Bundestagszusammenfasser„Irgendjemand muss es ja machen“

Weil sie unzufrieden war mit der Transparenz von Gesetzgebungsvorgängen, hat Sabrina Gehder es selbst in die Hand genommen und ein digitales Gesetzgebungsportal entwickelt. Ein Interview über uneingelöste Versprechen aus dem Koalitionsvertrag und eine Arbeit, die eigentlich andere machen sollten.

Eine Person wirft ihr Abgeordnetenkärtchen in die Box für die namentliche Abstimmung.
Bis zur Abstimmung im Bundestag ist es oft ein langer Weg. – Alle Rechte vorbehalten Abstimmung: IMAGO / photothek

Es gibt da diese Redewendung über die Entstehung von Gesetzen, die mit zweifelhafter Quellenlage dem ehemaligen Reichskanzler Otto von Bismarck zugeschrieben wird: „Gesetze sind wie Würste, man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.“ Und es gibt eine Person, die das völlig anders sieht, nämlich Datenbank-Administratorin Sabrina Gehder.

Mit ihrem Portal namens Bundestagszusammenfasser hat sie selbst einen Ort geschaffen, wo Interessierte genau verfolgen können, wie ein geplantes Gesetz zwischen Ministerien, Bundestag und Bundesrat zirkuliert und welche Dokumente es dazu gibt.

Wir haben mit Sabrina darüber gesprochen, warum ausgerechnet sie diese Arbeit in ihrer Freizeit macht und warum diese Art von Übersicht so wichtig ist.

netzpolitik.org: Wenn du den Bundestagszusammenfasser zusammenfassen müsstest: Was ist das genau?

Sabrina Gehder: Der Bundestagszusammenfasser ist das Portal, das der Koalitionsvertrag uns versprochen hat, das aber nie geliefert wurde.

Im Grunde ist es wie eine große Linksammlung: Damit kann man an einem Ort alle Gesetzgebungsvorgänge sehen, die gerade in den Ministerien, im Bundestag und im Bundesrat auf dem Weg sind. Was ist schon wann passiert? Wie ist der aktuelle Stand? Welche Dokumente und Unterlagen gehören dazu?

Eine Stunde Recherchearbeit pro Tag

netzpolitik.org: Wie stellst du die ganzen Informationen zusammen?

Sabrina Gehder: Sobald ein Gesetz im Bundestag oder im Bundesrat ist, läuft das meiste automatisiert. Die beiden haben ein gemeinsames Dokumentenmanagement-System, das man über eine Schnittstelle abfragen kann. Darüber bekommt man alle Dokumente und alle Metadaten zu den Unterlagen. Das ist relativ einfach.

Schwierig zusammenzustellen ist das, was vorher in den Ministerien passiert. Also solange es noch ein Referentenentwurf ist oder wenn ein Gesetzentwurf vom Kabinett beschlossen wurde. Das muss man sich von den verschiedenen Ministeriumsseiten zusammensuchen.

Teilweise werden Gesetzentwürfe auch erst veröffentlicht, wenn sie tatsächlich dem Kabinett vorgelegt werden – obwohl die teilweise schon längst irgendwo in der Verbändeanhörung sind. Das bekomme ich dann nur durch Medienberichte und Stellungnahmen von Verbänden mit. Da muss man dann das Ohr an den News haben und versuchen, alles mitzukriegen. Das ist meine eigentliche Recherchearbeit, in die ich täglich ungefähr eine Stunde stecke.

netzpolitik.org: Als Untertitel auf der Seite des Bundestagszusammenfasser steht: „Denn irgendjemand muss es ja machen.“ Warum ausgerechnet du?

Sabrina Gehder: Im Koalitionsvertrag wurde uns ein digitales Gesetzgebungsportal versprochen, bei dem man sehen sollte, in welcher Phase sich ein Vorhaben gerade befindet. Darauf warte ich schon die ganze Zeit, denn seit Anfang der Legislaturperiode mache ich den Podcast „Parlamentsrevue“.

Dort bespreche ich einmal monatlich, was gerade im Bundestag debattiert wurde. Am Anfang waren wir noch zu zweit und haben uns erstmal eine Liste mit Gesetzgebungsprozessen angelegt, um überhaupt den Überblick zu behalten. Die wurde aber immer unübersichtlicher.

„Dann kann ich das auch online stellen“

Irgendwann habe ich gedacht – ich bin halt von Haus aus Datenbank-Administratorin – ich tue das alles in eine Datenbank. Dann dachte ich: Wenn ich dann schon eine Datenbank habe, dann kann ich die auch online stellen. Und irgendwann letztes Jahr habe ich mich dann über den Weihnachtsurlaub hingesetzt, hatte nichts Besseres zu tun und habe den Bundestagszusammenfasser daraus gemacht.

netzpolitik.org: Woher kommt denn dein Interesse für Gesetzgebungsprozesse? Da geht es ja um alle möglichen Themen von Agrarsubventionen bis digitale Dienste?

Sabrina Gehder: Ich habe mich einfach schon immer für Politik interessiert. Und ich organisiere gern Sachen und behalte den Überblick.

netzpolitik.org: Warum brauchen wir so eine Übersicht?

Sabrina Gehder: Um mehr Transparenz in den Gesetzgebungsprozess zu bringen. Oftmals wird in der Medienberichterstattung zum Beispiel nicht ganz klar, wie weit ein Gesetz überhaupt ist. Da klingt etwas so, als wäre es schon beschlossen, obwohl bisher nur ein Ministerium an einem Entwurf arbeitet.

Manchmal werden Sachen auch wie Stecknadeln unter viel Heu begraben. In den letzten Wochen vor der Sommerpause behandelt der Bundestag zum Beispiel immer ganz viele Gesetze gleichzeitig, da geht schnell etwas unter. Und da kann so eine Plattform helfen, damit man bestimmte Sachen nicht mehr an der Aufmerksamkeit vorbei bekommt.

Auch Menschen in Ministerien nutzen das Portal

netzpolitik.org: Weißt du, wer den Bundestagszusammenfasser nutzt?

Sabrina Gehder: Ja, zum Beispiel Journalist:innen, Jurist:innen oder auch Steuerberater:innen, die über die ganzen Steuergesetze auf dem Laufenden bleiben müssen. Ich kriege aber auch E-Mails von Leuten aus Landesministerien, die mich dann darauf aufmerksam machen, dass irgendwas nicht aktualisiert wurde oder irgendwo ein Fehler drin ist. Also offensichtlich nutzen das Menschen in Ministerien auch.

netzpolitik.org: Glaubst du daran, dass die Bundesregierung es in dieser Legislatur noch schafft, selbst ein digitales Gesetzgebungsportal auf die Beine zu stellen?

Sabrina Gehder: Nein, auf keinen Fall. Dafür müssten ja sehr viele Institutionen miteinander sprechen und Daten austauschen. Das sehe ich nicht kurzfristig kommen. Beziehungsweise fürchte ich, dass die Bundesregierung der Meinung ist, mit ihrem Regierungsmonitor hätte sie ihr Ziel aus dem Koalitionsvertrag auch schon erfüllt. Da gibt es aber nur wenig übersichtliche und ausführliche Informationen.

netzpolitik.org: Würdest du denn mit dem Bundestagszusammenfasser aufhören, wenn die Bundesregierung und die anderen doch ein eigenes Portal hinbekommen sollten?

Sabrina Gehder: Wenn es ein gutes Ergebnis ist, ja, dann lasse ich mir das aus der Hand nehmen. Hauptsache, es gibt so was. Das ist das Wichtigste.

netzpolitik.org: Bis es soweit ist: Wie kann man dich unterstützen, damit du in der Zwischenzeit weitermachen kannst?

Sabrina Gehder: Hauptsächlich finanziell, denn das ist schon ein bisschen Aufwand. Vieles läuft über die Automatisierungsplattform make.com, was Geld kostet. Die ganzen Zusammenfassungen und Strukturierung von Text läuft über GPT-4, und die Schnittstellenabrufe sind nicht ganz günstig.

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4 Ergänzungen

  1. Super Seite, werde ich als interessierter Bürger nutzen, danke!

    Kurze Frage: Was ist denn der Trojanercheck? Manche Gesetze haben ein Warnschild, wo steht, dass da Trojaner wären? Hab dazu keine Erklärung gefunden, FAQs gibt’s nicht…

    1. > Hab dazu keine Erklärung gefunden, FAQs gibt’s nicht…

      Der Begriff entstammt aus der griechischen Mythologie bzw. der IT und heißt soviel wie „Auf den letzten Drücker wurden noch Dinge hinzugefügt, die da ursprünglich nicht waren.“ Was das ist, ergibt sich aus dem jeweiligen Zusammenhang unter dem Punkt „Hinweis“.

      Mal steckt dahinter ein „Das haben wir blöd formuliert. Da müssen wir noch das und das erwähnen.“ und manchmal ist es zum Beispiel wie beim „Gesetz zur Anpassung von Datenübermittlungsvorschriften im Ausländer- und Sozialrecht“ ( https://bundestagszusammenfasser.de/details?docid=80 ), bei dem es unter „Hinweis“ heißt:

      > „Der Innenausschuss hat diesen Gesetzentwurf genutzt, um die bundeseinheitlichen Regelungen zur Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende umzusetzen.“

      Also der Missbrauch des Gesetzes zur Umsetzung von etwas Anderem, das in der Öffentlichkeit weniger beliebt ist.

  2. Respekt für den persönlichen Einsatz, und viel Arbeit für eine einzelne Person.
    Dennoch stehe ich dem Einsatz von GPT4 kritisch und ablehnend gegenüber.

    Begründung:
    Wer AI benutzt trainiert diese zugleich. Wer Firmen wie OpenAI bezahlt macht diese noch mächtiger. OpenAI ist eine Firma, die sich schneller entwickelt, als Regulation hinterher hinkt. Das ist gefährlich, und deswegen lehne ich Nutzung und Zusammenarbeit mit solchen Firmen ab.

    Geht es anders?
    > Die vollständigen Tagesordnungen der Ausschussitzungen liegen nur als PDF pro Sitzung vor

    Dafür gibt es pdf-to-text-Converter und ein Parser kann die Daten aus dem Text extrahieren.

    > Nicht nur hat jedes Ministerium dafür eine eigene Webseite im eigenen Design ohne offene Schnittstelle – sie ändern das Design auch teilweise so einmal pro Jahr.

    Auch dafür gibt es HTML/XML-Parser. Die zu pflegen ist aber Aufwand.

    Das zusammengenommen könnte ein Team stemmen und AI überflüssig machen. So aber macht AI das Zusammenarbeiten von Menschen überflüssig. Und ja, die Ministerien sollten eine einheitliche API bereitstellen, das wäre noch besser.

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