Das NSA-Deutschlanddossier des SPIEGEL: Ich geb dir, was du nicht sammeln darfst

Am Sonntag berichteten wir, dass der SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgabe im großen Stil den NSA-Überwachungsskandal thematisiert, die Beziehungen und Verflechtungen mit dem BND beleuchtet und der Bundesregierung Untätigkeit vorwirft.

Inspiriert von der Unfähigkeit der Bundesregierung, Antworten oder zumindest ein Deutschlanddossier von den Amerikanern zu bekommen, arbeitete sich die SPIEGEL-Redaktion selbst noch einmal durch die Deutschland betreffenden Dokumente von Edward Snowden. Als Deutschlanddossier sollen sind die um Namen bereinigten Dokumente noch diese Woche auf SPIEGEL online zum Download verfügbar gemacht werden. jetzt auf SPIEGEL online downloadbar.

Aus den Akten gehen noch einmal neue Informationen über die Ausmaße der NSA-Überwachung auf deutschem Boden hervor, sowie die enge und in die 60er Jahre zurückreichende und potenziell verfassungswidrige Zusammenarbeit mit dem BND.

Die NSA auf deutschem Boden

Nach dem zweiten Weltkrieg schufen die USA eine breite Überwachungsinfrastruktur in Deutschland. Von welchen Stellen aus Telekommunikation angezapft wird, geht aus den Sigad-Listen in den Dokumenten hervor. Sigad steht für Signal Intelligence Activity Designator, und über ein Dutzend dieser Stellen in Deutschland sind jedenfalls nicht nachweislich deaktiviert und lassen sich prominenten NSA-Standorten wie Frankfurt, Berlin, Bad Aibling und Stuttgart zuordnen.

Der Dagger-Komplex in Griesheim bei Darmstadt ist ebenfalls ein Zentrum der Informationsbeschaffung und Analyse, die Geheimdienstler sind hier für alles zuständig, was man mit den Daten so machen kann. Überwacht werden neben ausländischen Zielen auch Ziele in Europa – Terroristen könnten ja durchreisen. Das rechtfertigt offenbar massenhafte Eingriffe in die Grundrechte aller, ob außereuropäischer, europäischer oder deutscher Bürger. Die Analysesoftware Xkeyscore kann zudem nicht nur Metadaten auswerten, sondern konkrete Informationsinhalte, komplexe Lebensgewohnheiten („patterns of life“) analysieren. Und das nach Meinung der Amerikaner ganz legal, denn:

Im Ausland definiert die NSA es noch nicht als Überwachung, wenn etwa E-Mails durchsucht und zeitweilig gespeichert werden. Erst wenn diese Daten dauerhaft in den Bestand des Geheimdienstes überführt werden, gilt dies als tiefer Eingriff in die Privatsphäre. Insofern ist es aus US-Sicht kein Widerspruch, wenn Obama versichert, die Bevölkerung werde nicht ausgespäht – und die NSA dennoch den Mail-Verkehr überwacht.

Der SPIEGEL beleuchtet auch den NSA-CIA-Hybrid „Special Collection Service“ in Frankfurt, von wo aus die Überwachung von Merkels Handy koordiniert wurde. Sie stand in der Nymrod-Datenbank, die Listen über Staats- und Regierungschefs als Überwachungsziele führt, Merkel kam 2009 auf über 300 Einträge.

Die Ringtauschproblematik: Ich geb dir, was du nicht sammeln darfst…

Die enge Verflechtung des BND mit der NSA wird über die Dokumente noch weiter verdeutlicht:

So heißt es etwa in einem streng geheimen NSA-Papier vom Januar 2013: „Die NSA etablierte 1962 eine Beziehung mit ihrem Sigint-Partner BND, die umfassenden analytischen, operativen und technischen Austausch einschließt.“

Laut SPIEGEL-Bericht wurden beispielsweise in Deutschland gewonnene Daten für die Tötung von Verdächtigen in Afrika benutzt.

Noch bedenklicher wird die Sache mit Blick auf die Möglichkeit eines sogenannten Ringtausches von Daten. Die Überwachung von Kommunikation im Inland, vom Inland oder ins Inland durch den BND ist vom Gesetz streng geregelt und unterliegt der Aufsicht der G-10 Kommission. In der gestrigen SZ-Ausgabe (16. Juni) äußert sich Bertold Huber, Mitglied der G-10-Kommussion, in einem Interview zu dieser Frage:

SZ: Der BND tauscht auch mit ausländischen Geheimdiensten Informationen aus, etwa mit der NSA. Könnte der Dienst auf diesem Weg auch an Informationen, zum Beispiel über Deutsche gelangen, die er wegen des im Grundgesetz verankerten Fernmeldegeheimnisses gar nicht erheben dürfte?
Bertold Huber: Es besteht ganz klar die Gefahr, dass der grundgesetzlich verankerte Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses auf diese Weise unterwandert werden kann. Ich muss bekennen, dass wir als G-10-Kommission bislang zu wenig Augenmerk auf dieses Problem gerichtet haben. Wir müssen mehr darauf achten, woher der BND seine Informationen bekommt.

Wie passend, seine Antwort auf die Eingangsfrage dieses Interviews:

SZ: Herr Huber, was unterscheidet den
BND eigentlich noch von der NSA?
Bertold Huber: Wenig.

Wie es scheint, spionieren über 200 NSA-Mitarbeiter völlig offiziell in Deutschland. Diese sind hier als Diplomaten angemeldet. Laut SPIEGEL-Informationen existiert seit 2002 ein Memorandum of Agreement zwischen NSA und BND (nicht aus dem Snowden-Fundus und bezieht sich auch nur auf Bad Aibling):

Grundsätzlich verpflichten sich die Partner, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis zu achten, also keine Deutschen und keine Amerikaner von Bad Aibling aus auszuforschen. Im Falle „terroristischer Aktivitäten“ gilt dieser Grundsatz allerdings nur eingeschränkt. Wenn sich bei abgefangenen Signalen brisanten Inhalts im Nachhinein herausstellt, dass sie von einem Deutschen stammen, können sie trotzdem verwendet werden – wenn der Partner informiert wird und zustimmt. Das Gleiche gilt, wenn sich die „Endpunkte“ der belauschten Kommunikation im jeweils anderen Land befinden.

Mangelnde Aufklärung

Das SPIEGEL-Dossier prangert die angebliche Ahnungslosigkeit der Bundesregierung an, immerhin unterliegt der BND der Fachaufsicht des Bundeskanzleramt und gehört somit zur Exekutive. Mindestens dessen Kooperation mit der NSA sollte seinen Dienstherren schon bewusst sein. Sogar der Staatssicherheit der DDR war klar, dass Geheimdienste ihre Ohren in alle Richtungen öffnen. Die damals angelegten Akten über die NSA ließen sich die USA allerdings mittlerweile ausliefern oder sie sind nicht mehr zugänglich.

Dem Artikel ist ein Interview mit dem ehemaligem Stasi-Offizier Klaus Eichner beigefügt, der ein Buch darüber geschrieben hat, was die Aufklärung der DDR bereits alles über die NSA wusste. Auf die Frage, ob US-Geheimdienste für Bundespolitiker überhaupt als Gegenstand der eigenen Spionageabwehr in Betracht kamen, sagt dieser:

Eichner: Nein, genau das ist das Problem. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte und hat bei der Spionageabwehr keine Referate, die in Richtung Westen arbeiten. Die zuständigen Politiker und die Verfassungsschützer wussten, dass die US-Dienste auch gegen die Bundesrepublik arbeiten. Aber sie werteten es nicht als feindlichen Akt.

Und jetzt, da die Überwachung öffentlich bekannt ist? Wie sieht es jetzt mit der Spionageabwehr aus? Der SPIEGEL schreibt:

Maaßen wird spätestens vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss beantworten müssen, was er über die US-Spione mittlerweile weiß – und wie er seinem gesetzlichen Auftrag, Spionage zu verhindern, nachzukommen gedenkt. Der Verfassungsschutz behauptet, es sei unklar, ob die Bundeskanzlerin aus der Botschaft in Berlin oder der Zentrale in Maryland überwacht wurde, und deshalb sei fraglich, ob dies überhaupt ein Fall für die deutsche Spionageabwehr sei. Seltsam: Der deutsche Inlandsgeheimdienst ist selbstverständlich für jeden Spionageangriff gegen die Bundesrepublik zuständig, unabhängig vom Dienstsitz der Angreifer. Cyber-Attacken aus China betrachtet der Verfassungsschutz auch dann als Spionage, wenn die Urheber in Shanghai sitzen.

Die neuen Enthüllungen haben auch Einfluss auf die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses. Dieser will laut einer Meldung die Informationen schneller prüfen. Schade nur, dass dem Vorsitzenden Sensburg offenbar noch immer Originaldokumente fehlen:

Über die aktuellen Berichte des SPIEGEL äußerte sich Sensburg zurückhaltend. „Die Arbeit der deutschen Geheim- und Nachrichtendienste ist in unserem Auftrag vollumfänglich enthalten. Daran halten wir fest“, so Sensburg. „Als Jurist sage ich: Man muss alle Details sorgsam prüfen, bevor man sich zu voreiligen Schlüssen hinreißen lässt. Ohne Originaldokumente ist das natürlich schwer“.

Laut dem Artikel haben sie jetzt doch ein paar Aktenordner erhalten, die sie lesen müssen. Und wenn sie sich unterinformiert fühlen, haben sie im Übrigen immer die Möglichkeit, die Berichtspflicht der Bundesregierung einzuklagen, wie ihnen Hans-Jürgen Papier in der Anhörung im Mai empfahl.

Angesichts der Enthüllungen fordert der Digitale Gesellschaft e.V. endlich Transparenz, Offenlegung der Geheimdienstaktivitäten und grundlegende Aufklärung des Überwachungsskandals. Genauso wie die SPIEGEL-Redaktion in ihrem Leitartikel. Genauso wie wir.

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