LieferandoVerfahren um Darmstädter Betriebsrat geht in zweite Instanz

Das Unternehmen Lieferando und der Darmstädter Betriebsrat streiten sich vor dem Landesarbeitsgericht weiter. Es geht darum, was ein Betrieb überhaupt ist. Und ob die alten Regeln die moderne Plattformökonomie überhaupt erfassen können.

Ein Lieferando-Fahrer auf einem Rad vor einer verschwpommen fotografierten Straße
Zwischen Hubs, Betrieben und Plattformökonomie. CC-BY-SA 2.0 René Mentschke

In Darmstadt hatten Lieferando-Fahrer*innen im Januar einen Betriebsrat gewählt. Lieferando hat die Wahl angefochten, das Arbeitsgericht Darmstadt erklärte sie nach mehreren Güteterminen am 26. August für unwirksam. Der Betriebsrat zieht nun vor das hessische Landesarbeitsgericht in Frankfurt.

Bei dem Prozess geht es um eine Frage, die weitreichende Folgen für Lieferando-Fahrer*innen in ganz Deutschland haben kann: Viele von ihnen arbeiten in Städten ohne feste Lieferando-Niederlassung, so wie Darmstadt. Gibt es dort trotzdem einen eigenen Betrieb, für den die Fahrer*innen einen eigenen Betriebsrat gründen können?

Die Klärung dieser Frage zieht sich schon länger hin. Noch unter Foodora hatten Fahrer*innen in Münster einen Betriebsrat gegründet, obwohl das Unternehmen dort keine Niederlassung hatte. Das Verfahren wurde 2019 wegen eines Formfehlers eingestellt, die von Fahrer*innen erhoffte Festlegung gab es damals nicht.

Arbeitsgericht hat Lieferando zugestimmt

Das Arbeitsgericht Darmstadt hat die Einschätzung von Lieferando, in der Stadt gebe es keinen Betriebssitz, bestätigt. „Wir hatten die Darmstädter Wahlinitiatoren von Beginn darauf hingewiesen, dass im Zweifel ein Gericht entscheiden muss, ob die Wahl eines zusätzlichen Betriebsrats für nur das Darmstädter Liefergebiet rechtskonform sein könnte“, so ein Sprecher der Unternehmensmutter Takeaway zu netzpolitik.org. Man suche jedoch weiter den konstruktiven Dialog, „im Interesse einer funktionierenden Mitbestimmung für die gesamte Region.“

Der Darmstädter Betriebsrat hat Beschwerde gegen das Urteil beim Landesarbeitsgericht Hessen eingelegt. Bis dahin bleibt der jetzige Betriebsrat bestehen. „Wir werden uns vom Urteil nicht einschüchtern lassen und genauso weiterarbeiten wie bisher“, so der Vorsitzende des Betriebsrats zu netzpolitik.org. „Wir sehen uns weiter als einen eigenständigen, betriebsratsfähigen Betrieb.“ Bis es ein rechtskräftiges Urteil gebe, werde man bei der anstehenden Neuwahl auch wieder in Darmstadt wählen.

Betriebsrat fordert modernes Betriebsverfassungsgesetz

Als die aktuellen Regelungen geschrieben wurden, was wann ein eigenständiger Betrieb ist, war eine Organisation wie die von Lieferando noch nicht abzusehen. Deshalb brauche es eine Anpassung, meint der Betriebsratsvorsitzende.

„Die jetzige Definition des Betriebsbegriffs ist ziemlich schwierig auf unsere Betriebsstrukturen umzuleiten“, sagte er im Gespräch mit netzpolitik.org. „Fest steht aber, dass das Betriebsverfassungsgesetz für diese Art der Arbeit modernisiert werden muss – erst recht, wenn der Anwalt der Arbeitgeberin Urteile aus den 1960er Jahren bringt. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts wird ziemlich spannend sein, da hier hoffentlich Maßstäbe für andere Unternehmen und Städte ohne Hubs gesetzt werden können.“

8 Ergänzungen

  1. An der Spitze der biologischen Nahrungskette reichern sich schwer abbaubare Schadstoffe an. An der Spitze der wirtschaftlichen Fress-Kette kumulieren sich hingegen Profite.

    An Lieferando sind beteiligt:
    18,06 % Morgan Stanley, USA
    11,13 % Gribhold B.V., NL
    10,02 % Delivery Hero, DE
    6,34 % EuroPacific Growth Fund, USA
    4,87 % BlackRock, USA
    4,34 % Cat Rock Capital Management, USA
    3,04 % AKO Capital, UK

    Jeder Cent, der Liderando-Fahrern abgepresst wird landet (wie und wo versteuert) in den Taschen dieser Anteilseigner.

    Wohl bekomm’s!

    1. Bei manchen Unternehmen ist der Erfolg eben „systemrelevant“ – da müssen sich die Gesetze dann anpassen um eine gewinnorientierte Rechtslage zu ermöglichen.

      1. >>>
        4,87 % BlackRock, USA
        4,34 % Cat Rock Capital Management, USA
        <<<

        Keine Sorge. Nicht mehr lange, und wir sind bei "Dead Rock Tomb Management".

  2. Neben seinem selbst bezahlten Fahrrad und dem Rucksack ist die „Scoober-App“ das wichtigste Arbeitsgerät. Selbstverständlich muss ein Lieferando-Rider die App auf sein auch selbst bezahltes Smartphone installieren. Nur der Rucksack wird gestellt.

    Dieser Rucksack hat die App schon eingebaut:
    https://science.howstuffworks.com/robots-replace-human-jockeys-camel-racing.htm

    Vorläufig werden die Fahrer damit „angetrieben“:
    https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/lieferando-neue-belege-fuer-fahrer-ueberwachung,SXxaLu1

    1. Bei der Variante „Rucksack mit eingebauter App“ werden Kraftfutter, wohlriechende Fellpflege und tier-medizinische Versorgung vollständig vom „Rennstall“ übernommen.

      Ein Lieferando-Rider darf nicht mal einer Gewerkschaft beitreten, und bekommt nicht mal seine Elektrolyte ersetzt.

      Wie nennt sich das? A-? aus-? Ausbeutelung?!

      Bei Menschen sagt man er/sie stellt ihre Arbeitskraft zur Verfügung. Freiwillig, selbstverständlich. Niemand wird zur Arbeit gezwungen. Nur die Verhältnisse sind halt so, dass es nicht ohne geht.

      Den Verhältnissen (Lärm, Abgase) war es übrigens geschuldet, dass Ampeln den Schupo auf der Verkehrsinsel ersetzt haben. Damals, ist schon Jahrzehnte her.

      Nun haben sich die Verhältnisse so sehr gebessert, dass Fahrradarbeiten sogar bei Fein- und Bremsstaub, NOx und anderem Getöse wieder möglich sind. Und sogar die Performance wird überwacht. WOW!

  3. Klagen auf hohem Niveau. Wenn die Gesetze nicht passen, dann sollen Gerichte diese mal eben „ändern“. Merkwürdiges Demokratieverständnis vom Betriebsratsvorsitzenden.

    1. 1. Gerichte können keine Gesetze ändert. Das ist Aufgabe der Parlamente (Bundestag/Landtage).
      2. Wenn die Industrie Gesetze fordert hat es bei der Union damit bisher fast immer geklappt.
      3. Wie bereits im Artikel geschrieben: es geht um Dinge die zuletzt in der 60er Jahren geregelt und entschieden wurden. Man kann doch nicht ernsthaft behaupten, dass neue Gesetze und Regelungen in der seither vergangenen Zeit nicht nötig geworden wären. Es geht heute nicht mehr um Fabriken, sondern um Platform-Apps. Wenn man da jetzt nichts tut hat man in ein paar Jahren Millionen von unterbezahlten Scheinselbstständigen (plus ein Riesenloch in den Sozialkassen, weil keine Abgaben gezahlt wurden).

    2. Sagen Sie das auch, wenn irgendwo ein nie wiederrufenes Gesetzt zur Hexenverbrennung aus dem 15. Jahrhundert ausgegraben wird? Gesetze sollten einen Rahmen für die aktuelle Lebenswirklichkeit geben, diese aber nicht auf alle Zeiten und gegen jeden Fortschritt festmauern.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.