Digitale-Dienste-GesetzKein Vehikel für Plattform-Verbote

Das Digitale-Dienste-Gesetz bringt für Anbieter von sozialen Netzwerken mehr Pflichten bei der Inhaltemoderation. Halten sie sich nicht an die Regeln, gibt es Konsequenzen. Doch nachdem EU-Digitalkommissar Thierry Breton von Verboten sprach, sind Grundrechtsorganisationen alarmiert.

Bild eines bunten Protests, jemand hält ein Smartphone in die Luft
Soziale Netzwerke und Messenger sind wichtige Mittel bei der Organisation von Protesten. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Barbara Zandoval

Im Herbst 2022 schränkte das iranische Regime nach Demonstrationen den Zugang zu Instagram und WhatsApp ein. In Guinea waren im Mai 2023 nach Protesten gegen die Militär-Junta mehrere Messenger und soziale Medien nicht mehr erreichbar. Dass Kommunikationsdienste, soziale Netzwerke oder gleich das ganze Internet plötzlich weg sind, das passiert immer wieder in autoritären Staaten.

Eher ungewöhnlich ist hingegen, dass in der EU Regierungschefs und hohe EU-Beamte laut über Netzsperren als Möglichkeit bei sozialen Unruhen nachdenken. Mehrere Grundrechtsorganisationen sind darüber beunruhigt und verlangen in einem offenen Brief Klarstellung.

Unruhen in Frankreich

Wie es dazu kam: Nach Unruhen in Frankreich redete Präsident Emmanuel Macron im Juli davon, notfalls Zugang zu Internetplattformen abzuschneiden. Nachdem ein Polizist einen Jugendlichen erschossen hatte, kam es zu Protesten, die teilweise gewaltsam verliefen. Macron warf Plattformen wie TikTok und Snapchat vor, dazu beizutragen.

Die Äußerungen des französischen Präsidenten zogen viel Kritik auf sich, die Regierung ruderte zurück. Aus dem französischen Digitalministerium hieß es, es sei zwar eine technische Möglichkeit, Plattformen zu blockieren. In Betracht gezogen habe man das aber nicht.

Ruhig um diesen umstrittenen Vorstoß ist es aber dennoch nicht geworden, auch weil EU-Digitalkommissar Thierry Breton aufsprang und in einem Interview erklärte, das neue Digitale-Dienste-Gesetz der EU würde Verbote im Gebiet der EU ermöglichen. Man könnte neben Geldstrafen auch den Betrieb von Plattformen wie Twitter und Facebook in der EU untersagen, wenn sie rechtswidrige Inhalte bei sozialen Unruhen nicht schnell genug entfernen.

Keine Lösung für vermeintliche Krisen

Zivilgesellschaftliche Organisationen sind über Bretons Äußerungen empört. In ihrem gemeinsamen Brief wenden sie sich an den Digitalkommissar. Sie erinnern daran, dass willkürliche Netzsperren und Internet-Shutdowns Grundrechte verletzen. Das „sollte auf keinen Fall als Lösung für ein Ereignis oder eine vermeintliche Krise in einem Mitgliedstaat oder in der gesamten EU angesehen werden“, schreibt unter anderem die Grundrechte-Dachorganisation EDRi gemeinsam mit 65 weiteren Gruppen.

Sie verlangen von Breton klarzustellen, dass das Digitale-Dienste-Gesetz keine solchen Sperren ermöglicht. Zwar verlangt das Gesetz von Plattformen, Inhalte zu prüfen, und sieht Sanktionen vor, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommen. Für besonders große Anbieter gelten nochmals strengere Regeln. Besondere Maßnahmen wie der „Krisenreaktionsmechanismus“ sind jedoch auf drei Monate begrenzt, erfordern eine Grundrechteabwägung und können auch nicht einfach so von Regierungen verhängt werden.

Halten sich Anbieter nicht an die Regeln im Digitale-Dienste-Gesetz, sind zunächst Bußgelder vorgesehen. Manche Details müssen die EU-Mitgliedstaaten noch auf nationaler Ebene regeln. EDRi und Co. bitten die EU-Kommission, sicherzustellen, dass sie dabei nicht übers Ziel hinausschießen.

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6 Ergänzungen

  1. Ich freue mich sowas von! Denn mit diesem wunderbaren Gesetz werden auch endlich Politiker von Plattformen, wie DeviantArt, Pixiv, Furaffinity, Patreon, Fanbox und was es noch so gibt hören. Eigentlich kann nach dem DSA jede internationale Kunstplattform wegen Missbrauchsabbildungen, Terror, Gewaltverherrlichende Pornografie, Verfassungswidrige Symbole gesperrt werden.

    Dort gibt es sowieso immer mal wieder Diskussionen bzgl. der Kunstfreiheit und sie wird mit dem DSA wohl für Europa sterben.

    1. „Kunstplattform wegen Missbrauchsabbildungen, Terror, Gewaltverherrlichende Pornografie, Verfassungswidrige Symbole gesperrt werden.“

      Back to Normal!

    2. Ich würde sogar sagen, mit Kunstgreiheit, Bürgerrechten und allerlei weiterem Interaktionspotential stirbt Europa direkt. Das wird einfach eine weitere Instanz von „generisches innovationsfreies Kontrollregime“.

      1. Nein, das ist schon okay so. Wo wären wir denn wenn Europa sich für absolute Menschenrechte einsetzen würde? Ich bin froh das wir von staatlicher Seite vor verrohrenden Inhalten geschützt werden. Wir können nicht selbst entscheiden, das ist einfach zu viel des Guten. Wenn der Staat mir vorschreibt was ich zu sehen und denken habe dann lebt es sich doch einfacher!

        Ich bin dann mal weg und schaue mir einen Massaker-Splatter an. In der Realität sind brutale, entmenschlichende Morde ja schließlich völlig normal und akzeptabel :) /s

        Jetzt aber mal ernsthaft: das DSA wird eine einzige Katastrophe für Plattformanbieter, da ein Verstoß in einem Land bereits dazu führt das es gesperrt wird. Deutschland lässt bspw. Musikseiten international für alle sperren (s. Quad9 Skandalurteil) und wundert sich dann, wenn Autokratien das Gleiche von uns fordern, so dass wir dann unsere Seiten international sperren. Hier wird eine Büchse geöffnet, die das Internet regulatorisch einfach nicht hergibt.

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