Der IT-Gipfel der Bundesregierung krankt seit acht Ausgaben an einem Problem. Bei den gesellschaftlichen Debatten über die Digitalisierung wird vor allem eine Gruppe vermisst: die Zivilgesellschaft, also gesellschaftliche Gruppen, die nicht primär wirtschaftliche Eigeninteressen vertreten. Stattdessen diskutieren Jahr für Jahr vor allem Unternehmen aus dem Dunstkreis von Bitkom mit der Bundesregierung, dazu kommen noch diverse, teilweise ebenfalls wirtschaftsnahe Forschungsorganisationen.
Im vergangenen Jahr versprach unser Bundeswirtschaftsminister und 1/3-Internetminister Sigmar Gabriel, dass zukünftig alles anders werden solle:
„Mit der Digitalen Agenda hat die Bundesregierung politische Leitlinien für die Digitalisierung formuliert. Mir ist wichtig, dass sich IKT-Branche, Anwender und gesellschaftliche Gruppen wie die Netzgemeinde künftig auf Augenhöhe begegnen, deshalb öffnen wir den IT-Gipfel-Prozess.
Morgen startet in Berlin der neunte IT-Gipfel.
Von der Öffnung des IT-Gipfelprozesses Richtung „Anwender und gesellschaftliche Gruppen wie die Netzgemeinde“ ist aber nichts zu sehen. Denn der IT-Gipfelprozess wird vor allem in sieben „Plattformen“ und einzelnen „Foren“ vorbereitet, die sich an den sieben Handlungsfeldern der Digitalen Agenda orientieren. Wir haben mal beim Bundeswirtschaftsministerium angefragt, wer denn die gesellschaftliche Gruppen in diesem neuen Gipfel seien. Und als Antwort bekommen:
Gesellschaftliche Gruppen auf dem diesjährigen IT-Gipfel sind beispielsweise Initiativen (z. B. Initiative Urheberrecht, IT Völklinger Kreis e. V., Chaos Computer Club), Verbraucherorganisationen (z. B. Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, Verbraucherzentrale Bundesverband) und weitere Interessierte wie der Deutscher Kulturrat oder Aktivisten für betroffene Belange (z. B. Inklusion und Barrierefreiheit). Diese nehmen erstmals am IT-Gipfel teil.
Da hat man sich große Mühe gemacht, wahrscheinlich sämtliche Teilnehmer zu identifizieren. Der Chaos Computer Club konnte sich nicht daran erinnern, in den Gipfelprozess eingebunden zu sein. Aber er gehört jetzt dazu, weil Frank Rieger am Donnerstag auf einem Panel mit Innenminister Thomas de Maizière diskutiert. Auf den sechs Foren des IT-Gipfels finden wir samt Gewerkschaftsvertretern ganze vier zivilgesellschaftliche Vertreter – unter dreißig Podienteilnehmern.
Auf unsere Rückfrage, welche Stakeholder denn in den Gipfelprozess, der inhaltlich den IT-Gipfel vorbereitet, eingebunden sind, haben wir dann von der Pressestelle keine Antwort mehr bekommen. Also mussten wir das selbst recherchieren und fanden ein umfassendes Dokument (PDF) mit zahlreichen Namen, was wir nun dahingehend ausgewertet haben, welche gesellschaftlichen Gruppen denn wirklich eingebunden sind.
Im Vorwort einer offiziellen Broschüre verspricht Sigmar Gabriel erneut:
Die Neuausrichtung des Gipfels auf die sieben Handlungsfelder der Agenda und ein intensiver Dialog mit den Anwendern von IT unter Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppen waren aus meiner Sicht richtige Schritte. Denn die erfolgreiche Gestaltung der Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten gemeinsam daran arbeiten.
Zivilgesellschaftliche Vertreter mussten wir mit der Lupe suchen
Praktischerweise kann man auf den darauf folgenden Seiten genau lesen, dass dieses Statement zwar schön klingt, aber nicht der Wahrheit entspricht. Vertreter der Zivilgesellschaft findet man unter den zahlreichen Vertretern von Firmen, Industrie-Lobbyorganisationen, Forschungsgesellschaften und der Bundesregierung nur vereinzelt. Und man muss lange suchen.
Mit anderen Worten: Auch wenn Sigmar Gabriel vergangenes Jahr eine Öffnung versprochen hat, stattgefunden hat sie nicht. Da können auch nicht einzelne Feigenblätter auf den Podien sowie einzelne eingeladene zivilgesellschaftliche Vertreter im Publikum etwas ändern. Wenn man Vertreter der Gewerkschaften rausrechnet, ist die digitale Zivilgesellschaft fast gar nicht eingebunden – also Business-as-usual. Es ist weiterhin ein Zeichen, wie die Bundesregierung den gesellschaftlichen Diskurs der Digitalisierung versteht: als Dialog mit Unternehmen, aber nicht mit der Gesellschaft.
Und hier ist die Übersicht aller Plattformen und Foren
Plattform 1: Digitale Netze und Mobilität
Co-Vorsitzende sind Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, und Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG. Viele Mitglieder, keine Zivilgesellschaft.
Plattform 2: Innovative Digitalisierung der Wirtschaft.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, sowie Thorsten Dirks, Präsident des Bitkom e. V. und Vorstandsvorsitzender
der Telefónica Deutschland Holding AG. Einziger zivilgesellschaftlicher Vertreter ist Frank Werneke, stellvertretender Vorsitzender des Bundesvorstands ver.di – Dienstleistungsgewerkschaft.
Fokusgruppe 1: Digitale Souveränität in einer vernetzten Wirtschaft.
Keine Zivilgesellschaft.
Fokusgruppe 2: Intelligente Vernetzung.
Keine Zivilgesellschaft.
Fokusgruppe 3: Young IT/Mittelstand.
Keine Zivilgesellschaft.
Fokusgruppe 4: Digitalisierung von Dienstleistungen
Nur Frank Werneke, stellv. Vorsitzender ver.di – Dienstleistungsgewerkschaft als Vertreter der Zivilgesellschaft.
Plattform 3: Industrie 4.0
Ganz viele in der Leitung und dazu eine noch größere Liste an beteiligten Forschungsorganisationen und noch mehr Unternehmen. Aber dazwischen findet sich nur die IG Metall als Vertreter der Zivilgesellschaft.
Plattform 4: Digitale Arbeitswelt
Neben Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, gibt es noch Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, als Co-Vorsitzender. Mit Annelie Buntenbach, Mitglied im Geschäftsführenden Bundesvorstand DGB, Lothar Schröder, Mitglied des
ver.di-Bundesvorstands, sowie Ralf Sikorski, Mitglied im geschäftsführenden Hauptvorstand IG BCE finden sich drei Gewerkschaftsvertreter aus der Zivilgesellschaft.
Plattform 5: Digitale Verwaltung und öffentliche IT.
Co-Vorsitzende sind Klaus Vitt, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern und Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik, sowie Karl-Heinz Streibich, Vorstandsvorsitzender der Software AG. Aber keine Zivilgesellschaft.
Forum 1: Digitale Gesellschaft.
Klingt nach Zivilgesellschaft, aber zwischen Vertretern von Microsoft, Deutsche Bahn, Xing und vielen Ministerien finden wir nur Silke Raab, Leiterin des Referates für gleichstellungsorientierte Familienpolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB).
Dem Forum untergeordnet ist noch der „Expertinnen- und Experten-Kreis: Diversity 4.0 in der Digitalen Arbeitswelt – Vielfalt, Teilhabe, Gleichstellung“ mit wenigen zivilgesellschaftlichen Vertretern.
Plattform 6 : Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft
Co-Vorsitzende sind Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung, und August-Wilhelm Scheer, Gesellschafter und Beiratsvorsitzender Scheer Group GmbH. Viel Industrie und Forschung, aber von der Zivilgesellschaft nur Elke Hannack, stellv. Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Plattform 7: Kultur und Medien
Co-Vorsitzende sind Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien und Jürgen Doetz, Bevollmächtigter des Verbands Privater Rundfunk und Telemedien e. V. für die Deutsche Content Allianz (DCA)/Koordinator der DCA. Dort sind dann auch alle Mitglieder der Deutschen Content-Allianz dabei sowie andere Urheberrechtsorganisationen. Die Zivilgesellschaft wurde aber ausgeschlossen.
Plattform 8: Sicherheit, Schutz und Vertrauen für Gesellschaft und Wirtschaft
Co-Vorsitzende sind Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Walter Schlebusch, Vorsitzender der Geschäftsführung Giesecke & Devrient GmbH. Der einzige, den man in dieser Gruppe möglicherweise der Zivilgesellschaft zuordnen könnte, ist Mathias Müller von Blumencron, Chefredakteur für Digitale Medien FAZ. Zu dieser Plattform gehören auch noch die „Fokusgruppe Maßnahmen zur Prävention von Cybercrime“, die „Fokusgruppe Verschlüsselung“ sowie die „Fokusgruppe Sichere mobile Identifizierung“ ohne jegliche Zivilgesellschaft.
Plattform 9: Verbraucherpolitik in der digitalen Welt
Co-Vorsitzende sind Ulrich Kelber, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, sowie Martina Koederitz, Vorsitzende der Geschäftsführung IBM Deutschland GmbH. Diese Plattform hat die meisten Mitglieder, was vielleicht auch daran liegt, dass dort tatsächlich einige Vertreter der Zivilgesellschaft zu finden sind: Carola Elbrecht (Verbraucherzentrale Bundesverband), Alvar Freude (SPD-naher freiberuflicher Softwareentwickler), Matthias Spielkamp (iRights e. V.), Philipp Otto (iRights e. V.) kann man sicher dazu zählen, dazu kommen noch diverse Vertreter vom Deutschen Anwaltsverein, der Bundesrechtsanwaltskammer und der Bundesnotarkammer, die zwischen Berufsverbänden und Zivilgesellschaft einzuordnen sind.
Forum 2: Europäische und internationale Dimension der Digitalisierung
Den Vorsitz haben Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, sowie Stephan Steinlein,
Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Bei den Aspekten internationaler Netzpolitik finden sich u. a. Vertreter von Deutsche Telekom, Vodafone und der Musikindustrie, aber niemand von der Zivilgesellschaft.
Wie könnt ihr auch nur auf die Idee kommen, die Zivilgesellschaft an so einen Tisch zu holen. Der Wähler hat in Deutschland den Mund zu halten und hinter der Regierungsführung her zu marschieren. Wo kommen wir da hin, wenn das Volk auch noch Ansprüche stellt. Das wäre ja Anarchie. Man aber auch gut erkennen, dass die meisten in Deutschland ihre „Demokratische Diktatur“ lieben und ihre Kaiserin verehren. Leider muss man aber feststellen, dass die meisten Führer, denen die Deutschen gefolgt sind, diese in den Abgrund geführt haben.
Es ist tatsächlich extrem schade, dieses wichtige Zukunftsthema „so nebenbei“ zu behandeln. Mit „nebenbei“ meine ich die Art und Weise des Herangehens. Da taucht bei Plattform 1 der Vorstand der Telekom federführend auf, was hinsichtlich der Debatte um die Ausrichtung des Breitbandausbaus, in der sich die Telekom mit seinen Wettbewerbern um den richtigen Weg streitet, ein Geschmäckle hat. Hier werden Pfähle eingeschlagen, die möglicherweise völlig falsch sind, da nur wenige Lobbygruppen am Tisch sitzen. Die digitale Revolution wird jedoch alle Gesellschaftsgruppen derartig stark treffen, dass unbedingt sämtliche Akteure in den gesellschaftlichen Transformationsprozess mit einbezogen werden müssen – ansonsten wird es nicht gelingen! Und damit schießen sich die Lobbygruppen letztlich auch wieder selber ins Knie, denn ohne gesamtgesellschaftliche Akzeptanz wird Industrie 4.0 in Deutschland zum Rohrkrepierer und damit auch wirtschaftlich in den Abgrund führen. Gesellschaftliche Spaltung, soziale Verwerfungen, zunehmende Kriminalität werden dann mit einem mehr an staatlicher Überwachung beantwortet, die nur nichts bringt, bzw. uns zunehmend einem Orwellschen Staatensystem näher bringt – Kleinkrimelle erfolgreich bekämpft, dafür jedoch ein mafiaähnliches Gebilde in Form einer oder mehrerer „Super-Geheimdienstorganisationen“, die alles kontrollieren, erfolgreich installiert. Spectre nennt man diese im neuesten James Bond und das ist leider sehr aktuell. Der Teufel wird mit dem Beelzebub ausgetrieben.
Um in das Thema etwas mehr fachlichen Unterbau zu geben, waren doch mal sogenannte digitale Botschafter, auch Digital Champions, benannt, eine davon war Gesche Joost. Die sollten die Themen gesamtgesellschaftlich treiben und so eine Art neutrale Steuerungsfunktion wahrnehmen. Was ist damit geworden? Wir benötigen unbedingt eine weitgehend unabhängige Einheit, dass muss nicht unbedingt ein Ministerium sein, die sämtliche Gesellschaftsgruppen abbildet und in den digitalen Wandel einbezieht.
Wenn also die Herrschenden mit den Politikern reden ist für das Volk kein Platz.
Das beweißt doch wieder einmal, dass Deutschland eine Lobbykratie ist. Der Stimme des Volkes wird doch seit Jahren keine Beachtung mehr geschenkt. Da ist es letztlich auch kein Wunder wenn AfD, Pegida und Co trotz eher negativer Berichterstattung immer noch Zulauf haben.
Schade das die aktuelle „Regierung“ die Chance nicht nutzt aus dem Neuland (TM) ein für den Bürger nützliches Werkzeug zu machen und so Vertrauen zurück zu gewinnen.
Aber da von den Volksvertretern anscheinend die Meisten der Überzeugung sind er oder sie sei das Volk (Hauptsache ich kriege den Job wenn das mit der Politik mal nicht mehr so läuft) ist da auf Besserung wohl nicht zu hoffen.
Wenn allerdings die Hoffnung stirbt, haben Demagogen leichtes Spiel!
„‚Deutscher Geist‘: seit achtzehn Jahren eine contradictio in adjecto.“ – Friedrich Nietzsche
Dazu analog: „‚Deutsche IT‘: seit dreissig Jahren eine contradictio in adjecto.“ – Linus Torvalds
Geht doch einfach hin und macht Euch bemerkbar:
Come here to this gate! Mr. Gabriel, open this gate! Mr. Gabriel, tear down this wall!
Das wäre so, als würde man Perlen vor die Säue werfen.
Es hat schon einen Grund, warum in Orwells Farm der Tiere (Animal Farm) die Schweine die Herrscher waren.
Der korrupte Abschaum möchte halt nichts mit dem dummen Pöbel zu tun haben, stattdessen biedern sich diese Lobbyhuren an die Unternehmen.