Kaum ein Konzern braucht gerade dringender gute Nachrichten als Facebook. Seit Wochen zeigen Enthüllungen der Whistleblowerin Frances Haugen, wie schlecht sich das soziale Netzwerk im Kampf gegen Desinformation und Propaganda geschlagen hat – und wie wenig interne Warnungen von Mitarbeiter:innen bewirkt haben. Auch die Umbenennung in „Meta“ lenkt kaum von der Flut an kritischen Nachrichtenartikeln ab.
Jetzt ist Meta ein PR-Stunt gelungen, und fast alle Nachrichtenmedien machen mit.
Wer deutsche und internationale Schlagzeilen liest, könnte meinen, Facebook verabschiede sich endlich von der Gesichtserkennung. „Facebook schaltet Gesichtserkennung ab“, titeln etwa die Tagesschau auf Deutsch und der Guardian auf Englisch.
Das trifft es aber nicht ganz. Auch wenn sich der Eindruck aufdrängt, wenn man die Pressemitteilung überfliegt. Demnach war Facebook ein extrem fleißiger Datensammler. Mehr als jede dritte Person, die Facebook täglich nutzt, habe der Gesichtserkennung zugestimmt. Das bedeutet, Facebook hat jahrelang Gesichter von Hunderten Millionen Menschen in Fotos und Videos vermessen und identifiziert.
Mit diesem großen Datensammeln soll bald Schluss sein, wie Facebook mitteilt. Auch rückwirkend würden die biometrischen Daten der Menschen gelöscht, insgesamt mehr als eine Milliarde Datensätze. Der Konzern spricht von einem der „größten Umbrüche beim Einsatz von Gesichtserkennung in der Geschichte der Technologie“. Als einen Grund nennt Facebook unter anderem wachsende gesellschaftliche Bedenken.
„Wir werden weiter an diesen Technologien arbeiten“
Die Bedenken sind real. Mit Gesichtserkennung lässt sich systematisch die Privatsphäre von Menschen verletzen, denn insbesondere biometrische Daten lassen sich schnell missbrauchen. Gesichtserkennung könnte auch Anonymität in der Öffentlichkeit praktisch abschaffen. Eine Welt mit flächendeckend zugänglichen Datenbanken für Gesichtserkennung wäre eine Welt, in der niemand unerkannt bleiben könnte. Ebenso gut könnte man sich den eigenen Namen auf die Stirn tätowieren – inklusive URL zu den Suchergebnissen über die eigenen Spuren im Netz.
Gesichtersuchmaschinen wie Clearview und PimEyes zeigen: Diese Dystopie ist gar nicht mal so weit entfernt. Dass Facebook die automatische Gesichtserkennung auf der Plattform abschalten will, ist insofern ein klarer Beitrag für den Schutz der Privatsphäre.
Aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn die Pressemitteilung von Facebook lässt sich auch ganz anders lesen. Die treffendere Schlagzeile wäre gewesen: Facebook wird Gesichtserkennung nun gezielter einsetzen.
Facebook hält nämlich nach wie vor an der Technologie fest. Gesichtserkennung könne „helfen“ und sei „leistungsfähig“, schreibt der Konzern, etwa um die Identität von Menschen zu überprüfen, Betrug und Identitätsdiebstahl zu verhindern. „Wir werden weiter an diesen Technologien arbeiten.“ Als „besonders wertvoll“ erachtet Facebook Gesichtserkennung, wenn sie lokal auf dem Gerät einer Person läuft.
Der Datenschatz wurde längst gehoben
Im Klartext heißt das: Wer auch in Zukunft sein Gesicht vor möglicher, biometrischer Erfassung durch den Konzern schützen will, sollte eher keine Facebook-Produkte nutzen. Leaks und Datenschutz-Skandale gab es in der Geschichte von Facebook mehrfach. Ob man dem Konzern die Verantwortung über eine solche Technologie und über das eigene Gesicht anvertrauen möchte, muss wohl jede Person für sich selbst entscheiden.
Noch im Januar diesen Jahres hat Facebook die Fähigkeiten der eigenen Erkennungsalgorithmen gerühmt. Sie haben laut Pressemitteilung die Fähigkeit, Menschen in Fotos zu erkennen und ihnen automatisch ihre Namen zuzuordnen. Darüber hinaus können sie Alter, Geschlecht und Hautton abschätzen, Gegenstände und Landschaften erkennen; sie können deuten, welches Ereignis ein Foto zeigt, beispielsweise eine Hochzeit. Dabei geholfen haben wohl jede Menge Trainingsdaten.
Weiterhin wird Facebook automatisch Fotos scannen, etwa um Bildbeschreibungen für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung zu erstellen. So steht es in einem aktuellen Update zu der Pressemitteilung von Januar. Sogar Personen würde Facebook demnach weiterhin in Aufnahmen erkennen, allerdings nicht mit Namen.
Jetzt, da die eigenen Algorithmen derart ausgereift sind, wird es Facebook wohl kaum schwer fallen, auf massenhafte Gesichtserkennung zur Identifikation zu verzichten. Während in der EU noch über eine strengere Regulierung von Gesichtserkennung diskutiert wird, hat Facebook längst den biometrischen Datenschatz gehoben. Die Technologien, vor denen Kritiker:innen warnen, hat Facebook perfektioniert. Der Konzern kann jetzt gelassen den Datenstrom abschalten – und sich dafür auch noch feiern lassen.
Lese Eure Reportagen seit kurzem immer mal wieder.
Das gibt Hoffnung !
Einer der Tiefpunkte käuflichen Journalismus zeigt sich in der Affaire Kurz in Österreich.
Danke, Euch Menschen, dass es noch Journalisten gibt, die sich einer gemeinsamen Zukunft
in Würde und Vernunft annehmen.
Ohne Euch hätten die Potentaten und Ausbeuter der Menhschen und unseres Planeten leichtes Spiel .