Stelldichein mit YouTubern: Merkel burnt sie alle

„Frau Bundeskanzlerin… Oder ist Frau Merkel ok?“ „Frau Merkel ist absolut ok.“ … so fing das Gespräch zwischen der Bundeskanzlerin und vier YouTubern an. Unsere drei jungen Praktikanten haben es in der Redaktion auf dem Beamer geschaut und kommentieren es.

Youtuberin „ItsColeslaw“ interviewt Angela Merkel (Screenshot). – Alle Rechte vorbehalten Studio71

Gestern war Angela Merkel in einem Berliner YouTube-Studio zu Gast. Vier bekannte deutsche YouTuber, Ischtar Isik, Alexander Böhm („AlexiBexi“), Mirko Drotschmann („MrWissen2go“) und Lisa Sophie („ItsColeslaw“) interviewten für jeweils zehn Minuten die Kanzlerin – eine willkommene Gelegenheit für die medienerfahrene Politikerin, neue Wählergruppen zu erschließen. Unsere jungen Praktikanten berichten aus ihrer Sicht, wie das Google-Wahlkampfgeschenk bei ihnen angekommen ist und wer sich am besten selbst inszeniert hat.

Johann Stephanowitz

Wie schon beim viel diskutierten LeFloid-Interview vor zwei Jahren hat man gemerkt, dass das Interview eine Merkel-Show war. Die gewollt journalistischen Fragen beeindruckten Merkel kaum und wurden mit dem typisch unkonkreten und zum Teil widersprüchlichen Merkel-Geschwafel beantwortet. Als Alexi Bexi Merkel nach dem Diesel-Gate fragte, folgte erst eine technische Antwort über Real Drive Emission Tests. Spätestens jedoch, als die Kanzlerin auf Fahrräder zu sprechen kam und den Satz „Ich will ja keine Produktwerbung machen, aber es gibt auch gute deutsche E-Bikes“ raushaute, merkte man dass sie diese Frage nicht wirklich ernst nahm.

Für Merkel waren die vier YouTuber leichte Gesprächspartner und sie wusste die Lacher häufig auf ihrer Seite. Wenn ItsColeslaw rumjammerte, dass sie im Abi eine schriftliche Mathe-Prüfung machen musste, entgegnete Merkel trocken: „Sein Sie doch froh, dass sie in Bayern Abi gemacht haben.“ Und als Ischar Isik stolz sagte, dass es ihr erstes Interview gewesen war, meinte die Kanzlerin nur: „Aha. Sonst machen Sie nur Selbstdarstellung?“

Sicherlich waren einige Fragen persönlich und relevant, doch bei vielen hat man gedacht: Interessiert das wirklich jemanden, der nur Merkel als Bundeskanzlerin kennt? Man hätte sich etwas zur Cannabis-Legalisierung gewünscht, stattdessen gab es etwas zu den „Meinungsverschiedenheiten“ zwischen der Kanzlerin und Trump. Braver hätte ein 50-jähriger ARD-Reporter nicht fragen können.

Zur Verteidigung der YouTuber muss man sagen, dass es auch ein paar mutige Fragen gab. Man hätte von einer Mode-YouTuberin wie Ischar Isik vielleicht nicht erwartet, dass sie Merkel fragt, wie es sei, mit den „größten Machos in der Politik zusammenzuarbeiten“. Doch statt kritisch nachzufragen, ließen sich die Fragesteller von den allgemeinen Phrasen der Kanzlerin einlullen. Ein Atomkrieg? Den muss man nicht befürchten. Mutti Merkel kümmert sich darum, dass es allen gut geht und alles so bleibt, wie es ist.

Letztendlich hatten die vier YouTuber gegen den Interview-Profi, der seit zwölf Jahren an der Macht ist, keine Chance. Vielmehr konnte die Kanzlerin die Fragen, wie schon bei LeFloid, gut zur eigenen Profilierung nutzen. Frei nach dem Motto: Wählt ruhig mich, dann geht’s allen so gut wie bisher – auch wenn wir da draußen einen Putin, Trump oder Erdoğan haben. Am Ende war Merkel von allen YouTubern die Beste.

Leon Kaiser

Auf YouTube schaue ich eigentlich Musikvideos und Kommentare zur Serie Game of Thrones – darin wird die Welt immer brutaler und Lieblingscharaktere müssen sterben. Als die vier YouTuber Angela Merkel interviewten und ihr Fragen zu Diesel-Gate, Breitbandausbau und Donald Trump stellten, war ich sehr überrascht. Das sind zwar wichtige Fragen, nicht aber die, die ich mir stelle, wenn ich abends im Bett panisch YouTube schaue. Dort denke ich: „Oah wir werden alle sterben, wenn nicht wirklich mal etwas gegen Klimawandel unternommen wird, oder weiter Waffen in alle Welt verkauft werden! Was tut ihr da?“

Ich will der Bundeskanzlerin nicht die Frage stellen, was ihr Lieblings-Emoji ist („Smiley“). Warum man zum ersten Mal wählen gehen sollte, wenn diese Welt doch eh bald untergeht, schon viel eher. Viele in meinem Alter verlieren den Glauben an den Sozialstaat und wissen nicht, wie sie Geld verdienen sollen. Dass Wählen ein Privileg ist, das es in anderen Ländern nicht gibt, ist richtig. Aber das kann nicht die ganze Antwort sein. Dass Merkel eben „besser kommunizieren“ müsse, was sie tut, auch nicht. Aber ihre Verteidigung der in Europa einzigartigen Entscheidung, im Sommer 2015 viele Geflüchtete in Not aufzunehmen, war etwas, das ich öfters von ihr hören möchte.

Der einzige Berührungspunkt zwischen den YouTubern und Merkel schien die Frage nach dem Hass im Internet zu sein – damit kannten sich beide aus und dort hat Merkel sich positioniert („Sprache ist die Vorstufe oft auch zu einer Eskalation, die dann irgendwann in Gewalt münden kann“). Die Krisen, die mich beschäftigen – Klimawandel, Militarisierung, der Abbau von Arbeitsrechten –, sind aber nicht allein durch die Regulierung von Sprache, wie mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, aus der Welt zu schaffen. Aber diese Fragen hat ihr niemand gestellt. So konnte sie sich über die Einkommensmodelle der YouTube-Stars lustig machen („Und Sie machen nur Selbstdarstellung?“) und dabei vergessen, dass die meisten von uns als zu hässlich, komisch oder introvertiert abgestempelt werden, um einen Vertrag für Produktwerbung zu bekommen.

Johannes Steiling

Nach gut einer Stunde Interview mit der Kanzlerin stellt sich das Gefühl ein, welches auch schon die letzten drei Legislaturperioden begleitet hat: Merkel wird es schon richten. Das beschwichtigt zwar, aber befriedigen kann es nicht, Merkel inspiriert nicht, sie entmutigt. Denn in für sie typischer Manier schafft sie es, sich in so wenigen Bereichen wie nur möglich eindeutig zu positionieren.

Investitionen in Ladestationen für Elektro-Autos seien wichtig, der „technologieoffene“ Ansatz aber auch – eine Formulierung, die sich in der viel kritisierten Abschlusserklärung des Diesel-Gipfels findet. Zwar bemängelte sie die sprachliche Eskalation im Konflikt um Nordkorea, zwischen Trump und ihr gebe es aber lediglich „Meinungsverschiedenheiten“. Davon sei auch ihre Beziehung zu Erdoğan geprägt. Gleichzeitig bekräftigte sie aber, alles Mögliche für die in der Türkei inhaftierten Journalisten tun zu wollen. Was dies aber in letzter Konsequenz bedeuten könnte, diese Antwort blieb sie auf Nachfrage schuldig.

Entlarvend war auch, wie Merkel sich offenbar das Verhältnis zu der jungen Zielgruppe auf Youtube vorstellt. Nach dem Motto „Alte Inhalte auf neuen Plattformen“ wies sie unter anderem auf ihren Instagram-Account hin: Für alle, denen die 73 Seiten des Wahlprogramms zu lang seien. Wem dies nicht reiche, der könne der Bundesregierung einfach eine E-Mail schreiben. Eine unbefriedigende Antwort auf die Frage, was gegen die zunehmende Distanzierung junger Menschen zur Politik zu tun sei. Aber möglicherweise doch zutreffend auf jene, warum sie ihren Draht zur jungen Wählerschaft verloren hat.

Insgesamt waren die Fragen der YouTuber nicht geeignet, die Kanzlerin aus ihrer Reserve zu locken. Zu sehr versuchten sie, den Stil abendlicher Talkshow-Formate zu imitieren, zu oft waren die gestellten Fragen bereits in Breite diskutiert worden. Das ist schade, denn es gab durchaus Momente, die aufzeigten, wie es hätte funktionieren können. Dies war immer dann der Fall, wenn die vier es schafften, Merkel zu überraschen; wenn es um ihre persönlichen Erfahrungen und Ansichten ging. Leider beschränkten sich diese aber, bis auf wenige Ausnahmen, auf ihren bevorzugten T-Shirt-Aufdruck oder, ob sie denn auch mal schlafen müsse.

Die eigentlich so wichtige Frage, was wir, die vielen jugendlichen Erstwähler mit unserer Stimme am 24. September verändern können, wurde auf diese Weise leider nicht beantwortet. Dabei wäre gerade das die große Chance eines solchen Formates gewesen. Nicht nur für Merkel, sondern auch für die Demokratie.

8 Ergänzungen

  1. Zitat: „Aha. Sonst machen Sie nur Selbstdarstellung?“ Ja, das stimmt bei vielen in den „sozialen Medien“ durchaus, ist auch so gesollt. Immerhin hatte Frau Kanzlerin einen stressfreien Abend mit diesen „Youtubern“. Das waren wahrscheinlich auch die „zahmsten“.

  2. Wahlen sind Gewaltverbrechen. Denn meine Nachbarn haben kein Recht an meinem Körper und meiner Hände Arbeit Ergebnis. Rechte die mein nachbar nicht hat kann er nicht an Dritte durch Wahl delegieren. Folgt man diesem grundsätzlichen Prinzip, dann sind alle Wahlen (in diesem System) gewalttätige, strukturelle Mechanismen der Sklaverei.
    Ich bin frei geworen (Artikel 1 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte).
    Niemand darf mich in eine Organisation zwingen (Artikel 20 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte).
    Ich zahle gerne für Kindergärten, Strassen, Krankenvorsorge etc., aber eben nur freiwillig.

    1. Dein Pochen auf die allgemeinen Menschenrechte ist mir zu viel Gewalt. Mich hat niemand gefragt, was darin überhaupt stehen soll, wieso soll ich mich daran halten! Ich zwinge dich hiermit unter der Mitgliedsnummer 2 in meine Organisation „ICH“ (Institution charakterliche Hervorragender).

      Du gehst einen Arbeitsvertrag mit in einem Unternehmen ein, das wie du allerlei öffentliche Infrastruktur nutzt und willst keine Steuern zahlen müssen? Lol.

    2. Dein Pochen auf die allgemeinen Menschenrechte ist mir zu viel Gewalt. Mich hat niemand gefragt, was darin überhaupt stehen soll, wieso soll ich mich daran halten! Ich zwinge dich hiermit unter der Mitgliedsnummer 2 in meine Organisation „ICH“ (Institution charakterlich Hervorragender).

      Du gehst einen Arbeitsvertrag mit in einem Unternehmen ein, das wie du allerlei öffentliche Infrastruktur nutzt und willst keine Steuern zahlen müssen? Lol.

  3. Die Einschätzung von Leon teile ich. Überwiegend irrelevante Fragen, keine konkreten Antworten und zu wenig Mut auf der einen und ein bisschen zu viel DutziDutzi auf der anderen Seite. Was nicht heißt, dass man nicht respektvoll mit jemandem umgehen sollte, aber da sieht man eben, dass journalistisches Medientraining nicht über Nacht zu ersetzen ist, ganz gleich wie hübsch und lässig man sich bei Youtube selbst inszenieren kann. Aber sagt mal, habt ihr keine Praktikantinnen?

  4. Die Sesamstraße meets Bundestag ? Danach haben alle anwesenden noch Kochrezepte ausgetauscht ? Ein Satz mit X,dass war wohl niX ??✌

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.