Bildbasierte GewaltMann soll 1,2 Milliarden US-Dollar an Ex-Partnerin zahlen

Er soll seine Ex-Freundin im Netz herabgewürdigt und intime Bilder von ihr geteilt haben. Jetzt hat eine Jury im US-Bundesstaat Texas den US-Amerikaner zu einer Milliardenstrafe verurteilt. Die Summe dürfte zwar symbolisch sein, könnte aber ein wichtiges Signal senden.

Eine Wolke aus US-Dollar-Noten fällt herab, in der Mitte ein Stuhl, der mich an den Stuhl für Zeug*innen bei Gerichtsprozessen in den USA erinnert
Hohe Summe als Abschreckung (Symbolbild) – Public Domain Midjourney („jury trail in the USA, a cloud of dollar bills“)

Etwa fünf Jahre lang waren M.J. und D.L. ein Paar. Doch nach der Trennung wurde M.J. offenbar gewalttätig. Der US-Amerikaner soll intime Aufnahmen seiner Ex-Freundin in sozialen Medien verbreitet haben. Dafür habe er etwa Accounts mit ihrem Namen eingerichtet. Mit diesen Accounts habe er dann Freund*innen, Familie und Kolleg*innen seiner Ex-Freundin kontaktiert. So steht es in der Klageschrift, die am Bezirksgerichten von Harris County in Texas eingereicht wurde. M.J. habe seine Ex-Partnerin „beschämen, belästigen, quälen, demütigen und öffentlich bloßstellen“ wollen.

Eine Jury hat nun entschieden: M.J. soll seiner Ex-Partnerin eine Summe von 1,2 Milliarden US-Dollar zahlen. Das teilte die Kanzlei der Klägerin am 11. August mit; auch viele englischsprachige Medien haben berichtet. Wegen der enorm hohen Summe bekommt der Fall aus Texas gerade internationale Aufmerksamkeit – wohl auch, weil ähnliche Fälle für Täter*innen oft wenig Konsequenzen haben.

In vielen Schlagzeilen taucht das Wort „Revenge porn“ auf, Racheporno. Das ist ein immer noch weithin geläufiger Begriff für das Verbreiten von Nacktbildern gegen den Willen der Betroffenen. Viele Betroffene und Fachleute lehnen das Wort allerdings ab und sprechen lieber von bildbasierter Gewalt. Das Argument: Ohne Einverständnis könne von Porno keine Rede sein.

Wie unter anderem die Washington Post berichtet, ist M.J. nicht vor Gericht erschienen und hat sich nicht anwaltlich vertreten lassen. Für Presseanfragen sei er nicht erreichbar gewesen; seine Perspektive zu den Anschuldigungen fehlt also.

Summe soll „Internet schüttern“

Dass D.L. wirklich 1,2 Milliarden US-Dollar bekommt, ist derweil fraglich. Offenbar rechnen nicht einmal ihre eigenen Anwält*innen damit. Die gesamte Summe zu erhalten sei auch nicht das wichtigste, zitiert die Washington Post den Anwalt Bradford Gilde. Er hoffe vielmehr, der Betrag „erschüttere das Internet“ und schrecke andere Täter*innen ab. Im Presse-Statement der Kanzlei heißt es, das Urteil solle Bewusstsein für eine „landesweite Epidemie“ schaffen.

Mit „Epidemie“ dürfte digitale Gewalt gemeint sein. Das ist ein Sammelbegriff für verschiedene Formen von digitalen Übergriffen, für die auch in Deutschland zunehmend Bewusstsein entsteht. Zu digitaler Gewalt gehört es nicht nur, intime Aufnahmen ohne Einverständnis zu veröffentlichen. Täter*innen verschaffen sich auch oft Zugang zu den Online-Accounts ihrer Opfer. Sie lesen E-Mails mit, verschicken Nachrichten unter ihrem Namen oder installieren Spyware auf ihren Geräten. Mitunter kommt es nach einer Trennung zu digitaler Gewalt, oft sind die Täter*innen männlich.

Auch M.J. soll mehrere Formen digitaler Gewalt ausgeübt haben, heißt es in der Klageschrift. Zum Beispiel soll er mit den Bankdaten seiner Ex-Partnerin eingekauft haben. Er soll D.L. unter verschiedenen Telefonnummern angerufen haben. Aus der Zeit der Beziehung habe er noch die Login-Daten privater Accounts gekannt – unter anderem von einem Kamera-System, mit dem die Mutter von D.L. ihr eigenes Haus überwacht. M.J. soll sich in das Kamera-System eingeloggt und die beiden Frauen belauscht haben.

Digitale Gewalt in Deutschland

In Deutschland fordern Fachleute seit Jahren mehr Hilfe für Betroffene digitaler Gewalt, die wichtigsten davon haben wir im April ausführlich berichtet. Zum Beispiel wünschen sich Beratungsstellen mehr Personal und langfristige Finanzierung, um Betroffenen erste Hilfe und Orientierung geben zu können. Dazu gehören auch Tipps, wie sie sich schützen können – zum Beispiel indem sie geteilte Passwörter rasch wechseln. Für Justiz und Polizei fordern Fachleute und Hilfsorganisationen mehr Personal und Fortbildung. Der Vorwurf: Viele Beamt*innen würden die Probleme der Betroffenen nicht ausreichend ernst nehmen.

Eine zehnstellige Geldsumme als Entschädigung für eine Betroffene digitaler Gewalt wie in Texas, das wäre in Deutschland undenkbar. Allein um sich juristisch gegen bildbasierte Gewalt zu wehren, müssen Betroffene oft hohe Hürden überwinden. Die Rechtslage ist ein Flickenteppich. Der deutsche Juristinnenbund möchte die Lücken gerne stopfen und fordert etwa eine Reform des Strafrechts. Derzeit arbeiten sowohl die EU als auch das Bundesjustizministerium an neuen Gesetzen gegen digitale Gewalt.

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10 Ergänzungen

    1. Robert, was ist an dem Satz komisch? „Oft sind die Täter männlich“ wäre überflüssig zu sagen. Welcher Satz gibt mehr Information: „Die meisten weißen Schwäne sind weiß“ oder „Die meisten Schwäne sind weiß“?

    2. „ist treffend und wichtig“ klingt für mich ein bisschen bastamäßig, denn genau das wollte a ja infrage stellen.

      Dass die geschilderten Taten schrecklich für die Betroffenen sind, würde auch kein ernstzunehmender Mensch abstreiten. Aber, wenn hier geschrieben wird, dass eine Person „gewalttätig“ wurde, und die Mehrheit der Menschen denkt dabei erstmal an physische Gewalt, obwohl etwas anderes gemeint ist, was hat man dann davon? Im schlimmsten Fall Verdruss, und das dient dem Anliegen sicher nicht.

      1. ja, leider kann man den begriff digitale gewalt immer noch nicht als allgemeinwissen voraussetzen. deshalb wird er in dem artikel in ruhe erklärt – auch warum „racheporno“ kein guter begriff ist. es fällt mir echt nicht immer leicht, solche begriffe jedes mal aufs neue zu erklären. ab dem 42. mal kommt man sich schon komisch vor. aber das gehört dann oft doch zum job dazu.

    3. Sei doch froh, dass hier konsequent gegendert wird. Gewöhnlich haben auch die lautesten Befürworterinnen und Befürworter auf einmal so gar kein Problem damit, beim generischen Maskulinum zu bleiben, sobald es um negativ konnotierte Bezeichnungen, insbesondere von Straftäterinnen und -tätern, geht.

  1. „Mit ‚Epidemie‘ dürfte digitale Gewalt gemeint sein.“

    Gibt es für diese Aussage Belege? Sprechen auch die Beteiligten von „Digitaler Gewalt“? Oder ist das Interpretation des Autors?

    Bitte kennzeichnen, wenn letzteres der Fall ist. Alles andere ist unsachlich und kein Bericht, sondern ein Meinungsartikel oder Kommentar.

    1. Du kannst das einfach selbst anhand der Links nachvollziehen. Die Kanzlei schreibt: „We are grateful the jury took a strong stand against the defendant’s abhorrent behavior and against imaged-based sexual abuse. […] The punitive verdict also is the jury’s plea to raise awareness of this tech-fueled national epidemic.“

      „imaged-based sexual abuse“, kurz IBSA, wird im deutschsprachigen Raum üblicherweise mit „bildbasiserer Gewalt“ übersetzt und ist eine Form digitaler Gewalt.

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