In ihrem Koalitionsvertrag hat die Ampel gleich an mehreren Stellen betont: Sie will die Zivilgesellschaft besser in digitalpolitische Vorhaben einbeziehen als die Vorgängerregierung. SPD, Grüne und FDP strebten einen Staat an, „der die Kooperation mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft sucht“ und „mehr Transparenz und Teilhabe in seinen Entscheidungen bietet“.
Der Wille, dieses Versprechen umzusetzen, sei da gewesen, so das Fazit vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen. Insgesamt aber überwiegt die Enttäuschung. Aus Sicht vieler Organisationen beließ die Bundesregierung es oftmals bei „Scheinbeteiligung“. Und auch inhaltlich zeigen sich viele NGOs von der Ampel desillusioniert. Für die kommende Legislatur ziehen sie bereits ihre Schlüsse.
Wo ein Wille ist, …
So erkennt die Open Knowledge Foundation (OKF) auf Anfrage von netzpolitik.org an, dass sich die partizipativen Prozesse im Digitalbereich in den vergangenen Jahren verbessert hätten.
Zivilgesellschaftliche Akteur:innen seien bei Initiativen wie Civic Coding oder auch bei der Gründung des Sovereign Tech Fund von Anfang an eingebunden gewesen, sagt Henriette Litta, Geschäftsführerin der OKF. Und auch beim Beirat für die Digitalstrategie habe sich die Bereitschaft der Regierung gezeigt, „starke Stimmen aus der Zivilgesellschaft gleichberechtigt mit Wissenschaft und Wirtschaft an den Tisch zu holen“, so Litta, die selbst eine der Vertreter:innen der Zivilgesellschaft im Beirat war.
Die Organisation Superrr Lab erkennt ebenfalls an, dass es Fortschritte gegeben hat. So seien die von der Ampel durchgeführten Konsultationsverfahren offener und partizipativer gewesen „als die übliche Konsultation in Textform“. Als Beispiel führt die Organisation das Konsultationsverfahren zur EUDI Wallet an, an dem neben Partner:innen aus Staat und Verwaltung auch Vertreter:innen von Verbänden, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Unternehmen und aus der Wissenschaft teilnehmen.
Auf der Arbeitsebene seien die Ministerien zugänglicher gewesen als in den Vorjahren, so ein Fazit des sozialdemokratische geprägten Vereins D64. Darüber hinaus habe es einen „regelmäßigen und institutionalisierten Austausch mit Abgeordneten der Regierungsfraktionen“ gegeben.
… da fehlt ein Weg
Bei allem guten Willen habe es aber oftmals bei der Umsetzung gehapert. Die versprochene Einbindung der Zivilgesellschaft habe bei weitem nicht überall funktioniert, sagt etwa Henriette Litta. Allzu oft sei deren Gelingen von einzelnen handelnden Akteur:innen abhängig gewesen.
Auch Wikimedia Deutschland erkennt Ansätze, die Expertise aus der digitalen Zivilgesellschaft abzufragen, etwa beim Mobilitätsdatengesetz durch das Bundesverkehrsministerium. Insgesamt aber sei eine Einbindung „eher punktuell und ohne Systematik“ erfolgt. Mitunter sei „der Eindruck eines ‚Beteiligungstheaters‘ denn echter Beteiligung“ entstanden.
Von einzelnen Bemühungen und fehlender struktureller Einbindung berichtet auch der Verein Digitale Gesellschaft und betont: „Dabei hätte die Zivilgesellschaft einiges beizutragen gehabt, insbesondere zu Themen wie der Gesundheitsdigitalisierung, Grundrechtseingriffen im Namen der Sicherheit oder der Bändigung von Big Tech und dem Aufbau einer öffentlichen digitalen Infrastruktur.“
Die Kritik von AlgorithmWatch setzt an den Abläufen an – eine Kritik, die auch andere Organisation teilen. Die Fristen, bis zu denen die Zivilgesellschaft komplexe Gesetzesentwürfe kommentieren konnte, seien oftmals extrem kurz gewesen, so der Verein. Außerdem seien zivilgesellschaftliche Vertreter:innen „sehr spontan“ zu Gesprächen eingeladen worden, „bei denen weder die Agenda bekannt noch ein Ziel definiert war“.
Dieses Vorgehen der Ampel-Regierung sei eine große Herausforderung gewesen, sagt Maren Heltsche, Sonderbeauftragte für Digitalisierung des Deutschen Frauenrats, „vor allem für zivilgesellschaftliche Organisationen, die mit wenig Ressourcen auskommen müssen und sich viel auf ehrenamtliche Arbeit stützen.“
Kritik am Digitalgipfel
Eher gemischt fällt die Einschätzung des jährlich stattfinden Digitalgipfels aus. Dieser sei einst ein „großes Lobbyfest ohne relevante Inhalte“ gewesen, sagt Henriette Litta. Die Ampel-Regierung habe hingegen versucht, die Zivilgesellschaft stärker einzubeziehen. Das habe dazu beigetragen, „dass der Gipfel deutlich mehr Formate anbietet, in denen wirklich über Technologieentwicklung und Regulierung diskutiert und gestritten wird.“
AlgorithmWatch erkennt an, dass auf dem Digitalgipfel im vergangenen Jahr erstmals eine Organisation aus der Zivilgesellschaft die Co-Leitung einer Plattform übernehmen durfte. So heißen die thematischen Schwerpunkte beim Digitalgipfel. Bei insgesamt acht solcher Plattformen sei dies aber eher Ausdruck davon, „dass wir leider noch sehr weit davon entfernt sind, dass zivilgesellschaftliche Akteur:innen auf Augenhöhe mit der Bundesregierung über Digitalthemen sprechen können.“
Auch für Friederike Hildebrandt von Bits & Bäume, einem Zusammenschluss aus mehreren Organisationen, geht die Beteiligung der Zivilgesellschaft nicht weit genug. „Die Regierung hat viele der kritischeren Formate, die von NGOs eingereicht wurden, nicht angenommen“, sagt die Koordinatorin des Bündnisses. „Viele unserer Kolleginnen haben das Format als eher oberflächlich bewertet.“ Es habe „wenig politische Debatte und stattdessen viel Sehen und Gesehen werden mit der Wirtschaft“ stattgefunden.
Eine Kritik, die Maren Heltsche vom Deutschen Frauenrat teilt. Für sie ist der Digitalgipfel kein Ort, „wo Digitalpolitik gestaltet wird“. Hier könne und müsse in den kommenden Jahren noch deutlich mehr passieren.
Ungleichgewicht zur Wirtschaft
Die Dominanz der Wirtschaft ist aus Sicht vieler zivilgesellschaftlicher Akteure ein grundsätzliches Problem.
D64 zeigt sich enttäuscht, dass der Einfluss der Industrie auch in den Jahren der Ampel-Koalition hoch blieb. Das habe etwa die Positionierung der Bundesregierung zur KI-Verordnung (AI Act) gezeigt.
Und auch Maren Heltsche kommt zu dem Schluss, dass die Ampel „eine viel engere Bande“ zu Wirtschaftsverbänden habe. Der formelle wie informelle Austausch sei hier viel größer als bei der Zivilgesellschaft, so Heltsche, was für ein deutliches Ungleichgewicht sorge.
Friederike Hildebrandt von Bits & Bäume sieht hier ein klares Versäumnis der Ampel: „Die Wirtschaft wird immer mehr Geld für Lobbyarbeit haben“, sagt sie. „Deswegen muss die Politik aktiv priorisieren, damit alle Stimmen gleichberechtigt Gehör finden.“
Das Sicherheitspaket als Bruchpunkt
Bei besonders wichtigen Themen wie dem Sicherheitspaket, habe die Ampel-Regierung die Zivilgesellschaft sogar weitestgehend außen vorgelassen, kritisiert D64.
Das Gesetzespaket, das die Bundesregierung nach den Anschlägen in Mannheim und Solingen im Eiltempo auf den Weg brachte, hatten Kirchen, Menschenrechtsverbände, Digitalverbände und die Beauftragte für den Datenschutz weitgehend einhellig als unverhältnismäßig und rechtswidrig kritisiert.
Darüber hinaus hatten zahlreiche Organisation die Regierung in einer gemeinsamen Stellungnahme dazu aufgefordert, das „gefährliche Überwachungsvorhaben“ fallenzulassen. Die massive Kritik ignorierte die Ampel-Regierung allerdings weitgehend.
Aus Sicht von Superrr Lab steht dieser Umgang geradezu exemplarisch für die Missstände, die auch schon in den Regierungen vor der Ampel bestanden: „Intransparenz, Abwiegelung und Leugnung der Probleme, die wir als Zivilgesellschaft anprangern“.
Und Friederike Hildebrandt wertet das Sicherheitspaket „als Bruch zwischen dem Innenministerium und den digitalpolitischen Organisationen“.
Schlussfolgerungen für den Prozess
In der kommenden Legislatur dürfe die Zivilgesellschaft „nicht mit Scheinbeteiligung abgespeist werden“, fordert AlgorithmWatch.
Das beginne schon bei der Kommunikation: „Früh einladen, klar sagen, wer eingeladen ist und was erreicht werden soll, Ergebnisse dokumentieren, den Teilnehmer:innen mitteilen und über den weiteren Verlauf informieren“, so die Organisation. Das sei eigentlich nicht viel verlangt, werde aber so gut wie nie praktiziert. Außerdem sollten Minister:innen und Staatssekretär:innen für die Zivilgesellschaft ebenso zu Gesprächen bereit sein wie für Wirtschaftsverbände und -lobbyist:innen.
Die Einbindung der Zivilgesellschaft setze voraus, dass es „Verständnis und Respekt für die Zeit der Ehrenamtlichen“ gebe, so der Chaos Computer Club (CCC). Das schließe ein, ausreichend Zeit für Konsultationsverfahren einzuplanen und den Input von zivilgesellschaftlichen Organisationen messbar umzusetzen.
Das unterstreicht auch Wikimedia Deutschland. Eine Einbindung sei nur dann wirksam, wenn von Anfang an feststehe, „welche Konsequenzen sich aus Empfehlungen der Stakeholdergruppen ergeben und in welchem Rahmen diese Gruppen Einfluss nehmen können“. Alle Entscheidungen sollten außerdem nachvollziehbar aufbereitet werden und für die Öffentlichkeit und Medienvertreter:innen einsehbar sein.
Für mehr Wirksamkeit und Transparenz seien am besten institutionalisierte Austauschformate geeignet, betonen D64 und die OKF. Zugleich würde die zivilgesellschaftliche Beteiligung damit auch unabhängiger von der jeweiligen Regierung.
Der Dialog mit der Zivilgesellschaft müsse mehr sein „als ein lästiger Tagesordnungspunkt, bei denen das Wahlvolk ein bisschen Demokratie spielen darf“, sagt der CCC. Vielmehr setze ein partizipativer Prozess „ehrliches Interesse und den Willen voraus, beim Vorliegen entsprechender Argumente das kritisierte Vorhaben anzupassen.“
Das betont auch die Digitale Gesellschaft und weist auf die kulturellen Voraussetzungen einer sinnvollen Zusammenarbeit hin: „Eine gute Einbindung würde voraussetzen, dass Zivilgesellschaft nicht lediglich als störender Faktor, sondern als Korrektiv wahrgenommen wird.“ Ganz praktisch aber würde sich der Verein eine Einbindung wünschen, die den Namen verdient: „Dazu wären umfassende Transparenz und Zugangsmöglichkeiten jenseits von millionenschweren Lobby- und etablierten Interessenvertretungen nötig.“
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