Neue Informationen zur Überwachung von Angela Merkel: Über 300 Berichte lagen vor

18-1_2te-welle_weil_jeder_zaehlt_0Die Ausspähung von Kanzlerin Angela Merkel hörte nicht bei ihrem Handy auf, das zeigen neue NSA-Enthüllungen. Im Oktober war bekannt geworden war, dass Angela Merkels Telefon in der Vergangenheit das Interesse der NSA auf sich gezogen hat und später auch, dass auch andere deutsche Politiker nicht von einer solchen Überwachung ausgenommen waren. US-Präsident Obama wurde damals nicht müde zu beteuern, dass er nichts von solcherlei Aktionen gewusst und während seiner Amtszeit seit Januar 2009 auch nichts dergleichen autorisiert habe.

Andere Quellen behaupteten damals, Obama sei sehr wohl über den Lauschangriff auf die Kanzlerin im Bilde gewesen. Bild am Sonntag berief sich dazu auf Informationen „aus US-Geheimdienstkreisen“, die behauptet haben sollen, Obama sei 2010 von Ex-NSA-Direktor Keith Alexander persönlich informiert worden und habe die Aktion auch für die Zukunft gebilligt. Es sei sogar noch weiter gegangen und habe ein Dossier über Angela Merkel angefordert, um sie besser einschätzen zu können. Aber auch diese Behauptung wurde dementiert.

Vom Spiegel neu enthüllte Dokumente aus dem Bestand der von Snowden an die Medien übergebenen Geheiminformationen zeigen ein bisschen besser, wie umfangreich die Datensammlung über Merkel ist, die von der NSA angelegt wurde.

merkellist

Eine Präsentationsfolie zeigt den Namen Merkels in einer alphabetisch geordneten Liste mit 122 Staatsvorstehern, die zumindest 2009 unter Beobachtung der NSA standen. Die Liste manifestiert nicht nur den Fakt, dass die Kanzlerin überwacht wurde, sondern zeigt auch, dass es über 300 Verweise auf die Kanzlerin in den Datenbanken der NSA gab. Diese Anzahl wurde durch ein Programm namens „Nymrod“ ermittelt, das laut The Intercept Datenbanken wie das Metadatenverzeichnis „Marina“ und vollständige Transkripte von Faxen, Telefongesprächen und Computerkommunikation scanne. Man kann also davon ausgehen, dass mehr als Merkels Handy zu den Spähzielen der Kommunikationsüberwachung gehörte.

Die Anzahl der Einträge legt auch nahe, dass die NSA praktisch die Staatschefs aller für Amerika politisch und wirtschaftlich relevanten Staaten der Welt im Visier hatte – von den „Five Eyes“-Geheimdienstpartnern abgesehen. Weitere zu den Enthüllungen gehörende aber nicht veröffentlichte Dokumente sollen laut The Intercept auch belegen, dass es im März 2013 eine gerichtliche Anordnung zur Überwachung Deutschlands gegeben habe.

Es verdichten sich die Beweise für eine systematische Überwachung Deutschlands durch den amerikanischen Geheimdienst bis zum Zwingenden. Das dürfte einem geplanten Strafverfahren gegen die Überwachungsinstitution Vorschub leisten. Im letzten Jahr hatte Generalbundesanwalt Harald Range sich demgegenüber noch skeptisch geäußert, nicht zuletzt mit der Absicht, die deutsch-amerikanische Beziehung nicht zu schädigen. Im Februar hat seine Einstellung begonnen, sich zu wenden und er kündigte an, eventuell doch ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und den Verdacht einer vorliegenden Straftat zu prüfen. Das hat er in einem Interview mit der taz im März nochmals bestätigt, seine Zurückhaltung war jedoch weiterhin auffallend:

Derzeit prüfe ich, ob überhaupt ein Anfangsverdacht für eine verfolgbare Straftat vorliegt. Nur wenn ich das bejahe, komme ich zu der Frage, ob überwiegende öffentliche Interessen einem Ermittlungsverfahren entgegenstehen – was bei Spionagedelikten zu prüfen ist.

Mit den neuen Enthüllungen sollte solch ein Anfangsverdacht nun eigentlich hinreichend bestätigt sein. Und man darf davon ausgehen, dass es nicht die letzten Bestätigungen dieser Art bleiben dürften.

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7 Ergänzungen

  1. Ich frage mich ja, warum nicht die ganze Liste veröffenlticht wurde. Ich würde gerne die Zahl von >300 mit denen von anderen relevanten und mächtigen Staatsoberhäuptern vergleichen.

    1. Genau das gleiche dachte ich auch gerade. Ich wüsste zu gerne wer noch alles ähnlich interessant oder interessanter war/ist.

  2. These: Wenn man die Liste veröffentlicht, denken sich die, die nicht drauf sind: Uff… Schwein gehabt. Veröffentlicht man nur einen Auszug, sind viel mehr Leute betroffen – potentiell. Psychologisch viel wirksamer, weil es einen gegen die eigene Überwachung aufbringt und wahrscheinlich sogar näher an der Realität dran ist. Weil einfach alles mitgeschnippelt wird, bis die Datenrekorder glühen.

  3. Der größte Knaller wäre eigentlich, wenn man an die Inhalte der 300 Berichte über unsere Kanzlerin kommen würde.
    Wenn schon die Aussage „Frau Kanzlerin, ihr Handy wurde abgehört“ eine Reaktion provoziert, was wird wohl passieren, wenn man aus dem Nähkästchen unserer Kanzlerin plaudern würde.

    Ich meine, ich will die Details gar nicht wissen, nur wäre es psychologisch wichtig anhand einer Autoritätsperson aufzuzeigen, was für einen tiefgehenden Schaden diese Überwachung anrichtet.

    1. Guter Punkt. Zum Zeitpunkt wie das die Überwachung rausgekommen ist hatte ich mir 2 Dinge gedacht.

      1) Tolle Reaktion Frau Merkel, die Bürger sind wurscht aber wenn es um Ihr Handy geht ist Schluss mit Lustig, da steckt wohl noch ein wenig DDR im Blut oder wie …

      2) Mmm was wissen die USA jetzt über die Kanzlerin und wie schlimm könnte das sein? Erpesbar, steuerbar? Welche Auswirkungen hat das auf nationale wie internationale Politik von Frau Merkel? Ändert sich dies dadurch das Sie es jetzt weiß und ist jetzt sogar eher noch manipulierbar? Wird sie dadurch paranoid wie die Leute die keine Kameras überall in den Städten wollen?

  4. Die Liste stellt nach ihrem Titel eine einfache Zählung von Zitaten dar. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dürfte eine solche Zählung ausschließlich in Dokumenten von Netzpolitik.org für Merkel eine ähnliche Trefferzahl liefern. Was soll eine solche Liste also belegen?

  5. So richtig schlau werde ich aus der Tabelle nicht. Zitat Spiegel: „The citations in „Nymrod“ are derived from intelligence agencies, transcripts of intercepted fax, voice and computer-to-computer communication.“ Wenn das einzelne Rohquellen wie Transkripte sind und diese Suche den Informationspool der NSA voll abschöpft, wäre das eher wenig, für eine fortgesetzte Überwachung der Kommunikation von Angela Merkel. Zumal sie ja auch in Kommunikation erwähnt werden könnte, die überhaupt nicht ihre eigene ist. Wenn das dagegen Berichte wären (wie die Schlagzeile „NSA speicherte mehr als 300 Berichte über Merkel“ nahelegt) scheint das schon plausibler.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.