Biometrische Überwachung am Südkreuz: Zwischenbericht bleibt geheim

Das Heimat- und Innenministerium verweigert Auskünfte zu erhobenen Messwerten der getesteten Software bei der Biometrie-Videoüberwachung am Berliner Bahnhof Südkreuz. Der Zwischenbericht bleibt Verschlusssache. In einer Antwort des Ministeriums an einen Abgeordneten der Linken kommen kaum Details zur künftigen zweiten Phase der automatisierten Personenüberwachung ans Licht.

The Watcher CC-BY-NC-ND 2.0 David Maddison

Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz sind keine Presseanfragen, sondern Ausdruck eines gesetzlichen Anspruchs auf Einblick in Unterlagen bei der angefragten Behörde. Solche Auskünfte sind in Deutschland geregelt in den Informationsfreiheitsgesetzen (IFG). Das aber hindert manche der staatlichen Stellen nicht, IFG-Anfragen nach Dokumenten mit ein paar Sätzen oder Verweisen auf Pressemeldungen zu beantworten. In diesem Fall antwortete uns das Heimat- und Innenministerium (BMI) auf eine IFG-Anfrage nach Unterlagen zum Berliner Bahnhof Südkreuz.

Am Südkreuz wird seit Monaten mit speziellen Videokameras gefilmt. Mit den daraus gewonnenen Daten testen die Behörden die biometrische Personenerkennung an der Rolltreppe, in der Bahnhofshalle und am Bahnhofseingang. Zu vielen technischen Aspekten sind die öffentlichen Auskünfte bisher dürr. Trotzdem veranschlagte das Ministerium zunächst für die angeforderten Dokumente eine Gebührensumme von 120 Euro. Es drängt sich der Verdacht auf, dass diese hohe kalkulierte Summe Antragsteller nur abschrecken soll, denn am Ende betrugen die Gebühren null Euro – passend zum Inhalt der Auskunft.

Es ging konkret in der IFG-Anfrage um die „Zwischenergebnisse Südkreuz-Test“, also um die Messungen und statistischen Werte, die der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei einem Besuch am Bahnhof Südkreuz zwar öffentlichkeitswirksam, aber wenig detailgetreu der Presse mitteilte. Wir fragten insgesamt folgende Informationen an:

1. die im BMI vorliegenden statistischen Zwischenergebnisse zum Test der Gesichtserkennungssysteme am Bahnhof Berlin Südkreuz,
2. vorläufiger Zwischenbericht des Bundespolizeipräsidiums […],
3. Unterlagen zur Markterkundung im Rahmen des zweiten Südkreuz-Teilprojektes (Testphase 2), mit Ausschreibungsunterlagen […],
4. im BMI vorliegende Unterlagen zu Software-Einstellungen und -Messungen der Gesichtserkennungssysteme,
5. datenschutzrechtliche Rahmenvorgaben für das erste sowie das zweite Südkreuz-Teilprojekt,
6. Unterlagen zu den eingestellten Falschakzeptanzraten in den Softwareprodukten der Gesichtserkennungssysteme.

Herausgegeben wurden jedoch keine Dokumente aus dem Ministerium, lediglich einige allgemeine Auskünfte.

Verweigerung der Auskünfte

Wir haben nun die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) um eine rechtliche Bewertung der Antwort des Heimat- und Innenministeriums gebeten. Denn ob die Fragen zu Recht auf diese knappe Weise vom BMI bearbeitet wurden, erscheint fraglich. Auf unseren Wunsch nach Einsicht in Unterlagen erhielten wir nämlich nur eine zweiseitige Einwilligungserklärung für die freiwilligen Teilnehmer, die beim Südkreuz-Test mitmachen. Alle weiteren Anfragen nach Unterlagen zu statistischen Zwischenergebnissen, zu Software-Einstellungen der Biometriesysteme, zu den Messwerten der Software der Gesichtserkennungssysteme oder nach Falschakzeptanzraten wurden nicht beauskunftet.

Das BMI schickte lediglich einen Verweis auf eine frühere Presseerklärung (BMI-Mitteilung „Von enormem polizeilichen Nutzen“), in der die vagen Aussagen des Ministers beim Ortstermin zusammengefasst sind. Die Mitteilung enthält nicht die konkret gewünschten Unterlagen. Die jedoch wären wichtig, denn die Aussagekraft des Südkreuz-Tests ist umstritten, weil die Probanden nicht repräsentativ ausgewählt wurden, was die gemessenen, aber geheimen Fehler- oder Erkennungsraten verzerren könnte.

Dass vom Heimat- und Innenministerium keine Unterlagen herausgegeben werden, die konkrete Ergebnisse der Tests zeigen, haben wir daher bei der BfDI beanstandet. Denn wenn das BMI seit vielen Monaten Biometrie-Tests beauftragt, aber im Rahmen der gesetzlichen Informationsfreiheitsrechte keinerlei Unterlagen über die Einstellungen, die konkreten Messungen oder die Falschakzeptanzraten freigibt, drängt sich die Frage auf, ob das eigentlich rechtens ist.

Ein Grund für die Verweigerung der Auskünfte könnte der ebenfalls angefragte Zwischenbericht des Bundespolizeipräsidiums zum Südkreuz-Test sein. Dass es diesen Bericht gibt, steht außer Frage. Er ist nach Angaben des BMI jedoch Verschlusssache und kann nach nochmaliger Prüfung nicht herausgegeben werden. Warum aber der gesamte Bericht, in dem Messwerte und auch Fehlerraten der Biometriesysteme angegeben sein müssten, der Öffentlichkeit vorenthalten sein soll, wird inhaltlich nicht näher begründet. Insbesondere die technischen Ergebnisse der Software sollten gerade kein Geheimnis bleiben, wollte man sich ein ehrliches Bild machen, ob diese Technik flächendeckend auf die Bevölkerung losgelassen werden kann. Das nämlich hatte der damalige Bundesinnenminister bereits angedroht. Dabei besonders widersinnig: Der Abschlussbericht am Ende des Tests soll nach Angaben des BMI veröffentlicht werden.

Wir werden natürlich berichten, wenn die BfDI eine rechtliche Bewertung vorgenommen hat.

suedkreuz rolltreppe

Die Deutsche Bahn übernimmt

Für den Südkreuz-Test sind also weiterhin keine konkreten Erkennungsraten oder Software-Messungen bekannt, um einen Erfolg oder Misserfolg des Piloten zur automatisierten Gesichtserkennung beurteilen zu können. Weil aber der Test in Südkreuz demnächst in eine zweite Phase gehen wird, haben wir im Rahmen der IFG-Anfrage auch nach Unterlagen zur Markterkundung für diese zweite Testphase und nach den entsprechenden Ausschreibungsunterlagen gefragt. Die Auskunft war denkbar knapp: „Solche Unterlagen liegen im BMI nicht vor.“

Die zweite Phase soll das Erkennen von Gesichtern von Passanten mit Hilfe biometrischer Software um ein „intelligentes Videoanalysesystem für die Behandlung und Analyse verschiedener Gefahrenszenarien“ erweitern. Wird ein solches „Gefahrenszenario“ von der Software entdeckt, sollen Beobachter alarmiert werden.

In einer Antwort des BMI an den Abgeordneten der Linken Alexander Ulrich vom 9. April werden diese Pläne etwas präzisiert. Ulrich fragte, ob die Bundesregierung nunmehr Details zur zweiten Phase mitteilen könne. Welche Szenarien als Gefahr in Frage kommen, beschreibt das Ministerium mit einigen Beispielen. Man wolle abgestellte Gegenstände mit der Software erkennen. Als weitere Vorfälle soll detektiert werden, wenn jemand in bestimmte Bereiche eintritt („Perimeterschutz“), jemand im Bahnhof liegt oder sich Ansammlungen von Menschen bilden. Außerdem soll die Position von einzelnen Personen und Gegenständen per Software verfolgt werden. Sich unerkannt im Bahnhof zu bewegen, würde dadurch unmöglich werden.

Aus der BMI-Antwort wird deutlich, warum keine der von uns angefragten Unterlagen im Ministerium vorhanden sein dürften: Die Marktanfrage nach einer „Software zur Videoanalyse“ wurde von der Deutschen Bahn erst Ende März veröffentlicht. Bis zum 18. Mai können sich Bieter beteiligen. Entsprechend können noch keine Anbieter benannt werden.

Der Ball liegt nun also bei der Deutschen Bahn, nicht mehr im Ministerium. Was die für beide Testphasen erfragten datenschutzrechtlichen Rahmenvorgaben betrifft, antwortete das Ministerium nur mit allgemeinen Auskünften, nicht jedoch mit der Herausgabe von Unterlagen. Phase zwei des Piloten läge „in der Verantwortung der DB AG“, es könnten keine Angaben gemacht werden.

Vielleicht kann sich das Heimat- und Innenministerium nun quasi im Wege einer Flucht ins Privatrecht Auskünften nach dem Gesetz zur Informationsfreiheit entziehen. Doch die Deutsche Bahn gibt immerhin an, am Südkreuz-Projekt „zusammen mit einzelnen Sicherheitsbehörden“ beteiligt zu sein.

13 Ergänzungen

  1. Ihr solltet die gleiche Anfrage nach dem 25. Mai noch einmal stellen: Da die Datenverarbeitung nicht der öffentlichen Sicherheit dient, sondern deren Erforschung, fällt sie unter die EU-DSGVO, nicht unter die EU-Richtlinie für den Datenschutz bei Polizei und Justiz (JI) 2016/280 ;-)

  2. Das Ergebnis steht doch fest: es wird ein voller Erfolg und die Maschinerie von 1984 wird flächendeckend ausgerollt, um alle auszumerzen, die für Seehofer, AfD und co. nicht „Heimat“ sind, einen nicht genehmen Gesichtsausdruck aufsetzen, ein nicht programmiertes Verhalten an den Tag legen.

    Es handelt sich trotzdem um etwas, das man ehrlich und ohne Ironie ein ergebnisoffenes Experiment nennen kann. Gegenstand des Tests ist allerdings nicht, wie man uns glauben machen will, eine Technik. Es ist ein soziopsychologischer Versuchsballon, das auf ein Ausloten des derzeitigen Standes unserer Leichtgläubigkeit und Gefügigkeit abzielt. Es wird ausgelotet, was wir uns schon alles gefallen lassen. Es wird erprobt, wie schnell wir uns in die totale Kontrolle schubsen lassen. Währenddessen geht es an verschiedenen Fronten in ähnlicher Richtung weiter.

    Ich würde wetten, dass der marodierende Heimathorst und seine völkischen Kumpanen demnächst aus Österreich das fälschlicherweise „Burkaverbot“ genannte AGesVG kopieren werden: in Österreich können die Büttel des Staates sich seit 2017, wenn sie entsprechend daran aufgeilen, Bußgelder wegen Schals und Infektionsschutzmasken zu verteilen. Das würde passen. Dann noch ein paar Hilfspolizisten abstellen, die Leute anranzen, die auf die Füße schauen.

    Kapieren wir als Gesellschaft, was die brisante Kombination aus Gesichts- und Verhaltensanalyse und flankierenden Gefügigkeitsnormen für uns bedeutet?

    Dein Gesicht als Eigentum des Ministeriums für Heimat und Staatssicherheit.

    Reisen als Privileg, wie in China.

    Irgendwann heißt die Losung wortwörtlich:

    Gute Mine zum bösen Spiel, sonst droht Gefährderprävention.

    Grusel.

    Oder sind wir zu doof und lassen uns weiter buchstäblich alles gefallen, wenn nur einer „Sicherheit“ oder „Terror“ ruft, obgleich die Kriminalität sogar laut offizieller Statistik sinkt (!) und der größte Terror von der Diktatur ausgeht und nicht von irgendwelchen terroristischen Gruppierungen, denen man jetzt genau den Verfall zivilisatorischer Werte schenkt, den sie sich wünschen?

    Schutz vor Terroristen? Hahaha. Ich könnte problemlos mit einer Bombe in den verdammten Bahnhof spazieren. Tue es aber nie, weil ich im Gegensatz zu IS-Terroristen und Innenministern nicht bescheuert bin.

    Schutz vor Impulstätern? Hahaha.

    Normalbürger sollten sich immer die Frage stellen: was kommt als Nächstes, wenn wir das zulassen? Am meisten gruseln mich die Leute, die sofort kommen mit „aber wenn wirklich mal etwas schlimmes passiert, dann bist du froh über die Kameras“. „Also ich seh das ja nicht so ideologisch mit dem Datenschutz“.

    Nein, verdammt. Bin ich nicht. Und warum werden das eigentlich immer mehr, wenn die doch angeblich so gut helfen? Wer glaubt, doppelt soviele Kameras würden doppelt soviel Sicherheit bringen (davon abgesehen, dass sie allenfalls bei der Aufklärung nützlich sind, was aber noch lang kein totales Panoptikum rechtfertigt, aus Gründen, die weiter totzudiskutieren mich nur noch langweilt), tja der muss sich fragen lassen, was denn das eigentlich bedeutet. Bedeutet das: halb soviele Vorkommen bestimmter Risikoereignisse? Das würde wiederum bedeuten, dass man sich der „Sicherheit“ nur asymptotisch nähern kann, mit exponentiell steigendem Aufwand. Kollateralschäden am Gefüge der Gesellschaft nicht eingepreist. Und ideologisch ist hier allenfalls der Panoptizismus, der totalitäre Anspruch, die Verklärung des Staates zu etwas, das nie böswillig sein oder werden kann (gerade bei der historischen Erfahrung in Deutschland).

    Na klasse!

    Wir haben schon viel zu viel zugelassen. Wir sind mittlerweile keine freiheitliche Gesellschaft mehr, die Angst regiert und nicht die Ratio.

    Das einzige, was durch all den Wahnsinn – demnächst noch alles mit „AI“ – geschützt wird, ist Wohlstand.

    Doch was nützt der ohne die oberen Stufen der Maslov-Pyramide? Nur wenige werden so reich werden, dass es ihnen wirklich egal sein kann. Die Übrigen werden in Überfluss als Versuchstiere für die Datenindustrie gehalten. Vermutlich auch bald für jede Menge anderer Industrien, die Raubbau an der Ressource Mensch betreiben möchten.

    Oder je nach Stimmungslage der Politik, der Wirtschaft, der tyrannischen Mehrheit oder der Computer, nicht im Wohlstand, sondern im Mangel … dann ohne Protestmöglichkeit!!! Oh Leute, kapiert das doch endlich.

  3. Interessanter Weise findet man die Kamera-Modelle, die in den Markierten „Versuchsflächen“ am Südkreuz zum Test der „Biometrischen Überwachung“ eingesetzt werden, allen Anschein nach auch in Bereichen des Bahnhof Südkreuz, die nicht als „Versuchsfläche“ markiert sind. Zum Beispiel auf den Fahrstuhlschächten auf dem Ringbahnsteig.
    Hierstellt sich die Frage, ob eventuell die „Testbereiche illegal“ ausgeweitet wurden. Ob wohlmöglich Personen die nie eine Einverständniserklärung zu diesem „Test“ gegeben haben, nun „Unfreiwillig“
    an diesem „Test zur Biometrischen Überwachung“ teilnehmen müsssen?

    1. Das gleiche Modell ist zuvor in Hamburg Hbf und Bremen Hbf aufgetaucht.
      Bestimmt ein „Zufall“ …

    2. Könnte sein, dass Du die ohnehin schon vor dem Test im Bahnhof vorhandenen Videokameras mit den neu hinzugekommenen verwechselst. Auf dem unteren Bild im Artikel sieht man neben dem DB-Schild eine der neuen Kameras, die anderen Kameras im Bahnhof sind unabhängig von dem laufenden Biometrie-Piloten.

  4. Ah. Ich hatte bei den Berichten immer nur ein Foto gesehen, auf dem offenbar eine der Kameras gezeigt war, die auch auf der anderen Seite des Bahnhofs Ende 2017 neu montiert wurden. Auf der Ostseite hab ich („unbekannt“ von oben) oft zu tun, den Westteil mit dem tollen Experiment meide ich wie die Pest.

    Die oben abgebildete ist dem Modell auf der Ostseite und an den Aufzugshäuschen und dem in Hamburg und Bremen ausgesprochen ähnlich, daher hatten wir vermutet, dass im Gefügigkeits-Experiment auch solche eingesetzt werden. Ob es wirklich dasselbe ist, konnten wir nicht zweifelsfrei feststellen.

    Vielleicht ist hier jemand, der es ganz genau sagen und den oder die Hersteller nennen kann?

  5. Vielleicht kann ja mal jemand dort vorbeigehen und die Kameras mal kartieren?? mich würde mal interessieren wie viele Kameras da vor Ort sind (Kameras von der Bahn, und kameras für die biometrische Erkennung).

    Ich hab mal den Wiener Westbahnhof kartiert, da sind rund 120 Kameras am Bahnhof verbaut (nein, ohne die in den einzelnen Shops …)

  6. Für unser Privatgrundstück habe ich mir Kameraattrappen gekauft und hochwertige Kameras eingebaut.
    Ist genug Platz drin, auch für einen Akku!

  7. Berichte werden stets Nicht veröffentlicht, sobald sie die vorher aufgestellten Behauptungen/Versprechungen widersprechen.
    Also die Realität nicht den Vorstellungen der Verkäufer entspricht.

    Was bedeutet, das die Verkäufer, also die Volksvertreter/Politiker mit dem (politisch gewolltem, vom Steuerzahler teuer bezahlten, allerdings nur für die Sicherheitswirtschaft profitablen) Überwachungssystem, die wirtschaftlichen Erfolge von S21 und BER fortsetzen.

    Viel Geld zum Fenster raus werfen, ohne das der Steuerzahler einen Nutzen davon hat!
    Wer Profitiert, also hat den Nutzen?
    Die Unternehmen, die sich das alles ordentlich bezahlen lassen.
    Hier auf NP.org hat das mal einer als „Produkt Sicherheit“ bezeichnet, das beschreibt es ziemlich gut, finde ich!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.