Die Zukunft der elektronischen Demokratie?

In Bremen findet seit gestern eine internationale Konferenz zum Thema “e-Demokratie” statt, veranstaltet von HansePassage und eVoice. Das Publikum sind überwiegend Leute von verschiedenen Stadtverwaltungen aus dem Verbund der „Neuen Hanse“, dazu ein paar Forscher. Es gibt Vorträge von Bürgermeistern über deren „best practice“, von Leuten wie Tom Steinberg vonMySociety.org, ein „Futurologe“ macht die Moderation, und mir haben sie sogar extra einen Laptop zum Bloggen zur Verfügung gestellt.

Der Bürgermeister von Groningen, Jaques Wallage, machte zu Beginn sehr schön deutlich, dass es einen immer größeren Widerspruch gibt zwischen der hierarchischen Organisation von Politik auf der einen Seite und der horizontal vernetzten und organisierten Gesellschaft auf der anderen Seite. In seiner Stadt haben sie daher mit Bürgerportalen angefangen, die sich an einzelne Stadtteile richten und eigentlich kaum mehr sind als eine Erweiterung des Treffens und Tratschens auf dem Wochenmarkt. Die Leute können dort mitmachen, selber Videos und anderes zur Verfügung stellen und sich austauschen. Das Projekt ist wohl recht populär, aber vor allem hat es dazu geführt, dass die Leute über dieses niedrigschwellige und auf den ersten Blick unpolitische Angebot wieder mehr in die Lokalpolitik einbezogen werden. Sein Fazit: Elektronische Beteiligung funktioniert nur, wenn sie von der Bevölkerung ausgeht bzw. reale Gemeinschaften ins Netz erweitert – nicht, wenn man es Top-Down versucht.

Ann Macintosh von der Napier Univerity in Edinburgh stellte ihre Forschungsergebnisse zu den verschiedenen Tools und Methoden der elektronischen Bürgerbeteiligung vor. Ihr Fazit: Nur irgendwelche Web-Spielzeuge einzusetzen reicht nicht, wenn nicht auch eine Innovation der organisatorischen Prozesse damit verbunden wird. Das ist aber viel schwieriger, weil es von kulturellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen hängt, und die kann man eben nicht direkt mit Technologie umbauen.

Tom Steinberg von MySociety.org aus London hat dann von seinen Erfahrungen mit einer der größten Bürgerbeteiligungs-Webseiten Europas berichtet und direkt an diese Debatte angeknüpft. Seine zwei Thesen:

  1. We are starting to see a division within the field of e-democracy between those who use technology to play the current political game as well as possible, and those who use technology to change the political game itself.
  2. Every day governments waste millions of opportunities to explain to citizens how they can influence the services they are getting.

Dann hat der Futorologe aus den Niederlanden, Marcel Bullinga, seine interaktive Präsentation gestartet. Viele Videos, viel Hyper-Hyper-Visionen über die intelligent vernetzte und von jedem individuell gestaltete Zukunft, viel Techno-Optimismus – für meinen Geschmack sehr nervig, sehr unkritisch, sehr viel Show und insgesamt eine „ihr Politiker wisst nicht, was ich weiss“-Attitüde. Allerdings hat er es damit irgendwie geschafft, eine Diskussion darüber anzustoßen, welche Zukunft sich die Leute vorstellen. Fazit: „There are many different futures“.

Jetzt ist Mittagspause. Ich werde vielleicht später noch mehr drüber schreiben.

Am Nachmittag war ich dann in dem Workshop zur e-Participation in der Politik. Die Lehre aus Sheffield war vor allem: Geht auf die Straße, macht Events, redet auch als Lokalpolitiker wieder direkt mit den Menschen, gebt ihnen Orte und Zeiten für eigene Meinungsäusserungen im Politikprozess – dann haben sie auch wieder mehr das Gefühl, es ist wirklich ihre Stadt. Die e-Verfahren, die er noch vorgestellt hat, waren meiner Meinung nach da mehr ein nettes add-on: Man kann den Stadträten jetzt auch Mails schreiben, kann Bürgerservices online nutzen, und es gibt in Sheffield jetzt 40 Kiosk-Terminals an Bushaltestellen und anderen öffentlichen Orten. Ach ja, man kann jetzt auch elektronisch wählen, und jeder Bürger hat eine Smartcard für die online-Autentifizierung bekommen. Kein Bewusstsein für die Probleme des e-Voting, kein Wort zu Datenschutz. Tja.

Roc Fages aus Spanien hat dann eine Reihe von Politker-Blogs und kommunalen Wikis vorgestellt. Das ist in den USA, aber auch in Spanien und anderswo schon viel verbreiteter als hier. Haupt-Erkenntnis: Wenn man einen Pressesprecher bloggen lässt, dann merken das die Leute ziemlich fix, und man verliert an Glaubwürdigkeit. In der Diskussion stellte sich heraus, dass einige der anwesenden Lokalpolitiker es schon mit einem eigenen Blog versucht hatten, aber Schwierigkeiten hatten, einen guten Stil zu finden. Offenbar erfordert es doch etwas Mut, wenn man sonst mehr die direkte Rede gewöhnt ist. Als die Frage aufkam, welche Relevanz das denn überhaupt hat, wenn pro Blog-Eintrag nur ein verschwindend geringer Teil der Bevölkerung auch reagiert und kommentiert, gab es aus dem Publikum eine schöne Antwort: Natürlich ist das nicht repräsentativ, aber jeder Gedanke, der in der Öffentlichkeit diskutiert wird, gewinnt an Qualität.

Insgesamt war es ein interessanter Ausflug in die Niederungen der „e-Demokratie“ auf lokaler Ebene. Das scheint besonders hier gut zu funktionieren, wenn Prozesse der online- und offline-Beteiligung der Bürger miteinander verknüpft werden. Ob das in großräumigeren Einheiten wie dem Nationalstaat oder gar der internationalen Politik auch funktioniert, kann man aber daraus nicht ableiten. Grundlegende Fragen, etwa zum Demokratiemodell, zum Minderheitenschutz, zum Wandel von Öffentlichkeit oder eben zur anonymen Teilnahme an solchen Verfahren kamen leider ebenfalls nicht auf.

7 Ergänzungen

  1. Da frage ich mich ehrlich, warum diese „Basisdemokratie“ mittlerweile so „abgehoben“ ist?

    Und dabei zeigen die Blogs ja eigentlich, wie gut diese horizontalen Prozesse funktionieren.

  2. Spannender text. Ich habe eben selber einmal einen kleinen Post über bloggen geschrieben. Ich hoffe, dass sich die BloggerInnen in Zukunft noch viel besser vernetzen und auch auf dei Realpolitik eine Wirkung haben. Was uch am schwierigsten finde ist die Emanzipation gegenüber den Printmedien.

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