Netzneutralität: Wie StreamOn & Co. die Mobilfunkpreise in die Höhe treiben

Zero-Rating-Angebote wie Telekom StreamOn oder Vodafone Pass verletzen nicht nur die Netzneutralität, sie führen auch zu höheren Mobilfunkpreisen. Kunden denken, sie würden wertvolles Datenvolumen sparen, doch am Ende zahlen sie drauf.

Zero-Rating-Angebote sind indirekte Überholspuren für ausgewählte Dienste. Das verteuert allgemein die Preise auf den Mobilfunkmärkten. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com William Bayreuther

Überall in Europa bewerben Mobilfunk-Anbieter sogenannte Zero-Rating-Angebote. Mit „Surfen ohne Datenverbrauch“ lockt Vodafone. Die Deutsche Telekom verspricht ihren Kunden, „Musik und Videos streamen“ zu können, ohne an das lästige, immer knappe Datenvolumen denken zu müssen. Solche Angebote nehmen bestimmte Partnerdienste, etwa Snapchat oder WhatsApp, vom monatlichen Datenvolumen aus. Das klingt verführerisch. Doch diese Pakete verletzen nicht nur die Netzneutralität, sie machen Mobilfunktarife am Ende sogar teurer.

Es profitieren nicht die Kunden, sondern in erster Linie die Telekommunikationsbranche und große IT-Konzerne wie Facebook, Apple oder Netflix, die ihre Inhalte bevorzugt ausliefern können. Verlierer sind kleinere Diensteanbieter, die Verbraucher und insgesamt der europäische digitale Binnenmarkt. Das ergab eine am Dienstag vorgestellte Studie der Digital-NGO epicenter.works, unterstützt von der österreichischen Arbeiterkammer Wien und Mozilla.

Möglich macht dies ein absichtlich offen gelassenes Schlupfloch in den EU-Regeln zur Netzneutralität. Im Tausch gegen die weitgehend abgeschafften Roaming-Gebühren kam die EU der Industrie entgegen und ließ diese Form der ökonomischen Diskriminierung zu.

225 Mobilfunker untersucht

Das Team von epicenter.works hat sich für die Studie sämtliche Zero-Rating-Angebote in Europa vorgeknöpft, die Angebote von 225 Mobilfunkern untersucht und dabei 186 solcher Produkte gefunden. Diese dürften zwar meist mit den europäischen Regeln vereinbar sein, verletzen aber trotzdem die Netzneutralität, da sie teilnehmende Partnerdienste gegenüber allen anderen bevorzugen.

Vordergründig sind Zero-Rating-Angebote wie der „Chat Pass“ von Vodafone für Kunden billiger. Sie knabbern das in vielen Märkten begrenzte monatliche Datenvolumen für bestimmte Dienste nicht an, versprechen grenzenloses Chatten mit Familie und Freunden. Aber über welche App sich hemmunglos Katzenvideos verschicken lassen, gibt Vodafone vor. Im Paket enthalten sind unter anderem WhatsApp und Telegram. Wer seine Dateien über den freien Messenger Signal verschicken will, muss sich entweder einschränken oder darauf gefasst machen, schneller das Transferlimit zu knacken. Für Kunden ist das ein starker Anreiz, zu einem Dienst zu wechseln, der das Datenvolumen nicht belastet. In aller Regel handelt es sich dabei um große Diensteanbieter, die sich die aufwändige Anpassung ihres Angebots an die Vorgaben der Mobilfunkbetreiber leisten können.

Die erwartbare Folge untermauert nun die Studie: Unter den 20 am meisten beliebten Zero-Rating-Diensten befinden sich gerade mal drei europäische Anbieter. Den Rest dominieren vor allem marktbeherrschende US-Dienste wie Facebook (siehe Abbildung). Zero Rating zementiert ihre Marktmacht immer weiter fest.

„Mit unseren Daten lässt sich belegen, dass Zero Rating zu neuen Markteintrittshürden zwischen EU-Ländern führt“, sagt Thomas Lohninger, netzpolitik.org-Autor und Mitverfasser der Studie. So untergraben diese Angebote das erklärte Ziel der EU-Kommission, einen nahtlosen digitalen EU-Binnenmarkt sowie eine starke, europäische Digitalindustrie zu schaffen.

Von den Top-20-Diensten, die an Zero-Rating-Angeboten teilnehmen, stemmen nur drei aus der EU. (Screenshot: epicenter.works-Studie) - CC-BY 4.0 epicenter.works

Zero Rating macht Mobilfunkpreise teurer

Bemerkenswert ist, wie Zero-Rating-Produkte mit der allgemeinen Preisentwicklung mobiler Datenvolumina in EU-Ländern zusammenhängen. Dazu hat epicenter.works Daten der Marktforscher Rewheel herangezogen und sie mit den Daten der EU-Kommission zu den Preisen mobiler Internetangebote abgeglichen.

Dabei hat sich der Verdacht erhärtet, dass Zero-Rating-Angebote umso attraktiver erscheinen, je teurer das sonst frei verfügbare monatliche Datenvolumen ist: Schließlich müssen sich Nutzer mit unbegrenztem Volumen keine Gedanken machen, ihr Datenvolumen vielleicht schon Mitte des Monats aufzubrauchen. „Die Existenz oder die Einführung von Zero-Rating-Angeboten ist verknüpft mit Märkten, die für Verbraucher nachteilige Preisentwicklungen zeigen“, heißt es in der Studie.

Der Auswertung zufolge verteuerten sich die Mobilfunkpreise zwischen 2015 und 2016 um insgesamt zwei Prozent, wenn in den Jahren zuvor Zero-Rating-Angebote auf dem Markt waren. Fehlten solche Angebote, dann sanken im gleichen Zeitraum die Preise um ganze acht Prozent. Verletzungen der Netzneutralität machen sich also nicht nur in den Auswahlmöglichkeiten bemerkbar, sondern auch in der Geldbörse.

Befanden sich zwischen 2014 und 2015 Zero-Rating-Angebote auf einem Mobilfunkmarkt, stiegen zwischen 2015 und 2016 die Preisen um zwei Prozent. - CC-BY 4.0 epicenter.works

Zersplitterter Binnenmarkt

Dass die Regulierungsbehörden der EU-Länder unterschiedlich mit Verstößen gegen die Netzneutralität umgehen, fragmentiert ebenfalls den EU-Markt. In Ländern wie Österreich funktioniert die Kontrolle und Rechtsdurchsetzung vergleichsweise gut, in Deutschland hingegen sind zahnlose Strafen und verschleppte Verfahren die Regel.

Das bekannteste dürfte jenes gegen die Telekom Deutschland und ihr StreamOn-Produkt sein: Ein halbes Jahr lang hat die Bundesnetzagentur das Zero-Rating-Angebot geprüft. Im Herbst 2017 forderte sie den Netzbetreiber schließlich dazu auf, das Produkt rechtskonform zu gestaltet. Seitdem wehrt sich der Konzern gegen einschlägige Verfügungen und Gerichtsurteile, bislang erfolgreich .

Bundesregierung in der Pflicht

Dafür macht Lohninger zum einen die Bundesnetzagentur verantwortlich. Die Regulierer hätten das Verfahren „extrem in die Länge gezogen, obwohl ein sehr ähnliches Verfahren in Österreich in weniger als einem Monat erledigt war“, sagt Lohninger. „Andererseits muss sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung stellen, wieso die Strafen für Netzneutralitätsverletzungen in Deutschland so extrem niedrig sind und es für illegale kommerzielle Praktiken wie Zero Rating sogar Straffreiheit gibt.“

Ähnlich zaghaft verfahren die deutschen Regulierer mit anderen Mobilfunkbetreibern. So haben wir die Behörde im Sommer auf eine mögliche Verletzung der EU-Regeln durch o2 aufmerksam gemacht, der seinen Kunden die Verwendung bestimmter Geräte untersagt. Aus unserer Sicht verstößt das klar gegen die TSM-Verordnung, die eine freie Endgerätewahl garantiert.

Passiert ist seitdem jedoch nicht viel: „Die Bundesnetzagentur hat die Telefónica angehört. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen“, erklärt die Behörde auf Anfrage. Warum ein solches, anscheinend einfaches Verfahren so lange dauert – und noch immer nicht abgeschlossen ist – bleibt ein Rätsel: „Bitte haben Sie Verständnis, dass im laufenden Verfahren keine Auskünfte zur Sache erteilt werden können.“

8 Ergänzungen

  1. Zur Grafik: „Befanden sich zwischen 2014 und 2015 Zero-Rating-Angebote auf einem Mobilfunkmarkt, stiegen zwischen 2015 und 2016 die Preisen um zwei Prozent.“

    Hier sind nur zwei Messpunkte zu sehen. Der Preisanstieg/-abfall von 2015 auf 2016. Das Diagramm erscheint mir plakativ / populärwissenschaftlich. Ich würde gerne wissen, wie sich die Zahlen seit Beginn der Zero-Rating-Angebote entwickelt haben. Auch das andere Balkendiagramm mit internationalen Anbietervergleich, sagt gar nicht über die Preisentwicklung über die Zeit aus. Nur wo die Anbeiter ihre Preise zum Zeitpunkt der Erhebung angesetzt haben.

    Tut mir leid, aber das ist der m.E. schlechteste Netzpolitik-Artikel aller Zeiten. Die Datenbasis ist viel zu mager, um so großspurige Vorhersagen zu treffen.

    Zero-Rating-Angebote stehen m.W.n. ohnehin derzeit nur den zahlungskräftigen Kunden in den besseren Tarifen zur Verfügung. Hier sehe ich keinen Unterschied.

    1. Die Studie und die Rohdaten selbst sind als Open Data für alle verfügbar. Sämtliche Schlussfolgerungen der Studienautoren lassen sich deshalb von allen unabhängig überpüfen und ggfs. entkräften. Nicht sarkastisch gemeint: Nur zu!

      1. Ich habe einen 15 GB Vertrag, den gibt es nicht mehr, nur noch mit 10 GB, zum selben Preis versteht sich!
        Was soll ich glücklicher Vertragspartner da noch Meckern?
        Ich habe den „Fetten“ Vertrag, die Anderen dürfen sabbern!

  2. 1) der Autor der Studie engagiert sich für die Netzneutralität und ist deswegen von solchen Studien selbst als Auftraggeber oder sogar als Ausführer nicht geeignet, da er in seine eigene Ideologie gefangen ist.
    2) man findet die Annahmen und Interpretation der Daten bereits vor der Evaluierung, was die Neutralität der Studie in Frage stellt
    3) noZR_to_ZR Gruppe zeigt 6% Preisrückgang auf; dieses Ergebnisse wurde aber vom Autor einfach verworfen.

    1. Zu 1) Wenn ihre Behauptung bezüglich des Auftraggebers stimmig wäre, müsste jede Studie abgelehnt werden, denn Studien fallen nicht einfach so vom Himmel. Haben Sie dazu eine Erklärung?

      Zu 2) man findet die Annahmen und Interpretation der Daten bereits vor der Evaluierung, was die Neutralität der Studie in Frage stellt

      Können Sie mir bitte auf die Sprünge helfen und aufzeigen, wo das genau zu sehen ist und wie Sie zu dem Schluß gekommen sind?

      Danke schonmal.

  3. Es hat u.a. 2016 einen leichten Preisanstieg gegeben, weil die EU 2016 und 2017 das Roaming-like-at-home eingeführt hat. In diesem Zeitraum haben einige Provider ihre Preise angehoben.

    Im gleichen Schritt wurden aber in vielen Ländern die Tarife massiv aufgewertet, u.a. mit Telefonie-Flatrates, SMS-Flatrates und mehr Datenvolumen. In keinem Artikel wird erklärt, welche Tarife betrachtet wurden und ob Mehrleistungen überhaupt betrachtet wurden.

    Diese Studien sind daher sehr lückenhaft und in ihrer Aussagekraft gemindert.

  4. „Unter den 20 am meisten beliebten Zero-Rating-Diensten befinden sich gerade mal drei europäische Anbieter.“
    Vielleicht verstehe ich den Satz nicht, aber „am meisten beliebten“ klingt ziemlich seltsam. Sind hier die 20 beliebtesten Zero-Rating-Dienste gemeint?

  5. Mich würde mal interessieren, wie ihr den Unterschied zwischen den Zero Rating Angeboten der Provider und beispielsweise dem Geschäftsmodell von Amazon Prime oder Ebay Plus seht…

    In beiden Fällen habe ich als Kunde ja die Wahl des Anbieters, zahle eine Gebühr (Prime oder Plus Mitgliedschaft und Grundgebühr) und erhalte kostenlose Zusatzleistungen (Zero Rating Angebote oder kostenloser Expressversand mit besserem Kundenservice).

    In beiden Fällen besteht die Möglichkeit für externe Anbieter und Shopbetreiber, mit einem bestimmten monetären Aufwand in das Vorzugsprogramm zu kommen, um gegenüber denen bevorzugt zu werden, die den Aufwand nicht stemmen können oder wollen.

    Auf Dauer kaufen doch die Menschen bei Amazon und Ebay einen Artikel lieber etwas teurer als bei anderen Anbieters oder sogar Ladengeschäften, dafür als Prime / Plus Artikel mit diversen Vorteilen, genau wie Mobilfunk Kunden lieber Netflix und Co kostenlos streamen als kleinere Dienste, die ans Volumen gehen.

    Ich frage deswegen: Ich verstehe den Aspekt um die Netzneutralität, aber handelt es sich hier nicht um ein größeres wirtschaftliches Problem der Monopolisierung? Gibt es sowas wie ein Konsumneutralitätsgesetz oder eine Wirtschaftsneutralitätsgesetz? Nur mal so aus Interesse gefragt ?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.