Justizministerium blockiert bessere Durchsetzung von Netzneutralitätsregeln

Seit 2016 gibt es in Europa einheitliche Regeln zur Netzneutralität. Deutschland hat als eines von nur zwei Ländern bisher verabsäumt, Verstöße mit angemessenen Bußgeldern zu bestrafen. Nun stellt sich ausgerechnet das Justizministerium von SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley gegen ausreichende Strafen für Verletzungen der Netzneutralität.

Katarina Barley, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz. CC-BY 2.0 Steffen Voß

Allzu oft kommt das nicht vor: Während sowohl das Wirtschafts- wie das Verkehrsministerium gegen illegales Verhalten von Telekomkonzernen vorgehen wollen, blockiert ausgerechnet das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) eine Reform der Strafen bei Gesetzesverstößen. Dies geht aus Dokumenten hervor, die netzpolitik.org vorliegen. So soll das EU-Gesetz zur Netzneutralität angeblich nicht konkret genug formuliert sein, weshalb der Bundesregierung, zumindest aus Sicht des Referats für Verbraucherpolitik in der Informationsgesellschaft im Justizministerium, die Hände gebunden seien.

Hintergrund ist eine derzeit laufende Überarbeitung des Telekommunikationsgesetzes (TKG). Eine Übersicht der anstehenden Novelle bietet ein Eckpunktepapier des federführenden Bundeswirtschaftsministeriums, eng eingebunden ist zudem das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. In diesem Papier stellen die beiden Ministerien in Aussicht, die Bußgeldvorschriften vollständig zu überarbeiten. Demnach soll gemeinsam mit dem BMJV geprüft werden, „die Bußgelder im TKG – wie auch bereits im Kartellrecht (vgl. § 81 Abs. 4 GWB) – am Jahresumsatz der Unternehmen auszurichten.“

Freilich ist hierbei keine neue Rechtsgrundlage notwendig. Bereits die seit 2016 geltende EU-Verordnung zum „Telecom Single Market (TSM)“ schreibt den EU-Mitgliedstaaten vor, Sanktionen gesetzlich festzuschreiben, um Verstößen gegen die Regeln entgegenzuwirken. „Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“, heißt es in Artikel 6 der TSM-Verordnung.

Einladung zum Gesetzesbruch

Viele Länder in Europa haben seitdem Gesetze erlassen, die Strafen in Höhe mehrerer Millionen Euro oder sogar einem prozentualen Umsatzanteil vorsehen. Lediglich Deutschland hat einen bemerkenswert zahnlosen Sonderweg gewählt und nur ausgewählte Bestimmungen der EU-Regeln mit einer Strafe belegt.

Vor allem Mobilfunkbetreiber sehen diese Regelung eher als Einladung zum Gesetzesbruch und weniger als wirksame Abschreckung: Deshalb können sie in Deutschland weiterhin die Endgerätefreiheit ihrer Kunden einschränken und etwa Tethering untersagen, trotz Protesten von Regulierungsbehörden Zero-Rating Angebote auf den Markt bringen und möglicherweise mittels Deep Packet Inspection tief in die Privatsphäre ihrer Kunden eingreifen oder gar illegale Spezialdienste anbieten, ohne dabei eine ernsthafte Strafe befürchten zu müssen.

In der Umsetzung der Verordnung in das TKG in Deutschland wurden lediglich einzelne Ausschnitte von Artikel 3(3) zu Verkehrsmanagementmaßnahmen mit einem Bußgeld belegt. In Artikel 4 wurde ebenfalls kein Bußgeld für Verstöße in einem Beschwerdeverfahren von Kunden festgelegt. Das wäre insbesondere in den Fällen wichtig, in denen Kunden nicht die vertraglich zugesicherten Bandbreiten im Festnetz geliefert bekommen und dann eine Preisminderung oder frühzeitige Kündigung erwirken wollen. Das einzige weitere EU-Land, in dem die Strafbestimmungen nur lückenhaft umgesetzt wurden, ist übrigens Bulgarien.

Weitermachen trotz Bescheid

Aufmerksamen Beobachtern der Netzneutralität dürfte auffallen, dass die einzige Strafe in Deutschland aufgrund einer Netzneutralitätsverletzung der Deutschen Telekom erlassen wurde. Die mutwillige Verschlechterung der Videoqualität von StreamOn Kunden in den mittleren Tarifklassen wurde bereits Ende 2017 von der Bundesnetzagentur per Bescheid untersagt. Die maximale Strafe für Netzneutralitätsverletzungen in Deutschland beläuft sich auf EUR 500.000, womit Deutschland an 17. Stelle im europäischen Vergleich rangiert, wie eine Studie der NGO epicenter.works belegt.

Strafen für Verletzungen der Netzneutralität in Europa - CC-BY 4.0 epicenter.works - for digital rights

Die Regulierungsbehörde hat sich jedoch dazu entschieden, diesen Strafrahmen nicht einmal voll auszunutzen, sondern nur eine Strafe von EUR 100.000 zu verhängen. Angesichts der annähernd 2 Millionen StreamOn Kunden und der tausenden Videodienste, die ohne deren Einwilligung auf DVD Qualität gedrosselt werden, erscheint diese Strafhöhe sehr zurückhaltend. In Anbetracht des enormen Zuwachses an MagentaEins-Kunden, die nicht mehr unter die Drosselung bei StreamOn fallen und der niedrigeren Netzbelastung durch diese illegale Verkehrsmanagementmaßnahme, war und ist es für die Deutsche Telekom mit einiger Sicherheit billiger, sich nicht an das europäische Gesetz zur Netzneutralität zu halten.

Mittlerweile hat sich die jahrelange Ausnutzung dieser Gesetzeslücke zu einer Farce entwickelt. Dies dürfte sich auch bis zu den verantwortlichen Politikern und Beamten herumgesprochen haben – umso mehr verwundert nun der Widerstand des Justizministeriums.

Kreative Rechtsauslegung

Zum einen ist das Argument der vorgeblichen Verbraucherschützer, die TSM-Verordnung sei in dem Bereich zu schwammig, rechtlich kaum haltbar – schließlich steht eine EU-Verordnung über nationalem Recht. Zum anderen verwundert es auf einer politischen Ebene, da die übrigen 27 EU-Staaten nicht auf die kreative Idee kamen, Probleme in der Bestimmtheit des EU-Gesetzes zu sehen. Im Resultat spielt das Justizministerium damit der Telekomindustrie in die Hände und das, obwohl sogar das Wirtschaftsministerium für höhere Strafen eintritt.

Im Gespräch mit dem Wirtschaftsministerium sind Strafen in Höhe einiger Prozent des Konzernumsatzes angedacht, was auch große Telekombetreiber dazu bringen sollte, Gesetze ernst zu nehmen. Derartige prozentuale Strafen kennt man aus der ex-post Regulierung wie dem Kartellrecht oder aus der Datenschutz-Grundverordnung. Diese sind besser geeignet, die Anforderungen zu erfüllen, nämlich „verhältnismäßig und abschreckend” zu sein, da sie kleine und große Unternehmen gleichermaßen treffen.

Die derzeitige Regelung ist zum Nachteil breiter Teile der Bevölkerung, da Europarecht zum Schutz aller Internetnutzer in Deutschland nicht durchgesetzt wird und anstatt mehr Datenvolumen und Investitionen in die Netze zu fördern, nun ein Zwei-Klassen-Internet Realität wird. Dies wird am deutlichsten daran, dass StreamOn seit nunmehr 2 Jahren ungehindert am Markt ist. Im Datenschutzbereich haben zudem Parteifreunde von Katarina Barley gerade mit der Einschätzung aufhorchen lassen, fehlende Ressourcen bei Datenschutzbehörden könnten zu einem Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission führen. Mit ihrer Blockade von angemessenen Strafen im Bereich der Netzneutralität riskiert sie genau so ein Vertragsverletzungsverfahren wegen mangelnder Umsetzung der Netzneutralitätsregeln. Hier wäre sie selbst angeraten, sich an EU-Recht zu halten.

Präzisierung: Wir hatten den Artikel ursprünglich mit dem Titel „Katarina Barley stellt sich gegen Netzneutralität“ veröffentlicht, fanden diesen aber dann möglicherweise irreführend, auch wenn Katarina Barley die verantwortliche Justizministerin ist.

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