Interview Radio Dreyeckland: Das Internet und der Rundfunk

Screenshot RDL

Einst Piratensender, heute auf UKW 102,3 MHZ: Radio Dreyeckland

Radio Dreyeckland (RDL) ist das älteste freie Radio in Deutschland, dessen Sender in Vogtsburg/Totenkopf (Freiburg) steht. Die freien sind neben den öffentlich-rechtlichen und privaten Radiosendern eine weitgehend nicht-kommerzielle Alternative zur Meinungsbildung, deren Angebote selbstverständlich auch ins Netz gewandert sind.

RDL hat seine Ursprünge in der Anti-AKW-Bewegung und ist wie andere freie Radios nicht immer konform mit der Obrigkeit und den typischen Medien-Narrativen. Es finanziert sich durch seine Hörer und durch ehrenamtliches Engagement, aber auch durch Zahlungen aufgrund des Rundfunkstaatsvertrags. Wir wollten wissen, was die Vernetzung verändert hat und reden über die Nutzung von Facebook, Youtube und anderen kommerziellen Plattformen.

(Dank an Daniel und Eric für die Hilfe bei der Transkription!)

netzpolitik.org: Als Radio Dreyeckland als freies Radio angefangen hat, da gab es noch kein Internet, und der Weg, wie Inhalte verbreitet wurden, war klar, irgendwann sogar mit „offiziellen“ Frequenzen. Wie sieht’s bei den freien Radios aus, wenn ihr die letzten zehn, fünfzehn Jahre betrachtet, wo sich das Netz als Verbreitungsweg dazugesellt hat?

Andreas Reimann: Viele Radios haben aus meiner Sicht jahrelang zwar einen Internetauftritt gepflegt, aber das war oft nicht mehr als eine Vereinsseite, also ohne redaktionelle Inhalte. Wir waren, glaube ich, eine der Ersten, die Inhalte auf der eigenen Webseite brachten. Wir wollten sie eben nicht nur über Äther verbreiten, sondern auch über das Internet und haben zum Teil unsere Inhalte sowohl bei https://www.freie-radios.net/ verfügbar gemacht als auch auf unserer Homepage.

netzpolitik.org: Ihr unterscheidet Euch ja auch bei den Lizenzen und Fragen des Urheberverwertungsrechts von anderen Radiokonzepten. Wie kam es zu der Entscheidung wie mit den Lizenzen?

Johanna Wintermantel: Als freies Radio ist es geradezu normal, dass wir unsere eigenen Inhalte unter Creative-Commons-Lizenz zur Verfügung stellen. Was sich geändert hat: Wir haben jetzt auch die Möglichkeit, durch einen bundesweit ausgehandelten GEMA-Vertrag bestimmte Inhalte sieben Tage lang anzubieten, so wie das die Öffentlich-Rechtlichen auch tun. Aber natürlich ist das etwas, was uns vorgegeben ist, dass wir ganze Sendungen mit Musik eben nur beschränkt hochladen dürfen. Unsere eigenen Beiträge stehen zur Allgemeinverfügung.

freiburg

Symbolbild System-Relevanz (Lizenz: CC BY-SA-NC 2.0, agfreiburg/flickr)

netzpolitik.org: Wo Ihr selber entscheiden könnt, gab es keine Diskussion?

Andreas Reimann: Weitergabe ist erwünscht, aber eben nur zur nicht-kommerziellen Weiternutzung. Was uns auch wichtig war: Wir wollen nicht über andere Dienste, etwa Youtube oder Soundcloud, unsere Inhalte zur Verfügung stellen.

netzpolitik.org: Warum nicht?

Andreas Reimann: Gerade wenn man sich die Nutzungsbedingungen bei Youtube anschaut, geht vieles letztendlich in die Nutzung von Youtube über. Wir wollen daher Inhalte von Radio Dreyeckland nicht bei Youtube zur Verfügung stellen. Wir können natürlich nicht verhindern, wenn das andere Leute machen.

netzpolitik.org: Verhindert Ihr das aktiv?

Johanna Wintermantel: Wir hatten schon Diskussionen darüber in der Vollversammlung, das ist aber Jahre her. Wir sind etwa einhundertfünfzig Leute, die hier rumspringen. Es gibt darunter Leute, die sind seit zwanzig Jahren hier ehrenamtlich tätig. Entsprechend gibt es nicht die Möglichkeit, das zu kontrollieren, was jeder mit seinen Beiträgen macht. Es wäre für uns aber ein Problem, wenn Inhalte im größeren Stil privatisiert werden und sich dann unserer Verwertung entziehen würden. Aber solange das nicht im größeren Stil vorkommt, ist das kein Problem.

Andreas Reimann: Wir gehen dann dagegen vor, wenn irgendeine Redaktion unter ihrem Namen als Teil der Gesamtredaktion von Radio Dreyeckland Inhalte bei Youtube oder auch Facebook zur Verfügung stellt. Das widerspricht ja unserer Lizenz und der Weitergabe als nicht-kommerzielle Inhalte. Die Nutzungsbedingungen von Youtube oder Facebook stehen dem ja entgegen.

netzpolitik.org: Ihr wollt die Geschäftsmodelle hinter diesen Plattformen nicht unterstützen, aber geht es auch um die Frage der Überwachung der Nutzer?

Johanna Wintermantel: Ich glaube, da gibt es geteilte Meinungen, wir haben darüber intensiver diskutiert, was Facebook angeht. Die Lösung ist, dass wir faktisch ein Facebook-Profil haben, aber dieses nur nutzen, um auf unsere Webseite zu leiten und nicht umgekehrt. Man kann also Facebook nicht alternativ konsultieren, erst recht verweisen wir nicht von unserer Webseite auf Facebook. Es ist so gedacht, dass Leute, die nur auf Facebook unterwegs sind, auch dort auf unsere Webseite stoßen sollen. Es gibt einfach widersprüchliche Positionen in der Gesamtredaktion, die einen sagen, wir sollten Facebook überhaupt nicht unterstützen, die anderen sagen, wir dürfen nicht so dogmatisch sein.

Andreas Reimann: Ich bin selbst etwas gespalten als Öffentlichkeitsarbeiter, weil mir natürlich klar ist, dass große Zielgruppen vor allen Dingen über Facebook ins Internet gehen. Ich sehe generell das Problem, dass das Internet vielleicht eine parallele Entwicklung durchgemacht hat wie der Rundfunk. Wenn man sich die 1920er Jahre anschaut, da gab es ja den Rundfunkspuk bzw. den Radiospuk, wo ganz viele Leute einfach gesendet haben. Ohne das jetzt allzu sehr vergleichen zu wollen, gab es aber eine ähnliche Entwicklung anfangs im Internet und eben jetzt wieder durch die Zentralisierung und die großen Netzkonzerne. Wir sind da nicht wirklich konsequent, denke ich, eigentlich müssten wir unsere eigenen Serverstrukturen betreiben. Wir sehen uns als freies Radio als Alternative zu den großen Radiostationen, entsprechend sollten wir im Internet nicht unsere Inhalte bei den großenen „Stationen“, also bei Youtube oder anderen Monopolisten posten und zur Verfügung stellen, sondern auch eine Alternative anbieten, wo wir sowohl bei den Formaten als auch bei den Servern eigenständig entscheiden können.

tweet rdl

Johanna Wintermantel: Wobei man sagen muss, dass wir beispielsweise Twitter nutzen.

netzpolitik.org: Würdet Ihr sagen, dass sich für alternative Redaktionen, wie ihr eine repräsentiert, mit dem Netz eher etwas verbessert hat, oder glaubt ihr, dass es zu einer Marginalisierung beiträgt, also insgesamt weniger alternative Meinungen gehört und auch alternative Themen angeboten werden? Wie seht Ihr den Trend in den letzten zehn Jahren?

Johanna Wintermantel: Eine Meldung, die sich über das Radio verbreitet, hat nicht mehr die gleiche Exklusivität, wenn sie sich auch über das Internet verbreiten kann. Ich habe den Eindruck, dass diese Rolle des Mediums, gerade auch als Medium für politische Bewegungen, um Positionen von politischen Initiativen zu verbreiten, ihnen eine Stimme zu geben, an Bedeutung verloren hat. Jeder kann sich ein Blog einrichten oder auf Indymedia posten.

Andreas Reimann: Ich beobachte natürlich, dass Beiträge, die über Twitter retweetet werden und auch über andere Webseiten geteilt werden, höhere Nutzungszahlen haben. Da sehe ich den Vorteil, dass das Netz eine beschleunigende Funktion für Nachrichten mit Brisanz hat. In den 1990ern hatte das Radio einen exklusiveren Stellenwert, etwa wenn am Ende der Infostunde die Demoankündigungen liefen, was man heute natürlich auf jeder alternativen Webseite findet. Damals gab es eben nur Radio Dreyeckland, und die Polizei stand zwei Häuser weiter und hat mitgehört, um genau diese Information auch zu bekommen. Wir haben Ende der 1990er Jahre die Erfahrung gemacht, dass sich in der Szene ein Generationswechsel ereignet hat. Junge Leute sind in die Szene reingekommen, die ohne Radio aufgewachsen sind und dann direkt den Schritt ins Internet gemacht haben. Es hat seine Zeit gebraucht, bis sie verstanden haben, dass es auch das Radio gibt und dass es wieder zusammengewachsen ist und nicht mehr nebeneinander her lief.

netzpolitik.org: Wie habt Ihr das Snowden-Thema aufgegriffen? Wie wichtig war Euch diese Thematik und generell die technisierte Überwachung?

Johanna Wintermantel: Ich hab persönlich so gut wie nichts dazu gemacht, wir haben das aber umfänglich in der aktuellen Redaktion aufgegriffen, teilweise auch parlamentsbezogen, würde ich sagen.

netzpolitik.org: Ich frage das deshalb, weil ihr aus einer Protestbewegung heraus entstanden seid. Letztendlich war die Anti-AKW-Bewegung eine erfolgreiche Bewegung, eine von unten, die bis oben in die Politikspitze eine Veränderung bewirkt hat. Nun könnte man sich wünschen, dass es in Fragen der technisierten Überwachung auch zu einer Bewegung kommt.

Johanna Wintermantel: Es ist ein Thema, was wir ausführlich behandelt haben. Es ist aber auch ein Thema, bei dem eine gewisse Machtlosigkeit hervortritt.

netzpolitik.org: Danke für Eure Zeit und das Gespräch!


Radio Dreyeckland hat rund um das Thema Snowden mehr als 230 Beiträge veröffentlicht. Laufende Entwicklungen wurden jeweils mit Nachrichten abgedeckt, außerdem viele Interviews geführt. Wir haben das Gespräch zwar vor dem Entstehen der „Range-Landesverrat-Quantensingularität“ aufgezeichnet, aber das Thema Pressefreiheit in Deutschland und Europa ist für RDL natürlich auch kein neues. Auch über die Ermittlungen gegen uns ist berichtet worden (mp3).

Johanna Wintermantel ist Soziologin und arbeitet als freie Journalistin u. a. zu den Themen Flüchtlingspolitik, Roma-Minderheiten, NS-Kriegsverbrechen, Basisdemokratie, soziale Bewegungen in Italien und Griechenland. Bei Radio Dreyeckland Freiburg koordiniert sie die Aktuelle Redaktion.

Andreas Reimann, geb. 1968, stieg 1991 in die politische Inforedaktion bei Radio Dreyeckland ein, arbeitete seit Ende der 1990er Jahre auch bei der Aus- und Fortbildung in Workshops für Radiomachende mit. Seit 2007 ist sein Schwerpunkt Öffentlichkeitsarbeit.

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6 Ergänzungen

  1. Ich stehe ja in Kontakt mit den beiden, wir könnten noch Fragen nachreichen. Ich schreib mal ne Mail.

  2. „Die freien sind neben den öffentlich-rechtlichen und privaten Radiosendern eine weitgehend nicht-kommerzielle Alternative zur Meinungsbildung“
    „weitgehend“nichtkommerziell…aber sicherlich ist das öffentlich rechtliche keine alternative
    da ihr euch weigert,russia today interviews zu geben.
    dem einzigen sender im frei empfangbaren fernsehen,sich traut,die kriminellen machenschaften der usa und deren fassallen aufzudecken.

    netzpolitik.org hat durch die anklage gegen deren journalisten,den ritterschlag erhalten.
    schwimmt somit angeblich etwas gegen die neoliberalen suppe des mainstreams.

    mir stellt sich die frage,ob uns da die regierung nicht ein perfektes trojanisches pferd verpasst hat.

  3. Markus Beckedahl sollte sich als Mitglied des Medienrats der Medienanstalt Berlin-Brandenburg für ein Freies Radio in Berlin einsetzen. Seit über 25 Jahren kämpfen (Pi Radio seit 20 Jahren) verschiedene Initiativen für ein Freies Radio mit Vollfrequenz in Berlin. Bis heute sind im Medienstaatsvertrag von Berlin-Brandenburg (der Medienstaatsvertrag ist ein Überbleibsel der gescheiterten Länderfusion von Berlin und Brandenburg) keine sogenannten Nichtkommerziellen Lokalradios vorgesehen. Deshalb: Freies Radio in Berlin und Brandenburg benötigt einen angemessenen Zugang zum Rundfunk und eine Grundfinanzierung.
    Das Mediengesetz Berlin-Brandenburgs sieht für die Förderung Freier Radios bislang keine Regelung vor. Deshalb sind die Landesregierungen Berlins und Brandenburgs aufgefordert, den Medienstaatsvertrag anzupassen, damit nichtkommerzielles Lokalradio (NKL) medienrechtlich anerkannt und gefördert wird.
    http://medienstaatsvertrag.org/
    http://piradio.de/

  4. Wenn ich die Wahl habe, mich über kontroverse Sachen (wie Demotermine) per Radio oder per Internet zu informieren, bevorzuge ich immer Radio. Beim Internet wird bekanntlich flächendeckend mitgeschrieben, wer sich wann für was interessiert hat; sowas zu meiden, ist für mich schon eine Frage des Prinzips. Solange man es noch kann – das deutsch- und englischsprachige Angebot auf weittragenden Frequenzbändern wird ja seit Jahren immer weiter ausgedünnt, und den gedankenlosen Käufern in Elektronikmärkten so genannte Internetradios hingestellt. Die Rundfunkleute sollten endlich mal mit dem angebrachten Selbstbewusstsein das besondere Merkmal ihres Mediums herausstellen, dass es völlige Anonymität auf Empfänferseite garantiert!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.