Biometrische ÜberwachungEU-Abgeordnete fordern Auszeit für Gesichtserkennung

Der Ausbau automatisierter Überwachungssysteme geht dem Innenausschuss des EU-Parlamentes zu weit. Er will ein Moratorium für Gesichtserkennung im öffentlichen Raum – ein Komplettverbot der Überwachungstechnologie fordert er allerdings nicht.

Polizei filmt mit
Suche nach bekannten Gesichtern im öffentlichen Raum: Was bisher händisch geschah, bald überall und automatisiert? CC-BY-SA 2.0 Gregor Wünsch

Für schwere Bedenken sorgt im Europaparlament der immer häufigere Einsatz von Algorithmen und angeblich „intelligenten“ automatisierten Systemen in der Strafverfolgung. In einer Resolution fordern Abgeordnete nun ein Moratorium für Gesichtserkennung im öffentlichen Raum und verlangen ein völliges Verbot automatisierter Überwachung durch andere biometrische Merkmale wie Fingerabdrücke, Stimme oder Gangart.

In Deutschland und anderen EU-Staaten häufen die Behörden immer mehr biometrische Daten an, zugleich drängen Politiker:innen wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf den Ausbau von „intelligenter“ Videoüberwachung an öffentlichen Orten und neue Experimente mit automatisierter Kontrolle. Als dystopisches Vorbild sehen Menschenrechtsorganisationen Russland, wo Gesichtserkennung bereits zur Identifizierung von Personen bei Demonstrationen zum Einsatz kommen soll.

Gegen den Ausbau biometrischer Überwachung laufen derzeit zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit und europäische Datenschutzbehörden Sturm, doch die EU-Kommission wollte in ihrem Vorschlag für eine Verordnung zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz (KI) kein Verbot von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum. Zu diesem Vorschlag soll das EU-Parlament in den kommenden Monaten eine eigene Position formulieren.

Kein Verbot, aber Moratorium gefordert

Im Vorfeld des neuen KI-Gesetzes der EU machten nun die Abgeordneten ihre Meinung deutlich. Der Einsatz von automatisierter Gesichtserkennung „sollte auf eindeutig gerechtfertigte Zwecke unter voller Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit sowie des geltenden Rechts beschränkt werden“, heißt es in der rechtlich nicht bindenden Resolution, der Abgeordnete im Innenausschuss des Parlaments (LIBE) am gestrigen Dienstag mit großer Mehrheit zustimmten. Sie liefert eine Vorlage für die Position des Parlaments zur KI-Verordnung, die bald folgen soll.

Statt eines Verbotes von Gesichtserkennung fordern die Abgeordneten aber nur einen einstweiligen Stopp ihres Einsatzes, „bis deren technische Standards voll die Grundrechte wahren und ihre Ergebnisse nicht verzerrt oder diskriminierend sind“. Auch müssten in den Rechtsrahmen für ihren Einsatz strikte Regeln gegen Missbrauch eingebaut und eine völlige demokratische Kontrolle garantiert sein. Zudem soll auch die Notwendigkeit und die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes von Gesichtserkennung gegeben sein. „Wenn diese Kriterien nicht erfüllt werden, sollten die Systeme nicht verwendet oder eingesetzt werden“, heißt es.

Besorgt zeigten sich die Abgeordneten auch über den Einsatz der umstrittenen „Gesichter-Suchmaschine“ Clearview AI durch europäische Polizeibehörden. Deren Bilder von Millionen Menschen in Europa seien illegal gesammelt worden und rechtlich fragwürdig. Der Einsatz privater Gesichtserkennungsdatenbanken durch Strafverfolgungsbehörden müsse verboten werden.

Eine klare Absage erteilte das Parlament außerdem dem Einsatz von „Predictive Policing“, also der algorithmischen Vorhersage von Kriminalität. Der Technologie seien keine zuverlässigen Aussagen zuzutrauen, ihr Einsatz sei fragwürdig.

„Meilenstein im Kampf gegen Massenüberwachung“

Der Piraten-Abgeordnete Patrick Breyer bezeichnete den Bericht des Parlaments als „wichtigen Meilenstein im Kampf gegen biometrische Massenüberwachung in Europa“. Er rufe nun dazu auf, über die EU-weite Bürgerinitiative “Reclaim your Face!” Druck zu einem Komplettverbot von automatisierter Gesichtserkennung zu machen.

„Gesichtserkennung als Massenüberwachungswaffe hat in einer liberalen Demokratie nichts zu suchen“, betont auch der FDP-Abgeordnete Moritz Körner. „Jeder Bürger hat ein Recht auf Privatsphäre.“

Auch die Linken-Abgeordnete Cornelia Ernst hält den Bericht der Parlaments für ein „klares und kritisches Signal“ gegen Massenüberwachung und die Verwendung biometrischer Daten durch Strafverfolgungsbehörden. „Die Verwendung künstlicher Intelligenz durch die Polizei auch speziell bei Grenzkontrollen ist mehr als fragwürdig.“ Dennoch betont Ernst, sie hätte sich „eine Forderung nach einem umfassenden Verbot gewünscht“.

Ein Verbot für den Einsatz von Software zur Erkennung von Gesichtern und anderen biometrischen Merkmalen müsse in der kommenden KI-Verordnung der EU festgeschrieben werden, sagt die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel. „Eine solche Massenüberwachung etwa beim Weg zur Arbeit, beim Einkaufen oder auch beim Treffen mit Freunden ist mit unseren elementaren Grundrechten nicht vereinbar. Neben der Bewegungsfreiheit werden das Recht auf Versammlungsfreiheit, das Verbot von Diskriminierung und der Schutz der Privatsphäre schlichtweg abgeschafft.“

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