Gerade hat die dreistündige Debatte des Human Rights Caucus begonnen. Der Raum ist fast voll und das Interesse gross. Das war nicht immer so in den letzten drei Jahren, allerdings ist ds Thema Menschenrechte im WSIS-Prozess aktueller denn je. Schuld daran ist Tunesien, Ausrichter des zweiten World Summit on the Information Society im kommenden November. Tunesien ist nämlich nicht nur das sonnige und billige Urlaubsland auf der anderen Seite des Mittelmeeres, es ist zudem eine Diktatur, in der Menschenrechte mit Füssen getreten werden.
Eigentlich war gedacht, alle Vorbereitungskonferenzen in Tunesien abzuhalten. Die erste fand auch im vergangenen Jahr dort statt, allerdings geriet das ganze zu einem kleinen Desaster. Busseweise wurden „Tunesiens zivilgesellschaftliche Vertreter“ zu den Civil Society – und Human Rights – Meetings gekarrt, die alte „K-Gruppen – Strategien“ anwandten um zu stören und Menschenrechtler zu bedrohen. Klar, dass das keine Vertreter von Non-Governmental-Organisations waren, sondern „Governmental Organisations“, denn unabhängige NGOs sind nicht zugelassen. Viele Regierungsvertreter anderer Nationen erkannten da zum ersten Mal, dass an der Kritik der internationalen Civil Society am Austragungsort Tunesien etwas dran ist. Es ist auch schon bezeichnend, dass der offizielle tunesische WSIS-Beauftragte ein ehemaliger General ist, der sich vieler Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat. So findet die Prepcom2 nun also in einem sicheren Gebiet statt.
Menschenrechte im WSIS-Prozess
Rikke Frank Jorgensen vom dänischen Institut für Menschenrechte, der dänischen NGO DigitalRights.dk und Co-Vorsitzende des Human Rights Caucus gab einen Überblick über Menschenrechte im WSIS-Prozess. Menschenrechte und Soziale Gerechtigkeit spielen nach wie vor eine Schlüsselrolle für die internationale Zivilgesellschaft im WSIS-Prozess. Und nach wie vor ist es schwierig, von den eher technokratischen Diskussionen den Akzent auf die Menschenwürde zu verlagern. Gerade der Link zwischen den Fragen nach Entwicklung der dritten Welt und Menschenrechten ist weiterhin bedeutend und muss verstärkt werden. Gleiches gilt für die Finanzierungsdebatten. Anstatt darüber zu diskutieren, ob alle die bald 60 Jahre alte UN-Deklaration der Menschenrechte gut finden (Viele Staaten tun dies nicht, wie China, Tunesien, Pakistan…) müssen Menschenrechtsstandards für das digitale Zeitalter ausgebaut werden.
Die WSIS-Abschlussdeklaration weist viele Missstände auf. Arbeitsrechte und Prinzipien der Nicht-Diskriminierung kommen kaum vor und der Bereich Datenschutz / Privacy ist viel zu kurz gekommen. Alle Arbeitsdokumente konzentrieren sich auf Infrastrukturen-Fragen, die hauptsählich die Privatwirtschaft und Regierungen interessieren. Dabei sollten wir Menschen und der Zivilgesellschaft ermöglichen, an einer inklusiven Informationsgesellschaft aktiv zu partizipieren.
Rikke sprach auch über den Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Internet Governance, dem Hauptthema der zweiten Prepcom. Journalisten gegenüber ist das Thema schwer zu vermitteln, es sei einfacher über Folterungen zu reden, als über eine nicht greifbare Überwachung des Netzes. Aus Menschenrechtssicht müsste das Endresultat sein, dass weltweit Menschen unzensiert und nicht überwacht kommunizieren können. Aber: „We have to make sure, that we don´t slight backwards“, so Rikke.
Menschenrechte in China?
Danach sprach Sharon Hom , Geschäftsführerin von Human Rights in China über das Thema „China and the Information Society – What´s at Stake“. Was für eine grandiose Präsentation und kraftvolle Rede voller Informationen. Echt beeindruckend. Muss mich gleich mal umschauen, ob jemand das hier mitgeschnitten hat.
China hat eine ungleiche soziale Entwicklung, was auch den Zugang zu IT-Infrastrukturen ausmacht. Während die östlichen Provinzen reich und weitgehend „drin“ sind, gibts im Westen nicht mal in jedem Dorf ein Handy, geschweige denn Internet. Gleiches gilt für fliessendes Wasser. Hauptsächlich gehen die Menschen über Internetcafes ins Netz, sofern sie nicht Studenten sind oder für grössere Firmen arbeiten. Viele Internetcafes werden aber ständig geschlossen, wenn nicht die notwendigen Überwachungssysteme installiert sind. Diese nennt man dann „illegale Internetcafes“, im Westen wird das ganze dann meistens mit „Unzureichende Notausgänge, Feuerschutz, etc“ kommuniziert.
China´s Informationskontrolle und Überwachungs-Architektur steht einer grösser werdenen Zivilgesellschaft und sozialen Unruhe gegenüber. Die Überwachungsinfrastruktur ist allgegenwärtig: Firewalls, Proxies, Zensurmassnahmen bei den Providern, E-Mail- und Webseitenüberwachung, dazu werden die Suchmaschinen zensiert.
Mehr als 60 Gesetze regeln das Internet. Mehr als 30000 Staatssicherheitsangestellte durchsuchen chatrooms, e-mail und websites! Viele ausländische Firmen helfen bei Überwachung und Zensur. Dazu wird die Staats-Ideologie über Massenmedien und mittels Propaganda der Bevölkerung vermittelt. Ein effektiver Polizeiapparat sorgt dafür, dass „Kritiker“ vorgeladen und in Arrest gesteckt werden, wenn sie nicht Selbstkritik üben.
„Chinesischen sind freier als vorher, allen gehts doch besser?“
Informationen von HRinChina werden geblockt, ebenso viele ausländische Medien und Menschenrechtsorganisationen. Über eine Mailingliste liefert HRinChina jede Woche neue Proxies an Chinesen, damit diese für kurze Zeit über die aufgebauten Tunnel an zensierte Informationen kommen.
Es gibt ein umfassendes Staatssicherheitssystem. Informationen zu Arbeitsrechten, Religion, Sozialer Gerechtigkeit, Umwelt, Gesundheit, Landnutzung, Ethnischen Minderheiten und Familienplanung sind unerwünscht und werden herausgefiltert!
Das erzeugt eine Kultur und ein Klima der Angst, welches Selbstzensur befördert. Dies sind keine neue kulturellen Entwicklungen, nur ein technisches Upgrade eines Regimes durch Informationstechnologien!
Dem gegenüber steht eine wachsende Zivilgesellschaft, die zunehmend das Internet für politische Proteste nutzt. Die Zahl der chinesischen Weblogs ist in den letzten vier Jahren von 2000 auf 500000 Weblogs gestiegen.
HRinChina setzt sich dafür ein, dass global Aufmerksamkeit und Unterstützung für die Schicksale der Cyber-Dissidenten gestärkt werden. Mit technischen Massnahmen werden Wege gesucht und gefunden, um die chinesische IT-Mauer zu durchbrechen und Informationen ins Land zu bringen.
So, der Raum ist mittlerweile brechend voll, aber ich brauche mal eine Pause. Gerade redet Mokhtar Trifi, Präsident der Tunisian Human Rights League. Viele Kritiker der Diktatur werden in Tunesien für ihre freie Meinungsäusserung im Internet als Terroristen von Al Quaida diffamiert und für das online stellen von Dokumenten ins Gefängnis gesteckt.
Update 17:54
Gerade berichtet ein älterer Zuhörer im Saal über eine Tour von Menschenrechtsaktivisten nach Tunesien. Er sei über 300 Male in seinem Leben verreist, aber niemals zuvor wäre er bei jedem Schritt von der Polizei verfolgt worden. Überall habe man ihm erzählen wollen, dass Tunesien eine Demokratie sei und über eine freie Presse verfüge. Er habe zu den Tunesiern gesagt, dass im November 13000 Kommunikationsexperten nach Tunesien kommen würden, die auch ihre Medien lesen und sehen würden. Wenn sie dann immer noch sagen würden, dass sie eine Freie Presse hätten, würden sie von 13000 Leuten ausgelacht.
Update 18:05
Jetzt fangen die Tunesier an, sich an der Debatte zu beteiligen. Nichts sei dran an all den Anschuldigungen, sie würden in einem freien Land leben und den meisten ginge es sehr gut. Und ausserdem gehe es beim WSIS nicht um Tunesien sondern um die ganze Welt, man solle doch darüber reden. Darauf gabs erstmal Applaus von den ca. 15 Anwesenden Tunesiern, die sich ständig melden, in der Hoffnung auf einen Redebeitrag wie diesen gerade.
Update 18:08
Nun ist ein alter Tunesier dran, der im Exil lebt und darüber berichtet, dass seine Bücher verboten wurden und er flüchten musste. So gehts gerade hin und her. Dazu muss man sich vorstellen, dass die Hälfte der Tunesischen „GO-ler“ eher wie durchtrainierte Soldaten aussehen als wie normale NGO-Aktivisten und sehr aggressiv sprechen, bzw. aggressiv auf sich aufmerksam machen, damit sie auchmal „eine Frage stellen können“. Die Sitzungszeit ist nämlich eben abgelaufen und eigentlich wäre das nächste Meeting in diesem Raum dran. Aber dazu ist die Athmosphäre auf einmal zu aufgeheizt.
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