„Soldaten und Beamte und ihr Traum“? Zeitung leakt geheime Dokumente aus dem Euro Hawk-Untersuchungsausschuss

Text_2012_06_19_EuroHawk_Flight_TestingDie ZEIT ist im Besitz von Ordnern im Umfang 80 Gigabyte, die den im Bundestag vertretenen Parteien für den Untersuchungsausschuss zur Spionagedrohne Euro Hawk überlassen wurden. Viele der Dokumente wollen Philip Faigle, Carsten Luther, Yassin Musharbash, Karsten Polke-Majewski und Kai Biermann online stellen, eine erste Sammlung findet sich bereits bei documentcloud.org und kann dort kommentiert werden. An der Auswertung ist auch der Militärjournalist Thomas Wiegold beteiligt, der in seinem Bundeswehr-Blog hin und wieder über den Euro Hawk berichtet.

Wer die Dokumente an die Journalisten weitergab, wird nicht verraten. Vorsorglich macht die Zeitung darauf aufmerksam, dass diese lediglich mit der niedrigsten deutschen Geheimhaltungsstufe versehen sind („VS – Nur für den Dienstgebrauch“). Dennoch dürfte die Bundestagsverwaltung wenig erfreut über die Veröffentlichung sein. Namen sind von der ZEIT allerdings geschwärzt worden, bestimmte Vorgänge lassen sich so also nicht nachvollziehen. Weitere, als „Geheim“ eingestufte Dokumente sind in der Geheimschutzstelle des Bundestags hinterlegt. Zugang haben nur Abgeordnete oder MitarbeiterInnen, sofern sie einer besonderen Sicherheitsüberprüfung zustimmen.

Laut ZEIT Online haben die Journalisten mehr als zwei Wochen lang in den 372 Aktenordnern gelesen. Weil die Akten als teilweise schlecht durchsuchbare PDF vorliegen, hätten sie jeden Ordner in „Handarbeit“ einzeln durchgeschaut. Diese Arbeit hatten sich zuvor auch die Bundestagsfraktionen machen müssen, bevor sie im Ausschuss hochrangige VertreterInnen des Verteidigungsministeriums, der Bundeswehr oder des Bundesrechnungshofs vernahmen. Auch die Vorstände der am Euro Hawk beteiligten Firmen Northrop Grumman und EADS wurden vorgeladen.

Persilschein für alle Beteiligten

Ein erster Artikel bei ZEIT Online erschien heute, am Donnerstag und Freitag sollen weitere Teile folgen. Auf eine kritische politische Bewertung braucht jedoch niemand gespannt zu sein, denn die Aufrüstung mit Drohnen wird nicht grundsätzlich hinterfragt:

Was jetzt aus Jagel [dem zukünftigen Standort für Kampf- und Spioangedrohnen der Bundeswehr] wird, darauf hat im Verteidigungsministerium noch keiner eine Antwort. Nachgedacht wird schon über eine Alternativdrohne, und es fällt der Name Predator – auch ein US-Modell. Das aber kann nun nicht ernsthaft die Lehre aus der Luftnummer sein. Die Bundesregierung sollte jetzt vielmehr tun, was sie von Anfang hätte machen sollen: ihre Drohnen in Europa kaufen.

Gewollt oder ungewollt beteiligt sich die ZEIT damit am Lobbyismus von EADS, der im Untersuchungsausschuss deutlich wurde: Seit über einem Jahr versucht der teilweise im Besitz der Bundesregierung befindliche Rüstungskonzern, Kapital aus dem drohenden Scheitern des Euro Hawk zu schlagen. Zur Zusammenarbeit hatten EADS und Northrop Grumman ursprünglich die Euro Hawk GmbH gegründet. Das Verhältnis der Firmen gilt aber seit längerem als zerrüttet.

Der deutsche Rüstungskonzern vermochte es unter bislang ungeklärten Umständen, bereits letztes Jahr in einer Studie zu Alternativen zum Euro Hawk berücksichtigt zu werden – obwohl seine hierfür vorgeschlagene Drohne FEMALE nicht annähernd so hoch fliegt wie der Euro Hawk und nicht einmal ansatzweise entwickelt ist.

Einen politischmilitärisch-sicherheitsindustriellen Komplex bekräftigte sogar Staatssekretär Beemelmans im Ausschuss. Dessen Verstrickungen konnten bis heute nicht aufgearbeitet werden. Offen ist beispielsweise, wie es EADS gelang in der Studie der Bundeswehr berücksichtigt zu werden. Ein Militärangehöriger hatte vorher im Verteidigungsausschuss zugegeben, dass viele Bundeswehrmitarbeiter bei EADS angeheuert haben. Inwiefern sie vorher oder nach ihrem Wechsel am Euro Hawk oder der von EADS anvisierten europäischen Drohne arbeiteten, ließ sich nicht klären. Trotzdem stellt die ZEIT allen Beteiligten einen Persilschein aus:

Die umfangreichen Akten dokumentieren detailgenau, woran das Projekt Euro Hawk scheiterte – und wie es dazu kommen konnte: Sie erzählen von Soldaten und Beamten und ihrem Traum, das beste Aufklärungsgerät für die Bundeswehr zu beschaffen, das auf dem Markt zu haben ist. Um es zu bekommen, ignorieren sie sämtliche Bedenken. Jeder von ihnen arbeitet dabei nach bestem Wissen […].

Northrop Grumman: „Viele Fortschritte“ in Gesprächen mit der Bundesregierung

Ob der Traum der ZEIT-Journalisten in Erfüllung geht, vom Euro Hawk-Debakel mit einer europäischen Drohne zu profitieren, ist noch nicht ausgemacht. Mitte Mai hatte der Verteidigungsminister zwar angekündigt, auf die geplante Beschaffung von weiteren vier Euro Hawk-Drohnen zu verzichten. Angeblich würde auch der von Northrop Grumman bereits gelieferte Prototyp nicht weiter genutzt.

Das teure, aber bald nutzlose unbemannte Flugzeug absolviert derzeit vom bayerischen Manching letzte Testflüge für das von EADS gebaute Spionagesystem ISIS. Das Gerät ist für die Erfassung jeder drahtlosen Kommunikation sowie elektromagnetischer Felder optimiert. Grüne und SPD fordern, das ISIS möglichst schnell in ein anderes Luftfahrtzeug einzurüsten.

Nach längerem Schweigen hat sich Northrop Grumman heute erneut zu Wort gemeldet und berichtet über „viele Fortschritte“ in Gesprächen mit der Bundesregierung. Der Konzern hat demnach weitere Ingenieure nach Manching entsandt, um das Projekt Euro Hawk zu retten. Luftfahrtbehörden und Bundeswehr würden überdies neue Einblicke in Testverfahren erhalten.

Dabei geht es offensichtlich um die Weiternutzung des Prototyps auch ohne eine Musterzulassung. Denkbar wäre etwa eine Ausnahmegenehmigung, die immer wieder verlängert wird. Flüge im allgemeinen, auch zivil genutzten Luftraum wären dadurch aber nicht möglich.

Anscheinend ist aber die Serienbeschaffung weiterer Euro Hawk noch nicht vom Tisch. Von der Bundesregierung dürfte hierzu bis zur Wahl nichts zu hören sein. „Wir arbeiten mit den Deutschen weiter daran, eine Lösung zu finden“, wird jedoch Tom Vice, der Vorsitzende der Luftfahrtsparte von Northrop Grumman, zitiert.

Die US-Firma habe dem Verteidigungsministerium 4.000 Dokumente überlassen, um Luftfahrtbehörden mit Nachweisen zur angestrebten Zulassung zu versorgen. Ein Gutachten der ebenfalls am Euro Hawk beteiligten Firma IABG kam zu dem Schluss, dass hierfür bis zu 600 Millionen Euro Mehrkosten zu erwarten seien. Dies war der angebliche Grund zur vermeintlichen „Reißleine“ für die Beschaffung der Spionagedrohne.

Janis Pamiljans, der Vizepräsident von Northrop Grumman, behauptet nun, dass diese Mehrkosten erst aufgrund geänderter Anforderungen des Verteidigungsministeriums entstanden waren. Er selbst schätzt hierfür eine Summe von 160 bis 193 Millionen Euro.

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4 Ergänzungen

  1. Also wenn wir wirklich eine Drohne brauchen, dann sollte diese gleich in Deutschland entwickelt und gebaut werden.
    Am Besten in einer Zusammenarbeit von Siemens, T-Systems, den deutschen Geheimdiensten und, nur um ganz sicher zu gehen, von den Verantworlichen für den BER.
    Das Endresultat können wir dann in 30 Jahren bestaunen und gleich ins Museum stellen. Und die gewonnene Freiheit wäre mir das verschwendete Geld wert.

  2. Neben vielen anderen ungelösten technischen und rechtlichen Fragen sind es wohl hauptsächlich 2 Punkte, die einer regulären Zulassung ferngesteuerter unbemannter Flugzeuge im Weg stehen.

    Punkt 1: Das Flugzeug muss bei einem Problem (z.B. Satellitenabbruch) mit ausreichender Sicherheit autonom landen können. (Nicht etwa nur in der Wüste, sondern auch z.B. auf dem Frankfurter Flughafen). Damit verbunden …

    Punkt 2: Das Flugzeug muss während einer autonomen Landung mit ausreichender Sicherheit autonom Kollisionen verhindern können. (Nicht etwa nur über dem Meer, sondern auch z.B. im dichtesten Reiseflugverkehr).

    Allein an diesen zwei Punkten wird sich die Technik noch mind. 10 bis 15 Jahre die Zähne ausbeißen. Bis dahin haben wir dann vielleicht auch eigene Satelliten zur Positionsbestimmung, bisher können uns die Amis ja jederzeit über GPS unsere Drohnen untauglich machen ;D

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.