Heribert Prantl schreibt in der Juni-Ausgabe von „Blätter für deutsche und internationale Politik“ darüber, was Wissenschaft, Publizistik und Politik miteinander zu tun haben: Das tägliche Brot der Demokratie.
Wir erleben wieder eine Kommunikationsrevolution wie 1848/49. Mich erinnern die Blogger von heute an die politisierten Bürger von 1848/49 – Blogs sind mehr Demokratie. Soll da wirklich der professionelle Journalismus die Nase hochziehen, so wie es vor 160 Jahren die etablierten fürstlichen Herrschaften und die monarchischen Potentaten getan haben? Aber: Die neue Kommunikationsrevolution braucht professionelle Begleitung, sie braucht einen publizistisch-gelehrten Kern. Es gibt ein neues, ganz anderes Professoren-Parlament: Es heißt Internet. Dieses digitale Parlament braucht, wie das damals in der Frankfurter Paulskirche, Führung und Sachverstand.
Sehr interessanter kleiner geschichtliche Exkurs in die Geschichte des Journalismus und unserer nationalen Geschichte.
Und wo wir schon bei Heribert Prantl sind: In der Süddeutschen Zeitung gab es gestern von ihm einen lesenswerten Kommentar zum aktuellen Sparpaket der Bundesregierung: Sparpaket? Windbeutel!.
Sachverstand O.K. aber Führung brauchen wir nun wirklich nicht … von diesen selbst ernannten „Führenden“ haben wir wahrlich genug, wir brauchen keine zentrale „Blog-Regierung“, die uns auf die Finger schaut … doch vielleicht wird im kompletten Text deutlicher, was damit gemeint ist, als in dem kurzen Ausschnitt …
@bembelkandidat ::BK::: Er sieht das halt vor allem aus der klassischen publizistisches Gatekeeper-Sicht.
hm, dann versteht er aber wohl nicht so ganz den strukturellen Unterschied zwischen der gedruckten Flugblatt-Öffentlichkeit 1848/49 und der digitalen, vernetzten von 2010
@bembelkandidat ::BK:: besonders visionär ist das nicht, was er schreibt, aber dafür sehr interessant als kleiner geschichtlicher Exkurs.
na ich werd’s mir morgen mal durchlesen ;-) und immerhin scheint er Blogs ja wohlgesonnen zu sein
Wir könnten ja mal eine Wahl zum Blogespräsidenten organisieren ;)…
Wo ist denn der Hinweis auf den Prantl-Text hin?
@Jack Yeats: Beim Bahnfahre war UMTS weg und WordPress hat statt einen neuen Artikel anzulegen einfach den letzten Artikel überschrieben. Ist mir bisher noch nie passiert. Jetzt stimmt aber wohl wieder alles.
Das meiste was in der deutschen Blogosphäre thematisiert wird, ist allenfalls der Bodensatz politischer Debatte, von Kultur ganz zu schweigen. Mygauck oder Atlantikbrücke – Fakten interessieren kaum, es geht doch wieder nur ins Schubladendenken.
Gibt es Blogs, die tatsächlich fundiert informieren ohne immer nur Partei ergreifen? Die es schaffen Probleme von Grundeinkommen, Staatsverschuldung, Sozialabbau ohne eine politische Agenda oder erschreckende Ignoranz sämtlicher Zusammenhänge vermitteln?
Mir fallen dort wenige ein. Man mag den sprengsatz interessant finden, aber über das Anekdotische kommt er leider nicht hinaus. Die Nachdenkseiten verfolgen eine politische Agenda, denen sie jeden Fakt unterordnen. Spiegelfechter versucht es wenigstens ab und an, bleibt aber auf halben Wege zu der Grundlagenlektüre stecken, weil ihm ein paar lustige Wortspiele und Polemiken eingefallen sind. Etc, pp.
Wo sind die Blogs, die zur politischen Willensbildung jenseits der Netzpolitik taugen?
Carta.info vielleicht? Carta kommt dem am nächsten, was die Huffington Post in den USA ist – auch wenn zumeist Medienpolitik im Zentrum steht. Zwischendurch findet sich aber ein gutes politisches, kommentierendes Stück. Selten leider ein ökonomisches.
Ich kenne darüber hinaus viele kleine Blogs.
@Torsten
ich würde ganz klar sagen: ja, die gibt es. carta ist sicherlich ein beispiel (sieht man von der berichterstattung über die öffentlich-rechtlichen ab); al sharq ist eine großartige quelle zur nahost-politik, julien frisch entheddert mir so manches mal mein bild von der eu-politik…
Jack Yeats: Ich hab bei Carta mal grade die Probe aufs Exempel gemacht und tatsächlich einen Hintergrundartikel gefunden:
http://carta.info/28639/das-ungleiche-duell-wenig-mag-gegen-wulff-sprechen-fuer-gauck-jedoch-spricht-viel/
Den halte ich aber trotz Länge und Analyse für erschreckend flach – mehr als eine Aneinanderreihung von Kurzzeit-Schlagzeilen hat er nicht zu bieten. Die vorgebliche Pro-Christ-Unterstützung durch Wulff wird ohne Kontext nacherzählt.
Zweiter Test: GEZ-Gebühr
http://carta.info/27181/die-haushaltsabgabe-als-neue-gez-gebuehr-eine-erste-oekonomische-einschaetzung/
Der Artikel hat interessante Punkte. Leider ignoriert er vollkommen den Sinn des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und versteigt sich in die Behauptung einer ökonomischen Effizienz, die das Ziel eines Rundfunkgebühr ins Gegenteil verkehrt. So umstritten die GEZ sein mag, so viele legitime Argumente man finden kann – ich mag es nicht leiden, wenn Leute sich künstlich dumm stellen, um einen Punkt zu machen.
Gerade carta finde ich teilweise gut, streckenweise aber auch erschreckend schlecht und somit gefährlich. Torsten, volle Zustimmung.
In der Bloglandschaft Inhalt mit Mehrwert zu finden ist gerade im Politikbereich selten. Meist werden eben doch nur einseitig und ohne Hintergrund aktuelle Tweets aufgenommen und das wars dann.
@Torsten, #9:
Nach meinem Verständnis beinhaltet ein Blog gerade die Meinung und Wertung des Autors. Insofern werde ich man da kaum Neutralität erwarten.
Da sehe ich eher Wikipedia-Artikel als neutraler an als Blogs, denn wenn die Wikipedia funktioniert, dann wird von allen Seiten versucht, einen guten, neutralen Artikel mit Pro- und Contra-Aufzählungen zu schreiben.
Wo findet man überhaupt neutrale Artikel? In Zeitschriften und Zeitungen auch nicht.
Man könnte natürlich versuchen, ein Gemeinschaftsblog zu führen, aber da kann man dann doch vielleicht einfacher mehrere Blogs von unterschiedlichen Autoren lesen, die gegensätzliche Meinungen vertreten.
Weirdo Wisp: Meinung ist toll, wenn sie denn ein Fundament hat.
Wenn jemand hingegen einen Faktenschnippsel wie Wulffs angeblichen fundamentalistisch-evangelikalen Freunde nimmt und auf diesem einen Schnippsel die gesamte Meinung gründet, ist das meines Erachtens Blödsinn. Wenn jemand in jedem dritten Satz den „Qualitätsjournalismus“ beschimpft, aber nicht einmal kurze Artikel zu Ende liest, ist er in meinen Augen ein Idiot.
Leider werden auf Twitter & Co wenig begründete Meinungen nach oben gespült. Wer nicht ALARMMMM!!! schreit, sondern ein „Sowohl-als-auch“ vorstellt, wird eher nicht auf rivva landen.
@Torsten, #15:
Wobei ich glaube, dass das nicht unbedingt an den Medien Blogs oder Twitter liegt, sondern einfach an der Aufmerksamkeit der Leser. Wer hat heute noch Lust und Zeit, einen laaangen Artikel zu lesen? Fakten, Fakten, Fakten (naja, meistens wohl eben nur Meinungen, Meinungen, Meinungen) – in möglichst kleinen Informationshäppchen.
Ich würde gerne tiefergehende Sachen lesen, aber mir fehlt einfach die Zeit dafür. Leider.
Weirdo Wisp: Das ist wohl das, was Prantl oben mit Führung meint: dass die Leser im Teufelskreis der kurzen Aufmerksamkeitsspannen nicht von Misthaufen zu Misthaufen springen müssen.
Vielleicht wären auch mehr Real-Life-Debatten über den eigenen idologischen tellerrand hinaus manchmal ein interessantes Korrektiv der eigenen wahrnehmung.
In Bezug auf Wirtschaft kann ich http://www.weissgarnix.de empfehlen. Immer wieder interessant. Und irgendwie anders. Nicht immer nur die ueblichen wirtschaftsdenkmuster, sondern fundierte und meinungsstarke analyse.
@Torsten: Die Einschätzung des Carta-Artikels bspw. über Wulff teile ich nicht. Der Verweis auf „Pro Reli“ ist eine von zwei Fragen/Hinweise am Ende, die in den kommenden Wochen noch eine Rolle spielen könnten – mit dem Hinweis, dass Wulff hier Antworten schuldig ist. Ansonsten kluger Kommentar – in my eyes, der aber auch schon einige Tage zurückliegt (so schnell geht’s). Aber ist sicher auch Geschmackssache.
@_Flin_: volle Zustimmung!
@Torsten – Gibt es denn Tages- oder Wochenzeitungen, die dieser Anforderung entsprechen? Hohle Meinungsmache finde ich auch offline.
H.: Sicher findest Du hohle Meinungsmachen – vom Gesetz her sind Zeitungen auch so genannte „Tendenzbetriebe“.
Trotzdem: den politischen Gehalt der meisten(!) Blogs kann nicht einmal die BILD unterbieten. Sie mögen eine Kampagne nach der anderen fahren – aber ab und an schreiben sogar Springer-Journalisten einfach auf was passiert ist – und wenn es nur aus Einfallslosigkeit oder Langeweile geschieht :-)
Die http://www.nachdenkseiten.de/ sind manchmal auch lesenswert..
„Wer hat heute noch Lust und Zeit, einen laaangen Artikel zu lesen? Fakten, Fakten, Fakten (naja, meistens wohl eben nur Meinungen, Meinungen, Meinungen) – in möglichst kleinen Informationshäppchen.“
Warum sollte man denn lange Artikel oder Abhandlungen lesen, wenn man die gleichen Informationen auch kompakt zusammenfassen kann?
Das ist meines Erachtens das viel größere Problem vieler Blogs.
An Länge wird häufig Qualität gemessen, die größere Qualität hat meines Erachtens aber der Autor, der seine Information möglichst komprimiert zusammen fassen kann und eher eine Erklärung etwaiger Begrifflichkeiten durch einfache Links ersetzt.
So hat der Wissende eine kompakte Informationsquelle und der Wissen-Suchende die Möglichkeit sich weiter zu bilden.
Wäre es nicht so schwer einem Computer Semantik beizubringen, hätte ich schon längst ein Programm geschrieben, welches Informationen filtert und so nur relevantes offeriert.
Sicherlich geht das nicht mit allem, aber bei vielen Sachen eben schon.
me: Bei Nachdenkseiten.de muss man immer eines beachten: jeden rhetorischen oder statistischen Trick, den sie jedem echten und vermeintlichen Gegner empört vorwerfen, den machen sie selber. Exzessiv.
@Thorsten:
Natürlich haben die NDS auch eine (partei)politische Agenda, die machen sie doch auch völlig transparent: sie wollen am liebsten die alte, sozialdemokratische SPD zurück und, wenn das nicht geht, wenigstens Rot-Rot-Grün. Was glaubst du wohl, wie lange diese Präferenz dem Leser verborgen bleibt, wenn ihm schon beim Aufrufen der Seite das Foto von Willy Brandt entgegenspringt? Ich habe aber nicht das Gefühl, dass dieser Präferenz alles untergeordnet wird und dazu Fakten verdreht werden.
Eine Meinung hat jeder, entscheidend ist doch die Unterfütterung mit Argumenten, Fakten und Quellen und am allerwichtigsten der Umgang mit Kritik und anderen Meinungen und Argumenten. Siehst du diese Kritikfähigkeit bei den NDS nicht?
Und wo sind die rhetorischen und statistischen Tricks der NDS? Lege sie bitte offen. So wie du schreibst, gehe ich davon aus, dass du die NDS-Macher schon mit deinen Argumenten konfrontiert hast. Wie lautete deren Antwort? Oder hast du vor, ein NDS-Watchblog zu machen, so dass man sich offen und transparent mit Kritik an den NDS auseinandersetzen kann?
Wenn du solche Thesen aufstellst, dann bring bitte Belege, damit man sich damit auseinandersetzen kann. Danke!
Und hast du bei den Hinweisen des Tages der NDS noch nie Artikel und Quellen gefunden, die deiner – ja auch immer subjektiven – Vorstellung von Ausgewogenheit entsprechen?
Ich wage mich mal vor und werfe einen IMHO ziemlich tiefgehenden zweiteiligen Artikel zum hochdiskutierten Grundeinkommen in die Diskussion:
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14802
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14825
Wenn du mal von Code- und Reizworten wie z.B. „attac“ und „neoliberal“ absiehst, widmet sich der Autor dem Thema in einer Art und Weise, die du schätzt?
antimobbing: Ich lese die Nachdenkseiten nicht regelmäßig, aber hier ein Paradebeispiel.
http://www.nachdenkseiten.de/?p=4502
Der Autor übergeht aber die klitzekleine Nichtigkeit namens Deutsche Wiedervereinigung, die auf alle Messgrößen wesentlichen Einfluss hatte. Sprich: der komplette Beitrag ist absoluter Nonsense, was der Autor wohl auch weiß. Im Gegenzug könnte man schreiben: „Unter neoliberaler Politik konnte 1990 eine Bevölkerungssteigerung von 19 Millionen Menschen erreicht werden“. Blödsinn.
Ich hätte das ja gerne in die Kommentare zum Artikel geschrieben – aber da ist kein Kommentarfeld.
Aktuelleres Beispiel: der Kommentar zum Geisler-Interview von heute: Natürlich biegt sich das CDU-Mitglied das Sparpaket schön, aber er sagt eben nicht, dass man ausgerechnet jetzt in einer Krise sparen müsse, sondern er verweist auf eine generelle Notwendigkeit zum Schuldenabbauen – auch nach der Krise (so sie denn endet). Das ist eine gezielte Uminterpretation von Geislers Aussagen – und dabei werden natürlich alle negativen Folgen von Staatsschulden (die ja eine Umverteilung von unten nach oben bewirken) außer acht lässt.
Den nrhz-Beitrag hab ich jetzt nur angelesen, aber er sieht auf den ersten Blick nicht schlecht aus. Dass das Grundeinkommen kurioserweise als linkes Projekt wahrgenommen wird, während sich die Umsetzungsvorschläge wie ein neoliberaler Albtraum lesen, wundert mich schon lange.
Gerade Meinung macht doch Blogs aus – übrigens gilt das auch für die Presse, denn sonst würden wir ja Alle Pressemitteilungen und Verlautbarungen lesen.
Natürlich sucht man sich Seiten, die der eigenen Meinung zumindest nicht diametral entgegenstehen. Wenn man eine Weile im Netz unterwegs war, hat man auch die Seiten mit der besten Untergrundwarmwasserbeleuchtung gefunden. Wen ein Thema interessiert, oder wer eines vertiefen will, wird sowieso mehrere Quellen lesen.
Fazit: Wer suchet, der findet. Oder: Selber besser machen.
@vera: Zustimmung!
@Torsten:
Beim ersten Fall stimme ich dir zu, die Aufstellung ist völlig untauglich. Nächstes Mal: Leserbrief schreiben!
Beim zweiten Fall unterschlägst du, dass Geißler ausdrücklich auch die Stabilisierung des Euro und Inflationsgefahr als Gründe für die Notwendigkeit des Sparpakets anführt. Darauf stürzt sich AM; wenn du dir die Argumente der Keynesianer wie Flassbeck zur Euro-Debatte ansiehst, wirst du das verstehen. Um ein allgemeines Pro und Contra von Staatsverschuldung ging es doch auch gar nicht, natürlich will AM diese auch begrenzen und abbauen, aber eben nicht durch Sozialabbau und weniger in Wirtschaftskrisen als in Wachstumsphasen. Und bei deiner These, dass Staatsverschuldung immer eine Umverteilung von unten nach oben bewirke, scheinst du mir Dinge vorauszusetzen, die ich nicht (immer) sehe.
Hast du folgende Seiten schon für dich eingeordnet?
Blätter für deutsche und internationale Politik
Ossietzky. Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Oder schwebt dir eher sowas wie
Factcheck Deutschland vor?
Müsste nur wiederbelebt werden.
Weiterer Austausch gerne per Mail ([nick](at)gmx-topmail.de), da Detaildiskussionen zu NDS hier schnell OT werden.
antimobbing: Danke für die Tipps, ich packe sie in den Feedreader und werde sie mir in den nächsten Tagen ansehen.
Bei NDS bin ich ich anderer Meinung. Ich bin selbst Volkswirt und weiß deshalb wie man mit Scheinkorrelationen & Co Sachverhalte hinbiegen kann. NDS betreibt in meinen Augen unredliche Meinungsmache. Natürlich sind INSM & Co dankbare Ziele, aber es gibt Grenzen.