Fußball-EM 2024Kritik an potenziellen Überwachungsmaßnahmen

Bald rollt der Ball bei der Fußball-Europameisterschaft – und alle hoffen auf ein friedliches Turnier. Trotzdem darf die Veranstaltung nicht Anlass zum Überwachungs-Albtraum werden, mahnt der Deutsche Anwaltverein.

Zu sehen ist die Frankfurter Arena. Das Stadion ist umgeben von vielen Bäumen und einigen kleineren Gebäuden. Es ist etwas neblig.
Die Frankfurt Arena ist eines der Gastgeberstadien für die kommende Europameisterschaft. CC-BY 2.0 Ron Reiring

In zehn deutschen Städten wird diesen Sommer die Fußball-Europameisterschaft der Männer ausgetragen – und wie bei allen großen Sportveranstaltungen werden Rufe nach verstärkten Sicherheitsmaßnahmen laut. Zuletzt hatte der kürzlich verübte islamistische Anschlag auf eine Konzerthalle bei Moskau in ganz Europa die Aufmerksamkeit auf potenzielle Terrorgefahren gelenkt.

Nach Angaben von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sollen deutsche und französische Sicherheitsbehörden eng kooperieren: bei der EM sowie bei den Olympischen Spielen in Paris, die ebenfalls diesen Sommer stattfinden. So manchem geht dies aber offenbar nicht weit genug, vor allem konservative Politiker:innen fordern weiter erhöhte Sicherheitsvorkehrungen und mehr Überwachung. Daran regt sich nun Kritik.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt in einer Pressemeldung vor einem übermäßigen Ausbau staatlicher Überwachung unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung. Konkret hebt er drei problematische Überwachungstechnologien hervor, die nun auf keinen Fall etabliert oder weiter ausgeweitet werden dürften.

Staatstrojaner, biometrische Überwachung, Vorratsdatenspeicherung

Kritisch sieht der DAV den Einsatz von Staatstrojanern. Der heimliche Zugriff auf persönliche Geräte sei bereits heute sowohl für Strafver­fol­gungs­be­hörden als auch für Nachrich­ten­dienste möglich. Er bleibe aber ein massiver Eingriff in die Grundrechte und sollte nicht zur Standard-Maßnahme mutieren. Rechts­anwalt Dr. Nikolaos Gazeas ist Mitglied des DAV-Ausschusses Gefahren­abwehrrecht und kritisiert: „Der Staat nutzt Sicher­heits­lücken, die er eigentlich schließen sollte – und lässt damit sehenden Auges ein Einfallstor für Kriminelle offen“.

Auch biometrische Videoüberwachung betrachtet der DAV als schweren Eingriff in die informa­tionelle Selbst­be­stimmung. Die Hürden, solche Eingriffe zu rechtfertigen, seien zu Recht hoch, sagt Gazeas. Inwieweit biometrische Gesichtserkennung in Deutschland zukünftig erlaubt sein wird, steht gerade auf der Kippe. In der europäischen KI-Verordnung wurde sie nicht konsequent verboten. Datenschützer:innen fordern deswegen, dass diese Form der Überwachung auf Bundesebene gänzlich untersagt werden soll.

Die Position der Bundesregierung: Eine Echtzeit-Auswertung von Videomaterial soll nicht erlaubt sein, eine nachträgliche Auswertung von Aufnahmen kommt allerdings infrage. Auch das kritisiert der DAV. Die Unterscheidung der Bundesregierung zwischen „Echtzeit“ und „retrograder“ Auswertung ändere nichts an der Tiefe des Eingriffs. „Um die Grundrechte aller Bürger:innen […] zu schützen, sollte das KI-Gesetz jegliche biometrische Ferniden­ti­fi­zierung – ob in Echtzeit oder nachträglich – in öffent­lichen Räumen durch jeden Akteur umfassend verbieten“, betont Dr. David Albrecht vom Anwaltsverein.

Als drittes Problem macht der DAV die anlasslose Vorrats­da­ten­spei­cherung aus. Seit Jahren warne der Verein davor, legitime Interessen wie Kinder­schutz oder Terroris­mus­be­kämpfung zur unverhält­nis­mäßigen Einschränkung von Grundrechten zu instru­men­ta­li­sieren. Die massenhafte Speicherung von Kommunikationsdaten sei ein starker Eingriff in die Grundrechte. So urteilte auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in vergangenen Entscheidungen zu dem Thema.

Grenzkontrollen und mehr Befugnisse für die Polizei

Nancy Faeser kündigte bereits im März verstärkte Sicherheitsmaßnahmen für die Sportveranstaltung an. Gegenüber der Rheinischen Post sprach sie von schärferen Kontrollen an allen deutschen Grenzen, „um mögliche Gewalttäter an der Einreise hindern zu können“. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellte sich hinter diese Pläne: „Das ist ein ganz bewährtes Instrumentarium, das wir in Europa haben und das wir hier einsetzen und das eben der Sicherheit dient.“ Es habe solche Kontrollen auch schon bei anderen Großereignissen gegeben – zum Beispiel bei der Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2006.

Die Union wünscht sich angesichts der vermeintlichen Bedrohungslage mehr Befugnisse für die Polizei und Nachrichtendienste in Deutschland. Der Abgeordnete Thorsten Frei (CDU) forderte im Gespräch mit der Augsburger Allgemeinen etwa „Instrumente wie die Onlinedurchsuchung oder die Auswertung der Videoüberwachung mit Mitteln der Gesichtserkennung und der künstlichen Intelligenz.“ Diese wären nicht nur für die Terrorabwehr wichtig, sondern auch für die klassische Kriminalitätsbekämpfung, so der Innenpolitiker.

Seitens der Polizei heißt es, man wolle das Turnier mit „maximaler Stärke“ schützen. Daher gebe es zur EM eine Urlaubssperre für Polizist:innen, teilte Andreas Roßkopf, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei für den Bereich Bundespolizei, der Rheinischen Post mit. Die Landespolizei Nordrhein-Westfalen setzt nach Angaben des Handelsblatts bereits einfache Videotechnik an kriminalitätsintensiven Standorten ein. Eine flächendeckende Überwachung während des Turniers schließe der NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) jedoch aus. Zukünftig könnte biometrische Gesichtserkennung die Polizeiarbeit allerdings gut ergänzen.

1 Ergänzungen

  1. Dafür brauch es letztlich ad-hoc Fähigkeiten. So eine Art Enklave, wo die Daten zunächst eine besonders geschützte Senke reinfließen, gemäß Notwendigkeiten ausgewertet werden, natürlich mit Anbindung an Polizei und weitere Dienste bis zu Militär, aber strikt gemäß Kontext, mit klar eingegrenzten Befugnissen und Löschfristen, sowie Regelungen zu Transparenz, Kontrolle und Veröffentlichung. Das baut man in einem Bunker, setzt richtige Topprofis rein, dann wird das auch nicht für Allerweltsermittlungen mißbraucht.
    Großereignis mit Terrorumfeld zzgl. geostrategischer Opportunität für Dritte bis Fünfte, Staatsbesuche, sowas. Statt immer alles. Letztlich baut man eine Regierungsstadt, sonst muss man dauernd alle überwachen wie blöd.

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.