Das Bundesverfassungsgericht hat einer Verfassungsbeschwerde gegen die Durchsuchung einer Wohnung im Zusammenhang mit einer sogenannten „Adbusting-Aktion“ (2 BvR 1749/20) entsprochen – und die Hausdurchsuchung als unangemessen und unverhältnismäßig eingestuft. Unter Adbusting versteht man das Verändern von Werbung mit satirischen oder politischen Botschaften, die oftmals den Absichten des ursprünglichen Werbers entgegenstehen.
Im konkreten Fall ging es um die Jura-Studentin Frida Henkel, die eigentlich anders heißt. Sie hatte im Mai 2019 ein Plakat der Bundeswehr verändert. Das Original-Werbemotiv hatte mit dem Slogan „Geht Dienst an der Waffe auch ohne Waffe?“ nach IT-Kräften gesucht. Die Studentin änderte den Spruch in „Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe!“ – und hängte das veränderte Plakat in einen Werbekasten. Hierzu benutzte sie einen üblichen Vierkantschlüssel.
„Polizei hat mich wegen meiner politischen Haltung kriminalisiert“
Polizist:innen beobachteten die Aktion, stellten Henkel und nahmen ihre Personalien auf. Die Berliner Polizei ermittelte daraufhin gegen die Studentin wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung. Das LKA sprach davon, dass die Bundeswehr „gar lächerlich“ gemacht worden sei.
Etwa ein halbes Jahr später, im September 2019, durchsuchte die Polizei drei Wohnungen wegen der Sache, darunter auch die Wohnung von Henkels Eltern. „Wenn mein Plakat nicht die Bundeswehr kritisiert, sondern nur die Bushaltestelle dekoriert hätte, wäre der Durchsuchungsbeschluss so nie ergangen. Dass die Polizei mich wegen meiner politischen Haltung kriminalisiert, kann ich nicht schweigend hinnehmen“, sagt Frida Henkel heute.
Henkel ließ die Hausdurchsuchung nicht auf sich beruhen und klagte vor dem Landgericht. Als das Landgericht die polizeiliche Maßnahme als verhältnismäßig einstufte, reichte Henkel gemeinsam mit den Rechtswissenschaftlern Prof. Mohamad El-Ghazi von der Universität Trier und Prof. Andreas Fischer-Lescano von der Universität Bremen eine Verfassungsbeschwerde ein.
Durchsuchung unverhältnismäßig
Nun hat Karlsruhe beschlossen, dass die Hausdurchsuchung unverhältnismäßig war. In der Begründung heißt es, dass die Anordnung der Durchsuchung unangemessen war, da die Schwere des Eingriffs außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck stehe:
Im Rahmen einer umfassenden Gesamtabwägung, die die hohe Bedeutung der Unverletzlichkeit der Wohnung in den Blick nimmt, sprechen der allenfalls schwache Anfangsverdacht der vollendeten Sachbeschädigung, die fehlende Schwere der Taten, die geringe Wahrscheinlichkeit des Auffindens der erhofften Beweismittel und deren untergeordnete Bedeutung für das Strafverfahren gegen die Angemessenheit der Durchsuchungsanordnungen.
Das Gericht wies damit auch zurück, dass das Entfernen eines Werbeplakates einen besonders schweren Fall von Diebstahl darstelle.
Während das Gericht zwar die Durchsuchung als unverhältnismäßig einstufte, sieht es nicht die Grundrechte auf Kunst- und Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin betroffen. Genau in diesen Grundrechten hatte sich Henkel aber beeinträchtigt gefühlt, weil die Polizei mit derart harten Geschützen auffuhr. Das hatte auch der an der Beschwerde beteiligte Jurist Andreas Fischer-Lescano so gesehen: „Das Vorgehen gegen spezifische Meinungsinhalte wird von Artikel 5 Grundgesetz grundsätzlich untersagt. Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt“, hatte er im Verfassungsblog geschrieben.
Frida Henkel wertet den Beschluss aus Karlsruhe als Erfolg. „Ich bin sehr zufrieden“, sagt sie gegenüber netzpolitik.org. Alleine dass sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Fall beschäftigt habe, sei schon wichtig gewesen. „Der Beschluss ist eine Ohrfeige für die Berliner Polizei und auch das Berliner Landgericht, er zeigt, wie lächerlich der Verfolgungsrausch der Polizei war.“ Henkel geht davon aus, dass mit dem Beschluss aus Karlsruhe die Aktionsform des Adbustings insgesamt gestärkt werde, aber auch der Polizei Grenzen gesetzt würden beim Vorgehen gegen zivilen Ungehorsam.
Auch der Jurist Mohamad El-Ghazi ist zufrieden: „Das Bundesverfassungsgericht hat der Beschwerdeführerin in allen relevanten Punkten recht gegeben und den Staat in seine Grenzen gewiesen.“ Zwar könne Adbusting strafbar sein, aber die im Raum stehenden Straftaten des versuchten Diebstahls und der Sachbeschädigung an Plakaten würden keinen so tiefen Grundrechtseingriff rechtfertigen. „Es ist gut und wichtig, dass das Bundesverfassungsgericht die Berliner Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte daran erinnert hat“, so El-Ghazi gegenüber netzpolitik.org.
Adbusting im Visier der Behörden
Adbusting gerät immer wieder ins Visier von Polizeibehörden. So nahm die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main im Jahr 2022 Ermittlungen gegen einen Aktivisten wegen „verfassungsfeindlicher Verunglimpfung“ auf. Stein des Anstoßes war ein Plakat, das den ehemaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer mit einer Augenklappe auf dem rechten Auge zeigte. Das Motiv kritisierte auf satirische Weise Seehofers Umgang mit Rassismus in polizeilichen Strukturen. Die Staatsanwaltschaft leitete die Ermittlungen eigenmächtig ein, ohne dafür vorab die erforderliche Zustimmung des betroffenen Ministers eingeholt zu haben. Nachdem der Fall öffentlich bekannt wurde, stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein.
Im Jahr 2018 stufte der Verfassungsschutz eine andere Adbusting-Aktion als „gewaltorientierten Linksextremismus“ ein. Die politische Kunstform schaffte es in den Jahren zuvor sogar bis ins Gemeinsame Extremismus- und Terrorabwehrzentrum (GETZ), wo man 2018 und 2019 vier Fälle von Adbusting auf dem Tisch hatte. Auch der Militärische Abschirmdienst (MAD), der Geheimdienst der Bundeswehr, beschäftigte sich zwischen 2015 und 2019 insgesamt 13 Mal mit Veränderungen von Bundeswehrplakaten. Ein Fall davon betraf das Peng-Kollektiv, das eine Bundeswehr-Werbung parodiert hatte.
Welche Konsequenzen hat das höchstrichterliche Urteil für jene, die diese rechtswidrige Hausdurchsuchung angeordnet haben?
Welche Wiedergutmachung erhält die Person, die diese rechtswidrige Hausdurchsuchung erdulden musste?
Wie hoch ist die Summe der Rechtskosten dieses Verfahrens durch alle Instanzen?
Keine negativen.
Keine.
Irgendwo sechsstellig, aber muss ja keiner der beteiligten Beamten und Politiker bezahlen.
Null Euro. Null Konsequenzen. Pimmelgate vergessdn? Sechs Polizisten stürmten um sechs Uhr die Wohnung weil jemand einen Politiker mit „Du bist 1 Pimmel“ beleidigte. Verhältnismäßigkeit ist längst vergessen gewesen.
Na, die Berliner Polizei muss nun ein Jahr lang mit einem Aufnäher „Verfassungsfeind“ durch die Straßen laufen, und sich auf Aufforderung für die Frevelhaftigkeit der rechten Vorgesetzten entschuldigen. Demut ist der oberste Leitsatz der Staatsmacht. Nie wieder heißt nie wieder,
Zu den Kosten:
Eigentlich ist es gut geregelt: Zitat: „Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist gemäß § 34 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz grundsätzlich kostenfrei. Niemand soll aus Kostengründen davon abgehalten werden, seine Grundrechte geltend zu machen.“
(Link: https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Wichtige-Verfahrensarten/Kosten-fuer-verfassungsgerichtliche-Verfahren/kosten-fuer-verfassungsgerichtliche-verfahren_node.html )
Eine Verfassungsbeschwerde ist nicht Teil des Instanzenzuges. Ein Anwaltszwang besteht nicht. Die Kosten könnten deshalb auch (nahe) bei Null liegen (z.B. Briefporto).
Die Kosten auf Seiten des Staates sind natuerlich enorm: Personal, Material, Zeit.
Im Zuge mancher „Digitalisierungsversuche“ sind die Staatskosten schon konkret auch direkt für die Menschen spürbare Kosten.
Es setzt dann vielleicht Appeasement bei Eltern ein, denn was Regierungen noch nicht gelernt haben, soll die Mamsel auch nicht können. So soll der Fokus auf die Verfehlungen der Kinder, statt z.B. auf die Quatschgesetzgebung, deren „Architektur“ jedem Kuhfladen lächerlich erscheinen muss, deren intellektuelle Sinnhaftigkeit keine Zukunft kennen muss, und deren „Architekten“ für etwas anderes ausgebildet, für wiederum etwas ganz anderes gewählt, und absurderweise für außerirdisch anmutend differenzierungswürdige Gründe von Dritten bis Fünften für eben dieses Vorhaben eingesetzt worden waren, zeigen.
Überlegt doch einmal: Der Verfremden von Plakaten wird eine Sache des Staatsschutzes….
Was kann man mit Plakatvitrinen machen? Aufbrechen, dann wäre es Sachbeschädigung. Einen Vierkantschlüssel im Baumarkt kaufen, dann ist es irgendwas zwischen Hausfriedensbruch und Zweckentfremdung. Wenn dieser Vierkantschlüssel vorher geklaut wurde, Diebstahl. Wenn das Plakat zerstört wurde wieder Sachbeschädigung, wenn das mitgenommen wurde, wieder Diebstahl.
Und für diese Delikte werden so harte Geschütze aufgefahren? Politische Verfolgung würde ich das nennen.
Jetzt habe ich Angst, ich würde mit Flugblattaktionen gegen den Antisemitismus ebenfalls vors Gericht gezerrt werden.
Die von Ihnen aufgezählten Taten sind alle strafbar nach StGB. Ich sehe da keine politische Verfolgung.
Es ging hier um eine Verfassungsbeschwerde gegen die Wohnungsdurchsuchung ein halbes Jahr nach der Tat. Diese wurde vom BVerfG als Verstoss gegen die grundgesetzlich geschützte Unverletzlichkeit der Wohnung angesehen, da sie in keinem angemessenen Verhältnis zum Tatvorwurf stand.
Sollten Sie alleine wegen einer Flugblattaktion „vors Gericht gezerrt“ werden würde ich mich zuerst einmal wundern, weil kein Tatvorwurf gegeben ist. Oder ich würde auch Ihnen zur Verfassungsbeschwerde raten. Sie sehen ja, dass es funktioniert. Sie könnten aber auch (zusätzlich) Strafanzeige stellen: die Verfolgung Unschuldiger ist ein Amtsdelikt (§344 StGB) und wird mit Freiheitsstrafe zwischen 1 und 10 Jahre geahndet.
Also zB die StA in BaWue verfolgt auch mal Linke verlierend durch alle Instanzen, um auch ganz sicher ihre Unschuld hoechstinstanzlich feststellen zu lassen.
Solch grobes Fehlverhalten muss endlich mal drastische Konsequenzen für alle Teilhabenden haben, die etwas so dermaßen rechtswidriges vorangetrieben haben. Sonst wird das immer so weitergehen.
Eine sinnvolle Nachverfolgung wäre ein Untersuchungsausschuß, der die Hintergründe dieser Polizeiaktionen untersucht und prüft, inwieweit die beteiligten Behörden und Gerichte noch auf der Grundlage des Grundgesetzes agieren.
Nachdem der EuGH festgestellt hat, dass die deutsche Justiz nicht die eigentlich in Europa (und vom Grundgesetz!) vorgeschriebene Unabhängigkeit von der Regierung hat (da Regierungen weisungsbefügt gegenüber Staatsanwälten sind), wäre es wichtig, dass die Parlamente ihre Kontrollfunktion ernst nehmen, und Behörden und Regierungen genauer auf die Finger schauen.
Urteile wie dieses hier wären der perfekte Aufhänger dafür.