Wochenrückblick KW 16Corona-App: Niemand muss, alle sollen

Bund und Länder einigen sich auf die Kontaktverfolgung per Bluetooth auf freiwilliger Basis. Kritiker:innen in Deutschland und Europa fragen, wie diese Freiwilligkeit garantiert werden kann. Und die Plattform Fritzfeed versucht mit einem scheinbar bunten Lifestyle-Angebot rechte Themen an Jugendliche heranzutragen. Die Nachrichten der Woche im Überblick.

Ein Lamm liegt im Gras.
Die Corona-App soll kommen – in welcher Form, ist noch offen. Dieses Lämmchen lauscht den Debatten im Grünen. – Vereinfachte Pixabay Lizenz BeccaH

Bund und Länder haben sich am Mittwoch für das sogenannte Contact-Tracing Coronavirus-Infizierter per App entschieden. Sie wollen dabei auf eine datenschutzfreundliche Bluetooth-Technologie und nicht auf die Auswertung von GPS-Daten setzen. Damit sollen Kontakte zu Menschen zurückverfolgt werden können, falls sie positiv auf das Covid-19-Virus getestet werden. Wir haben die Entwicklungen und ihre datenschutzrechtlichen Implikationen auch in dieser Woche ausführlich begleitet.

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Viele offene Fragen zur „Corona-App“

Das von Bund und Ländern favorisierte Konzept des „Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing“ (PEPP-PT) bietet nur einen technologischen Rahmen, auf dem Anwendungen aufbauen können. Innerhalb des PEPP-PT Konsortiums gibt es jetzt jedoch öffentlich Streit um die Frage, ob es eine zentralisierte App-Server-Architektur oder eine dezentrale Lösung geben soll. Die Vertreter:innen des dezentralen Ansatzes ziehen sich aus der Gruppe zurück und bemängeln die fehlende Transparenz und Offenheit des Konsortiums.

Für den Schutz der Privatsphäre ist jedoch auch die konkrete Ausgestaltung der fertigen App entscheidend. Immerhin haben sich Bund und Länder dafür ausgesprochen, dass die App freiwillig genutzt werden kann. Wie diese Freiwilligkeit auch rechtlich abgesichert wird, fragten in dieser Woche unter anderem Datenschutz-Expert:innen des Forums Informatiker:innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) in ihrer Datenschutz-Folgeabschätzung für eine mögliche App-Lösung.

In der Debatte um das Contact-Tracing schwebt Deutschland natürlich nicht im luftleeren Raum – auch auf europäischer Ebene wird das Thema diskutiert. Mindestens zwölf EU-Länder arbeiten an Apps, um die Corona-Pandemie besser kontrollieren zu können. Aus der EU-Kommission kam der Vorschlag eines Werkzeugkastens für solche Anwendungen. Wir haben die Stimmen deutscher Europa-Politiker:innen dazu zusammengetragen. Vor allem warnen Abgeordnete und Expert:innen davor, den Datenschutz in der Coronakrise einzuschränken.

In vier Wochen wollen außerdem Google und Apple eine gemeinsame technische Lösung vorstellen, wie Contact-Tracing-Apps auch über Geräte- und Betriebssystemgrenzen hinaus funktionieren können. Geplant ist zuerst eine Programmierschnittstelle für Entwickler:innen offizieller Tracing-Apps. In den folgenden Monaten soll das Bluetooth-Tracing dann direkt in die Betriebssysteme eingebaut werden. Nicht geklärt sind dabei bisher Fragen rund um die Bluetooth-Technik und die Privatsphäre. Auch die EU-Kommission hat sich noch nicht zu den Vorhaben der Tech-Konzerne geäußert.

Mit dem Fitnessarmband gegen die Pandemie

Neben der heiß erwarteten Tracing-App des Robert Koch-Instituts (RKI) veröffentliche die Einrichtung eine weitere Anwendung, die die Eindämmung der Pandemie erleichtern soll. Sie erlaubt Nutzer:innen intime Informationen über ihre Körper – gesammelt beispielsweise von einem Fitnessarmband – an das Institut zu spenden. Diese Daten sollen es Forschenden erlauben, den Verlauf der Corona-Pandemie differenzierter zu modellieren. Wir sprechen mit Dirk Brockmann, dem Leiter der zuständigen Arbeitsgruppe am RKI, darüber, was er sich von den Daten erhofft – und wie er zu datenschutzrechtlichen Bedenken steht.

Blockchain rennt, Breitband hängt

Auch für die Corona-Krise verspricht die Blockchain-Technologie Besserung. Ein Konsortium hat jetzt ein Konzept für ein „Digitales Corona-Gesundheitszertifikat“ vorgestellt. Pseudonymisiert in der Blockchain gespeicherte Informationen könnten so beispielsweise automatisierte Zugangskontrollen in Krankenhäusern ermöglichen, werben die Entwickler:innen. Doch es gibt datenschutzrechtliche Bedenken.

Seit Jahren ist klar, dass deutsche Netzbetreiber:innen ihre Kund:innen systematisch täuschen und überhöhte Internetgeschwindigkeiten versprechen. Und seit ebenso vielen Jahren verzichtet der Bund darauf, mit rechtlichen Sanktionen gegen die Netzbetreiber:innen durchzugreifen. Stattdessen hofft das zuständige Bundeswirtschaftsministerium darauf, ein Online-Pranger könne zu einem „Qualitätswettbewerb“ führen – bislang vergebens. Auch eine für Dezember 2019 angekündigte Novellierung des Telekommunikationsgesetzes lässt auf sich warten.

Jugendschutz im Netz

Ob und wovor Kinder und Jugendliche im Netz geschützt werden müssen – darum ging es in der vergangenen Woche gleich dreifach. So will Ministerin Franziska Giffey das Jugendschutzgesetz reformieren, das medienweltlichen Entwicklungen der vergangenen zwanzig Jahre hinterherhinkt. Doch an ihren Plänen gibt es Kritik: Die Länder sehen den Gesetzesentwurf als eine Kompetenzverschiebung hin zum Bund.

Bestehende Regelungen stärker durchsetzen möchte die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen. Sie droht Online-Porno-Plattformen mit der Sperrung, sollten diese nicht bis Sommer technische Lösungen zur Altersüberprüfung einführen. Nicht zuletzt auf Twitter gibt es Kritik am Vorstoß: Beim Thema Pornografie müsse es um Aufklärung gehen, nicht um Verbote.

Gefährlicher wird es für Jugendliche wohl auf der Plattform Fritzfeed, die im Design ebenso stark an Buzzfeed erinnert wie im Namen. Doch die bunte Aufmachung kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass die Website rassistische und rechtsradikale Botschaften jugendtauglich als Lifestyle verkauft. Recherchen von netzpolitik.org und bento zeigen zudem, dass der Gründer der Plattform seit Jahren in der rechten Szene aktiv ist – und enge Verbindungen zur AfD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag hat. Die Macher:innen versuchen, geheim zu halten, wer wirklich alles für die Website schreibt, offenbar nicht ohne Grund: So hat mindestens ein Fritzfeed-Autor eine Vergangenheit bei der rechtsextremen Identitären Bewegung.

Krisen-Auszeit mit einem Cyber-Roman

(Wie) lassen sich komplexe netzpolitische Themen und hoch-technische Sachverhalte in einen Roman verpacken? Barbara Wimmer, netzpolitische Journalistin und Debüt-Autorin aus Wien hat genau das in ihrem Cyber-Roman „Tödlich er-Crash“ versucht. Im Interview mit netzpolitik.org spricht sie über ihr Werk sowie das erste Feedback von Leser:innen und erzählt – wie könnte es anders sein – von den Auswirkungen der Corona-Krise auf die Rezeption ihres Buches.

Netzpolitischer Podcast: Modellierungen mit Mobilfunkdaten

Falls ihr noch nicht reingehört habt, möchten wir euch an dieser Stelle noch auf unseren netzpolitischen Podcast vom vergangenen Wochenende hinweisen. Wir sprechen mit Frank Schlosser, der am Robert Koch-Institut in der Forschungsgruppe Epidemiologische Modellierung arbeitet, über die Auswertung von Mobilfunkdaten. Viel Spaß beim Hören!

1 Ergänzungen

  1. Liebe Entwickler, liebe Politik,

    das ist ja jetzt wirklich sehr schade, dass es so lange dauert. Dabei warten doch alle sehnsüchtig auf Ihre App. Das zeigen ja auch die Bewertungen und Kommentare.

    Gehen Sie doch mit gutem Beispiel voran und Spenden Sie, die Sie für die App werben, Ihre Gesundheitsdaten nachweislich online und lassen alle daran Teil haben. Wir möchten auch gerne den Puls und die allgemeine gesundheitliche Verfassung unserer Volksvertreter nachvollziehen können (ganz zu schweigen von der Maskenpflicht und der Einhaltung der Abstandsregeln). Sie vertreten doch das Volk oder? Dann lassen Sie uns doch daran Teil haben. Transparenz ist im Datenschutz sehr wichtig, wie Sie wissen. Vielleicht können Sie Ihre Freunde in den USA auch dazu bewegen, Ihre Ehrlichkeit mit uns zu teilen.

    Vielen Dank!

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