Deutsche Polizeibehörden erhalten Direktzugriff auf Europol-Dateien

Am 1. Mai tritt die neue Europol-Verordnung in Kraft. Ein neues Datenregime erweitert den Kreis der Zugriffsberechtigten, in vielen Fällen ist dabei im Unterschied zum früheren Verfahren sogar der Vollzugriff erlaubt. Erwartet wird ein deutlicher Anstieg von Abfragen und Zulieferungen. Das kostet Geld.

Mit der neuen EU-Verordnung für die Polizeiagentur Europol sollen die Bundespolizei, der Zollfahndungsdienst und alle 16 Länderpolizeien künftig direkt auf Analysedatenbanken in Den Haag zugreifen können. Dies geht aus dem „Gesetz zur Änderung des Europol-Gesetzes“ hervor, den die Bundesregierung gestern im Entwurf veröffentlicht hat.

Hintergrund ist die Änderung der Rechtsgrundlage für Europol, wonach die Agentur nach dem Lissabon-Vertrag nunmehr vollends vergemeinschaftet ist. Der Europol-Ratsbeschluss von 2009 wurde deshalb durch eine EU-Verordnung ersetzt. Sie regelt die Informationsverarbeitung nicht mehr systembezogen für die verschiedenen Europol-Datenbanken, sondern definiert verschiedene Verarbeitungszwecke. Außerdem wird der Kreis der Zugriffsberechtigten auf weitere Behörden vergrößert. Mit Einschränkungen ist sogar der Vollzugriff möglich.

BKA-Zentralstelle wird aufgelöst

Das Durchsuchen von Datenbeständen war unter dem alten Ratsbeschluss nur für das Europol-Informationssystem erlaubt, das eine Art Index-Datei darstellt. Für Ermittlungen relevante Falldaten lagern jedoch in den sogenannten Auswerteschwerpunkten („Focal Points“). Im Bereich des Staatschutzes sind bei Europol derzeit sechs Auswerteschwerpunkte eingerichtet, darunter zu „islamistischer Terrorismus“ (HYDRA) und „ausländische Kämpfer“ (TRAVELLERS). Behörden aus Deutschland gehören zu den Hauptnutzern von Europols Datenbanken: Mit Stand vom 31. August 2016 wurden Informationen zu 6.519 Personen an HYDRA beigesteuert, lediglich 448 Personen galten dabei als „ausländische Kämpfer“. Zum weitaus umfangreicheren Auswerteschwerpunkt HYDRA wurden von deutschen Polizeien der Länder und des Bundes 12.208 Personen zugeliefert, darunter ebenfalls zahlreiche Verdachtsfälle oder Kontaktpersonen.

Bislang mussten deutsche Polizeibehörden ihre Anfragen an Europol über die deutsche Zentralstelle einreichen, die beim Bundeskriminalamt (BKA) angesiedelt ist. Dies erfolgte für die Auswerteschwerpunkte gewöhnlich im „Treffer/Kein-Treffer-Verfahren“, woraufhin die anfragende Dienststelle zunächst nur einen Hinweis bekam, ob zu der betreffenden Person Daten existieren. Möglich war aber auch, Anfragen über den BKA-Verbindungsbeamten bei Europol einzureichen.

Datentausch bleibt teure Handarbeit

Erhält Europol aus den Mitgliedstaaten nun Informationen, die zum Zweck des Abgleichs (Index) oder der strategischen oder thematischen Analyse freigegeben wurden, dürfen diese demnächst von allen zuständigen Behörden durchsucht werden. Dies betrifft etwa Analyseberichte zu neuen Vorgehensweisen, sogenannte Frühwarnnachrichten, Erkenntnismitteilungen oder anonymisierte Falldaten. Nur offene Informationen, die für die operative Analyse übermittelt werden, müssen weiter nach dem Prinzip „Treffer/Kein-Treffer“ abgeglichen werden.

Trotzdem bleibt der Datentausch auch unter neuen Verordnung weiter Handarbeit. Der Abgleich von Grunddaten (etwa dem Namen) mit den Auswerteschwerpunkten kann zwar zunächst im automatisierten Verfahren erfolgen. Werden tatsächlich Übereinstimmungen gefunden, müssen sich aber die ErmittlerInnen händisch mit den Abfragen befassen. So muss beispielsweise eine neue Datei erstellt und der Inhalt übersetzt und übermittelt werden. Fallabhängig könnte sich weiterer Schriftverkehr dazu ergeben. Je mach Wichtigkeit müssen operative Treffen abgehalten werden, wozu möglicherweise auch ausländische Behörden oder Polizeien anderer Bundesländer eingeladen werden.

24 Stunden pro Fall

Laut dem Europol-Direktor Rob Wainwright hat sich die Datenmenge, die nationale Zentralstellen mit Europol austauschen, in den vergangenen zwei Jahren verzehnfacht. Die Bundesregierung geht davon aus, dass sich der Datenverkehr mit dem neuen Europol-Gesetz abermals drastisch erhöht. Erwartet werden allein aus Deutschland 5.000 zusätzliche Abfragen sowie 800 neue Zulieferungen für die Auswerteschwerpunkte. Jede Abfrage wird mit einem Aufwand von 15 Minuten pro Fall kalkuliert, jede Zulieferung mit 24 Stunden.

Den Mehrbedarf an Personalmitteln sollen zehn Stellen ausgleichen, wobei der größte Teil bei den Ländern anfällt. Die entstehenden Sachkosten werden im Gesetzentwurf mit 2,5 Millionen Euro beziffert. Um die von Europol gelieferten Daten auch bei den einheimischen Datenbanken zu einzupflegen, rechnet die Bundesregierung mit weiteren zwei Stellen sowie Sachkosten von 250.000 Euro.

Die elektronische Übertragung der Daten von und zu Europol erfolgt weiterhin über die „Secure Information Exchange Network Application“ (SIENA). Wann der technische Zugang für die zuständigen Behörden aus den Mitgliedstaaten eingerichtet wird, bleibt aber noch unklar. Bis zum Inkrafttreten der neuen Europol-Verordnung am 1. Mai 2017 will die Agentur hierzu ein Konzept vorlegen.

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Eine Ergänzung

  1. Was mir bei solchen Dingen immer zuerst aufstößt: Sind denn die nationalen Regeln alle so uniform, daß es bei der Vergemeinschaftung nicht zu „Problemen“ kommt?
    Oder nutzt man das elegant zur Umschiffung nationaler „Hindernisse“?

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