Twitter muss sich im Bundestag für Kontensperren rechtfertigen

Twitter will die Manipulation von Wahlen unterbinden und sperrt stattdessen willkürlich Accounts. Betroffen waren etwa Sawsan Chebli, die Jüdische Allgemeine und viele weitere Nutzer*innen. Jetzt soll Twitter im Digitalausschuss des Bundestages Erklärungen liefern.

What’s happening, Twitter? Fragen gerade viele Nutzer*innen und nun auch der Digitalausschuss der Bundestags. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Con Karampelas

„Wir haben festgestellt, dass dieser Account gegen die Twitter-Regeln verstößt.“ Diese Meldung bekamen in den vergangenen Tagen mehrere, teils recht prominente Nutzer*innen zu sehen, etwa die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, der IT-Rechtsanwalt Thomas Stadler und die Jüdische Allgemeine Zeitung. Sie alle sollen angeblich Nachrichten gepostet haben, die geeignet seien, Wahlen zu manipulieren. Twitter hat daraufhin ihre Accounts vorübergehend gesperrt.

Im Falle von Thomas Stadler war ein drei Jahre alter Tweet der Anlass. Stadler schrieb damals: „Dringende Wahlempfehlung für alle AfD-Wähler. Unbedingt den Stimmzettel unterschreiben. ;-)“. Eine solche Unterschrift würde den Stimmzettel ungültig machen. Es ist allerdings kaum wahrscheinlich, dass der längst vergessene Tweet aktiv zur Manipulation der nahenden EU-Wahlen beiträgt.

Cheblis Tweet hatte gar keinen Bezug zur Wahl, ebenso wenig wie ein Satirebeitrag, den das Konto der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ postete. Wie es in diesen Fällen zur Sperrung kam: völlig unklar.

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Wählertäuschung war schon immer verboten

Worauf die aktuelle Sperrfreude bei Twitter zurückzuführen ist, lässt sich dagegen gut nachvollziehen: eine neue interne „Richtlinie zur Integrität von Wahlen“. Die zugehörige Meldefunktion führte Twitter Ende April ein. Seitdem können Nutzer*innen in Twitters Melde-Tool auch solche Tweets melden, die Falschinformationen im Zusammenhang mit Wahlen verbreiten.

Der Datenanalyst Luca Hammer wies in einem Tweet darauf hin, dass Falschinformationen zu Wahlen auf Twitter immer schon verboten waren. Schließlich sei Wählertäuschung in Deutschland eine Straftat und Twitter-Nutzer*innen verpflichten sich laut Nutzungsbedingungen, lokale Gesetze einzuhalten. Neu ist also nicht die Strafbarkeit, sondern lediglich die Meldefunktion.

Dass Twitter diese nun im Vorfeld der EU Wahl Ende Mai einführt, ist vor allem dem Druck der EU-Kommission geschuldet. Sie hatte Twitter gemeinsam mit Google, Facebook und anderen große Plattformen im vergangenen Jahr schon dazu angehalten, einen „Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation“ zu unterzeichnen. Es ist eine freiwillige Selbstverpflichtung der Firmen, Wahlmanipulation zu unterbinden. Facebooks Transparenzarchive für politische Anzeigen waren ein Ergebnis. Ein anderes ist die Meldefunktion von Twitter.

Twitter muss sich im Digitalausschuss erklären

Dass dieses Instrument allerdings bisher eher nach hinten losgeht, zeigen die vergangenen Wochen und die vielen Beschwerden unter dem Hashtag #twittersperrt. Sollten die Firmen nicht selbst aktiv werden, so hatte die Kommission gedroht, würde sie regulieren müssen. Um solche Gesetze und damit verbundenen Strafen zu verhindern, scheint Twitter nun lieber großzügig zu sperren als sich später Untätigkeit vorwerfen zu lassen.

Allerdings werden die Sperrungen jetzt selbst zum Politikum. In der heutigen Sitzung des Digitalausschusses im Bundestag ist eine Vertreterin von Twitter geladen, um Fragen zu den „Zensurfällen“ zu beantworten. Die FDP hatte das Thema auf die Tagesordnung gesetzt.

Viele Fragen sind offen: Nutzt Twitter einen schlecht funktionierenden Algorithmus, um Tweets zu sperren? Oder sind das Falschentscheidungen von schlecht geschulten menschlichen Moderator*innen? Was tut Twitter, um das Problem in den Griff zu bekommen? Es fällt auf, dass vor allem AfD-kritische Äußerungen ins Visier geraten. Die Netzpolitikerin Anke Domscheit-Berg und andere vermuten daher, dass es sich bei den Meldungen um gezielte Kampagnen von AfD-Anhänger*innen handelt, um unliebsame Accounts zum Schweigen zu bringen. Die Antworten hätten sicher auch viele Betroffene interessiert. Die Sitzung des Digitalauschusses ist allerdings nicht öffentlich.
Worum es auch gehen dürfte: Die Einspruchsmöglichkeiten gegen zu unrecht gesperrte Inhalte. Um Zugang zu ihren Accounts zu bekommen, sollen gemeldete Nutzer*innen den beanstandeten Post wieder löschen. Der Rechtsanwalt Thomas Stadler weigerte sich allerdings, diesen Weg zu gehen und hat stattdessen Einspruch gegen die Sperrung eingelegt.

Stadler fordert, es müsse nicht nur klare gesetzliche Regeln zur Sperrung von Inhalten geben, sondern auch für das Beschwerdemanagement auf Plattformen wie Twitter und Facebook. „Sowohl Maßnahmen der Plattform gegen rechtmäßige Postings/Tweets als auch das Nichtsperren rechtsverletzender Postings/Tweets müssen grundsätzlich sanktioniert werden können“, schreibt Stadler in einem Blogeintrag. „Plattformen wie Twitter und Facebook müssen gesetzlich verpflichtet werden, Beschwerdefälle sorgfältig, unter Beachtung der Bedeutung der Meinungs- und Informationsfreiheit zu prüfen. Für die Prüfung ist eine zeitliche Grenze vorzugeben.“

Statt ganze Accounts zu suspendieren, solle Twitter den einzelnen beanstandeten Tweet für die Dauer der Überprüfung sperren, fordert er. Sonst führe die Sperrung dazu, dass Betroffene nicht mehr mit Followern kommunizieren könnten, also die Öffentlichkeit auch nicht über die Sperrung informieren könnten.

Accounts entsperrt, Debatte bleibt privatisiert

Stadler, Chebli und die Jüdische Allgemeine Zeitung können inzwischen wieder twittern. Gelöst ist die Sache damit nicht, denn viele Accounts bleiben gesperrt und Twitters Sperren werden bis zur EU-Wahl vermutlich noch viele weitere zu unrecht treffen. Und das grundlegende Problem reicht allerdings noch tiefer. So lange der öffentliche Austausch in einer demokratischen Gesellschaft auf den Servern von privaten Firmen läuft, werden diese Firmen darüber entscheiden, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit verlaufen, was erlaubt ist und was verboten. Twitters und Facebooks Moderationsregeln werden zur neuen de-facto-Gesetzgebung. Dieser Grundkonflikt wird sich so schnell nicht auflösen lassen.

Update, 16:27 Uhr:

Teilnehmer*innen der Sitzung berichten: Twitter hat angegeben, die Entscheidungen zur Sperrung würden nicht automatisiert getroffen, sondern ausschließlich von Menschen. „Dabei passierten Fehler und die tun uns leid“, sagte die Vertreterin von Twitter. Die Moderator*innen arbeiteten als „globale Teams“ und würden anhand von Material der EU und des Bundeswahlleiters geschult. Sie werden jetzt als Konsequenz aus den vielen fälschlichen Sperrungen nachgeschult.

Auch die Meldungen wegen Wahlmanipulation passieren nicht automatisiert, sondern stammen laut Twitter zu 100 Prozent von Nutzer*innen. Einige Kritiker*innen hatten zuvor vermutet, es handele sich um schlecht funktionierende Algorithmen, die harmlose Tweets falsch einstuften. Solche Algorithmen kämen zwar zum Einsatz, räumt die Vertreterin von Twitter ein, aber nur um zu erkennen, ob ein Tweet von mehreren Nutzer*innen gemeldet wurde. Sie sind nicht an Entscheidungen beteiligt.

Interessant sind auch die Zahlen: Twitter gibt an, dass in keinem anderen EU-Land so viele Tweets als Wahlmanipulation gemeldet würden wie in Deutschland. Zehn Mal mehr Meldungen pro Kopf erhalte die Plattform hier. Nur zwei Prozent der Betroffenen erheben Einspruch. Ob die hohe Zahl der Meldungen auf eine organisierte Kampagne von rechts hindeutet, dazu wollte Twitter trotz mehrerer Nachfragen von Abgeordneten keine Aussage machen. Da die politische Gesinnung von Accounts nicht abgefragt werde, könnten sie das nicht erkennen.

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5 Ergänzungen

  1. Das war es doch was die Politik immer wollte und von SPD/CDU vorangetrieben wurde: Automatische Zensurfilter und Sperrungen von Inhalten.

    Eine Ironie der Geschichte das es den Parteien nun auch wieder nicht recht ist nachdem ihre eigenen Inhalte zensiert werden. Wobei Parteien/Zeitungen da noch mehr Möglichkeiten haben werden gegen die Zensur ihrer Inhalte vorzugehen als das der einfache Bürger hätte.

    Schade das es keine dezentralen Twitter Alternativen gibt, z.B. auf Blockchain Basis welche Zensurresistent sind.

  2. Dass das Schwert des Sperrens und Blockens, einmal geschmiedet, beiden Lagern zur Verfügung steht, sollte aber keine Überraschung sein.

  3. Es ist eigentlich ganz einfach, schlagen sie mal die Twitter AGBs und finden „Wir können auch Inhalte auf Diensten entfernen oder es ablehnen, diese zu verbreiten, Nutzer sperren oder ihnen kündigen und Nutzernamen zurückfordern, ohne Ihnen gegenüber haftbar zu sein.“

    Twitter ist weder verpflichtet Tweets überhaupt zu verbreiten, noch rechenschaftspflichtig wenn sie das mal nicht tun (oder depublizieren).

    Die Lösung des Problems steht dann weiter unten in den AGBs
    „Sie können Ihre rechtliche Vereinbarung mit Twitter jederzeit kündigen, indem Sie Ihre Accounts deaktivieren und die Nutzung der Dienste einstellen.“

  4. Ja, die Parteien verstehen das Wort Meinungsfreiheit nicht. Meinungsfreiheit ist die Freiheit das zu sagen, zu denken und zu schreiben was man will. Egal ob Hassreden oder Fakenews oder, oder, oder. Wenn es deren Meinung ist , kann mann nichts machen, ob es gegen links, rechts oder eine andere Partei, Privatperson, eine Abstammung, ein Volk u.s.w. geht. Es ist egal, ob positive oder negative Meinung gegen nichts oder gegen alles, das ist Meinungsfreiheit, und die kann nicht begrenzt werden, schon gar nicht mit Gesetzen und AGB´s, den diese würden wieder gegen das GG Meinungsfreiheit verstossen.

  5. Twitter-> heißt m.E. nach „zwitschern“..
    Sprichwörtlich: „Wer morgens zwitschert, den frisst abends die Katze.“ …;)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.