Interview mit Natascha Strobl„Wir dürfen uns nicht kaputtmachen lassen“

Donald Trump und die Tech-Bros ziehen in den USA nun an einem Strang. Ihre libertär-faschistische Ideologie wirkt bis nach Europa und zieht dabei auch die hiesige politische „Mitte“ in ihren Bann. Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl hat eine Idee, wir uns diesem gefährlichen Sog entziehen können.

Priscilla Chan, Meta-CEO Mark Zuckerberg, Lauren Sanchez, Geschäftsmann Jeff Bezos, Alphabet-CEO Sundar Pichai und Geschäftsmann Elon Musk bei der Amtseinführung von Donald Trump als nächster Präsident der Vereinigten Staaten in der Rotunde des Kapitols der Vereinigten Staaten in Washington, DC, USA, am 20. Januar 2025.
Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, Sundar Pichai und Elon Musk wohnen am 20. Januar 2025 der Amtseinführung von Donald Trump bei. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ZUMA Press Wire

netzpolitik.org: Vor etwa zwei Wochen konnten wir der Vereidigung Donald Trumps zum 47. US-Präsidenten beiwohnen. In der ersten Reihe saßen mehrere Multi-Milliardäre und Chefs großer Social-Media-Plattformen. Was ist dir durch den Kopf gegangen, als du dieses Bild gesehen hast?

Natascha Strobl: Das ist wie aus einem dystopischen Roman. Wenn jemand das so geschrieben hätte vor zehn Jahren, hätte ich gesagt, das ist zu platt. Drei der reichsten Männer der Welt, die die größten Social-Media-Plattformen kontrollieren. Ein rechtsextremer bis faschistischer Präsident, der die Demokratie zerschlagen will: Klingt alles nicht so realistisch. Aber es ist Zeit, dass wir der Realität ins Auge blicken. Wir leben diesen dystopischen Roman. Zu lange dachten wir, dass die Demokratie ein Selbstläufer ist. Nun aber sehen wir, dass das gar nicht so ist.

Natascha Strobl
Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin aus Wien. Sie forscht zu Rechtsextremismus, insbesondere der Neuen Rechten. Sie publiziert in zahlreichen europäischen Publikationen wie Die Zeit, Falter (Österreich) und Dagens Nyheter (Schweden). - Alle Rechte vorbehalten Christopher Glanzl

netzpolitik.org: Was glaubst du, wie wird es im nächsten Kapitel dieses Romans jetzt weitergehen?

Strobl: Als nächstes werden wir ein Destruktionsprojekt sehen. Die neue US-Regierung unter Trump wird die USA handlungsunfähig machen. Im historischen Faschismus ging es immer um junge Demokratien. In der Geschichte kam der Aspekt, dass das Bestehende erst zerstört werden muss, stets zu kurz. Das ist die Phase, die wir als nächstes sehen werden. Die komplette Nivellierung all dessen, was an demokratischer Struktur besteht. Das reicht von den Gesetzen bis zur Verfassung. Und es wird die handelnden Personen treffen, also etwa die Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen, die Behördenstelle, wo ich meinen Antrag auf Sozialhilfe stelle. All das, was eine Demokratie in ihrem Stoff ausmacht.

netzpolitik.org: Vor einigen Jahren haben wir noch darüber gesprochen, dass auf Social Media eine Welle auf uns zurollt, die das politische Terrain verändert. Sehen wir hier schon das Ergebnis – ein Bündnis aus einer neurechten Bewegung mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten?

Strobl: Das sind kommunizierende Röhren. Eine Bewegung und ihr Anführer. Die Bewegung bildet die Avantgarde, und die findet vor allem in den sozialen Medien statt. Der Prozess, den wir auf einer Plattform wie Twitter gesehen haben, wird jetzt überall ablaufen. Das Twitter von einst, mit seiner Idee des schnellen Austauschs, hat Elon Musk aktiv zerstört. Und nun gibt es das Ziel, eine ähnliche Zerstörung in der analogen Welt zu vollziehen.

Die Wurzel des Übels

netzpolitik.org: Mark Zuckerberg tritt dabei offenkundig in Elon Musks Fußstapfen. Er will unter anderem die Inhaltemoderation bei Facebook und Instagram stark zurückfahren. Worauf müssen wir uns einstellen?

Strobl: Wie wir gesehen haben, ist Zuckerberg ein absoluter Mitläufer. Was seine Ankündigungen etwa für Instagram bedeuten, werden wir vermutlich erst in einigen Monaten sehen. Das wird nicht so rasch gehen wie auf Twitter, weil das Tempo auf Instagram nicht so hoch ist. Aber der Weg kann nur einer nach unten sein. Auf Twitter sieht man heute Posts mit zig tausend Likes, in denen diskutiert wird, ob Hitler im Vergleich zu Churchill nicht doch der Gute war im Zweiten Weltkrieg. Auch vermeintlich unpolitische Sachen werden nicht mehr moderiert, etwa junge Mädchen, die sich gegenseitig in ihren Essstörungen bestätigen.

netzpolitik.org: Welche Idee steckt hinter dieser Ankündigung?

Strobl: Dahinter steckt ein sozialdarwinistischer Freiheitsbegriff. Jeder ist für sich selbst verantwortlich und die, die nicht durchkommen, haben halt Pech gehabt. Das ist ein Freiheitsbegriff, den wir auf ökonomischer Ebene aus dem Neoliberalismus kennen. Und völkisch konnotiert gibt es ein sehr ähnliches Freiheitsverständnis auch im Faschismus: Die starken gesunden Völker im historischen Faschismus triumphieren, alle anderen gehen unter. Aktuell sehen wir diese seltsame Vermischung aus libertärem und faschistischem Gedankengut, was eigentlich nicht zusammengehen sollte, was es aber jetzt ganz klar tut. Auch weil beide sich die gleiche ideologische Wurzel teilen.

netzpolitik.org: Das zeigte sich zuletzt ja auch explizit in dem Hitlergruß von Elon Musk. Musk fährt außerdem Verbalattacken gegen Regierungen in Großbritannien und in der EU. In Deutschland unterstützt er außerdem offensiv die AfD. Welches Ziel verfolgt er dabei?

Strobl: Er tut genau das, was die extreme Rechte den Linken gerne vorwirft: Ein Mensch mit unheimlich viel Geld nimmt Einfluss auf diverse Demokratien, damit die seine Politik umsetzen. Er unterminiert demokratische Wahlen, eine demokratische Medienöffentlichkeit und er tut dies mit einem Vermögen, das nicht mehr greifbar ist. Das zeigt, wie demokratiegefährdend solch eine Vermögenskonzentration ist. Selbst wenn Musk Milliarden Dollar verliert, ist ihm das vermutlich egal. Wie aber kann die Politik jemanden wie Musk mit Sanktionen einhegen, wenn es diesem egal ist, ob er noch Aufträge aus Europa bekommt. Hier droht eine Oligarchie – in diesem Fall die eines einzelnen Mannes, der so reich ist, wie es sich die Oligarchen vor 100 Jahren nicht einmal erträumt haben.

Obsession mit der Geburtenrate

netzpolitik.org: Welche Ziele verfolgt Musk mit alledem?

Strobl: Das ist eine politische Radikalisierung, die sich in den vergangenen fünf, sechs Jahren vor unser aller Augen vollzogen hat. Und die klar von einer faschistischen Ideologie beeinflusst ist. Natürlich verfolgt er dabei auch wirtschaftliche Ziele. Musk will nicht, dass Twitter in der EU strenger reguliert oder gar verboten wird. Aber Twitter ist nicht seine Haupteinnahmequelle. Ich fürchte, Musk ist so abgesichert, dass man ihm wirtschaftlich nichts anhaben kann.

netzpolitik.org: Welche seiner Äußerungen haben dich besonders alarmiert?

Strobl: Als er anfing, über Geburtenraten zu sprechen, haben meine Alarmglocken besonders laut geschrillt. Das Thema ist in den extremen Rechten sehr wichtig. Vor allem im rechtsextremen Terrorismus spielt es eine zentrale Rolle. Unter anderem für den Attentäter von Christchurch war die Geburtenrate das wichtigste Thema. Die Muslime bekommen zu viele Kinder, so deren Sorge, und die Europäer – ein Code für die Weißen – bekommen zu wenige.

Musks Obsession mit Geburtenraten ist aus meiner Sicht ein klarer Indikator für seine Radikalisierung. Verknüpft man das mit seinem Mars-Projekt, wird es regelrecht dystopisch. Es klingt wie Science-Fiction, wenn man es ausspricht. Am Ende könnte Musk derjenige sein, der auswählt: Wer darf leben, wenn die Erde brennt, und wer nicht. Hört man Musk genau zu, dann benennt er das auch als sein Ziel. Und man sollte den reichsten Mann der Welt hier ernst nehmen, auch wenn ein solches Szenario wahrscheinlich in ferner Zukunft liegt.

Fehlende mediale Einordnung

netzpolitik.org: Wir können uns dem doch kaum entziehen. Die Medien berichten aktuell über nahezu alles, was Trump oder Musk tun und verkünden.

Strobl: Ich verstehe das natürlich. Wie können Medien nicht darauf reagieren, was der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sagt. Das gleiche gilt für Musk, der jetzt so etwas wie ein Schattenpräsident ist. Gleichzeitig laugt diese Strategie aus. Man hechelt nur noch hinterher und bleibt zugleich immer an der Oberfläche. Und den Medien fehlt offenbar die Möglichkeit, das alles noch einzuordnen. Sind Trumps sieben dumme Tweets heute genauso wichtig wie die Ankündigung, dass er Grönland besetzen will? Ist Grönland ebenso wichtig wie die Entlassung von tausenden Regierungsmitarbeitenden? Eigentlich ist es die Aufgabe von politischer Berichterstattung, das einzuordnen und der Aufreibungsstrategie etwas entgegensetzen.

netzpolitik.org: Viele Kampagnen der Neuen Rechten finden auf internationaler Ebene statt. Ob in den USA, in Großbritannien oder in Deutschland: Die Themen ähneln sich. Wie kommt das?

Strobl: Ganz pragmatisch. Da werden viele Bälle in die Social-Media-Arena geschossen und worüber sich die Menschen aufregen, das wird dann weiterverfolgt. Wenn man sich die entsprechenden Accounts anschaut, sieht man, dass vieles gar nicht aufgenommen wird. Aber wenn so ein Kulturkampf-Thema steil geht, wird das überall aufgegriffen.

netzpolitik.org: Hast du ein Beispiel?

Strobl: Diese Drag Queen Reading Hour, eine Veranstaltung, wo Drag Queens Kindern Bücher vorlesen. Das wäre an sich höchstens etwas für die Lokalnachrichten. Aber auf einmal redeten online alle darüber, was in irgendeiner Bibliothek im Bundesstaat New York passiert. Diese Geschichten werden von der neuen Rechten weltweit aufgegriffen. Das passiert aber nicht per Absprache, sondern organisch, weil die jeweiligen Akteure sehen, dass es woanders funktioniert. Sobald die Aufregung groß genug ist, sagen sie dann, dass das in Wien, Berlin oder London passiert ist. Fotos werden aus dem Kontext genommen, das Ganze rückt immer näher. Am Ende diskutieren wir auch bei uns darüber, ob derartige Lesungen verboten sein sollten. Obwohl keine solche Lesung irgendwo in Deutschland stattgefunden hat.

netzpolitik.org: Welche Rolle spielen staatliche Akteure in dieser Dynamik?

Strobl: Deren Rolle darf man nicht unterschätzen. Es ist sehr, sehr schwer zu unterscheiden, was von realen Nutzer*innen und was von Bots stammt, die gezielt ein bestimmtes Thema streuen – als gezielte Angriffe auf die Demokratie. Wir sehen es gerade wieder auf Bluesky. Auch dort gibt es schon Accounts, die nichts anderes tun, als eine bestimmte Weltsicht zu verbreiten, wo aber ziemlich sicher keine realen Personen dahinter sitzen.

„Es braucht drastischere Maßnahmen“

netzpolitik.org: Seit Jahren diskutieren wir über Desinformationskampagnen. In der EU gibt es Gesetze, die Plattformen zur Moderation von Falschinformationen verpflichten. Das jetzt von Meta abgeschaffte Fact-Checking sollte dafür sorgen, solche Kampagnen zu entlarven. Hat das rückblickend geholfen im Kampf gegen die neue Rechte?

Strobl: Es ist kein Fehler, Inhalte zu moderieren. Ich möchte diese Arbeit auf keinen Fall schlechtreden. Aber im Kampf um die Demokratie ist das zu wenig. Dafür braucht es drastischere Maßnahmen, um in irgendeiner Form Zugriff auf einzelne Nutzer:innen zu bekommen. Vor allem dann, wenn es um Gewalt geht.

netzpolitik.org: Du meinst so etwas wie die Vorratsdatenspeicherung oder Quick Freeze?

Strobl: Ich will gar nicht sagen, was das für ein Verfahren sein sollte. Mir sind die Gefahren bewusst, die damit einhergehen. Aber wir haben es in den sozialen Medien mit Menschen zu tun, die aktiv politische Gewalt ausüben. Die kann man nicht wegmoderieren und wegdiskutieren. Nur mit Debunking, mit nett zureden oder Community Notes wird man das nicht loswerden.

netzpolitik.org: Eine Kritik an der Vorratsdatenspeicherung ist, dass diese Form der anlasslosen Massenüberwachung im Internet ebenfalls die Demokratie beschädigt.

Strobl: Das ist mir bewusst. Aber der Schaden an der Demokratie ist auch groß, wenn der faschistische Schlägertrupp einfach so weiter machen darf. Das ist nicht Hass im Netz, sondern politische Gewalt, die da verübt wird. Und wir brauchen Maßnahmen, die dem beikommt. Ich weiß, dass das eine kontroverse Meinung ist. Gleichzeitig sollten wir anerkennen, dass der bestehende Prozess nichts für die Opfer tut.

„Du stehst da mit null Schutz“

netzpolitik.org: Welche Verbindung siehst du zwischen Desinformationskampagnen und den gezielten persönlichen Gewaltandrohungen, von denen du sprichst?

Strobl: Desinformation wird dazu genutzt, um gezielt gegen Personen, Gruppen oder Institutionen zu hetzen. Das haben wir bei der österreichischen Landärztin Lisa Maria Kellermeyer gesehen…

netzpolitik.org: … bei der Hasskriminalität mit fatalen Folgen bagatellisiert wurde.

Strobl: Ja, da hieß es dann: Die hat gesagt, man soll alle, die nicht geimpft sind, einsperren. Daraus ist dann geworden: Fahrt sie nieder! Es geht unglaublich schnell, dass eine solche Kampagne als Waffe gegen jemanden persönlich eingesetzt wird. Das hat unmittelbar Auswirkungen auf Leute. Und es ist ja nicht so, als ob die Staaten dann Personenschutz geben würden. Du bist keine prominente Person, sondern ein Niemand. Auch dann, wenn du in den sozialen Medien auf einmal zur Person des Tages erkoren wurdest und von zehntausenden Leute durch die Arena gehetzt wirst. Du stehst da mit null Schutz.

Denkfehler und Versäumnisse

netzpolitik.org: Der Diskurs verschiebt sich spürbar. In dieser Hinsicht ist die neue Rechte in Deutschland bereits sehr erfolgreich. Friedrich Merz und Christian Lindner äußern im Wahlkampf Positionen, die noch vor einigen Jahren als rechtsextrem gegolten hätten. Geht die Strategie der sogenannten Mitte auf, wenn sie die Themen und Positionen von Rechtsaußen übernehmen?

Strobl: Die Idee dahinter ist schon falsch. Demnach hat die extreme Rechte ja schon recht, nur sagt sie es ein bisschen schmuddelig. Und wenn jetzt dasselbe seriös gesagt wird und mit ein bisschen weniger Geifer, dann könnte man die Wähler*innen zurückholen, so die Hoffnung, und alles wieder in die richtigen Bahnen lenken. Und hier liegt der zweite Denkfehler, nämlich dass man das nur ein wenig umleiten muss, damit wieder alles gut wird.

Deshalb ist auch die aktuell diskutierte Annahme falsch: Wenn wir jetzt genug abschieben, dann lösen sich damit alle Probleme. Das ist ein naiver Diskurs, der kein Problem löst. Aus meiner Sicht traut man sich in der Migrationsdebatte schon nicht mehr zu sagen, dass es tatsächlich Probleme gibt. So wie es überall, wo Menschen zusammenleben, Probleme gibt. Es sind vielleicht sogar Probleme, die wir schon seit langem kennen. Etwa die psychischen Auswirkungen von Flucht. Diesem Problem hätte man sich schon vor zehn Jahren annehmen müssen. Stattdessen hat man die Menschen sich selbst überlassen. Über diese Versäumnisse können wir sprechen.

Man muss den Menschen klarmachen, dass es keinerlei Probleme löst, wenn wir Migration und Asyl auf diese Weise diskutieren. Nicht für die Menschen, die geflohen sind. Und auch nicht für die Menschen, die Angst haben und nicht wissen, wie sie mit Veränderungen zurechtkommen sollen. Und hier müsste man das Ganze vom Kopf auf die Füße stellen. Solange das Thema Migration aber – und das betrifft auch linke Parteien – immer nur so diskutiert wird, wie die extreme Rechte, kommen wir auch nicht raus aus dem Ganzen.

Wir müssen uns diesem diskursiven Sog entziehen, den die extreme Rechte ausübt. Denn er zielt darauf aus, grausam gegen Menschen zu sein.

netzpolitik.org: Ist die aktuelle Strategie der Mitte, von den Rechten die Positionen zu übernehmen, in anderen Ländern aufgegangen?

Strobl: Kurzfristig ja. Mittelfristig aber stärkt das in der Regel die extreme Rechte. In Frankreich ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine rechtsextreme Partei die Mehrheit bekommt. In Österreich ist das schon der Fall. Dieser Diskurs hat also überall nur der extremen Rechten genutzt. Die einzige Ausnahme, und so ehrlich muss man sein, ist Dänemark. Dänemark hat mittlerweile überaus strikte Asyl- und Migrationsgesetze, eingeführt von den Sozialdemokraten. Ob wir uns das aber zum Vorbild nehmen sollten, lasse ich jetzt mal dahingestellt. Fest steht, dass die Strategie, sich die extremen Rechte als Vorbild zu nehmen, der Demokratie in Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien, Ungarn und in der Schweiz geschadet hat.

„Wir müssen unser aller Zukunft in den Blick nehmen“

netzpolitik.org: Wo siehst du Orte im Netz, um sich gegen den grassierenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus zu vernetzen und zur Wehr zu setzen?

Strobl: Der eigene Radius wird online immer kleiner. Und es ist auch eine moralische Frage, ob man jetzt noch auf Meta-Plattformen sein sollte oder nicht? Ich bin der Meinung, man sollte sich erst so spät wie möglich von den Plattformen zurückziehen. Wenn man dort über ein großes Netzwerk und damit eine große Reichweite verfügt, dann sollte man diese nicht leichtfertig aufgeben. Auch wenn die Plattformen furchtbar sind. Auch wenn man sich dort mittlerweile auf feindlichem Territorium bewegt. Deswegen lösche ich auch meinen Twitter-Account nicht.

netzpolitik.org: Das klingt eher defensiv.

Strobl: Das Bleiben reicht nicht aus. Wir brauchen außerdem eine politische Alternative. Und diese politische Alternative darf nicht immer nur der Antagonismus sein. Wir dürfen uns nicht nur fragen, was die extreme Rechte macht – um dann dagegen zu sein.

Stattdessen müssen wir uns darüber Gedanken machen, wie die Welt in naher Zukunft aussehen soll. Wie wollen wir in fünf Jahren miteinander leben? Wie wollen wir zusammen arbeiten, Kinder erziehen? Wie möchten wir unsere Nachbarschaften gestalten?

Wenn wir solche Diskussionen miteinander führen, hat die extreme Rechte keine Chance. Weil sie dazu rein gar nichts beitragen kann. Und deswegen ist es so wichtig, sich ihrem Sog zu entziehen. Weil die extreme Rechte auch nur ein Symptom der Krise ist. Und wir müssen diese Krisen angehen. Und das geht nur, wenn wir unsere Gesellschaft, unsere Demokratie und unsere Wirtschaft in den Blick nehmen – wenn wir den gesellschaftlichen Wandel angehen. Nur wenn wir unser aller Zukunft in den Blick nehmen, können wir auch etwas zum Guten verändern.

Andernfalls verzweifeln wir an der Situation, in der wir uns jetzt befinden. Und dieses Verzweifeln hilft uns nicht, hilft der Welt nicht, es macht uns nur kaputt. Und gerade jetzt dürfen wir uns nicht kaputtmachen lassen.

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3 Ergänzungen

  1. Ein positiv-Szenario zur Bundestagswahl 2025 in Deutschland:

    Laut Koalitionsrechner (z.B. vom stern.de) :
    Gesamtzahl: 630 Sitze
    Absolute Mehrheit ab 316
    Zugrunde gelegte Umfrage: Forsa vom 04.02.2025:
    SPD + Grüne + Linke = 270
    316 – 270 = 46 Sitze fehlen

    Wenn sich das noch weiter positiv entwickelt steht rot gruen rot oder gruen rot rot (Kanzler Habeck) am Horizont.

    (Stand 30.01.2025: r2g ist bei dieser speziellen Wahlprognose („Politische Stimmung“) schon bei 43%, Linke bei 8%: https://www.wahlrecht.de/umfragen/politbarometer/stimmung.htm)

    —-

    Die Linke ist die einzige Partei die nicht auf die irrationale Antimigrationshetze setzt, sondern die die im Interview erwähnten positiven Lösungsansätze benennt, z.B. soziale Gerechtigkeit. Am 23.2. sind Wahlen.

  2. „Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl hat eine Idee, wir uns diesem gefährlichen Sog entziehen können.“ Diese Idee suche ich im Interview leider vergeblich. Was der einzelne machen kann ist viel, aber wie kann die Presse und die Politik dazu gebracht werden, sich diesem Sog zu entziehen? Da ich nicht auf social media unterwegs bin, bekomme ich wohl manches gar nicht mit, was mich beunruhigen könnte.

  3. Ein Gegengewicht zu dieser Dystopie sind in Deutschland auch die aktuellen Demonstrationen gegen das Einreißen der Brandmauer zur AfD durch die Merz CDU.

    Stand 03.02.2025, 20:57 Uhr: 744 tausend Menschen waren innerhalb von 10 Tagen auf Demos gegen Rechts in Deutschland. 🙂
    Quelle: „Aktuelle Teilnehmenden-Zahlen zu den Demos gegen Rechts. Alle Zahlen sind konservativ geschätzte Polizeizahlen mit Pressequelle.“ https://www.demokrateam.org/report/
    Die Zahlen der Veranstalter sind noch weit darüber.

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