BundestagGrüne und Linke wollen klares Bekenntnis gegen Chatkontrolle

Nach langem Bangen hat sich die Bundesregierung gegen eine „anlasslose Chatkontrolle“ positioniert. Doch die Diskussion ist damit nicht beendet. Grüne und Linke im Bundestag wollen eine klare Positionierung für Verschlüsselung und gegen fragwürdige Überwachungsmaßnahmen.

Person hält ablehnend die Hand vor sich, die Hand ist rot eingefärbt.
Klare Kante gegen jedes Untergraben von Verschlüsselung. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Zan Lazarevic, Bearbeitung: netzpolitik.org

Grüne und Linke im Bundestag wollen ein klares Bekenntnis der Bundesregierung gegen Chatkontrolle. Dazu haben beide Oppositionsfraktionen jeweils Anträge ins Parlament eingebracht. Denn gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes kann der Bundestag sich zu Gesetzgebungsprozessen in der EU äußern, die Bundesregierung muss solche Stellungnahmen dann entsprechend bei Verhandlungen berücksichtigen.

Wie sich Deutschland im EU-Rat in Brüssel positioniert, handelt in der Regel die Bundesregierung aus. Am gestrigen Mittwoch wurde dann klar: Einer „anlasslosen“ Chatkontrolle will sie nicht zustimmen. In der Sache geht es um einen Verordnungsvorschlag der EU-Kommission, die CSA-Verordnung. Die soll vor allem Missbrauchsdarstellungen von Kindern im Netz bekämpfen. Der Vorschlag hängt seit Jahren im Rat, da sich die Mitgliedstaaten nicht einigen können. Der große Streitpunkt: Sollen Anbieter wie Messengerdienste auf Anordnung sämtliche Kommunikation ihrer Nutzenden scannen müssen, ohne dass es einen Verdacht gegen sie gibt? Sollen sie dabei auch Verschlüsselung umgehen? Damit wären unzählige Menschen von tiefen Grundrechtseingriffen betroffen und es gäbe keine sichere Kommunikation mehr.

Eine Enthaltung oder Ablehnung der Chatkontrolle aus Deutschland hat ein hohes Gewicht, denn Deutschland ist ein bevölkerungsreicher EU-Mitgliedstaat und ist derzeit Teil einer sogenannten Sperrminorität im Rat: Dafür braucht es mindestens vier Staaten, die mindestens 35 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen.

Unklar ist aber jetzt: Was heißt die Ablehnung einer „anlasslosen“ Chatkontrolle? Was ist ein Anlass? Und wo wären Kompromisse, denen die Bundesregierung doch zustimmen würde? Und lassen sich mit der Formulierung nicht doch standardmäßig Hintertüren oder Client-Side-Scanning auf den Handys und Computern aufbringen, die dann nur „mit Anlass“ genutzt würden – aber genau so gefährlich für IT-Sicherheit und Grundrechte wären?

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Dezidiert Client-Side-Scanning ausschließen

Auch wenn die geplante Abstimmung im EU-Rat zur Chatkontrolle am 14. Oktober nun erneut wegen mangelnder Zustimmung verschoben wurde: Es wird nicht der letzte Versuch im Rat gewesen sein, sich auf eine Position zu dem Gesetzesvorschlag zu einigen. Daher ist auch weiterhin relevant, wie die Bundesregierung sich zur Chatkontrolle verhält.

Den Anträgen von Grünen und Linken ist gemeinsam, dass sie von der Bundesregierung fordern, sie solle sich klar gegen eine Schwächung von Verschlüsselung und das sogenannte Client-Side-Scanning aussprechen. Dabei geht es darum, Inhalte bereits auf Endgeräten zu scannen – bevor sie für den Versand verschlüsselt werden. Unterschiede bei Grünen und Linken gibt es jedoch in der Frage, ob der von der EU-Kommission vorgelegte Verordnungsentwurf überhaupt noch zu retten ist.

Ist die Verordnung noch zu retten?

Die Grünen wollen „eine grundrechtskonforme Ausgestaltung der Verordnung“. Die Bundesregierung solle sich daher „für tatsächlich zielführende Alternativvorschläge“ einsetzen, „die die Verbreitung von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern effektiv unterbinden können“. Dabei soll sie auch mehr auf Präventionsmaßnahmen drängen. Auf keinen Fall sollten Identifizierungspflichten die „anonyme und pseudonyme Nutzung des Internet“ gefährden.

Jeanne Dillschneider, Obfrau für die Grünen im Digitalausschuss, sagt dazu gegenüber netzpolitik.org: „In einer Demokratie brauchen wir Räume für freie Meinungsäußerung ohne Angst vor Überwachung. Statt alle privaten Chats mit fehleranfälliger KI zu durchleuchten und Millionen Falschmeldungen zu produzieren, brauchen wir endlich wirksamen Kinderschutz. Sämtliches Scannen privater Chats macht uns als Gesellschaft nicht sicherer, sondern schafft nur neue IT-Sicherheitslücken.“

Ist die Kinderschutzrichtlinie der bessere Ort?

Die Fraktion der Linken macht inhaltlich ähnliche Punkte. Sie glaubt jedoch nicht, dass die umstrittene CSA-Verordnung der richtige Ort dafür wäre. Sie verweist stattdessen auf die EU-Kinderschutzrichtlinie, die ebenfalls derzeit verhandelt wird. Dort solle man sich einsetzen. Als Maßnahmen schlagen die Bundestagsabgeordneten etwa „konsequentes Löschen“ von Missbrauchsdarstellungen vor oder auch „bessere Opferhilfe durch Opferschutz und Meldesysteme“ und „Ausbau der Angebote kindergerechter digitaler Teilhabe“.

Donata Vogtschmidt, Obfrau für die Linken im Digitalausschuss, erinnert daran, dass es bereits in der letzten Legislatur einen Artikel-23-Antrag gab. Doch wegen der unsicheren Situation mit der neuen Bundesregierung habe man sich erneut zu einem Antrag entschieden. „Wir werden ihn nutzen, um im Bundestag weiter Druck zu machen gegen die CSA-Verordnung. Selbst wenn die Bundesregierung jetzt im Rat der EU zunächst nicht zustimmt, scheint sie sich für spätere Verhandlungen weiterhin alle Türen offenhalten zu wollen. Der Druck darf deshalb in den kommenden Wochen und Monaten nicht nachlassen!“

Rechtsradikale AfD beantragt aktuelle Stunde

Eigentlich wollte die Linksfraktion außerdem eine aktuelle Stunde zur Chatkontrolle beantragen. Dabei gäbe es die Möglichkeit, das Thema im Parlament zu besprechen. „Doch leider platzte kurz vor uns die AfD herein und beantragte ebenfalls eine aktuelle Stunde“, so Vogtschmidt. „Das war natürlich superärgerlich. Aber einen Antrag haben die nicht. Und jetzt plötzlich populistisch auf das Thema aufzuspringen ist wenig glaubwürdig.“

Ihr geht es darum, wie man Kinder wirklich besser schützen könnte: „Die parallel verhandelte EU-Kinderschutzrichtlinie und Maßnahmen einer besseren Durchsetzung des Digital Services Act könnten dabei viel helfen, etwa um geschützte digitale Räume für Kinder zu schaffen. Aber natürlich nützt all das nichts ohne endlich mehr Aufmerksamkeit und Geld für Jugendämter, Kinder- und Jugendhilfe und digitale Bildung für alle.“

In einer Sitzung des Digitalausschusses am Mittwoch, die nicht-öffentlich stattfand, hat sich gezeigt, dass Abgeordnete aller Fraktionen gegen eine Chatkontrolle sind. Dass einer der Anträge eine Mehrheit im Bundestag findet, ist dennoch unwahrscheinlich. Aber sie setzen ein Signal dafür, wie sehr das Thema auch im Bundestag angekommen ist. Und sie weisen echte Wege auf, die zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt beitragen können.

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8 Ergänzungen

  1. „Geschützte digitale Räume für Kinder zu schaffen“

    Das bringt es eigentlich auf den Punkt. Mit Chatkontrolle kommt man da nicht mal in die Nähe. Oh Wunder, ein Raum muss her.

    1. Perfide der Unterschied zwischen Sprache und Mitteln wie Chatkontrolle.
      a) Einen neuen Raum schaffen.
      b) Existierenden Raum mit Kindern zukippen.

  2. „Die Fraktion der Linken macht inhaltlich ähnliche Punkte. Sie glaubt jedoch nicht, dass die umstrittene CSA-Verordnung der richtige Ort dafür wäre. Sie verweist stattdessen auf die EU-Kinderschutzrichtlinie, die ebenfalls derzeit verhandelt wird. Dort solle man sich einsetzen.“

    Ein hochgefährlicher Vorschlag — im schlimmsten Fall wird die Chatkontrolle in all ihrer Furchtbarkeit einfach in ein größeres Gesetzespaket wie eben der Kinderschutzrichtlinie eingebettet, das dann um so schwerer abzulehnen sein wird.

    Die jüngste Rolle der AfD sehe ich ambivalent. So lange aus Sicht der Bundesregierung nur die „üblichen Verdächtigen“ wie CCC oder GFF sich beschwert haben, war ihnen die Kritik egal, aber sobald die AfD auf einen Zug aufspringt wie eben am Montag mit Alice Weidels Statement gegen die Chatkontrolle, werden die Spahns und Dobrindts dann doch nervös. Natürlich ist das reiner Opportunismus — wir erinnern uns an das völlig ahnungslose Abstimmungsverhalten der AfD-Abgeordneten im EU-Parlament auch bei der „freiwilligen“ Chatkontrolle — trotzdem gilt in der Politik nicht vielleicht doch: „in der Not frisst der Teufel Fliegen“?

    Was mich auch umtreibt ist: wie kann man dem Netzwerk hinter dem Chatkontrolle-Vorschlag den Einfluss entziehen? Also den Thorns, Brave Movements, We Protects und Oak Foundations? Weil so lange die aus privilegierter Position immer wieder auf Spitzenpolitiker permanent einreden und Druck machen können, werden immer wieder solche Vorschläge gemacht werden.

  3. „Die Bundesregierung solle sich daher „für tatsächlich zielführende Alternativvorschläge“ einsetzen, „die die Verbreitung von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern effektiv unterbinden können““

    Die Gruenen haben noch immer nicht verstanden, wie die technischen Grundlagen aussehen, und fordern weiterhin die Quadratur des Kreises.

    Die Linke mit den „geschützte digitale Räume für Kinder“ sind nicht besser, denn das braucht natuerlich ebenfalls kontrollierte Strukturen und Zugangsmechanismen, und damit walled gardens, die nur Anbieter mit entsprechenden Resourcen und Gewinnperspektiven anbieten werden.

  4. Hier zeigt sich, warum die Grünen in einer Oppositionsrolle ganz gut aufgehoben sind. Denn dann sind sie durchaus auch mal vernünftig und lehnen zumindest so einige der dystopischen Überwachungsvorhaben relativ konsequent ab.

    Nur in die Regierungen dürfen sie wirklich nicht kommen, denn dann, so zeigt die Erfahrung immer wieder, finden sie anlasslose Massenüberwachung doch ganz gut. Grüne (Mit)Regierungen führen Palantir ein und sind für biometrische Massenüberwachungsoffensiven und verschärfte Polizeigesetze. Und man sollte auch nicht vergessen, dass es mitunter die Stimmen der deutschen Grünen im EU-Parlament waren, die Zensursula 2024 in ihrem Amt bestätigt haben und damit eine der Architekt*innen von Chatkontrolle, Vorratsdatenspeicherung und Alterskontrollzwang zur Macht verholfen haben.

    1. Oder die Grünen lernen draus. Aus besonderer Umsicht um die fragile Koalition irgendwas mitgemacht, nur um dann doch verdolchstoßt zu werden?

      Es mangelte an Erfahrung im Umgang mit der Gesetzgebung, allerdings sind die anderen auch nur in der Kommunikation (marginal) besser, wenn sie verkackt haben. Zerstören funktioniert auch gut. Sachen mit weitischtiger Architektur finden irgendwie auf einem anderen Kontinent statt, so hat es zumindest den Anschein. Eventuell auch auf einem anderen Planeten?

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