Neusprech des Tages: Einfache körperliche Gewalt

Das Video von der „Freiheit statt Angst“- Demonstration, wo Polizisten gewalttätig werden, macht gut die Runde. Seit heute Mittag hat es auch die größeren deutschen Medien und US-Blogs erreicht und es gibt auch eine erste Reaktion der Polizei in Form einer Pressemitteilung:

Hierbei griff ein Unbekannter in das Geschehen ein und versuchte, den Festgenommenen zu befreien, was die Beamten mittels einfacher körperlicher Gewalt verhinderten. Der Unbekannte entfernte sich anschließend vom Tatort. Der 37-Jährige erlitt bei seiner Festnahme Verletzungen im Gesicht und kam zur Behandlung in ein Krankenhaus. Die Vorgehensweise der an der Festnahme beteiligten Beamten einer Einsatzhundertschaft, die auch in einer im Internet verbreiteten Videosequenz erkennbar ist, hat die Polizei veranlasst, ein Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt einzuleiten. Das Ermittlungsverfahren wird durch das zuständige Fachdezernat beim Landeskriminalamt mit Vorrang geführt.

Die Formulierung „einfache körperliche Gewalt“ verwunderte erstmal viele. Mein erster Gedanke war auch, was denn wohl die Steigerung von „einfach“ sei und nach den Video-Bildern blieb da nicht soviel übrig. Aber anscheinend ist das ein normaler juristischer Terminus für „Es wurden keine Waffen eingesetzt“. Das kann man einfach mal zum „Neusprech des Tages“ machen. Ich bin mal gespannt, ob es tatsächlich zum Strafverfahren kommt und wie es ausgeht. Ich bin mir sicher, dass viele genau beobachten werden, ob nicht irgendwann, wie so oft üblich, das Verfahren im Sande verläuft.

Da bei mir schon verschiedene Medien angerufen haben: presse@ccc.de ist die bessere Anlaufstelle, um mehr Informationen/Kontakt zur Quelle und zu den Betroffenen zu erhalten.

24 Ergänzungen

  1. Zählen Quarzhandschuhe als Waffe?
    Hätte einer der Prügelknabel nun derartige Handschuhe angehabt, währe das dann kein „einfache körperliche Gewalt“ mehr?

  2. Also, gerade lief auf Pro7 eine Nachrichtensendung. Erwähnt wurden die Krawalle in Hamburg, wo die Polizei natürlich nur reagiert hat (denn die Krawallverursacher haben mit Steinen und Flaschen geworfen).
    Die Geschehnisse in Berlin blieben hingegen unerwähnt.
    Ich hoffe ja noch auf die Tagesschau.

  3. Der Radiosender WDR2 hat das grad in den 19h-Nachrichten – sogar als zweites Thema, direkt nach dem Angriff mit Todesfolge in München.

  4. „einfach“ = „ohne Hilfsmittel“.

    Die zulässigen Hilfsmittel der körperlichen sind in den Polizeigesetzen meist abschließend aufgezählt (zB Einsatzstock, Reizgas), und wenn keins davon zum Einsatz kommt, ist die körperliche Gewalt halt „einfach“.

    Das ist „technischer“ juristischer Sprachgebrauch, aber doch kein Neusprech.

    Ich hab das auf der Piraten-ML schon erläutert und bei „unmittelbarem Zwang“ extra noch dazugeschrieben, daß man sich jetzt bitte nicht auch noch über den Begriff amüsieren möge …

  5. Vielleicht ist es ja so zu verstehen, das einfache körperliche Gewalt nur von einem Polizisten ausgeht. Der Fahrradfahrer hat dagegen drei- oder vierfache körperliche Gewalt erfahren. Insbesondere in dem Moment wo er schon von mindestens 2 Beamten festgehalten wird, damit schon absolut wehrlos ist, und von vorne kommt dann ein weiterer Polizist und schlägt den wehrlosen mit der Faust ins Gesicht. Wie muss man drauf sein, um so was zu machen? Wie unterscheidet sich ein solcher Charakter von dem der Widerlinge, die damals den Rentner in der U-Bahn zusammengetreten haben?

  6. Putzig, diese Diskussion und die ganzen Trackbacks. Da läuft ein Haufen Informatiker jetzt vermutlich die ganze nächste Woche mit einem leichten Grinsen rum, weil er die ganze Zeit an die „einfache körperliche Gewalt“ (rotfl, lol, muhaha, und so …) denken muß …

  7. Quarzhandschuhe sind in Berlin meines Wissens kein zugelassenes Hilfsmittel körperlicher Gewalt.

    Angeblich unternimmt sogar die Dienstaufsicht etwas dagegen, es gäbe reglmäßige Pressemeldungen zu dem Thema.

  8. Manchmal lohnt sich schlichte Recherche. Statt in einem Posting gleich großspurig von „Neusprech“ zu tönen und damit anzudeuten, dass man hier parallel zu Orwells 1984 eine Sprache des Totalitarismus erkennt (ach, wie schlau!), hätte man einfach mal einen Polizisten seines Vertrauens (z.B. per Email – so einfach funktioniert das im Internet-Zeitalter!!) FRAGEN können, was es mit dem Begriff der einfachen körperlichen Gewalt auf sich hat.

    Nicht wahr, Markus?

    1. @John Dean : Warum sollte ich per Mail nachfragen, wenn ich die Antwort schon wusste (und auch im Artikel geschrieben habe)?

  9. Das ist ein Argument, Markus. Aber dann ist es ja vielleicht doch kein Neusprech eines totalitären Systems, sondern wohl eher juristisches Bürokratendeutsch, das seinen Weg in eine PK gefunden hat.

    Und siehe: Kaum ein Journalist folgt der schnell missverstehbaren Formulierung von der „einfachen körperlichen Gewalt“.

    Ich störe mich einfach daran, gerade in diesem Fall, von „Neusprech“ zu schreiben, weil es hier ja nicht der übereinstimmende und als Verharmlosung gemeinte Sprachgebrauchs „des Systems“ war.

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