Die designierte EU-Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien Neelie Kroes hat sich in ihrer Anhörung vor dem Europa-Parlamentariern klar für Netzneutralität ausgesprochen. Die niederländische Liberale muss allerdings „nachsitzen“ und noch einmal erscheinen, weil der Industrieausschuss mit ihren Aussagen nicht zufrieden war. Futurezone und Heise berichten ebenfalls von der Anhörung.
Die bisher als Wettbewerbskommissarin durch ihren harten Kurs u.a. gegen Microsoft bekanntgewordene Kroes stellte ein breit angelegtes Sechs-Punkte-Programm vor. Die Fragen der Abgeordneten zielten allerdings vor allem auf Themenstellungen ab, die aus dem kürzlich verabschiedeten Telekom-Paket resultieren.
Kroes sprach sich klar für Netzneutralität aus. „Wir müssen sehr wachsam sein gegenüber neuartigen Bedrohungen der Netzneutralität“, sagte sie und erteilte damit Unternehmen eine Absage, die bestimmte Dienste wie etwa Skype aus ihrem Portfolio ausschließen wollen. „Marktbeherrschende Unternehmen dürfen keine Dienste aus kommerziellen Gründen diskriminieren. Das ist ein ‚No Go‘ – außer es geht um Spam oder Sicherheitsprobleme.“ Wenn Europa keine Entwicklungsmöglichkeiten verlieren wolle, brauche es ein „offenes Netz“.
Beim Thema ACTA sicherte Kroes die Einhaltung europäischer Grundrechte zu. Die Europäische Union werde keine Kompromisse eingehen, es werde keine „Harmonisierung durch die Hintertür“ geben. „Unsere internationalen Partner müssen denselben Schutz für geistiges Eigentum bieten wie wir. Es gibt keine Harmonisierung durch die Hintertür. Die anderen müssen sich auf unsere Linie einstimmen“.
Zum Thema Urheberrecht äußerte sich Kroes dagegen nur vorsichtig. Sie wolle in erster Linie die Streitparteien zusammenbringen, um Lösungen zu finden. Solange es unterschiedliche Regeln zum Urheberrecht in der Gemeinschaft gebe, drehe sich die Auseinandersetzung über „Piraterie“ im Kreis. Einer Sondersteuer auf ISPs erteilte Kroes keine direkte Absage, warnte aber vor den Konsequenzen.
Beim fünften Punkt ihrer Agenda, „Interoperabilität und offene Standards“, sieht Kroes die Verwaltung in einer Vorreiterrolle: Sie „müssen praktizieren, was sie fördern. Wenn sie es nicht tun, warum sollten es dann die Bürger?“ Dabei will die Kommissarin nötigenfalls auch gegen das Monopol von Microsoft innerhalb der EU vorgehen. Zum Thema Open Data sagte Kroes, öffentliche Daten wie Karten, Wetterdaten und Gesundheitsinformationen sollten in interoperablen Datenformaten zur Verfügung gestellt und genutzt werden.
Die Niederländerin setzte sich auch für die Buchdigitalisierungsplattform Europeana ein. Den Wettbewerb mit Google sieht sie als Herausforderung. Es sei kein Wunder, dass das Unternehmen der europäischen Initiative weit voraus sei. Aber Google Books enthalte nur englische Bücher (was so nicht stimmt), wenn die EU europäische Sprachen vertreten sehen wolle, müsse sie reagieren.
Große Worte auch beim Ausbau der Breitbandnetze. Eine Abdeckung von 100% in der EU bis 2013 versprach die designierte Kommissarin.
Weil Kroes‘ Antworten in einigen Bereichen wenig konkret waren, muss sie nächste Woche noch einmal vor den Parlamentariern erscheinen. „Die echten Experten auf diesem Gebiet haben gefunden, dass sie sich eindeutig nicht gut genug vorbereitet hat“, sagte die niederländische Christdemokratin Corien Wortmann (CDA). Kroes‘ liberale Parteikollegen sprachen dagegen von einer politischen Entscheidung, weil zuvor auch konservative und sozialdemokratische Kandidaten kritisiert worden waren.
Nachdem Kroes als Wettbewerbskommissarin zuvor zu den profiliertesten Kabinettsmitgliedern gehört hatte gibt es zudem Zweifel daran, ob sie auf ihrem neuen Posten mit weniger Exekutivmacht eine gute Besetzung ist. Die Niederländerin sagte allerdings, sie wolle mit ihrer „harten Linie“ fortfahren.
Reding hat sich bei mehreren Sachen versehen. Bei einer Frage zur data retention z.B. antwortete sie zum Thema „data protection“, aber sie war erdrückend souverän als Persönlichkeit, die überspielte, dass die Fragesteller zum Teil auch nicht genau wussten, was sie da eigentlich fragten.
Und den bulgarische Abgeordnete, der sie fragte, was sie von der Schaffung eines EU Cybersecurity Zar halte und der Beteiligung der IT-Sicherheitsindustrie, kann man ja nur kopfschüttelnd entgegenhalten, wozu denn eigentlich ENISA da sein sollte; eine Institution, die darunter leidet, dass sie nicht ausreichend Unabhängigkeit von Unternehmen aus Drittstaaten wagt und eine ordnungspolitische Null darstellt. Kroes überbrückte die Peinlichkeit mit Anekdötchen über die Wichtigkeit von Cybersecurity.
So war dann auch die Charakterisierung ihrer Antworten an diesem Tage als „smart“ zutreffend.