Am 20. Mai musste die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) den Wahl-O-Mat offline nehmen. Eine Kleinstpartei hatte gegen die bpb geklagt, weil sie sich nach dem Grundrecht auf Gleichbehandlung aller Parteien im Nachteil sah: Nach Beantwortung der Thesen können derzeit nur acht (von vierzig für die EU-Wahl zugelassenen) Parteien ausgewählt werden.
Die klagende Partei vermutet, dass sie dadurch im Nachteil ist, weil hauptsächlich die großen Parteien (in der Reihenfolge des Stimmzettels an den ersten Stellen) ausgewählt würden. Nachweisen kann sie das nicht. Das Verwaltungsgericht Köln gab ihr trotzdem in der Annahme recht. Dabei entschied das gleiche Gericht in ähnlicher Frage 2011 noch gegenteilig. Durch die Entscheidung ist nun ein zentrales Orientierungsangebot für Erstwähler*innen (und weit darüber hinaus) wenige Tage vor der Wahl vom Netz. Ist das verhältnismäßig?
6,4 Millionen Nutzer*innen bis zur Abschaltung
Zunächst zum Kontext und Selbstverständnis des Wahl-O-Mats: „Der Wahl-O-Mat ist ein Angebot zur politischen Bildung und Information, keine Wahlempfehlung. Daher werden die Nutzerinnen und Nutzer im Wahl-O-Mat dazu aufgefordert, viele bewusste Entscheidungen zu treffen“, schreibt die bpb selbst. Zentrales Anliegen der politischen Bildung ist, emanzipierte Entscheidungen auf Basis guter Informationen in einer pluralen Gesellschaft zu fördern und zu ermöglichen.
Listenbasierte Empfehlungen, die den Anschein erwecken, es gäbe eine fertig sortierte Liste an Parteien, die man gut und wählbar finden sollte, setzen kaum an selbstbestimmter, kritisch-reflexiver Auseinandersetzung an. Aus Sicht der politischen Bildung ist dieser Unterschied im Ansatz zentral, um den Charakter des Angebots zu erhalten. Dabei sollte der deutlich erweiterte Nutzungskreis, der sich über die letzten 17 Jahre seit Bestehen entwickelt hat, unbedingt ins Blickfeld.
Allein zur aktuellen EU-Wahl haben 6,4 Millionen Nutzer*innen den Wahl-O-Mat bis zu seiner Abschaltung genutzt. Diese Entwicklung zu einem immer breiter in der Gesellschaft genutzten Angebot weit über die Ursprungskonzeption hinaus, zeichnet sich seit langem ab.
Verbot als Chance
Ja, das Verbot kann auch eine Chance sein. Die Diskussion bietet bpb und Bürger*innen einen möglichen Startpunkt für ein neues Angebot, den gerade vielstimmig kommunizierten Bedarf aufgreifend. Dieses Angebot braucht aber eine neue Konzeption, Zeit, Ressourcen und einen partizipativen Prozess. Das wird nicht in wenigen Tagen zu schaffen sein.
Aus der Nutzungspraxis zahlreicher Bürger*innen, die gerade lautstark im Diskurs auftreten, scheint sich eine Bewertungslogik etabliert zu haben, die auf der Perspektive „ich möchte, dass das Tool für mich selbst gut funktioniert“ basiert. Dabei ist die Plattform in erster Linie für eine andere Zielgruppe, insbesondere die der Erstwähler*innen konzipiert, was offenbar nicht deutlich genug wurde.
Würde sich dieses Muster, Netzangebote zu bewerten, jedoch durchsetzen, wären zielgruppenspezifische Angebote gefährdet, die sich durch die Interpretation der Masse nicht neu definieren lassen möchten. Gerade in öffentlich finanzierten Angeboten sollten wir eintreten für Angebote von, für und aus diversen Perspektiven unserer Gesellschaft und deren spezifische Wünsche und Belange.
Kein neuer Anspruch für Parteien
Aus der breiten Nutzung heraus lässt sich dann der Angebotszweck und die Ursprungskonzeption nicht umdefinieren und für Parteien ein Anspruch ableiten, den das Angebot Wahl-O-Mat zu erfüllen hätte. Bei der Universität Düsseldorf, die die begleitende Forschung verantwortet, heißt es zum Zweck:
„Neben Informationen über wesentliche und unterscheidbare Inhalte der Parteien dient der Wahl-O-Mat als ein Instrument zur Förderung politischer Kommunikation. Anschlusskommunikation als Austausch (auch gerade in sozialen Gruppen wie Schule, Familie, Arbeitsplatz) kann zur politischen Meinungsbildung vor Wahlen beitragen. Aber weit über den konkreten Wahlgang hinaus soll die Auseinandersetzung mit Politik gefördert werden. Das geweckte Interesse an den Inhalten stellt idealer Weise eine Basis für die Aneignung individueller Standpunkte dar.“
Aus diesem Zweck heraus ist ein aktiver Umgang mit der Auswahl der Parteien, mit dem spielerischen Vergleich dieser Standpunkte von Parteien eben nicht diskriminierend gegenüber einzelnen Parteien, sondern ermächtigend gegenüber dem Einzelnen im Sinne einer politischen Bildung. Zu diesem Prozess gibt es begleitende Forschung und verschiedenste Qualitätssicherungsmechanismen.
Dem langjährigen Angebot der politischen Bildung gegenüber steht eine vermutete Ungleichbehandlung, eine zumindest nicht sichtbar in die Urteilssprechung einbezogene Analyse des Angebots und dessen Zielgruppe und ein Gericht, das im Jahr 2011 eine ähnlich gelagerte Kläger-Perspektive der Ungleichbehandlung von Kleinstparteien im Wahl-O-Mat schon mal selbst verneint hat. Damals lautete das Urteil: „Eingebunden in einen Bildungsauftrag ist diese auch nicht von vornherein darauf verwiesen, alle von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungen und alle über Art. 21 Abs. 1 GG geschützten Parteien formal gleich zu behandeln; vielmehr kann sie insoweit auch wertende Unterscheidungen treffen, hat dabei aber Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz zu wahren.“ Das Urteil war insofern gegenteilig und dabei weitreichender.
Demobilisierung im sechsstelligen Bereich
Nur wenige Tage vor einer Wahl, die auch dank der vielfältigen Parteienlandschaft viele Bürger*innen, insbesondere Erstwähler*innen, vor persönliche Herausforderungen der Orientierung und Gesprächsbedarfe in ihren Peer-Groups stellt, fehlt jetzt die Unterstützung durch den Wahl-O-Mat. Mehr als sieben Prozent der Befragten gaben an, durch den Wahl-O-Mat zur Wahl mobilisiert zu werden. Bei den hohen Nutzungszahlen kann davon ausgegangen werden, dass die Abschaltung des Wahl-O-Mats für fast eine Woche in den entscheidenden Tagen bis zur Wahl zu einer Nicht-Mobilisierung im unteren sechsstelligen Bereich führt.
Allein diese Abwägung hätten insbesondere das Gericht, aber auch die klagende Partei in die Verhältnismäßigkeit des Urteils bzw. des Ansatzes und Zeitpunktes der Klage einbeziehen sollen. Was den Wahl-O-Mat nicht nur bei der Zielgruppe so wertvoll macht: Dort geht es um Inhalte, nicht um Verfahren. Es ist wichtig für die anstehende Wahl, dass das Angebot schnell wieder wegen dieser Inhalte im Fokus steht. Da immerhin sind sich alle einig. Die Bundeszentrale hat angekündigt, gegen das Urteil Beschwerde einzulegen.
Disclaimer: Der Autor ist politischer Bildner und in dieser Rolle arbeitet er auch mit der bpb zusammen. Eine Zusammenarbeit mit dem Wahl-O-Mat verantwortenden Fachbereich besteht nicht.
Warum das Urteil nicht mit dem Aufheben der Acht-Parteien-Begrenzung umgesetzt wurde, weiß offenbar auch nur die bpb, denn an der technischen Möglichkeit scheint es ja nicht zu hapern, da man die Beschränkung mit etwas JavaScript im bestehenden Wahl-o-Mat aushebeln konnte: https://old.reddit.com/r/de/comments/bkn3h4/howto_wahlomat_ergebnis_f%C3%BCr_alle_parteien/
Offenbar habe ich den Wahlomaten auch falsch verstanden. Ich habe mich nämlich schon immer gefragt, warum ich Parteien vorauswählen muss und mir das Tool nicht einfach alle Parteien im Ranking ausspuckt. Durch Zufall hatte ich die Menschliche Welt mit ausgewählt und war überrascht, wieviel Übereinstimmung es zu meinen Standpunkten gibt. Ohne den Klickfehler, hätte ich die Partei nicht auf dem Schirm gehabt.
Der Wahl-O-Mat müsste nicht offline sein, wenn die bpb das nur wollen würde! Die Partei macht es vor: https://www.partei-o-mat.de/. Das ist von den Fragen her soweit ich das beurteilen kann 1:1 der bpb Wahl-O-Mat, mit dem einzigen Unterschied, dass am Ende alle Parteien angezeigt werden. That’s it. War für die Partei wohl nicht all zu schwer, das technisch umzusetzen. Warum tut sich die bpb damit so schwer?
Und wenn der Autor schon Panik vor „Demobilisierung im sechsstelligen Bereich“ beschwört, könnte er zur Abmilderung ja ein paar weitere alternative Wahl-Beratungs-Seiten ähnlich dem Wahl-O-Maten auflisten, wie z.B. https://deinwal.de, https://europa.wahl-kompass.de/, https://www.voteswiper.org/, https://ep2019.digital-o-mat.de/, um nur einige zu nennen. Das wäre ein konstruktiver Schritt.
Danke. Der Partei-O-Mat birgt einige – ich hoffe mal – Eastereggs.
(1) Volt ist auf der Ergebnisseite mit der Zeichenformatierung „blur“ versehen und schaut entsprechend aus. Es poppte aber kein beschrifteter Pfeil auf mit dem Hinweis: „Die bitte nicht wählen“. Daher denke ich, dass es sich um ein Versehen handeln könnte.
(2) Habe aus Jux mal überall auf neutral geklickt und bekomme dadurch die Partei ‚Die Partei‘ mit genau 50% ganz oben zu sehen. Die Tabelle ist nicht mehr sortiert und an zweiter Stelle steht die Partei ‚Gesundheitsforschung‘ mit (angeblich) 99% Übereinstimmung. Die sollten sich vielleicht umbenennen in ‚Die neutrale Gesundheitsforschung‘.
das wollte ich fast genau so auch schreiben.
+“don’t shoot the messenger“.
das ist der erste artikel auf netzpolitik.org der für mich nicht nachvollziehbar ist.
zu 1. volt ist „verblurt“, weil volt die partei war, die gegen bpb klagte. -> satire
zu 2. gesundheitsforschung hat selbst fast alle fragen mit neutral beantwortet, wobei das ein bug-by-design im wahlomat ist, denn parteien haben, anders als waehler, nicht die moeglichkeit, fragen zu skippen. das ist also weder ein easteregg der partei die partei noch ein fehler vonseiten der gesundheitsforschung.
die partei platziert sich bei der ergbenis-liste stets oben, unabhaengig von der prozente-zahl, die uebrigens offenbar mit der gleichen berechnungsvorschrift berechnet wird, wie beim wahlomat.
Der Autor sieht offenbar nicht, was immer schon das größte Problem dieser „Wahlhilfe“ war: Parteilichkeit. Korrekt wäre eher folgende Formulierung gewesen:
„Ein Urteil, das gerade Erstwähler*innen eine wichtige Desorientierungshilfe nimmt“.
Die „Demobilisierung im sechsstelligen Bereich“ sehe ich auch nicht. Vielmehr denke ich, dass die Berichterstattung auf allen möglichen Nachrichtenkanälen inklusive Verweisen auf diverse Alternativen positiv für die Mobilisierung der Menschen ist. So mancher (Erst-)Wähler wird dadurch überhaupt erst auf die Idee gebracht worden sein, dass im Internet Orientierungshilfen zu finden sind.
Die Beschränkung des Wahl-O-Mat bei der Parteienauswahl war offenkundig nicht technisch begründet sondern eine politische Entscheidung. Insofern halte ich das Urteil für korrekt.
“Die Beschränkung des Wahl-O-Mat bei der Parteienauswahl war offenkundig nicht technisch begründet sondern eine politische Entscheidung. Insofern halte ich das Urteil für korrekt.”
/sign
Es geht an die Grenzen meine Vorstellungskraft, dass ein Vertreter der bpb vor Gericht ausgesagt hat, dass ein Vergleich aller Parteien technisch nicht umzusetzen sei.
Wir von Volt haben die Anpassung des Wahl-O-Mates gefordert, nicht die Abschaltung. Wir haben eine Anpassung der Ergebnisse außergerichtlich beantragt, da wir auch aufgrund des Feedbacks der Wähler*innen, da sie uns und andere Parteien nur umständlich vergleichen können. Nachdem außergerichtlich keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Problem erfolgte, stellten wir einen Antrag. Dass die bpb den Wahl-O-Mat nach dem Urteil des Gerichts offline nimmt muss man erstmal nachvollziehen. Laut Gericht (VG Köln) führte die BPB technische Gründe an. In ihrer eigenen Begründung sind es hingegen die didaktischen Gründe. Die bpb verstrickt sich in Widersprüche und ist leider nicht in der Lage einen Wahl-O-Maz mit Hinweis oder geänderter Form online zu stellen. Dies bedauern wir von Volt sehr! Es zeigt warum auch an diesen Stellen digitale Möglichkeiten ausbaufähig sind!
Welche Widersprüche denn? Wenn das, was das Gericht wiedergegeben hat nicht damit übereinstimmt, was das BPB benannt hat, sehe ich nicht, dass sich das BPB in Widerspruch begeben hat. Gerichte können Dinge feststellen und somit Ausgesagtes in der Interpretation übersteuern. Didaktik könnte als Technik interpretiert worden sein, woraufhin dann der Grund als ein technischer festgestellt wurde.
Ich bin Volt-Mitglied und absolut nicht glücklich darüber, dass der Wahl-O-Mat abgeschaltet ist. Das war auch nie das Ziel von Volt. Der Wahl-O-Mat ist eine super Hilfe, aber in der aktuellen Form wird er seit Jahren von Wählern und kleineren Parteien kritisiert und verletzt den Gleicheitsgrundsatz. Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat alle Beschwerden inkl. einer Petition der V3-Partei 2017 ignoriert.
Die wenigsten wissen, dass der Wahl-O-Mat überhaupt erst kleine Parteien anzeigt, seit die ÖDP 2008 in Bayern zur Landtagswahl geklagt hat. Von 2002 bis 2008 wurden nur die im Bundestag vertretenen Parteien angezeigt. Auch damals wurden Beschwerden ignoriert und die ÖPD musste den unangenehmen Weg vor Gericht gehen.
Wenn der Wahl-O-Mat abgeschaltet bleibt und die bpb durch alle gerichtlichen Instanzen geht, statt einfach ein Update einzuspielen, dann wird es Volt vermutlich schaden. Schon heute hat Bento getitelt: „Der Wahl-O-Mat ist nicht perfekt – aber nun hat ihn Volt kaputt gemacht“.
Besonders ärgerlich ist, dass eine technische Änderung sehr einfache wäre. Zumindest trifft das für die letzte öffentlich verfügbaren Version des Wahl-O-Mat von der Europawahl 2014 zu. Die Anleitung zum Ändern der Limitierung passt in einen Tweet:
1. Version vom 25.05.2015 herunterladen: https://www.bpb.de/politik/wahlen/wahl-o-mat/45817/weitere-wahlen
2. Im Ordner app die Datei main_app.html öffnen.
3. In Zeile 85 CONST_PARTEIENAUSWAHL_MAX von 8 auf 40 ändern.
4. Die Datei index.html im Browser öffnen.
Im Artikel fehlen leider zwei sehr wesentliche Punkte, welche die gerichtliche Entscheidung in ein anderes Licht stellen: Zum einen ist das Verwaltungsgericht Köln in seiner Begründung explizit von seiner Entscheidung im Jahr 2011 abgerückt. Ein Grund dafür ist wahrscheinlich, dass damals zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz nur 12 Parteien zugelassen waren, jetzt sind es 40 Parteien (CDU/CSU als eine gezählt, da nur je eine wählbar ist und wegen gemeinsamer Antwort im Wahlomaten). Da steht die Begrenzung von 8 Parteien in einem ganz anderen Verhältnis.
Zum anderen erkennt das Gericht die Argumentation der BpB, die Begrenzung sei aus redaktionell-didaktischen Gründen notwendig, nicht nur nicht an, sondern hält die Begrenzung hier sogar für kontraproduktiv:
„Wenn der „Wahl-O-mat“ ferner als Medium gedacht ist, welches dem Nutzer zu einer Auseinandersetzung mit den Inhalten der zur Wahl stehenden Parteien und damit zu einer bewussten Entscheidung bei der Wahl verhelfen soll, erscheint die Beschränkung auf bis zu acht Parteien geradezu zweckwidrig und im Ergebnis sachlich nicht gerechtfertigt. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass – wie die Antragsgegnerin zutreffend ausführt – der Nutzer jederzeit die (Vor-)Auswahl der bis zu acht Parteien ändern und bis zu acht andere Parteien auswählen kann. Denn dies lässt die Verletzung der Chancengleichheit nicht entfallen. Denn wesentlich für die Verletzung der Chancengleichheit ist der Umstand, dass die Darstellung der Übereinstimmung der Antworten der Nutzer mit denen der teilnehmenden Parteien abhängig gemacht wird von der Vorauswahl des Nutzers, wobei der Nutzer die Vorauswahl treffen muss, bevor er die Übereinstimmungsquoten überhaupt kennt. Weshalb es dem Nutzer nicht ermöglicht werden kann, eine Auswahl von Parteien sowie eine weitere Beschäftigung mit den Parteiprogrammen oder sonstigen Inhalten auf der Grundlage der für alle teilnehmenden Parteien dargestellten Übereinstimmungsquoten zu treffen, erschließt sich der Kammer nicht.“ (https://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_koeln/j2019/6_L_1056_19_Beschluss_20190520.html, Punkt 26)
Folgt man der Darstellung der klagenden Partei (Pressemitteilung https://www.voltdeutschland.org/volt_beantragt_einstweilige_anordnung_zur_ab_nderung_des_wahl_o_mats), stellt man fest, dass vor dem Verfahren das Gespräch mit der später beklagten BpB ohne Erfolg gesucht wurde. Die BpB nahm hier eine Blockadehaltung ein. Vor Gericht konnte sie die inhaltlichen Gründe (s.o.) wie auch die technischen Gründe nicht überzeugend darlegen. “Von einer derartigen technischen Unmöglichkeit ist das Gericht im Zeitpunkt der Entscheidung nicht überzeugt. “(Punkt 29). Durch ihre kompromisslose Haltung hat die BpB also diese Entscheidung notwendig gemacht.
Meines Erachtens darf für die Bewertung des Vorgangs nicht der „Angebotszweck und die Ursprungskonzeption“ des Wahl-O-Maten entscheidend sein, sondern dessen tatsächliche Nutzung. Dazu liegen zwar vermutlich keine belastbaren Daten vor. Aber wer mit wachen Augen und Ohren Gespräche/Posts zu diesem Thema verfolgt, der weiß, dass der Wahl-O-Mat eben doch als Entscheidungshilfe, vielleicht sogar als Grundlage für die Wahlentscheidung herangezogen wird. Das Argument, er diene nur der Beförderung von Gesprächen und Diskussionen über die Wahl, ist weltfremd.
Ich verstehe die Klage nicht, und ich verstehe die Reaktion vieler Kommentatoren auch in anderen Medien nicht.
Wer sich den Begleittext zum Wahl-O-Mat durchgelesen hat, sollte verstanden haben, wie dieser funktioniert und wie man letztlich herausbekommt, wie groß die Übereinstimmung der eigenen Position mit der Position der anderen zur EU-Wahl antretenden Parteien ist.
Auch hier gilt wie bei einer Suche im Internet mittels Suchmaschine, nicht immer, was an erster Stelle steht, ist auch das beste Angebot, egal wie etwas sortiert ist.
Kann die Klagerei von etlichen Leuten damit zu tun haben, dass sie zu faul sind, ihren Grips anzustrengen? Demokratie ist nun mal kein Ponyhof.
Es ging bei der Klage nicht darum, dass nicht jede Partei an erster Stelle steht. Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht alle Parteien vorne sind. Dass jedoch eine freie Auswahl willkürlich auf eine Menge von 8 Optionen eingeschränkt wird, liegt nicht in der Natur der Sache, sondern ist eine bewusste Entscheidung der Bundeszentrale. Bei 40 möglichen Parteien sind das gerade mal 20% der möglichen Auswahl. Vor Gericht konnte die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) nicht glaubhaft machen, warum diese künstliche Einschränkung gerechtfertigt und nicht gegen § 5 Parteiengesetz – Gleichbehandlung verstößt.
Dort heißt es in Absatz 1:
„Wenn ein Träger öffentlicher Gewalt den Parteien Einrichtungen zur Verfügung stellt oder andere öffentliche Leistungen gewährt, sollen alle Parteien gleichbehandelt werden. Der Umfang der Gewährung kann nach der Bedeutung der Parteien bis zu dem für die Erreichung ihres Zweckes erforderlichen Mindestmaß abgestuft werden.“
Die Abstufung findet wie auf dem Wahlzettel über die Reihenfolge statt. Das ist völlig zulässig, aber die künstlichen Einschränkung auf 8 Parteien eben nicht.
Moment, wo liegt denn eine Beschränkung in der Auswahl vor? Man kann doch beliebig oft 8 verschiedene Parteien zur Auswahl stellen? Man ist doch nicht auf 8 Parteien festgelegt?
Wird mit der Argumentation von „Volt“ dem Nutzer des Wahl-O-Mats nicht auch eine gewisse Unselbständigkeit unterstellt?
Abgesehen davon, eine Liste mit der Darstellung aller 40 Parteien auf einer Seite ist nicht gerade komfortabel anzusehen. Ich stelle mir gerade vor, wie dies auf einem gängigen Mobiltelefon aussehen soll.
Für mich verhält sich Volt hier wie ein bockiges Kind, dass mit dem Fuß auftritt, wenn es etwas nicht bekommen soll, und ständig schreit, ich will aber, ich will aber, ich will aber. Unwählbar.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Das bpb verhält sich wie ein bockiges Kind: Wenn ihr nicht so spielt, wie wir das wollen, dann spielen wir jetzt gar nicht mehr.
Niemandem außer den Pädagogen des bpb ist einsichtig, wie eine künstliche Beschränkung der dargestellten Informationen die Beschäftigung mit diesen Informationen befördern soll. Und letztlich konnten sie es vor Gericht ja auch nicht überzeugend erklären.
So und weil ihr Daniel Seitz vom bpb hier mit einem Artikel lobbyieren lasst, darf nun auch Volt Deutschland einen Artikel bei euch schreiben?
Der Wahl-O-Mat ist wieder online. Es wäre schön, wenn diese neue positive Entwicklung ähnlich prominent berichtet wird, wie die Abschaltung.
Gestern gab es eine außergerichtlichen Einigung zwischen Volt und der bpb. Der Kompromiss besagt, dass bei zukünftigen Versionen die künstliche und willkürliche 8-Parteien-Beschränkung aufgehoben wird. Damit wird der Wahl-O-Mat in Zukunft fairer für Parteien und nutzerfreundlicher für Wählerinnen und Wähler, da sie selbst entscheiden können, wie viele Parteien sie vergleichen möchten. Volt hat damit erreicht, dass die im Grundgesetz verankerte Chancengleichheit für Parteien auch von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) für den Wahl-O-Mat umgesetzt wird.
Gleichzeitig werden für die Europawahl keine Änderungen durchgeführt und Volt hat sich dafür eingesetzt, dass der Wahl-O-Mat nach der Einigung ohne zeitliche Verzögerung wieder online gestellt wird. Damit ist dann auch klar, dass die Mittel von Volt nicht unverhältnismäßig waren, denn die lange Historie von Beschwerden zum Wahl-O-Mat zeigt, dass eine wirkliche Änderung für mehr Chancengleichheit nicht ohne den Druck einer gerichtlichen Entscheidung zu erreichen war.