Als am Montag der Aussschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung im Berliner Abgeordnetenhaus tagte, stand spontan auch das „Zwanzigste Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG)“ auf der Tagesordnung. Oder kurz: Die Pläne zur Ermächtigung der Berliner Polizei zur Videoüberwachung des öffentlichen Raumes – inklusive öffentlich zugänglicher Orte wie etwa Restaurants, Einkaufszentren und Museen.
Juristische Argumente versus Bitte um „Vertrauen in die Polizei“
In der Sitzung kam es auch zu einer Anhörung von Carsten Milius vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und Prof. Dr. Clemens Arzt, der an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin Staats- und Verwaltungsrecht mit dem Schwerpunkt Polizei- und Ordnungsrecht lehrt. Die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk war ebenso geladen, aber verhindert. Über ihre Stellungnahme hatten wir zuvor bereits berichtet – sie kam zum Ergebnis, dass die geplante Ausweitung der Videoüberwachung unverhältnismäßig sei und dringend nachgebessert werden müsse.
Während Milius vom BDK für „Vertrauen in die Polizei“ warb, die ja „kein Interesse daran [hätte], irgendjemanden zu kontrollieren“, nahm Arzt den Gesetzesentwurf mit juristischen Argumenten auseinander. Arzt, dessen Stellungnahme auch online verfügbar ist, kritisierte neben dem Gesetzesentwurf an sich auch das Eiltempo, mit dem das Gesetz durch das Parlament „gejagt“ werden soll, und trifft mit einer Frage ins Schwarze:
Wo ist der Grund zur Eile jenseits des bevorstehenden Wahltermins?
Auch bereits bestehende Videoüberwachung rechtswidrig
Die Maßnahmen zur Videoüberwachung würden eingebracht, „ohne plausibel und nachvollziehbar darlegen zu können, welchem Zweck diese mittels welcher Wirkmechanismen dienen sollen“. Für den Nutzen von Videoüberwachung gebe es „keine hinreichenden wissenschaftlichen Belege“. Er holt noch weiter aus und kritisiert, dass die bereits zurzeit eingesetzten Videokameras der Polizei keine Rechtsgrundlage haben. Auch mit dem vorliegenden Entwurf bleibe diese seit Jahren „breit genutzte Praxis“ rechtswidrig und „mit dem Grundgesetz unvereinbar“.
Er moniert außerdem, dass nicht einmal geprüft wurde, ob das Land Berlin hier überhaupt eine Gesetzgebungskompetenz hat und rügt mangelnde Normenklarheit und Transparenz. Videoüberwachung ist ein repressives Instrument und wird in der Regel zur Strafverfolgung eingesetzt, ihre Eignung zur Prävention ist nicht nachzuweisen. Durch die Platzierung im ASOG wirkt es aber, als solle Videoüberwachung ein präventives Werkzeug sein:
Berlin verweigert sich konsequent, das Problem überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Hieraus folgt ein gravierendes Problem der Transparenz und Normenklarheit, weil für Bürgerinnen und Bürger nicht erkennbar ist, wozu die Maßnahme dienen soll: der Gefahrenabwehr oder der Verfolgungsvorsorge oder beidem gleichermaßen?
Noch mehr Grundrechtseingriffe an sogenannten gefährlichen Orten
Ein weiteres Problem sieht Arzt in der Verknüpfung von Videoüberwachung und den sogenannten „gefährlichen Orten“. An diesen – in Berlin geheimgehaltenen – Orten, an denen bereits jetzt die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt ist und anlasslose Identitätsfeststellungen und Datenabgleiche vorgenommen werden, sollen nun weitere Grundrechtseingriffe durch Videoüberwachung dazukommen. Arzt zählt bis zu sechs dieser Grundrechtseingriffe auf einmal. Und das nur aus dem Grund, dass eine Person an einem bestimmten Ort angetroffen wird. Immerhin entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass die Polizei durch die Kennzeichnung der Videoüberwachung damit auch die Gefahrengebiete kennzeichnen würde, in denen sie selbige durchführt. Damit führt sie ihre Geheimhaltung selbst ad Absurdum.
Die Fokussierung in der Debatte auf den geplanten „Modellversuch Alexanderplatz“ lenkt davon ab, dass es in Berlin zahlreiche als Gefahrengebiet deklarierte Orte gibt, die gleichsam Gegenstand der polizeilichen Videoüberwachung werden könnten. Welche das genau sind, bleibt geheim, doch öffentlich bekannte Beispiele sind: der Görlitzer Park, die Rigaer Straße und das umliegende Gebiet in Friedrichshain, das Kottbusser Tor und der Park an der Hasenheide. Orte, an denen sich täglich Zehntausende Menschen aufhalten, zur Arbeit gehen und im Park spielen.
Kann das Gesetz überhaupt noch vor der Wahl verabschiedet werden?
Wie geht es nun weiter mit dem Gesetzesentwurf? In der Presse heißt es mal, das Gesetz könnte noch vor den Wahlen im September kommen und mal, dass eine Verabschiedung in dieser Legislatur nicht mehr möglich sei. Doch diese Nebelkerze der Entwarnung trifft so nicht zu. Laut Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses, namentlich § 59 Absatz 3, können Gesetzesanträge nur auf die Tagesordnung der übernächsten ordentlichen Sitzung gesetzt werden. Laut Sitzungskalender gibt es vor der Wahl noch zwei ordentliche Sitzungen: Morgen, am 23. Juni und nach der Sommerpause am 8. September. Damit das Thema doch noch morgen behandelt werden könnte, müssten alle fünf Fraktionen dem Vorliegen einer besonderen Dringlichkeit zustimmen. Grüne, Linke, CDU und SPD wären laut Tagesspiegel bei einer Dringlichkeitsbehandlung dabei, die Piraten weigern sich.
Die 1. Lesung und die 2. Lesung, der die Abstimmung folgt, dürfen nicht an einem Termin stattfinden. Nach dem 8. September gibt es jedoch keinen Termin mehr für eine ordentliche Sitzung des Plenums. Dass das Gesetz deshalb nicht mehr durchgehen kann, da in dieser Legislatur keine Sitzung mehr vorgesehen ist, stimmt jedoch so nicht. Denn auch wenn für die 1. Lesung ein Termin für eine „ordentliche Sitzung“ notwendig ist – für die 2. Lesung und die Abstimmung gilt so eine Voraussetzung nicht. Es könnte also eine außerordentliche Sitzung geben, die zwischen dem 8. und dem 18. September, dem Datum der Wahlen, liegt.
Also: Auch wenn alles sehr knapp erscheint, die Gefahr für eine Ausweitung der Videoüberwachung ist noch nicht gebannt. Was jetzt noch hilft, ist öffentlicher Druck. Teilt den Abgeordneten des Abgeordnetenhauses, insbesondere den Mitgliedern des Innenausschusses, mit, was ihr von Innensenator Frank Henkels Überwachungsgesetz haltet!
Schnauze gestrichen voll von Orwellisierung, DDR-Wiedergängerstaat, Sicherheitspopulismus und Kontrollwahn …
Soviele Scharmützel, sowenig Einsicht …
Mittlerweile denke ich, es gibt eine … ähem … Schutzlücke. Und zwar mal anders:
Was fehlt, ist die Strafe für vorsätzlich versuchtes Scheißen auf Grundrechte.
Flensburg für Verfassungssünder.