Für Angela Merkel war ihr Handy ein wesentliches Instrument ihrer Macht. Kaum eine Politikerin, kaum ein Politiker in Deutschland, deren politischer Führungsstil sich stärker auf direkten, persönlichen Kontakt über Anrufe und SMS stützte. Dass der US-Geheimdienst NSA das Handy der Kanzlerin abhörte, trägt nur zu dem Eindruck bei: Merkels Handy war in den Jahren ihrer Kanzlerinnenschaft systemrelevant.
Doch seit dem Tag der Amtsübergabe an Olaf Scholz wurde es still um Angela Merkel – und um ihr Handy. Die Frage, was mit dem Gerät und den vielen Nachrichten von Merkel passieren wird, beschäftigt Eingeweihte schon länger. Bereits 2013 berichtet der Spiegel über die Einschätzung von Jurist:innen, dass ihre „weltbewegende Korrespondenz“ zu den Akten gehöre. Auch knapp neun Jahre später sind wir einer Antwort nicht näher. Das SZ-Magazin berichtete kurz vor ihrem Ausscheiden aus dem Amt in einem großen Aufschlag, „Handy-Jahre einer Kanzlerin“, dass bislang keine einzige SMS von Merkel zur Archivierung für die Nachwelt im Bundesarchiv eingetroffen sei.
Eilige Versuche, eine Löschung von Merkels Handy und der wohl tausenden relevanten Nachrichten zu veranlassen, liefen ins Leere. Ob die Eurokrise, der Sommer der Flucht 2015 oder der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan: Über die wichtigen Ereignisse während Merkels Kanzlerinnenschaft könnten ihre Nachrichten viele Fragen beantworten. Doch ein Eilantrag der Organisation FragdenStaat, doch wenigstens mögliche Merkel-SMS zum Afghanistan-Abzug zu sichern, wurde vom Verwaltungsgericht Berlin kurz vor Weihnachten abgeschmettert.
Auch Merkel-Vertraute Ursula von der Leyen, nunmehr EU-Kommissionschefin, steht wegen ihrer Handy-Nachrichten unter Druck: EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly urteilte kürzlich auf eine Beschwerde von netzpolitik.org hin, dass die EU-Kommission falsch entschieden habe. Wir hatten verlangt, dass Nachrichten von der Leyens mit Pfizer-Chef Albert Bourla über einen milliardenschweren Impfstoffdeal offengelegt werden sollen. Die Kommission erhielt bis April Zeit, nochmal unseren Antrag zu prüfen.
Angeblich weiß das Kanzleramt mehr
Auch heute, zwei Monate nach ihrem Ausscheiden am 8. Dezember, liegen dem Bundesarchiv keine SMS von Merkel vor. „Sollte die ehemalige Bundeskanzlerin ihre dienstlichen SMS gespeichert haben oder haben speichern lassen, dann befindet sich dieses Schriftgut im Kanzleramt, das auch über den weiteren Umgang damit entscheidet“, sagt eine Sprecherin gegenüber netzpolitik.org. Das Bundesarchiv empfiehlt uns, beim Kanzleramt nachzufragen.
Dort hüllt sich, trotz oder wegen des neuen Amtsinhabers, die Verwaltung in Schweigen. Zuerst versicherte ein Regierungssprecher auf unsere Anfrage hin ausholend, dass alle relevanten Informationen zu den Akten gelangen würden. Als relevant gelte dabei alles, was „zu einem Verwaltungsvorgang wird oder etwas, das für einen Verwaltungsvorgang inhaltlich wichtig ist“. Der Ursprung der Information werde dabei grundsätzlich nicht festgehalten.
Schließlich fügte der Regierungssprecher, der sich „wie immer“ nicht namentlich zitieren lassen wollte, in seine E-Mail hinzu: „Im Übrigen geben wir zum Kommunikationsverhalten der Bundeskanzlerin a.D. keine Auskunft.“ Akte geschlossen?
Aus Sicht ausländischer Dienste war Merkel als Staatsoberhaupt und „Handy-Nutzerin“ immer eine „Person of Interest“. Nachdem die NSA-Abschöpfungen dank Snowden 2013 aufgeflogen ist, und damit die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zog (Merkel: „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht!“), sah sich die CIA offenbar bemüßigt selbst aktiv zu werden. Das Gras war über die Geschichte mittlerweile hoch genug gewachsen, und das „kollektive Gedächtnis“ wurde zunehmend dement.
https://documents.pclob.gov/prod/Documents/OversightReport/d735db57-ab33-4aa0-a4ec-b66638e834b1/PCLOB%20Report%20on%20CIA%20Activities%20-%20FINAL.pdf
In den USA ist man mittlerweile etwas sensibel, wenn es darum geht, die eigene Bevölkerung digital auszuspionieren. Doch der Rest der Welt ist aus deren Sicht vogelfrei.
Also was Merkels SMSe anbelangt, die NSA löscht bekanntlich nix, und die CIA hat den neueren Kram. Atlantische Einweg-Backups.
Vier Fragen an den Pressesprecher des Bundesarchivs zum Thema sind in einem Beitrag im Blog der Archivschule Marburg beantwortet:
https://archivwelt.hypotheses.org/2510
Der Grundtenor ist aber der gleiche wie im obigen Artikel. Die Lage ist unbefriedigend und kann offenbar nur durch verstärkten öffentlichen Druck geändert werden.