Eines der spannendsten Sachbücher aus dem vergangenen Jahr war für mich „Amerikas Gotteskrieger – Wie die religiöse Rechte die Demokratie gefährdet“ von der freien Journalistin und Historikerin Annika Brockschmidt. Das hat auf den ersten Blick wenig mit netzpolitischen Themen zu tun, aber auf den zweiten mehr als man denkt.
Denn das Erstarken der religiösen Rechten in den USA ist verbunden mit antidemokratischen Bestrebungen, die weltweit exportiert werden, einem Kulturkrieg, der zu einer Menge Hass im Netz führt, sowie der Wahl von Donald Trump und der Erstürmung des US-Kapitols durch seine Anhänger:innen. Das Buch hat mir geholfen, viele Puzzlestücke zusammenzusetzen, die man als Beobachter:in der US-Politik hat, aber wo mir das größere Gesamtbild für bestimmte Aspekte fehlte.
Es war eine gute Gelegenheit, mit Annika Brockschmidt für den Netzpolitik-Podcast über die Entstehung der religiösen Rechten, ihre Strategien, ihre politischen Infrastrukturen und vor allem ihren Einfluss zu sprechen.
Es geht um die Beziehung zwischen Religion und Politik in den USA und warum man das nicht mit Deutschland vergleichen kann. Wir reden über die langfristigen Strategien und warum das trotzdem zur Zeit von Trump ein Nischenthema war. Was sich spätestens seit dem Sturm auf das Kapitol geändert hat.
Teil der Strategie: Gesetze und Recht verändern
Annika Brockschmidt zeigt die unterschiedlichen Säulen der langfristigen Strategie auf, die weit in die 60er Jahre zurückreicht. Dazu gehören einflussreiche Think Tanks und Organisationen auf legislativer Ebene, um Gesetze zu ändern. Wichtig ist auch eine strategische Prozessführung, um bestimmte Fälle vor den Supreme Court zu bekommen. Aber gleichzeitig versucht man auch sehr erfolgreich das strategische Besetzen von Richterstellen bis hin zu einer aktuellen Mehrheit im Supreme Court. Es geht um die Mobilisierung von Grassroots-Bewegungen und das dabei verwendete Framing.
Und es geht um geschickte Medienstrategien und große christliche Medienimperien, die uns etwas fremd vorkommen könnten – wie die Wohlfahrtsevangelikalen, die ihrem Fernseh-Publikum versprechen, dass man durch eine Spende an sie selbst sehr reichen werden kann und Gott sonst sehr böse wird. Das klingt zwar etwas platt, funktioniert aber als Geschäftsmodell überraschend gut, wenn man sich den nächsten Jet von der eigenen Crowd finanzieren lassen will.
Identität als erfolgreiches Framing und Geschäftsmodell
Wir reden aber auch über die Bezüge zu Deutschland. Viele Begriffe aus dem Kulturkampf der religiösen Rechten wie „woke“ oder „critical-race-theory“ kommen auch bei uns an und werden gerne auch von Teilen der Medien verwendet. Denn die Begriffe polarisieren, sind dadurch gut klickbar und bringen Geld. Häufig steht man diesen aber auch ideologisch nahe. Vor allem das Thema Identität wird dabei als Existenzfrage geframet und ermöglicht eine hohe Mobilisierung.
Die Gegenseite wolle die USA (oder wahlweise „Deutschland“, „den Westen“, „unsere Kultur“) und damit den eigenen „way of life“ zerstören. Es wird ein spiritueller Kampf um die Seele und Existenz des Landes sowie Werte inszeniert – jede Stimme zähle und selbst jede kleinste Aktion bringe etwas, um die gemeinsame Sache nach vorne zu bringen.
Letztlich geht es laut Annika Brockschmidt vor allem darum, eine anti-demokratische Denkweise zu propagieren, eine Minderheitenmeinung durchzusetzen, Institutionen niederzubrennen und nach eigenen Vorstellungen wieder neu aufzubauen. Mit dem Programm schafft man es in Deutschland leider auch in den Bundestag.
Das Gespräch mit Annika Brockschmidt ist rund 70 Minuten lang und liegt als MP3 und freie OGG Version auf unserem Server und den üblichen Podcast-Kanälen.
Annika Brockschmidt nutzt Patreon für den Aufbau einer eigenen Community und bietet dort unterstützenden Menschen einen nicht-öffentlichen Podcast mit mehr Hintergrundinformationen zum Thema. Offen zugänglich ist ihr eigener Podcast „Kreuz und Flagge“. „Amerikas Gotteskrieger – Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet“ ist im Rowohlt-Verlag erschienen und kostet als Paperback 16 Euro, als eBook 12,99 Euro.
Hallo,
wie kann ich das Audio runterladen? Ich würd’s gerne offline hören, habe aber keinen Link gefunden.
Danke und Grüße
Hey Stefan,
Ich war mal so frei und habe den link aus der Webseite extrahiert:
https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2022/03/npp-248-gotteskrieger.mp3?_=1
liebes Netzpolitik.org Team, wenn das nicht okay ist, bitte diesen Post löschen.
Viele Grüße
Hallo, unter welcher Lizenz steht das Audiofile denn ?
Darf man das mit Verweis auf Netzpolitik als Quelle nicht kommerziell weiter verbreiten ?
So verstehe ich das zumindest, ja: „Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.“
Hallo Markus,
„Freakshowdemonstrationen, wie Marsch fürs Leben“ … echt jetzt? Musste das sein? So kann ein Wort die komplette Seriosität einer Reportage in den Eimer werfen. Schade, bis dieses Wort kam, hätte ich den Podcast noch unbedingt empfohlen. Aber so hat sich die gebotene Neutralität in Luft aufgelöst.
Enttäuschte Grüße, Chuck
Warum haelst Du bei diesem Thema „Neutralitaet“ fuer „geboten“?
Die Wortwahl als Detail aussen vor gelassen, aber vielleicht das Problem ja Deine Erwartung?
Weil das die oberste Prämisse im journalistischen ist?
Meinst Du allen Ernstes, Worte würden keine Stimmung machen? Natürlich tun sie das. Deshalb kann man eine markante Wortwahl nicht außen vor lassen!