Bundesregierung beschließt Zensurgesetz

Das Bundeskabinett hat heute morgen den "Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet" verabschiedet. Die wesentlichen inhaltlichen Aspekte und Neuerungen konnte man schon gestern anhand der geleakten Fassung u.a. bei heise und Thomas Stadler nachlesen. Update: Eine gute Analyse gibt es heute auch bei Focus.

Die Kritik richtet sich derzeit vor allem auf drei Aspekte:

  • Die Bundesregierung geht von falschen Tatsachen bezüglich eines Massenmarkte für Kinderpornografie und der Verbreitungswege aus.
  • Die Sperren sind unwirksam und daher zunächst reine Symbolpolitik zu Beginn der Wahlkampfsaison. Mittelfristig ist aber mit einer Verschärfung der technischen Zugangserschwernisse zu rechnen, etwa durch DPI-Filter und ähnliches. Daher ist dies der Einstieg in eine Zensur-Infrastruktur.
  • Die Sperrlisten werden vom BKA zusammengestellt, das damit Ermittler, Ankläger und Richter in einem ist – ohne demokratische oder gerichtliche Kontrolle. Zudem soll es die Zugriffe auf die gesperrten Seiten bei den Providern abfragen dürfen.

Justizministerin (!) Brigitte Zypries hat in der Pressekonferenz gleich noch die Unschuldsvermutung abgeschafft für Leute, die aus Versehen oder als Opfer einer gezielten Falle (Rickrolling, anyone?) auf die Stopp-Seiten geraten:

"Eine Strafbarkeit liege schon in dem Moment vor, wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass es sich um ein Versehen oder eine automatische Weiterleitung gehandelt habe."

Reaktionen

Spreeblick protestiert mit einem Online-Streik . Tragt euch ein!

Kai Biermann kommentiert in der ZEIT: "Keine Allmacht für das BKA!"

Heise zitiert unter anderen Kritikern den Informationsrechtler Prof. Dr. Thomas Hoeren von der Uni Münster: Er

sprach gegenüber heise online von einer "Sauerei", dass es nun doch um die Aufzeichnung von IP-Adressen gehe. Noch vor einer Woche habe das Bundesfamilienministerium das Gegenteil versichert. Die Erfassung personenbezogener Daten bezeichnete der Rechtsprofessor als "schweren Eingriff ins Fernmeldegeheimnis", dem nicht durch ein reines "Zitieren" der entsprechenden Normen zur Einschränkung von Grundrechten Genüge getan werden könne.

Der AK gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) hat eine Pressemitteilung veröffentlicht:

AK Zensur fordert: Täter verfolgen statt Grundrechte beugen

Der Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur) erklärt zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zu Internet-Sperren:

Der Bundesregierung geht es bei dem Gesetzentwurf zu den geplanten Internetsperren nicht um die effektive Bekämpfung der Kinderpornographie. Sie betreibt Wahlkampf auf Kosten missbrauchter Kinder, schützt die Täter, vernachlässigt die Strafverfolgung und initiiert eine grundgesetzwidrige Internet-Zensur-Infrastruktur unter Kontrolle des BKA. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auf der Sperrliste auch weitere missliebige Internet-Inhalte stehen.

Der Gesetzenwurf sieht auch eine Sperrung von Webseiten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern vor. Auch auf den bekannten Sperrlisten in Skandinavien stehen Webseiten aus Deutschland. Diese sind der Bundesregierung und dem BKA seit Monaten bekannt. Es wäre problemlos möglich, die Server abzuschalten und die Inhalte aus dem Netz zu entfernen, statt sie nur mit einer relativ leicht umgehbaren Sperre zu belegen. Warum wurden die Server bisher nicht abgeschaltet, warum wird die Strafverfolgung unterlassen?

Die Begründung des Gesetzesentwurfs geht von falschen Voraussetzungen aus:

  • Es gibt keine Hinweise darauf, dass Kinderpornographie im Internet ein kommerzieller Massenmarkt ist.
  • Kinderpornographie im Internet zeichnet sich nicht durch offene Verfügbarkeit aus.
  • Nahezu alle der in ausländischen Sperrlisten verzeichneten Server stehen in Ländern, in denen Strafverfolgung durchaus möglich wäre. Viele davon auch in Deutschland und anderen EU-Staaten.

Die neuen Sperr-Regelungen werden im Telemediengesetz hinzugefügt und nicht in einem eigenen Gesetz behandelt. So können sie leicht auf weitere Inhalte ausgedehnt werden. Die geheime Sperrliste des BKA unterliegt keiner rechtsstaatlichen Kontrolle – die Gewaltenteilung scheint aufgehoben: das BKA wird zu Ermittler, Ankläger und Richter in einem. Es wird zu einer unkontrollierbaren Zensur-Behörde. Entgegen der Ankündigung von vergangenem Freitag sollen Daten von Nutzern, die auf die Stopp-Seiten gelangen, gespeichert werden. Dies ist nicht nur datenschutzrechtlich bedenklich,[4] sondern bietet Kriminellen auch ganz neue Möglichkeiten, um Unschuldige in den Verdacht des Konsums kinderpornographischer Darstellungen zu bringen.

Die Bundesregierung will Kindesmissbrauch ausblenden anstatt ganz aus dem Internet zu nehmen. Der AK Zensur fordert hingegen die Täter mit den bestehenden Rechtsmitteln zu verfolgen, die auch in der überwiegenden Mehrheit der Quelländer vorhanden sind. So bekämpft man das Übel nachhaltig an der Wurzel und kann auf eine grundrechtswidrige Placebo-Lösung verzichten.

Der Schleswig-Holsteinische Landesdatenschutzbeauftragte Thilo Weichert protestiert gegen die Speicherung der Zugriffe auf gesperrte Seiten:

Die nun bekannt gewordenen Planungen haben (…) eine völlig neue Überwachungsdimension: Mit dem Speichern der Zugriffsversuche würde eine Vorverlagerung der Verdachtsgewinnung zur Bekämpfung der Kinderpornografie erfolgen, die Zigtausende von absolut unschuldigen Menschen zu Verdächtigen machen würde: Allein der Umstand, dass eine Internetadresse angeklickt wird, wird zum Ermittlungsansatz wegen Kinderpornografie genommen. Damit würde sich jeder Internetnutzer schon der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen, wenn er eine ihm noch nicht bekannte Adresse aufruft, da er nicht wissen kann, ob diese Adresse selbst gelistet ist oder ob diese auf eine gelistete Adresse automatisch weiterleitet.

Die Süddeutsche hat übrigens einen interessanten Artikel über den Konflikt zwischen Brigitte Zypries und Ursula von der Leyen.

57 Ergänzungen

  1. „Eine Strafbarkeit liege schon in dem Moment vor, wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass es sich um ein Versehen oder eine automatische Weiterleitung gehandelt habe.“

    Was? Die wollen das Konzept der affirmative defenses ins deutsche Strafrecht einführen?

    Dann sollen sie konsequenterweise schreiben, daß fahrlässiges Sichverschaffen von Kinder- (und vermutlich auch Jugend-) Pornographie strafbar sein soll. Und nicht so einen Müll labern.

  2. Gedankenspiel: Wenn fiese böse leute die bekannten URLs über dienste wie z.B. tinyurl kürzen und diese dann in diversen Foren unter vorwand posten würden – dann hätte die BKA aber verdammt viel zu tun. nor?

  3. Wir leben mitlerweile in nichts anderem als einer verlogenen Bananenrepublik. Da braucht man sich nicht wundern wenn sich der Frust irgendwanneinmal in einem großen Knall entläd.

  4. Wer kann eigentlich Klage beim Bundesverfassungsgericht einreichen? Welche Partei ist unter diesen Vorraussetzungen noch wählbar? Vielleicht reagiere ich überzogen aber ich könnte heulen. Das Grundgesetz, die Verfassung wird mit Füßen getreten und anscheinend kann niemand etwas tun. Das schlimmste 90% der Bundesbürger werden davon nichts mitbekommen oder die Ausmaße nicht verstehen.

    Ist es Zeit für eine neue Resistance? Ist es Zeit für Demonstrationen. Wie aber die Bürger ob der allgemeinen Ignoranz auf die Strasse kriegen?

  5. Ich finde es ja sehr interessant, dass ziemlich genau vor einem Jahr einen Antrag im Bundestag gab, der ziemlich genau das Gegenteil forderte.

    Merkwürdiger weiße finde ich überhaupt keine weiteren Informationen mehr über den Antrag. Nicht ob er abgestimmt, irgendwohin überwiesen wurde… Für Hinweise bin ich echt Dankbar

  6. Ein Tipp: glaubt nichts, was bei Fefe steht. Der schrabbt gerade so nahe an der Wahrheit vorbei wie Frau Zypries. Mit Option auf von der Leyen.

  7. kinderpornographischen Internetseiten, denn deren Existenz darf stark bezweifelt werden) soll auf ein Stopschild umgeleitet werden.

  8. Sagen wir mal so: Die ersten Einträge auf der Sperrliste muß man nicht schön finden, aber verboten ist das Zeug vermutlich nicht …

  9. Die Brisanz des ganzen wird deutlich wenn man folgendes bedenkt:
    Der Firefox-Browser bietet das sog. Prefetch-Feature an, das beginnt mit einem „ref=Prefetch“-Parameter entsprechend markierte Links im Hintergrund bereits herunterzuladen, wenn man eine Seite betrachet, die einen Link enthält. Google nutzt dieses Feature in seinen Ergebnislisting. Besonders wenn Seiten wie Wikileaks gesperrt werden, wäre der Effekt fatal: Schon die Suche nach unverfänglichen Begriffen wie „Datenskandal“ oder „Hartmut Mehdorn“ würden Suchergebnisse auf die Sperrseite zu Tage fördern, die den Nutzer ins Visier des BKA bringen.

    Auch wenn die Rechtspraxis später sicher anders aussehen wird, sehe ich in dem Gesetz noch einen weiteren „Major-Bug“: Es ist ja erklärtermaßen so, daß jede Seite, die auf KiPo verlinkt, ebenfalls gesperrt werden muß. Als KiPo sind wiederum mindestens alle Seiten definiert, die auf der Sperrliste stehen. Folglich müssen alle Seiten, die auf gesperrtes Verlinken, ebenfalls gesperrt werden.
    Ich mag das ja falsch sehen, aber -konsequent angewandt- würde das doch bedeuten, daß nach einiger Zeit alle Seiten, die externe Links enthalten, auf der Sperrliste landen müßten, oder?

  10. Informationen der geliebten Bundesregierung finhttp://die.geliebte.bundesregierung.in.der.schwatzbude.de/mitlaeufer.htmldet man hier

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