EinschüchterungsklagenNeues EU-Gesetz soll Journalist:innen schützen

Wer Klagen gegen Medien und NGOs einbringt, um sie zum Schweigen zu bringen, soll künftig mit Konsequenzen rechnen. Ein Vorschlag der EU-Kommission soll es einfacher machen, solche Klagen abzuweisen und sogar Schadenersatz zu fordern.

Věra Jourová
EU-Kommissarin Jourová verspricht Journalist:innen mehr Schutz – Alle Rechte vorbehalten European Union

Ein neues EU-Gesetz soll Journalist:innen und Menschenrechtsaktivist:innen vor Einschüchterungsklagen schützen. Die Richtlinie soll Gerichten erlauben, „missbräuchliche“ Klagen gegen das Öffentlichmachen von Missständen rasch abzuweisen. Auch soll es Strafen für diejenigen geben, die Einschüchterungsklagen einbringen. Das kündigte heute, Mittwoch, die EU-Kommission in Brüssel an.

EU-Kommissarin Věra Jourová betonte, die Kommission löse damit ein Versprechen gegenüber Journalist:innen und Menschenrechtsaktivist:innen ein. „Mit diesen Maßnahmen tragen wir dazu bei, diejenigen zu schützen, die Risiken eingehen und ihre Meinung sagen, wenn das öffentliche Interesse auf dem Spiel steht – wenn sie beispielsweise über Geldwäsche- und Korruptionsvorwürfe berichten, Umwelt- und Klimafragen oder andere Themen, die für uns alle wichtig sind.“

„Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie!“

Einschüchterungsklagen nennt die EU-Kommission „SLAPP“ – Strategic Lawsuit Against Public Participation. Laut dem Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU sind solche Klagen in Mitgliedsstaaten wie Polen und Kroatien ein Anlass zu großer Sorge, da Investigativjournalist:innen immer öfter im Visier stünden. Dass Klagen und Klagsdrohungen gegen Journalist:innen aber auch in Deutschland ein Problem sind, hat eine 2019 erschienene Studie von Tobias Gostomzyk und Daniel Moßbrucker aufgezeigt. Der Titel der Studie: „Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie!“

Ein prominentes Beispiel für Klagen gegen Medien lieferten in Österreich der Immobilien-Tycoon Rene Benko und der Gastronom Martin Ho, die das Investigativmedium ZackZack wegen Berichterstattung über ihre Verbindungen in die Regierungspartei ÖVP mit Klagen in der Höhe von insgesamt drei Millionen Euro überzogen. Dies mache das dreifache Jahresbudget des Mediums aus, sagt ZackZack. Die Oppositionspartei SPÖ nennt das eine „strategische Klage, um Kritiker einzuschüchtern“.

Die neue EU-Richtlinie spricht dann von missbräuchlichen Klagen, wenn diese hauptsächlich darauf abzielten, die öffentliche Teilhabe an der Berichterstattung zu verhindern, zu beschränken oder zu bestrafen. Als mögliche Anzeichen dafür wertet die Kommission etwa, wenn unmäßige Schadenersatzforderungen gestellt werden oder die selbe Klägerin zahlreiche ähnliche Verfahren anstrengt. In solchen Fällen soll das Gesetz es Gerichten einfacher machen, Klagen abzuzweisen.

EU-Vorschlag gilt nur für grenzüberschreitende Fälle

Gelten soll dies allerdings nur für zivilrechtliche Verfahren – das schränkt möglicherweise die Anwendung des Gesetzes ein, da in einigen EU-Staaten Teile des Medienrechts im Strafrecht verankert sind. Auch gilt der EU-Vorschlag nur bei Fällen mit einer grenzüberschreitenden Dimension. Diese sei bei Hinweisen gegeben, wenn sich Angelegenheiten wie Umweltverschmutzung oder Geldwäsche auf mehrere EU-Staaten erstreckten oder auswirkten. Erreicht werde sie zudem, wenn die selbe Person oder Organisation in mehreren Staaten klage.

Wer missbräuchliche Klagen gegen Berichterstattung einbringe, kann nach dem Gesetzesentwurf zur Übernahme aller Anwalts- und Gerichtskosten verpflichtet werden. Auch sollen Schadenersatzansprüche für Rechtskosten, aber auch für Stress und psychologischen Druck durch solche Klagen möglich gemacht werden.

Menschenrechte-NGOs begrüßten den Vorschlag der EU-Kommission. Die NGO Liberties.EU sprach etwa von einem „bahnbrechenden Schritt hin zu Maßnahmen, um die Zunahme missbräuchlicher Klagen zu stoppen“. Es müsse nun sichergestellt werden, dass die Vorschläge im EU-Parlament und im Rat der Mitgliedsstaaten ernsthaft und ohne Verzögerung behandelt würden.

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8 Ergänzungen

  1. >> Gelten soll dies allerdings nur für zivilrechtliche Verfahren – das schränkt möglicherweise die Anwendung des Gesetzes ein, da in einigen EU-Staaten Teile des Medienrechts im Strafrecht verankert sind. <<

    Es wäre gut zu wissen, um welche EU-Staaten es sich dabei handelt.

      1. Österreich ist ja im Artikel genannt, aber auch auf „einige EU-Staaten“ wird hingewiesen.

        Insofern war die Antwort zwar relativ schnell, aber wenig hilfreich.

        1. Polen. Freedom House schreibt: „Libel remains a criminal offense, though a 2009 amendment to the criminal code eased penalties. Reporters Without Borders (RSF), a media watchdog, noted in 2020 “a growing tendency to criminalize defamation” through government lawsuits curbing press freedom.“

  2. Lt. dt. § 226 BGB und § 242 BGB konnten rechtsmissbräuchliche Klagen schon immer abgewiesen werden, nur tun das die wenigsten Gerichte. Danach geniest ein Missbrauch, der dazu dient eine Leistung einzufordern, die mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar ist, keinen Rechtsschutz. Zudem gilt im Zivilprozess nach § 138 Abs. 1 ZPO die Wahrheitspflicht: man darf nicht einfach irgendwas behaupten.

    [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsmissbrauch
    [2] http://www.raun-wagner.de/probloes/rechtsmissbraeuchliche-Klagen.pdf
    [3] https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/UrteilsanmerkungFDZVR201915
    [4] https://www.beckmannundnorda.de/serendipity/index.php?/archives/5916-OLG-Nuernberg-Rechtsmissbrauch-wenn-Auskunft-gemaess-Art.-15-DSGVO-nicht-aus-den-in-Erwaegungsgrund-63-der-DSGVO-genannten-Gruenden-verlangt-wird.html
    […]

  3. Auf das Strafrecht kann eine solche Regelung nicht ausgeweitet werden, schlicht weil die EU dafür nicht zuständig ist.

    Im Übrigen nutzt die Möglichkeit, Klagen abweisen zu können, nur dann, wenn Gerichte von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machen. Das Ziel von Gerichten, möglichst viele Fälle loszuwerden, spricht zwar dafür; allerdings handeln sie sich ja auch die Begründungspflicht der Missbräuchlichkeit damit ein, gegen die dann wieder geklagt werden kann.
    Die Frage ist also, ob eine solche Regelung viel ändern wird.

  4. Free Julian Assange ( Journalisten-Schutz ). Free Edward Snowden ( Whistleblowerschutz ) . —
    Und danach reden wir weiter.
    Denn hier in der EU brauchen wir endlich Taten, statt Worten, die sich als potemkinsche Dörfer erweisen, – so wie die EU-Parlaments-Resolution für Snowden und die Hinweisgeber-Richtlinie, die nun gar kein Whistleblowerschutz sein wird für Edward, wie alle wissen, die den Entwurf von Marco Buschmann kritisch angesehen haben. Das hatte sich bei der EU auch alles so richtig und schön angehört – und es ist im Ergebnis nur Vorspiegelung von etwas, was nicht kommt.

    Free Julian Assange ! ( als er verhaftet wurde, war Großbritannien EU-Mitglied … )
    „Pressefreiheit umfasst auch die Freiheit, Missstände aufzudecken, ohne Nachteile und Gefahren befürchten zu müssen.“ Wann gilt das endlich bei uns ? Bisher jedenfalls nicht.

  5. Naja, manche dieser angeblich so missbräuchlichen Klagen dürften dann doch nicht so missbräuchlich sein. Der „Immobilien Tycoon“ (richtigerweise die von ihm gegründete Firma) hat rechtskräftig gegen „zackzack“ gewonnen, wie man auf der zackzack-Seite lesen kann, wo die aufgestellte Behauptung „als unwahr widerrufen“ wird.

    Nicht alles was einem Journalisten (oder solche, die es noch werden wollen) nicht passt ist ein „strategic lawsuit“. Im Gegenteil: die Möglichkeit dieser Klagen sind ein Korrektiv dagegen, dass die sogenannte „vierte Gewalt“ ihre Berichte anständig recherchiert und nicht einfach irgendwas behauptet, was ihr ins ideologische Konzept passt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.