„Datenschutzrechtliche Brotkrümel“? Regierungskommission empfiehlt mehr Kontrolle für quasi-geheimdienstlich agierendes Bundeskriminalamt

GETZ_PresseinformationDie Süddeutsche Zeitung veröffentlichte heute morgen Auszüge von Ergebnissen einer Regierungskommission, die im Auftrag der Bundesregierung die sogenannten „Sicherheitsgesetze“ überprüfen sollte. Das 308 Seiten starke Papier liegt der Redaktion demnach exklusiv vor. Die Zeitung schreibt dazu, deutsche Sicherheitsbehörden sollen „wirksamer kontrolliert werden und ihre Befugnisse präziser geregelt werden“.

Zwar geht es um den Sicherheitsapparat als Ganzes (die Zeitung schreibt versehentlich auch von „Gemeindiensten“), jedoch wird vor allem auf das Bundeskriminalamt (BKA) Bezug genommen: Wie die Geheimdienste soll das Amt zukünftig unter die Aufsicht eines parlamentarischen Kontrollgremiums gestellt werden. Mehr als die Hälfte aller MitarbeiterInnen [der Abteilung Polizeilicher
Staatsschutz; s.u.] des BKA
arbeiten in Abteilungen zu „Analyse-/Auswertungs- bzw. Früherkennungsaufgaben im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität“.

Die eigens ernannte Kommission besteht aus drei vom Bundesjustizministerium und drei vom Bundesinnenministerium benannten Mitgliedern. Besonders das 2004 eingerichtete Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin-Treptow sorgte bei den Beteiligten für Kopfschütteln. Es handelt sich dabei um eine Einrichtung aller Sicherheitsbehörden in Deutschland: BKA, Bundesamt für Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Zollkriminalamt, Militärischer Abschirmdienst, 16 Landeskriminalämter und Landesämter für Verfassungsschutz, Bundespolizei, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie Generalbundesanwaltschaft.

Formal sind die polizeilichen und geheimdienstlichen Ämter räumlich voneinander getrennt. Tägliche Lagebesprechungen, die Zusammenarbeit der Fachabteilungen und eine gemeinsam genutzte Caféteria führen das in Deutschland gültige Trennungsgebot von Polizei und Diensten allerdings ad absurdum.

Eine Mehrheit der Regierungskommission sieht im GTAZ „eine Verfestigung, ein Ausmaß und eine Bedeutung“, die eigentlich ein eigenes Gesetz erfordert. Dort müssten laut der Süddeutschen Grenzen der Zusammenarbeit definiert werden. Die bisherige Zuständigkeit für alle Erscheinungsformen des „internationalen Terrorismus“ solle auf schwerste Terrorgefahren beschränkt, die behördenübergreifende Kontrolle verbessert werden. Auch die richterlichen Anordnungen, die derzeit vom Amtsgericht Wiesbaden ausgehen, werden als zu dürftig eingeschätzt. Vorgeschlagen wird, den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zu beauftragen. Für weitgehende Spähaktionen, etwa den Einsatz von Trojanern oder Lauschangriffen, sollte die Strafkammer eines Landgerichts sowie der Bundesdatenschutzbeauftragte eingeschaltet werden. Letzteres fand allerdings nicht bei allen beteiligten Zustimmung.

Die Süddeutsche schreibt nichts über das „Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum“, das als Antwort auf das Auffliegen des NSU eingerichtet wurde. Im GETZ sind wie im GTAZ alle Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder verzahnt. Wie immer schlägt die Koalition auch dort wahllos um sich: Neben dem „Linksextremismus/-terrorismus“ soll auch „Ausländerextremismus/-terrorismus“ ausgeforscht werden. Auch die EU-Polizeiagentur Europol darf im GETZ mitarbeiten, über deren genaue Aufgabenbereiche ist aber nichts bekannt.

Terrorismusbekämpfungsgesetz, Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz, Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes

Ursprünglich hatte die Innenministerkonferenz der Länder (IMK) gefordert, das GTAZ und das GETZ, das bislang keinen eigenen Standort hat, zusammenzulegen:

Das GETZ sollte unter einem Dach und deshalb an einem Standort stehen. Die mit dem GTAZ in Berlin bereits bestehende Struktur und Logistik sollte dafür genutzt und entsprechend erweitert werden. Ein phänomenübergreifendes Zentrum an einem Standort gewährleistet übergreifende Lagebilder und Bewertungen, ermöglicht Synergieeffekte insbesondere in technischen und methodischen Fragen. […] Organisatorisch ist das GETZ grundsätzlich dem GTAZ nachzubilden.

Das war dem Bundesinnenministerium aber bereits zuviel Kontrolle. Ein Umzug nach Berlin wird zwar grundsätzlich befürwortet. Doch wollen die Bundesbehörden im GTAZ unter sich bleiben:

Sowohl das GTAZ, als auch das GAR [Gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus] profitieren erheblich von der Rückkoppelung an die jeweiligen Fachabteilungen von BKA und BfV. Dieser Effekt ginge verloren, würden alle Zentren unter einem Dach an einem gemeinsamen Standort zusammengefasst.

Zu den von der Kommission jetzt monierten Gesetzen gehören auch das Terrorismusbekämpfungsgesetz von Ende 2001, das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz von 2006 und dessen Erneuerung von 2011.

Schon 2006 konnten die Polizeien und Dienste „unter wesentlich erleichterten Voraussetzungen umfängliche Auskünfte bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistern, Luftverkehrsgesellschaften, Post- und Telekommunikationsunternehmen einholen“, wie es vom Bundesdatenschutzbeauftragten (BfdI) kritisiert wird. BfV, MAD und BND hatten die Befugnis zur eigenständigen Ausschreibung von Personen und Sachen im Nationalen Polizeilichen Informationssystem (INPOL) sowie im Schengener Informationssystem (SIS).

Die neue Fassung des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes wurde vom Bundesinnenministerium zwar als mehr rechtsstaatliche Kontrolle und Grundrechtsschutz gelobt. Der BfdI sieht aber letztlich mehr Befugnisse für die Behörden und die zunehmende Gefahr der Nutzung von Persönlichkeitsprofilen:

Die Nachrichtendienste können jetzt nicht nur an Fluggesellschaften selbst herantreten, sondern die Daten bei zentralen Buchungssystemen (etwa bei Amadeus) abfragen. Zusätzlich sollen diese Behörden die Befugnis erhalten, Kontostammdaten aus einem zentralen System abzufragen. Nach den Erfahrungen mit ähnlichen Befugnissen anderer Behörden ist damit zu rechnen, dass nun auch die Nachrichtendienste diese Befugnisse rege nutzen werden. Durch die Einführung einer Auskunftspflicht für sämtliche der oben genannte Auskunftsverlangen wird zudem das Trennungsgebot weiter eingeschränkt. Denn die Nachrichtendienste erhalten damit einen direkten Zugriff auf personenbezogene Daten ohne Mitwirkung der verantwortlichen Stellen, der sogar über die Herausgabepflicht bei der strafprozessualen Beschlagnahme hinausgeht und entsprechenden Zwangsbefugnissen in nichts nachsteht.

„Mit datenschutzrechtlichen Brotkrümeln lassen wir uns nicht mehr abspeisen!“

Die tiefen Eingriffe des neuerlich erweiterten Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes in die Bürgerrechte riefen 2011 auch Bürgerrechtsgruppen auf den Plan. kritisiert wurde die Erweiterung der ohnehin angeschlagenen Trennung von Polizei und Geheimdiensten, der Aufbau neuer Datenbanken, den Aufstieg der Biometrie als neue Identifikationstechnologie und die Aufweichung der Trennung von Polizei und Militär.

Hierzu sei an die Rede der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP auf der Demonstration „Freiheit statt Angst“ vom 10.9.2011 in Berlin erinnert:

  • Wenn neue polizeiliche oder geheimdienstliche Vollmachten erst einmal eingeführt sind, bleiben sie erhalten.
  • Wer auf Regierungen und etablierte Parteien setzt, wer darauf hofft, dass die nächste Koalition Fehler und Auswüchse korrigieren würde, hofft vergebens.
  • Was sich hierzulande nicht durchsetzen lässt, wird über den Umweg des G8 oder der Europäischen Union eingeführt.
  • Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Der Widerstand gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten muss sich ebenso grenzüberschreitend organisieren, wie es die Macherinnen und Macher von Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzen tun: Gegen die Militarisierung des EU-Grenzregimes, gegen die Überwachung und Kontrolle digitaler Kommunikation, gegen die ausufernden polizeilichen Datenhalden, die zusehends international getauscht werden.
  • Kämpfen wir also international für unsere Rechte, für eine wirklich demokratische Gesellschaft. Mit datenschutzrechtlichen Brotkrümeln lassen wir uns nicht mehr abspeisen!

4 Ergänzungen

  1. Für solche Berichte kaufe ich noch Printausgaben der Süddeutschen, auch wenn netzpolitik.org das gut zusammenfasst. :)

    Hint: da ist Euer Link zum GTAZ defekt (3. Absatz).

  2. Entschuldigung, aber lesen Sie die Quellen auch, die Sie verlinken?
    Mehr als die Hälfte aller MitarbeiterInnen des BKA arbeiten in Abteilungen zu “Analyse-/Auswertungs- bzw. Früherkennungsaufgaben im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität”. Dort steht was von 540 Mitarbeitern, die entsprechendenen Abteilungen arbeiten. Auf bka.de steht was von insgesamt über 5.500 Mitarbeitern im BKA. Das wären dann also weniger als 10%. Mal abgesehen davon, dass lt. Quelle nicht alle 540 MA sondern 290 MA, die die o.g. Aufgaben wahrnehmen.

    Sollte die Aussage die Notwendigkeit der stärkeren politischen Kontrolle unterstreichen?

    1. Hey Thorsten, du hast recht, es bezog sich auf die Abteilung „Polizeilicher Staatsschutz“, ich habe das ergänzt.

      Hintergrund ist die Erweiterung der Kompetenzen in den Terrorismusbekämpfungsgesetzen hinsichtlich „präventiver“ (im Polizeijargon auch „proaktiver“) Ermittlungen.

      Das ist, was ich auch kritisieren würde: Die Vorfeldverlagerung von Strafverfolgung, ohne dass überhaupt eine Straftat in Sicht ist. Beim BKA heißt das „Früherkennung“:

      Im Bereich Früherkennung der Abteilung IK werden weltweit verstreute Informationen aus einer Vielzahl von Quellen danach bewertet, ob sich Anhaltspunkte für Auswirkungen auf die Kriminalitäts- und Sicherheitslage in Deutschland erkennen lassen. Ziel der Früherkennung ist es, bereits schwache Signale möglicher Kriminalitätsentwicklungen aufzufangen, damit das BKA frühzeitig reagieren und im Rahmen einer systematischen strategischen Planung erforderliche Gegenmaßnahmen ergreifen kann.

      Zunächst gegen „Islamismus“ eingerichtet und später, wie üblich, gegen rechts und links erweitert, werden dabei über offene und nicht-offene Quellen Unverdächtige ausgeforscht. Die HU schreibt dazu:

      Der Begriff richtet sich explizit gegen unverdächtige Personen, von denen keine unmittelbaren Störungen für die öffentlichen Sicherheit aus gehen. Sie sind Nicht-Störer.

      Das ist m.E. die quasi-geheimdienstliche Arbeit des BKA, ich vermute dass dies auch im Bericht der Kommission Erwähnung findet. Die genutzten Methoden bedienen sich aus dem Repertoire digitaler Ermittlungstechniken und werden auf netzpolitik stets hinreichend beschrieben.

      Übrigens wird diese „Intelligence-Arbeit“ auch von einem Ex-„Staatsschützer“ als verfassungswidrig bezeichnet.

      Das Organigramm des BKA findet sich hier. Daraus geht auch hervor, dass die von mir oben angegebene Zahl („mehr als die Hälfte“) ungenau ist. Denn ich habe dort neben den Gruppen ST 1, ST 2 und ST3 nicht die Gruppe ST 4 „Zentral- und Serviceangelegenheiten“ berücksichtigt. Ich vermute aber, dass die Zahl ihrer MitarbeiterInnen im Vergleich zu den anderen drei Gruppen eher gering ist.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.