass und Hetze zumindest teilweise auf Schutzmechanismen wie Inhaltemoderation setzen. Nach den massenhaften Kündigungen ist Twitter in dieser Hinsicht aber schlecht aufgestellt. NGOs weisen darauf hin, dass Twitter Fälle langsamer bearbeitet. Und niemand weiß, was sich Musk als nächstes ausdenkt – der Milliardär steuert die Geschicke von Twitter offenkundig ohne jede Rücksicht auf Kollateralschäden.

Selbstschutz geht vor

„Musk spielt auch ein Aufmerksamkeitsspiel – er will mit solchen Botschaften auch Schlagzeilen generieren“, schreibt CeMAS-Geschäftsführer Holnburger. Dieses Spiel gelingt ihm. Der Nachrichtenwert und die gesellschaftlichen Folgen seiner Entscheidungen sind so hoch, dass Medien kaum eine andere Wahl bleibt als zu berichten, auch netzpolitik.org. Holnbuger sagt: „Wir sollten unsere Aufmerksamkeit lieber den Betroffenen widmen.“

Viele Betroffene von Hass und Hetze wollen Twitter nicht sofort den Rechten und Verschwörungsideolog*innen überlassen. Aber massenhafte Hass-Tweets können die Plattform schnell unerträglich machen. Es gibt ein paar technische Möglichkeiten, um sich bei Bedarf schnell vor Angriffen abzuschirmen, etwa die Einstellung „Wer kann antworten“. Sie lässt sich direkt beim Erstellen eines Tweet vornehmen. Mit Klick auf „Leute, denen du folgst“ ist zumindest die eigene Kommentarspalte geschützt. Das geht auch bei bereits veröffentlichten Tweets: Drei-Punkte-Symbol > Ändern, wer antworten kann.

Darüber hinaus kann man – dauerhaft oder zeitweise – seinen gesamten Account gegenüber der Außenwelt verschließen, sodass nur noch Follower*innen die Inhalte sehen können. Klickweg: Mehr > Einstellungen und Support > Einstellungen & Datenschutz > Datenschutz & Sicherheit > Zielgruppe > „Deine Tweets schützen“.

Wie Behörden, Medien und NGOs Mastodon für sich entdecken

Gut möglich, dass Angreifer*innen nun vermehrt versuchen, fremde Twitter-Accounts zu übernehmen. Das ist schon passiert, bevor Twitter Tausende Mitarbeiter*innen entlassen hat, die so etwas eigentlich verhindern sollten. Eine Zwei-Faktor-Authentifizierung macht solche Angriffe zumindest schwerer. Klickweg: Mehr > Einstellungen und Support > Einstellungen & Datenschutz > Sicherheit & Account-Zugriff > Sicherheit. Wer sensible Informationen aus den Twitter-Direktnachrichten schützen will, kann zudem Gesprächsverläufe vorsorglich löschen. Ohne Ende-zu-Ende-Verschlüsselung waren diese allerdings nie wirklich sicher.

Die Suche nach einer neuen digitalen Heimat führt derzeit Hunderttausende Nutzer*innen zu Mastodon. Das ist ein soziales Netzwerk im Fediverse, einem Zusammenschluss dezentraler Online-Dienste. Wie der Umzug gelingt, beschreiben wir hier. Viele Behörden, NGOs und Nachrichtenmedien sind schon da.

Unterstützung im Umgang mit digitaler Gewalt gibt es unter anderem von der Hilfsorganisation Hate Aid. Auf deren Website gibt es auch eine kurze Liste mit acht Stichpunkten für den Notfall. Um sich juristisch zu wehren, verweist das BKA auf die Meldestelle „respect“ der Jugendstiftung Baden-Württemberg im Demokratiezentrum. Weitere Anlaufstellen für kostenlose Beratung sind etwa das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen und die Telefon- und Online-Beratung Weißer Ring.

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