Auch die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern kann jetzt Staatstrojaner einsetzen. Eine am Mittwoch beschlossene Gesetzesnovelle mit dem Namen „Sicherheits- und Ordnungsgesetz“, kurz SOG (PDF), macht das möglich. Das neue Polizeigesetz wurde mit den Stimmen von CDU, SPD, AfD und der fraktionslosen Abgeordneten Christel Weißig angenommen.
Mit dem SOG können Strafverfolger:innen zur „präventiven Gefahrenabwehr“ künftig Spionagesoftware nutzen, die Videoüberwachung wird ausgeweitet und Datenauskunftspflichten von Unternehmen an die Polizei eingeführt. Die Erfahrung in anderen Ländern spricht bisher nicht dafür, dass derlei Maßnahmen die Strafverfolgung erfolgreicher machen.
Die Polizei darf mehr, aber ohne Kontrolle von außen
Während die Landespolizei nun also mehr Handwerkszeug für die Überwachung von Bürger:innen nutzen kann, gibt es für die Zivilgesellschaft keine zusätzlichen Möglichkeiten, die Arbeit von polizeilichen Behörden zu kontrollieren. Eine „unabhängige Beschwerdestelle für polizeiliches Fehlverhalten“ hatte das Bündnis „SOGenannte Sicherheit“ zuletzt gefordert, mit argumentativer Unterstützung des Arbeitskreises Kritischer Jurist:innen (PDF).
„SOGenannte Sicherheit“ hatte im vergangenen Jahr zu großen Demonstrationen gegen das Polizeigesetz mobilisiert, an denen sich auch der Rapper Marteria und die Band Feine Sahne Fischfilet beteiligten.
Die Forderung des Bündnisses gegen das neue Polizeigesetz wurde trotz der starken Proteste und zahlreicher Gespräche zwischen Landesregierung und Vertretenden der Zivilgesellschaft nicht aufgenommen. Stattdessen ist eine interne Beschwerdestelle vorgesehen, bei der Beamt:innen Fehlverhalten von Kolleg:innen melden können, nicht aber Bürger:innen. Dazu der Pressesprecher Peter Madjarov von „SOGenannte Sicherheit“ in einem Statement gegenüber netzpolitik.org:
Die Regierungskoalition tut […], als gäbe es bloß polizeiinterne Probleme. Diese Ignoranz ist ein fatales Zeichen an die Bevölkerung. […] Es braucht stattdessen eine offene Fehlerkultur unter Einbeziehung der Betroffenen.
Es war ein mecklenburgischer Ex-SEK-Beamter, der Munition und Waffen hortete und die rechtsextreme Chatgruppe „Nordkreuz“ gründete, deren Mitglieder sich auf einen nicht näher definierten „Tag X“ vorbereiteten und Feindeslisten anlegten. Außerdem sind aus dem Bundesland mehrere Verdachtsfälle polizeilichen Datenmissbrauchs bekannt. Beides ist nicht aufgearbeitet und das SOG schafft keine Voraussetzungen, die eine Aufarbeitung in Zukunft erleichtern würden.
Bündnis kündigt Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz an
Innenminister Caffier freut sich derweil über die Annahme seiner Gesetzesnovelle: Die Arbeit der staatlichen Ermittlungsbehörden sei „im digitalen Zeitalter angekommen“ und werde dank SOG jetzt „nicht mehr von unnötigen Kompetenzgrenzen behindert“, so Caffier in einer Pressemitteilung. Niemand solle sich „einreden [lassen], dass Mecklenburg-Vorpommern durch das neue Gesetz zum Überwachungsstaat“ wird, heißt es dort weiter.
Die SPD-Fraktion beantwortete eine Presseanfrage von netzpolitik.org bisher nicht, in einer Pressemitteilung erklärt der polizeipolitische Sprecher der Landtagsfraktion Manfred Dachner jedoch: „Die Polizei war und ist ein zuverlässiger Hüter des Gesetzes. Das wird auch mit dem neuen SOG so bleiben.“ Im Vorhinein hatte Dachner sich immer wieder gegen Kritik am Gesetz gewehrt.
Trotz oder gerade wegen all dem: Der Protest soll weitergehen. „SOGenannte Sicherheit“ kündigte schon vergangene Woche an, im Falle der Annahme des neuen Polizeigesetzes Verfassungsbeschwerde einzulegen. Diese reiht sich dann ein in die lange Schlange von Verfassungsbeschwerden gegen Polizeigesetze aus Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.
Korrektur, 14. Mai 2020: In einer früheren Version des Artikels hatten wir unter Berufung auf eine andere Journalistin behauptet, der fraktionslose Abgeordnete Holger Arppe habe für das Gesetz gestimmt. Das ist nicht richtig, Arppe hat laut Parlamentsprotokoll [PDF, S.99] gegen das Gesetz gestimmt. Für das Gesetz stimmte die fraktionslose Abgeordnete Christel Weißig.
Das Gesetz enthält die Möglichkeit bei „terroristischen“ Straftaten eine elektronische Fußfessel anzuordnen.
Als terroristisch gelten eine nicht unerheblich Anzahl (s. Paragraph 67c), unter anderem auch: Paragraph 303c StGB („Computersabotage“).
Zwar kann „Computersabotage“ auch als Zerstörung von Computerhardware (um die darauf gespeicherten Daten zu zerstören) verstanden werden – jedoch ist davon auch (u.A.) erfasst wenn jemand „eine Datenverarbeitung, die für einen anderen von wesentlicher Bedeutung ist, [z.B. durchbrechtswidriges Löschen] erheblich stört“ – das kann aber standortunabhängig durchgeführt werden.
Vereinfacht ausgedrückt: Es gibt also die Möglichkeit eine Fußfessel fürs Hacken anzuordnen.
Eine unabhängige Beschwerdestelle für die Polizei wurde wenige Tage zuvor eingeführt. Gegen den Widerstand des konservativen Lagers soll eine Ombudsstelle beim Bürgerbeauftragten eingerichtet werden.
Das Gesetz wurde mit den Stimmen der AfD angenommen. Wo ist hier das Merkel, dass dies sofort rückgängig gemacht werden muss !?