Seit rund einer Woche gilt das im vergangenen Herbst von der Europäischen Union beschlossene Gesetzespaket, das neben Roaming-Gebühren auch Regelungen zur Netzneutralität beinhaltet.
Die Verordnung legt im Bezug auf Netzneutralität unter anderem fest, dass das Blockieren und die Diskriminierung von Anwendungen sowie bezahlte Überholspuren verboten sind.
Das klingt zunächst vielversprechend, doch der Teufel steckt wie so oft im Detail. Die Bestimmungen, die von den europäischen Gesetzgebern als Errungenschaft für ein neutrales Internet gefeiert wurden, sind nicht nur unserer Einschätzung nach in ihren Ausführungen schwammig und bestenfalls lückenhaft.
Noch ist der Kampf nicht verloren
In einem Talk auf der media convention Berlin im Rahmen der re:publica TEN gab Barbara van Schewick, eine der führenden Expertinnen für Netzneutralität, einen Überblick über den aktuell noch mangelhaften Stand der Netzneutralität in Europa und einen Ausblick, wie diese zurückerkämpft werden kann.
Die Problematik: Spezialdienste und Zero-Rating
Der Talk konzentriert sich dabei auf zwei im Gesetz enthaltene Ausnahmeregelungen. Derzeit ist noch unklar, ob und inwiefern der Gesetzestext ein Umgehen der Netzneutralität durch Spezialdienste oder Zero-Rating erlaubt.
Spezialdienste dienen dazu, bestimmte Anwendungen oder Protokolle zu priorisieren. Das Endresultat sind die berüchtigten „Überholspuren auf der Datenautobahn“. Was für den Endbenutzer erstmal unproblematisch erscheinen mag, ist im Hinblick auf die Konkurrenzfähigkeit kleinerer Dienste höchst bedenklich. Denn eine bezahlte Priorisierung – und die daraus erfolgende Sicherung eines Vorteils gegenüber Mitbewerbern – können sich meist nur die „big guys“ leisten, nicht aber kleinere Unternehmen oder Startups. Dadurch werden neue Plattformen benachteiligt, was gerade im Internet zu beachten ist, schließlich gehörten Facebook, YouTube und Dropbox alle mal zu den Kleinen.
Van Schewick weist darauf hin, dass es in der Theorie zwar legitime Anwendungen für Spezialdienste geben könnte, es jedoch bis auf Weiteres an praktischen Beispielen hierfür fehle. In der Praxis geht es bei Spezialdiensten eher um möglichst ruckelfreie hochauflösende Videostreams, für die Streamingplattformen „im Rahmen einer Umsatzbeteiligung von ein paar Prozent“ zur Kasse gebeten werden, wenn es nach der Deutschen Telekom geht.
Bei Zero Rating werden ausgewählte Dienste von einem begrenzten Datenvolumen ausgeklammert – meist gegen Bezahlung. Streamingdienst X könnte also damit werben, dass man auf seiner Plattform ohne Rücksicht auf das wertvolle Datenvolumen streamen kann, während einem kleineren Konkurrenten, ähnlich wie bei den Spezialdiensten, die finanziellen Mittel fehlen könnten, sich diese Ausnahmestellung zu erkaufen.
Sowohl Spezialdienste als auch Zero Rating führen dazu, dass ein Zwei-Klassen-Internet etabliert wird, aufgeteilt in die großen Dienste, die sich bezahlte Ausnahmen leisten können, und alle anderen, denen das Geld hierfür fehlt.
Die Chance: Schließung der Gesetzeslücken durch öffentliche Beteiligung
Bis Ende August ist der Zusammenschluss der europäischen Internetregulierungsbehörden „BEREC“ damit beauftragt, den vagen Gesetzestext in konkrete Richtlinien umzusetzen.
Innerhalb dieses Prozesses wird es auch eine Konsultation der Öffentlichkeit geben, jedoch nur vom 6. Juni bis 18. Juli. Dabei besteht die Hoffnung, dass es durch die in diesem Prozess erarbeiteten Leitlinien möglich ist, die Lücken des Gesetzestexts in der Praxis zu schließen und somit die Netzneutralität zu stärken.
Auf savetheinternet.eu kann man die Bundesnetzagentur beziehungsweise die jeweiligen nationalen Regulierungsbehörden und BEREC per Online-Formular dazu auffordern, die Netzneutralität in Europa effektiv zu sichern. Das dauert in der Regel nicht länger als fünf Minuten.
In Indien und den USA waren ähnliche Befragungen der Öffentlichkeit dafür verantwortlich, dass starke Netzneutralitätsrichtlinien geschaffen wurden. Ein Lichtblick ist auch das gestern erfolgte Verbot von Zero-Rating in den Niederlanden, das wegweisend für weitere Entwicklungen in Europa sein könnte – zumindest bleibt das zu hoffen.
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