Eduardo Santos ist Vorsitzender der portugiesischen Digital Rights NGO D3 – Defesa dos Direitos Digitais. Der Beitrag erschien zuerst auf Portugiesisch bei D3 und auf Englisch bei epicenter.works Hier erscheint eine leicht gekürzte Fassung.
Netzneutralität ist eine der Säulen des Internets und eine der Hauptgründe für seinen Erfolg. Sie stellt sicher, dass die Kommunikation im Netz frei abläuft – ohne Beeinträchtigung, Einschränkung oder Diskriminierung durch die Telekommunikationsunternehmen, die die darunterliegende Infrastruktur kontrollieren.
Versorgungsunternehmen behandeln die Entscheidungen ihrer Kunden nicht unterschiedlich oder stören sie – ob sie nun Strom für Computer oder Toaster verwenden, wie oft sie dies tun oder wer das Gerät anschließt. Sie sollen lediglich Strom liefern und Gebühren für die verbrauchte Energiemenge abrechnen. So sollte auch ein Internetanbieter nur den Zugang bereitstellen, ohne die Dienste zu beeinträchtigen, die der Verbraucher über das Internet nutzen möchte.
Dieser Grundsatz der Netzneutralität war von zentraler Bedeutung für Innovation, Wettbewerb und freien Informationsaustausch, die dieses Jahrhundert kennzeichnen. Ein offenes und neutrales Netzwerk wie das Internet ermöglicht es jeder Person, sich anzuschließen und daran teilzunehmen. Alle können Dienste anbieten, Informationen abrufen, sich äußern, und so weiter.
Niedrige Schwellen, in den Markt einzutreten, haben ein wettbewerbsintensives Umfeld ermöglicht. Kleine, aber innovative Unternehmen waren in der Lage, direkt mit Großunternehmen zu konkurrieren. Das hat uns im Laufe der Jahre ein Innovations- und Wettbewerbsniveau und einen freien Informationsaustausch ermöglicht, wie es ihn noch nie zuvor gab.
Der europäische Weg zur Netzneutralität
Nach einem langen Kampf im Europäischen Parlament wurden 2015 in der EU Schutzmaßnahmen für Netzneutralität eingeführt – trotz eines Entwurfs der Kommission, der in eine andere Richtung zeigte und einer starken Lobbyarbeit der Telekommunikationsunternehmen. Damals gab es eine breite europäische Mobilisierung und starke Kampagnen von Aktivisten, Digital- und Verbraucherschutzorganisationen.
Obwohl diese Regeln als ziemlich positiv und als ein Sieg für europäische Bürger angesehen werden, lassen sie einige Aspekte unklar. Insbesondere wurde Zero Rating nicht ausdrücklich verboten.
Andere Länder außerhalb Europas haben strengere Positionen. In Indien ist Zero Rating verboten und die kanadische Regulierungsbehörde hat Zero-Rating-Angebote auf der Grundlage der kanadischen Gesetze verboten.
Zero Rating und ähnliche Angebote
Beim Zero Rating zieht ein Provider Traffic von bestimmten Anwendungen nicht vom Datenvolumen eines Vertrags ab. Bei anderen, ähnlichen Angeboten bieten Provider Traffic aus einer bestimmten Anwendung oder Anwendungsgruppe zu einem Preis an, der weit unter dem Preis für reguläres Datenvolumen liegt. Wir verwenden den Ausdruck Zero Rating für beide dieser Praktiken.
Portugal ist in jüngster Zeit in dieser Hinsicht ins Rampenlicht gerückt. Portugiesische Anbieter betreiben in großem Ausmaß Zero Rating, was international Kritik ausgelöst hat.
Die Marktsituation in Portugal
Auf dem portugiesischen Markt gibt es mehrere Faktoren, die Zero Rating für die Nutzer besonders schädlich machen: Nur drei Betreiber beherrschen etwa 98 Prozent des Mobilfunkmarktes, die angeboteten mobilen Datenmengen sind im Durchschnitt recht gering, der Preis für mobile Daten ist einer der höchsten in Europa.
Beim Festnetz-Internetanschlüssen hat Portugal stets eine gute Position auf europäischer Ebene, mit Internetgeschwindigkeiten, die weit über dem Durchschnitt liegen. Auf dem Mobilfunkmarkt ist Portugal weit abgeschlagen.
Das ist kein Zufall: Portugiesische Internetanbieter bieten den Verbrauchern weiterhin relativ niedrige Datenvolumina an, um mit dem Verkauf von Zusatzpaketen Geld zu verdienen. Sie haben keinen Anreiz, das Datenvolumen anzuheben und an den europäischen Durchschnitt anzugleichen.
Im Hinblick auf diese Verknappung mögen Zero-Rating-Angebote für bestimmte Zielgruppen besonders attraktiv erscheinen: Für einen relativ geringen Betrag erhält der Kunde ein vielfaches Datenvolumen als sein Monatslimit, solange er nur bestimmte Anwendungen nutzt.
Für viele, insbesondere jüngere Menschen kann das zu niedrigeren Gesamtkosten führen. Aber nur, weil das normale Datenvolumen künstlich klein gehalten wird. Während in Europa die Datenlimits jedes Jahr steigen und in einigen Ländern unbegrenztes Datenvolumen bereits üblich ist, hinkt Portugal hinterher.
Sind diese Praktiken verboten?
Die europäischen Netzneutralitätsregeln lassen beim Zero Rating Raum für Interpretationen. Daher hat der Dachverband der europäischen Regulierungsbehörden BEREC Leitlinien für die nationalen Regulierer erstellt. Unter anderem wird darauf hingewiesen, dass Zero Rating in einigen Konstellationen eindeutig verboten ist: Wenn nach dem Verbrauch des Datenvolumens alle außer die ins Zero Rating eingeschlossenen Anwendungen blockiert oder verlangsamt werden.
In anderen Fällen hängt es von der Einschätzung der nationalen Regulierer ab, ob ein Zero-Rating-Angebot verboten werden kann. Sie müssen die folgenden Faktoren berücksichtigen:
- Gewährleisten die Praktiken eine faire und nichtdiskriminierende Behandlung des Datenverkehrs und das weitere Funktionieren des Internet-Ökosystems als Motor für Innovationen?
- Welche Marktposition haben die Provider und die beteiligten Anbieter der Anwendungen?
- Wie wirkt sich die Praxis auf Verbraucherrechte aus? Reduzieren sich beispielsweise die verfügbaren Anwendungen; ermutigt sie Verbraucher, bestimmte Anwendungen zu nutzen; schränkt sie Wahlmöglichkeiten der Verbraucher erheblich ein?
- Welche Auswirkungen auf die Rechte von Diensteanbietern gibt es? Wirkt sich die Praxis auf das Spektrum der Anwendungen aus, die diese Anbieter anbieten können? Werden Anbieter deutlich vom Markteintritt abgehalten?
- Welches Ausmaß hat die Praxis, etwa bezüglich der Teilnehmermenge an einem Angebot und welche alternativen Angebote und Telekommunikationsanbieter gibt es?
Gerade in Ländern mit geringen Datenvolumina sind die negativen Auswirkungen dieser Angebote am deutlichsten zu spüren. Zero Rating wäre weniger problematisch, wenn wir viel höhere Datenvolumina hätten. Sonst hat der Endverbraucher keine echte Wahl zwischen zwei konkurrierenden Anwendungen, wenn die Nutzung der einen wegen seines Mobilfunkbetreibers viel teurer wäre.
Es kann viele Anwendungen für den gleichen Zweck geben – aber wenn der Traffic jeder Anwendung einen unterschiedlichen Preis hat, wird die Wahl des Verbrauchers eingeschränkt. Der Mobilfunkanbieter schafft einen wirtschaftlichen Anreiz für die Nutzer, bestimmte Anwendungen zu verwenden und nicht die der Konkurrenz. Diese Preisdiskriminierung ist genau das Gegenteil von „Gewährleistung einer fairen und diskriminierungsfreien Behandlung des Verkehrs“ – eines der Ziele der EU-Netzneutralitätsregeln.
Das untergräbt auch das Internet als Motor von Innovation (ein weiteres Ziel der Verordnung), da es künstliche Wettbewerbshindernisse schafft, bereits beliebte und etablierte Unternehmen schützt und neue Marktteilnehmer abschreckt. Darüber hinaus kommen die bevorzugten Anwendungen in der Regel aus den USA. Eine aktuelle Studie von epicenter.works ergab, dass von den Top 20 der häufigsten Anwendungen 15 aus den USA und nur drei aus Europa stammten.
Dass Portugal ein Markt ist, in dem nur drei Mobilfunkbetreiber sich einen Marktanteil von 98 Prozent teilen, ist der Höhepunkt.
Was hat die portugiesische Regulierungsbehörde ANACOM deswegen getan?
ANACOM entschied sich erst spät, einzugreifen. Was haben sie getan? Im Wesentlichen hat die Regulierungsbehörde nach einem Entscheidungsentwurf, einer öffentlichen Konsultation und einer Anhörung der Beteiligten im Juli 2018 einen Beschluss veröffentlicht. Darin ignorierten sie die Auswirkungen der Preisdiskriminierung auf den Markt und die Verbraucherrechte.
Stattdessen konzentrierten sich die Regulierer auf einen relativ technischen Aspekt. Nämlich sicherzustellen, dass es keine unterschiedliche Behandlung des Verkehrs gibt, wenn die monatliche Freigrenze ausgeschöpft ist. ANACOM empfahl außerdem, dass die Mobilfunkanbieter die Geschäftsbedingungen für Unternehmen veröffentlichen, die in die Zero-Rating-Pakete aufgenommen werden wollen.
Die Reaktion der Provider
Zuerst gaben die Anbieter ANACOM gegenüber ihren Kunden die Schuld für die (geringfügigen) Änderungen, die sie vornehmen mussten. Technisch gesehen sind die meisten der Forderung von ANACOM nachgekommen und haben automatisch eine zusätzliche Datenobergrenze zu einer vorher festgelegten aktiviert. Oder sie blockieren den Datenverbrauch, wenn er das Guthaben ausschöpfen würde.
Die Empfehlung von ANACOM, das Datenvolumen zu erhöhen und das monatliche Datenvolumen an das Zero-Rating-Angebot anzugleichen, haben alle Betreiber einfach ignoriert. Keiner hat sein Angebot geändert, einer der Betreiber behauptete sogar, dass „die aktuelle Obergrenze an die Nachfrage angepasst ist“. Auch die Geschäftsbedingungen für Unternehmen zur Aufnahme in Zero-Rating-Pakete wurden nicht veröffentlicht.
Die Regulierungsbehörde reagiert, indem sie die Situation „weiter beobachten“ und eine Analyse verfassen will.
Dieses unglückliche Szenarios benachteiligt die portugiesischen Verbraucher. Wir sind der Meinung, dass das Parlament, also die in ihm vertretenen Parteien die Initiative ergreifen müssen, um das zu ändern. Die Netzneutralitätsverordnung der EU von 2015 mit Maßnahmen für den offenen Internetzugang sollte durch gesetzliche Änderungen umgesetzt werden. Die Mobilfunkanbieter müssen gezwungen werden, ihre Datenangebote an den europäischen Durchschnitt anzugleichen.
Auch die Regierung und die im Europäischen Parlament vertretenen Parteien müssen auf eine Klärung der geltenden Vorschriften auf europäischer Ebene drängen, um Zero Rating und ähnliche Angebote ausdrücklich zu verbieten.
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