Der Ältestenrat hat der Beteiligungsidee der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft vor kurzem einen Riegel vorgeschoben. Als Grund wurden vor allem zu hohe Kosten vorgeschoben. Wir haben jetzt als Gruppe von fünf Sachverständigen für die Sitzung am kommenden Montag einen Antrag geschrieben, den wir in der Enquete zur Wahl stellen. Mal schauen, wer sich uns anschließt. Die Sonder-Sitzung zu Adhocracy & Co wird am Montag ab 14:00 Uhr live übertragen.
Hier ist der Antrag in voller Länge (Und hier als PDF):
Online-Beteiligung der Öffentlichkeit: Werkzeug und Verfahren
Beschlussvorlage der Sachverständigen Nicole Simon, Constanze Kurz, Alvar Freude, Markus Beckedahl und padeluun.
Der Deutsche Bundestag hat am 4. März 2010 in seiner 27. Sitzung die Einsetzung der Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ beschlossen. Der Antrag (Drucksache 17/950), der einstimmig angenommen wurde, beinhaltet den Auftrag der Kommission, die Öffentlichkeit in besonderem Maße in ihre Arbeit einzubeziehen.
Wörtlich heißt es in dem Einsetzungsbeschluss: „Die Enquête-Kommission bezieht die Öffentlichkeit in besonderem Maße in ihre Arbeit mit ein. Über die Arbeit der Kommission wird regelmäßig und so transparent wie möglich auf der Internetseite des Deutschen Bundestages informiert. Dort werden zudem Beteiligungsmöglichkeiten angeboten, die Anregungen aus der Öffentlichkeit in geeigneter Weise in der Arbeit der Kommission einfließen lassen können.“
Diesem hohen Anspruch muss die Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ in besonderer Weise gerecht werden. Gerade deswegen hat sie in ihrer Sitzung am 13. September 2010 einstimmig das Konzept zur Online-Beteiligung der Öffentlichkeit beschlossen. Spätestens Ende 2010 hätte das Beteiligungswerkzeug eingesetzt werden sollen. Der Ältestenrat des Deutschen Bundestages hat am 27. Januar 2011 beschlossen, das Angebot des Online-Dienstleisters des Bundestages für die Einführung des Projektes Adhocracy vom 29. Oktober 2010 abzulehnen. Die Ablehnung wurde mit hohen Kosten bei der Implementierung der Open-Source-Software in das Angebot des Deutschen Bundestages und einer langen Einführungszeit begründet.
Ziel unserer Initiative ist es, eine Verständigung zwischen allen Mitgliedern der Kommission zu erzielen, die den hohen Erwartungen an die gegebenen Versprechen zur besonderen Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger gerecht wird, die mit dem Einsetzungsbeschluss zur Bürgerbeteiligung der Enquête-Kommission erzeugt wurden. Um dem Beschluss des Bundestages zur Einsetzung der Enquête-Kommission vom 4. März 2010 sowie der einstimmigen Verabschiedung des Konzeptes für die „Online-Beteiligung der Öffentlichkeit“ am 13. September 2010 Rechnung zu tragen, beantragen wir als Sachverständige der Enquête-Kommission und als Mitglieder in der Online-AG der Kommission folgendes Vorgehen:
Die Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ bezieht gemäß ihrem Einsetzungsbeschluss die Öffentlichkeit in die Arbeit der Kommission und der Projektgruppen auf der Grundlage des einstimmig beschlossenen Konzeptes zur Online-Beteiligung der Öffentlichkeit ein. Dies setzt voraus, dass die Kommission und die Projektgruppen ihre Prozesse sowie ihre Arbeitsweise und -abläufe auch auf das Instrument der Beteiligungsmöglichkeiten ausrichtet und verbindliche Abläufe und Verfahren für die Beteiligung festlegt, um öffentliche Debatten und Initiativen zu ermöglichen.
Ziel ist zudem, die Öffentlichkeit bereits an der laufenden Diskussion und der Vorbereitung der Erstellung des Zwischenberichtes zu beteiligen. Der „18. Sachverständige“ muss sowohl die Möglichkeit haben, Texte aus der Kommission oder den Projektgruppen zu kommentieren und Alternativen vorzuschlagen, als auch eigenständige Textbeiträge passend zur jeweiligen Agenda der Projektgruppen einzubringen sowie darüber abzustimmen. Die Projektgruppen und die Enquête behandeln die Eingaben aus der Online-Beteiligung wie im Beteiligungskonzept beschrieben.
Hierfür stellen wir als Sachverständige aller fünf Fraktionen im Deutschen Bundestag der Enquête-Kommission in Kooperation mit den Entwicklern von Adhocracy Liquid Democracy e. V. kostenfrei und innerhalb von zwei Tagen eine Instanz von Adhocracy zur Verfügung. Der Einsatz ist vorerst bis zum Abschluss der Evaluation der Online-Beteiligung vorgesehen.
‣ Bei der bereits beschlossenen Software Adhocracy handelt es sich um eine Open-Source-Software, die kostenfrei genutzt und von jedem angepasst werden kann. In Kooperation mit dem Hersteller Liquid Democracy e. V. und mit Unterstützung der Open-Source-Gemeinschaft stellen wir – als Sachverständige der Kommission – der Enquête-Kommission dieses Beteiligungsinstrument zur Verfügung.
‣ Diese Instanz von Adhocracy wird als offizielles Werkzeug zur Beteiligung der Öf- fentlichkeit im Rahmen des Beschlusses der Enquête-Kommission vom 13. September 2010 in der Verantwortung des Sekretariates der Enquête-Kommission sowie in Kooperation mit den Entwicklern des Partizipationswerkzeuges Adhocracy eingesetzt.
‣ Die Obleute der Fraktionen und die neu einzurichtende Arbeitsgruppe Online-Beteiligung vereinbaren zeitnah, wie die Prozesse der Kommission und die Arbeitsweise und -abläufe Projektgruppen auf das Instrument der Beteiligungsmöglichkeiten ausrichtet und verbindliche Abläufe und Verfahren für die Beteiligung festlegt werden können, um öffentliche Debatten und Initiativen zu ermöglichen.
‣ Dabei sind weitere Verzögerungen beim Einsatz des Partizipationswerkzeuges zu vermeiden: bis zur endgültigen Definition der Prozesse werden vorläufige verwendet.
‣ Das Beteiligungssystem Adhocracy soll mit einem abgestuften Identifizierungsverfahren, angelehnt an das Verfahren bei den Öffentlichen Petitionen (E-Petitionen), auf der Webseite des Deutschen Bundestages ausgestattet werden.
‣ Nach Fertigstellung des Zwischenberichtes wird der Einsatz der bereits bestehenden Instrumente und insbesondere des Beteiligungswerkzeuges Adhocracy bis zur Sommerpause des Deutschen Bundestages wissenschaftlich evaluiert und bewertet. Geprüft werden soll – sofern die Evaluierung den Erfolg bestätigt – auch, wie das Instrument zur Online-Beteiligung in das Angebot der Enquête-Kommission auf den Seiten des Deutschen Bundestages integriert werden kann und welche Anpassungen nötig oder gewünscht sind.
‣ Die Enquête-Kommission richtet, wie vom Ältestenrat angeregt, eine Arbeitsgruppe zur Online-Beteiligung ein, die sich aus den Verfassern dieses Antrages sowie fünf weiteren Mitgliedern der Enquête-Kommission aus den Fraktionen des Deutschen Bundestages zusammensetzt. Aufgabe der Arbeitsgruppe ist es, zeitnah konkrete und verbindliche Abläufe und Prozesse für die Sicherstellung der Beteiligungsmöglichkeit zu erarbeiten und hierzu auch konkrete Fristen zu formulieren.
‣ Um diese Einbeziehung der Öffentlichkeit bereits bei der gegenwärtigen Vorbereitung des Zwischenberichtes sicherzustellen, werden die Obleute und die Vorsitzenden der Projektgruppen gebeten, zeitnah geeignete Vorschläge zu erarbeiten, wie mögliche Berichtsteile des Zwischenberichtes in dem Beteiligungswerkzeug zur Diskussion gestellt werden können. Hierbei sollte eine Kommentierung oder Überarbeitung, aber auch die Möglichkeit der Erstellung von Alternativvorschlägen bestehen. Ziel sollte es sein, dass jede Projektgruppe eine Beteiligung und öffentlichen Diskussion über alle wesentliche Teile ihres Berichts einplant.
‣ Grundsätzlich regen wir an, dass Textentwürfe der Kommission und insbesondere der Projektgruppen möglichst zeitnah und vollständig in das System eingepflegt werden, so dass eine Beteiligung der Öffentlichkeit (des „18. Sachverständigen“) genauso wie für normale Mitglieder der Enquête-Kommission möglich ist. Die Verfasser möglicher Textentwürfe werden gebeten, ihre Textentwürfe möglichst frühzeitig zur Diskussion zu stellen.
Mit diesem Vorschlag wollen wir die teils hitzige Diskussion um die Online-Beteiligung und den „. Sachverständigen“ versachlichen und eine sofort nutzbare Lösung präsentieren, die dem am 13. September 2010 beschlossenen Beteiligungskonzept gerecht wird.
Uns ist dabei sehr wohl bewusst, dass die Einbindung der Öffentlichkeit eine neue Art der Kommunikation ist und weisen darauf hin, dass es für beide Seiten Neuland sein wird. Gerade deswegen ist ein Ausprobieren so wichtig um Erkenntnisse für die Zukunft gewinnen zu können.
Beschluss
Die Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ beauftragt die Sachverständigen der Online-AG sowie das Sekretariat in Kooperation mit den Entwicklern von Adhocracy mit der Einrichtung des Beteiligungswerkzeuges. Die Kommission wird dies gemäß dem Beteiligungskonzept vom 13. September zur Online-Beteiligung der Kommission nutzen. Gleichzeitig wird die Kommission zeitnah eine Arbeitsgruppe zur Online-Beteiligung einrichten und verbindliche Verfahren und Prozesse definieren, um die Beteiligung sicherzustellen.
Der Antrag ist super. Ohne eine echte Beteiligung mit Aussicht darauf, dass die eigenen Beiträge auch irgendwelche Konsequenzen haben, ist die sogenannte „interessierte Öffentlichkeit“ außen vor.
Wichtig ist es aber dann auch, die Texte, die in den Projektgruppen erarbeitet werden wirklich öffentlich zu machen. Denn woran soll man sich sonst abarbeiten…
Die Sondersitzung wird nicht live sondern zeitversetzt ab 19Uhr gestreamt. Zumindest laut Bundestag. Drück euch die Daumen.
Ich drücke euch doppelt die Daumen: 1. dass ihr euren Antrag durchkriegt, 2. dass das Tool auch in vernünftiger und konstruktiver Weise genutzt wird (die Kommentarfunktion in Adhocracy macht mich ein wenig skeptisch…).
Was mir fehlt: Was soll Adhocracy denn nach der Halbzeit der #eidg noch reißen? Für den 18. Sachverständigen fehlt ein Arbeitsauftrag, ein Fragenkatalog, eine Perspektive.
Eine der Grundvoraussetzungen der Neutralität von Wikipedia war, dass alle Parteien gezwungen wurden, an einem gemeinsamen Ergebnis zu arbeiten. Wie verhindert man, dass Adhocracy lediglich eine Abladestation von Partikularinteressen, von unverbindlichen Wunschlisten einer diffusen Netzgemeinde wird?
Nicole Simon hatte es mal in der inoffiziellen Adhocracy-Instanz versucht eine konkrete Frage abzusetzen. Resonanz: Null.
Lange Rede, kurzer Sinn: zu sinnvoller Beteiligung gehört mehr als nur ein Platz auf einem Bundestags-Server. Um solche Strukturen zu schaffen ist es jetzt sehr, sehr spät.
Gute Idee der Antrag. Viel Erfolg damit!
@Torsten:
Natürlich. Einer inoffiziellen Instanz fehlt es schlicht an Beachtung und Einfluß. Da kann man genauso gut in den gewohnten Foren/Blogs/usw. diskutieren.
Wenn das mit dem „18. Sachverständigen“ was werden soll, dann braucht „er“ klar festgelegte Rechte und Pflichten und darf keinesfalls nur als lästiges Anhängsel betrachtet werden.
Geralt: Nur welche Rechte und Pflichten das sein sollen, kann ich im Antrag grade nicht erkennen.
Tripfehler: „. Sachverständigen“
Natürlich kann ein Partizipationstool ohne konkreten Support (Erklärbär-Video, FAQ mit Support o.ä.) nicht sofort abheben wie eine Rakete.
Ebenso bedarf es begleitender journalistischer und zivilgesellschaftlicher Unterstützung. Nutzungskompetenz eines digitalen Sozialwerkzeuges zur Ermöglichung politischer Partizipation fällt nicht vom Himmel. Ebenso die dazugehörige speziell erweiterte „Netiquette“.
Damit aus dem Wutbürger ein Mutbürger wird, bedarf es natürlich mehr als nur ein technisches Tool, warum dies allerdings ein Grund sein soll, es zu lassen, ist mir schleierhaft.
@Thorsten #5 Die von Nicole Simon als Vorschlag „getarnte“ Frage hat keine Beachtung gefunden, weil ein Vorschlag eben z.B. eine Definition, Massnahme oder verwandtes einstellt, nicht aber mal so allgemein zur Diskussion über Medienkompetenz-Beispiele einlädt.
Dies zeigt die Notwendigkeit der sozialen Kommunikationsmassnahmen wie oben beschrieben.
Dein „sehr sehr spät“ zeigt, dass du dir der Chance, hier ein über die eine Enquete-Kommission hinausreichendes Partizipationstool modellhaft zu implementieren, nicht klar zu sein scheinst.
In einer digitalen Gesellschaft sollen mittelfristig eben nicht nur die „Nerdthemen“ von der Bevölkerung partizipativ mitgestaltet werden.