Stefan Heumann von der stiftung neue verantwortung und Thorsten Wetzling vom Brandenburgischen Institut für Gesellschaft und Sicherheit (BIGS) haben eine Studie vorgestellt, die sich mit den Problemen der Kontrolle des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND beschäftigt. Die Studie zeigt auf, wie unzureichend die Mittel und die tatsächlichen Schritte sind, den BND bei der strategischen Auslandsüberwachung zu kontrollieren. Die Tätigkeiten des BND entziehen sich zu großen Teilen der parlamentarischen Kontrolle, es gibt kaum Möglichkeiten, die Überwachung von elektronischem Datenverkehr einzuschränken – kein Wunder, denn das G10-Gesetz, das die Befugnisse zu Eingriffen in Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis regeln soll, stammt von 1968 und auch nachträgliche Ergänzungen und Änderungen können den aktuellen technologischen Entwicklungen nicht gerecht werden.
Diese Erkenntnis entspricht in etwa dem, was man auch intuitiv vermuten würde und was schon aus einer vorherigen vergleichenden Studie zu erahnen war, die Heumann mit Ben Scott von der New America Foundation zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der Geheimdienstarbeit in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Deutschland durchgeführt hatte. Heumann äußerte uns gegenüber jedoch, dass man bei der Durchführung der aktuellen Studie vom Ausmaß des Problems überrascht worden sei, gerade auch darüber, dass es im Gegensatz zur Debatte um die NSA nur wenig Diskussion um den BND gibt:
Vielleicht waren wir zu Beginn einfach zu naiv. Ich bin mit der These an das Thema herangetreten, dass in Deutschland sicherlich alles viel klarer geregelt und kontrolliert wird als in den Vereinigten Staaten. Je mehr ich über das Thema gelernt habe, desto klarer wurde mir, dass wir auch in Deutschland ein großes Problem haben. Wir haben hier nicht den großen Skandal aufgedeckt. Aber ich finde es auch schon skandalös, dass wir immer noch keine richtige Debatte darüber führen, wie wir die Praktiken unseren eigenen Nachrichtendienste mit unserem Grundgesetz vereinbaren. Der Vorwurf, dass diese außerhalb der Verfassung agieren, steht nun ja nicht erst seit den Rechtsgutachten für den NSA-Untersuchungsausschuss im Raum
Die Ursachen für eine ausbleibende Diskussion sind sicherlich auch in den mangelnden Informationen begründet, denn was genau der BND tut und in welchem Ausmaß, das weiß niemand. Nicht einmal das Parlamentarische Kontrollgremium, das laut G10-Gesetz neben der G10-Kommission mit dessen Aufsicht betraut ist. Die jährlichen Berichte sind kurz gehalten, kommen verspätet und bestehen zu weiten Teilen aus immer wieder kopierten Standardformulierungen. Erst durch Dokumente aus dem Snowden-Fundus bekanntgewordene Dimensionen wie die 500 Millionen Verbindungsdaten, die der Bundesnachrichtendienst im Dezember 2012 gesammelt und zum Großteil an die NSA weitergeleitet hat, kann man einen kleinen Teil dessen erahnen, was hinter den Kulissen zum Beispiel am wichtigsten deutschen Internetknoten De-Cix von den Überwachungseinrichtungen gesammelt wird.
Über die amerikanischen Geheimdienste weiß man paradoxerweise mittlerweile mehr als über die eigenen, denn in Deutschland gab es bisher keine Whistleblower wie Edward Snowden, William Binney oder Thomas Drake. Unter solchen Bedingungen war es auch schwierig, überhaupt an Erkenntnisse für die Studie zur strategischen Auslandsüberwachung zu gelangen. Heumann bestätigt das, aber man habe das Glück gehabt, mit einigen Mitgliedern der Kontrollgremien sprechen zu können, deren Einschätzungen man jedoch nicht öffentlich zitieren dürfe.
Die Autoren wollen mit ihrer Untersuchung nicht nur einen mahnenden Zeigefinger – sei es gegenüber NSA oder BND -erheben, sondern versuchen durch Aufklärung Veränderungen anzustoßen:
Wir erhoffen uns mit der Studie auch dazu beizutragen, dass in der Öffentlichkeit mehr über diese Fragen diskutiert wird. Schließlich geht es hier um die Funktionsfähigkeit unseres Rechtsstaats.
Wie eine Veränderung hin zu besserer Geheimdienstkontrolle konkret aussehen kann, lässt sich schwer in eine einfache Pauschallösung fassen. Wetzling betrachtet einen Kriterienkatalog für die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste als zentralen Ansatzpunkt, denn „nur das, was man auch messen kann, kann man nachhaltig reformieren.“ Bestandteile dessen müssten Heumann zufolge präzisiere Angaben darüber sein, „welche Unterlagen Dienste für Überwachungsmaßnahmen vorzulegen haben und wie und nach welchen Standards diese von den Kontrollgremien zu prüfen sind. […] Die Kontrolleure müssen aus ihrer passiven Rolle heraus und den Nachrichtendiensten Vorgaben machen. Leider läuft es zurzeit genau andersherum.“ Einen wichtigen potentiellen Impulsgeber sieht er im NSA-Untersuchungsausschuss:
Ich verknüpfe nach wie vor mit dem Ausschuss die Hoffnung, dass von dort wirkliche Reformimpulse und substantielle Gesetzesformen ausgehen. Das wird aber nur passieren, wenn die Öffentlichkeit dies auch von den Mitgliedern des Ausschusses einfordert und sich nicht von politischen Scheindebatten ablenken lässt.
Eine zentrale Schlussfolgerung aus der Studie ist auch, dass deutsche Dienste sich nicht „besser“ verhalten als ihre US-amerikanischen Pendants, wenn es um die Achtung der Grundrechte von Nicht-Deutschen im Ausland geht. Diese Kritik gegen die Praxis des BND bei der Auslandsaufklärung teilen auch andere. Bei der letzten Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses kritisierten Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem, Prof. Dr. Matthias Bäcker, LL.M. und Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier, allesamt renommierte Sachverständige, das diesbezügliche Vorgehen des BND als verfassungswidrig. Sie appellierten wiederholt und eindringlich dafür, dass der deutsche Staat die Grundrechte jeglicher Menschen gleichermaßen wahren muss, seien sie deutsche Staatsbürger oder nicht, unabhängig davon ob sie sich auf deutschem Boden aufhalten oder im Ausland. Denn sonst verhalte man sich keinen Deut anders als die US-Regierung und deren Geheimdienste und könne auch kaum glaubwürdig Kritik üben.
Das findet auch Niko Härting. Der Berliner Anwalt hatte im Februar 2013 beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen den Bundesnachrichtendienst eingelegt. Anlass war der Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums aus dem Jahr 2010, aus dem hervorging, dass der BND 2010 37 Millionen E-Mails nach terroristischen Inhalten gefiltert hatte, teilweise mit so indifferenzierten Suchworten wie „Bombe“ oder „Atom“. Nur 12 (sic!) E-Mails hatten sich bei nachträglicher Auswertung als tatsächlich relevant herausgestellt.
Härtings Beschwerde stammt noch aus einer Zeit vor den Enthüllungen durch Edward Snowden. Damals war das Bewusstsein gegenüber dem BND-„Überwachungsstaubsauger“ noch nicht so verbreitet wie heute. Aber er habe sich bereits nach der Veröffentlichung des PKG-Berichtes 2012 gewundert, dass noch niemand anderes geklagt hat, weshalb er das schließlich selbst in die Hand genommen habe. Härting erklärte uns gegenüber, dass sich seitdem die Sensibilität für die gesamte Überwachungsthematik erhöht habe:
Damals fand man noch weiträumig blindes Vertrauen und sehr milde Äußerungen gegenüber dem BND. Selbst gestandene Datenschützer wie Thilo Weichert haben beschwichtigt, man könne ja nicht 37 Millionen richterliche Beschlüsse einholen.
Morgen wird der Fall Härtings vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt. Viele werden den Verlauf gespannt beobachten. Stefan Heumann knüpft große Hoffnungen an den Ausgang:
Ich halte es sogar für möglich, dass angesichts der Rechtsgutachten vor dem NSA-Untersuchungsausschuss, das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu dem Schluss kommt, dass zumindest Teile des G-10 Gesetzes in seiner jetzigen Form nicht mit der Verfassung vereinbar sein könnten. In diesem Fall müsste das Verfahren dann vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ausgetragen werden. Das wäre insofern begrüßenswert, weil dann wirklich niemand mehr die verfassungsrechtlichen Fragen in Bezug auf die Überwachungspraktiken deutscher Dienste ignorieren kann.
Das wäre ein riesiger Schritt vorwärts. Wir wünschen daher viel Glück und hoffen, dass sich mit der aktuellen kritischen Aufmerksamkeit, die sich nicht mehr nur gegen NSA und GCHQ, sondern auch gegen die heimischen Nachrichtendienste richtet, wirklich etwas ändern kann und das Zeichen, dass Härting gegen die ungezügelte Überwachung setzen will, ankommt.
Jetzt haben wir also eine Studie und renommierte Sachverständige, die allesamt betätigen, daß sich auch der deutsche Geheimdienst aller Wahrscheinlichkeit nach so grund- und bürgerrechtsgesetz- und freiheitsfeindlich verhalten wie… nun ja, alle anderen Geheimdienste auch.
Das Ganze verbunden mit dem Appell nach mehr Kontrolle dieser Institutionen.
Erregungsfaktor in der Öffentlichkeit: nahezu Null.
Erregungsfaktor in der Politik: Null.
Was hat sich substantiell seit Snowden – immerhin ein Jahr dauert der Wahnsinn nun schon – geändert?
niemand hat die absicht, einen überwachungsstaat zu errichten.
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