Die Süddeutsche Zeitung hat ein Interview mit dem scheidenden Präsidenten des Bundesverfasssungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, zum Vorratsdatenspeicherungs-Urteil aus der vergangenen Woche: „Die Normen fallen nicht vom Himmel“.
SZ: Sie haben im Urteil gesagt, das Verbot der Totalüberwachung gehört zur Verfassungsidentität Deutschlands und ist damit „europafest“. Nun fragt man sich auch vor dem Hintergrund der geplanten Speicherung von Fluggastdaten: Wann beginnt diese Totalüberwachung?
Papier: Ich kann zu weiteren denkbaren Verfahren nichts sagen, will aber den Gedanken aus unserem Urteil etwas präziser umreißen. Nach deutschem Verfassungsrecht ist eine vorsorgliche, anlasslose und flächendeckende Sammlung personenbezogener Daten unverdächtiger Bürger durch den Staat im Prinzip unzulässig. Sie kann nur erlaubt sein in Verbindung mit einer präzisen Zweckbestimmung. Ich finde, das ist eine wichtige Aussage: Schon die Vorratsdatenspeicherung als solche ist verfassungswidrig, weil angesichts der Schwere des Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis die Regeln über die Verwendung der Daten zu undifferenziert und zu weit waren.
Diese Aussage ist mehr als nebelhaft:
„…im Prinzip unzulässig; …nur erlaubt …mit einer präzisen Zweckbestimmung;
Schon die Vorratsdatenspeicherung als solche ist verfassungswidrig…“
Ja, was denn nun? Eine klare Aussage sieht anders aus.
> Ja, was denn nun? Eine klare Aussage sieht anders aus.
Exakt.
Mir will zudem nicht einmal ansatzweise in den Kopf, wie eine „vorsorgliche, anlasslose und flächendeckende Sammlung personenbezogener Daten unverdächtiger Bürger durch den Staat“ irgendwie gerechtfertigt werden kann.
Dieser Zitatschnipsel allein enthält bereits mehrere Begründungen, wieso eine solche Maßnahme inakzeptabel ist.
Diesen seiner pauschalen Natur nach schon unverhältnismäßigen Vorgang mit der Verweis auf eine konkrete Zweckbindung dann doch noch rechtfertigen zu wollen, erscheint mir geradezu paradox.
Ich finds eigentlich recht schön, dass das Verfassungsgericht keine übermäßig radikalen Entscheidungen trifft, sondern mit Verstand abwägt was möglich ist und was nicht. Ich hätte ehrlich gesagt auch nicht erwartet, dass eine Speicherung prinzipiell unzulässig ist. So manche „Netzaktivisten“ scheinen allerdings eher auf Ihrem Standpunkt der absoluten Freiheit zu bestehen anstatt abzuwägen was denn in einer Gesellschaft nötig ist. Da bedarf es vielleicht noch etwas Reflexion. Da geht das Verfassungsgericht scheinbar schon etwas gründlicher zu Sache.
So unklar finde ich die Aussage persönlich nicht. Da steht doch, dass eine generelle Speicherung unzulässig ist und Daten nur mit Zweckbindung gespeichert werden dürfen. Das ist schon ein ziemlicher Unterschied zur bisherigen Vorratsdatenspeicherung und damit kann ich mich auch abfinden. Freiheiten sind und waren nie unbegrenzt.
Das Verfassungsgericht lässt ja sicherlich auch absichtlich offen, was gerechtfertigte Zwecke sind. Da liegt es an der Regierung vernünftige Regelungen zu treffen. Das Verfassungsgericht prüft nur, es soll nicht, oder nur begrenzt, vorschreiben was zu tun ist.
Massnahme : Vorratsdatenspeicherung
Zweck : Zugriff bei [Aufzählung der Straftaten]
Das Gericht prüft dann, ob die Datenerhebung verhältnismässig zum Zweck ist.
Ich finde das nicht unklar und auch im Sinne der Gewaltenteilung korrekt und richtig. Richter dürfen sich niemals anmaßen Gesetze zu bestimmen. Um im Gegensatz zu Parlament oder Exekutive denke ich kennt das Bundesverfassungsgericht seine Kompetenzen und möchte sie nicht überschreiten.
@blubb
Sorry, aber da prallen jetzt 2 Welten aufeinander. Ich bin der Auffassung, dass den Behörden – anlasslos – gar kein Zugang zu Kommunikationsdaten gewährt werden kann. Wenn ein begründeter Verdacht besteht, bitte, dann mit Richtervorbehalt als „freeze“.
Ich will den Befürwortern heute im Grundsatz keine unehrlichen Absichten unterstellen. Leute wie Bosbach verzweifeln offensichtlich daran, dass man ihnen genau dies unterstellt. Es geht ihnen darum, die Möglichkeit zu haben, Straftaten aufzuklären. Die können – für sie – abstrakte Bedenken nicht verstehen. Ich habe das gleich Problem in der Diskussion mit einem Familienmitglied, in leitender Stellung bei der Polizei. Der sagt mir auch: unser Willen ist es, Verbrecher zu fassen. Und für diese Aufgabe wollen wir die heutigen technischen Mittel nutzen dürfen. Wir stellen uns doch nicht gegen die Bevölkerung. Wir helfen. Kappiert es doch einfach! Wir nutzen doch die Daten nur bei genau bestimmten Fällen. Damit sind die anderen Nutzer überhaupt nicht betroffen.
Für ihn sind meine Einwendungen nur abstrakt. Ich würde ja mit meiner Einstellung unseren Rechtsstaat in Zweifel ziehen.
Ich bin allerdings der Auffassung, dass man in der Demokratie mit gewissen Defiziten leben muss. Anonsten hätten wir den ungeliebten Bruder: die Diktatur.
Und wir sollten uns hüten, heute die Grundlagen für morgen oder übermorgen zu schaffen. Wissen wir, welche Leute bei uns in 10 oder 20 Jahren an die Macht kommen und gut gemeinte Gesetze für ihre Zwecke ausnutzen?
Ich habe mir z.B. nicht vorstellen können, dass für die Beobachtung einer Demonstration auch ein Kampfjet der Bundewehr eingesetzt wird. So geschehen in Heiligendamm.
Also, wehret den Anfängen.
Auch wenn die Vorratsdatenspeicherung und die Stopp-Schilder nur ein Anfang sein können, so geht es trotzdem auch anders. Die Schweiz zensiert seit Jahren schon KiPo und es wurde nie wirklich in Betracht gezogen, diese Infrastruktur auch für Copyright-Zwecke und anderes zu nutzen.
Trotzdem ist mir, auch nach all den Jahren, immernoch flau im Magen, wenn ich daran denke, dass sich das innert wenigen Monaten total ändern könnte. Ausserdem entspricht es überhaupt nicht dem, in meinem Augen, besseren Ansatz „Löschen statt Sperren“.
Aber es ist ein Beispiel, dass es auch anders geht.
Gustav, das kann ich absolut nachvollziehen und ich stimme dir da ja auch zu. Ich persönlich bin ja auch glücklich über das (vorläufige) Ende der Vorratsdatenspeicherung. Ich denke bloß nicht, dass absolute Anonymität praktikabel ist. So wenig Daten und so wenig Staat wie möglich, da stimme ich absolut zu. Allerdings schreien halt manche lauthals von Verfassungsfeinden und nennen das Urteil schwach ohne alle Aspekte in Betracht zu ziehen. Wie Papier im Interview sagte: Es ist halt für die Politik schwierig sich auf solche neuen Situationen einzustellen, da haben auch Fälle wie der 11. Septemper und Sauerland sicher zur Verunsicherung beigetragen. Da hilft es auch nicht noch so oft ein nahendes 1984 heraufzubeschwören, wenn man keine Antwort auf solche Probleme hat.
In der Hinsicht scheinen mir die Richter doch etwas ausgeglichener, was die Bewertung der Lage betrifft.
Ansonsten stehe ich natürlich auf der Seite der Datenschützer und kann deinem Beitrag nur zustimmen. Sollte jetzt nicht so rüberkommen, dass ich Überwachungsaktivitäten befürworte.
Papiers Aussage ist erfrischend klar, wie das Urteil. Übersetzt bedeutet sie: „Der Zweck heiligt die Mittel.“
Die Datenspeicherung per se ist ein Thema das uns noch viele viele Jahre beschäftigen wird. Denn nicht nur der Staat hat ein Interesse daran möglichst viele Daten zu sammeln, auch die Privatwirtschaft benutzt es als Geschäftsmodell (siehe Facebook, Google und Konsorten).
Das Problem, das ich dabei sehe, sind mehr die Möglichkeiten des Mißbrauchs der gespeicherten Daten als die Verwendung zu Zwecken die dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Wer beschützt uns denn vor Datendieben, sei es interner oder externer Natur? Aus gegebenem Anlaß sei nur auf den Handel mit Daten von Bankkunden hingewiesen oder auf die Spionage von Trojanern, die persönliche Daten von mittlerweile 500.000 Facebook-Usern ausgespäht und gesammelt haben die jetzt im 1000er-Pack im Internet gehandelt werden.
Meines Erachtens muß der Datenschutz unabhängig, aber trotzdem unter Beachtung von Paragraphen des GG neu formuliert werden. Und zwar umfassend und strafbewehrt. Und nicht nur nach deutschem Recht, sondern weltweit. Das würde imho sowohl den Diebstahl, den Mißbrauch, den Verkauf sowie den Kauf von gestohlenen Daten beinhalten. Was das sich stehlen lassen von Daten angeht, könnte man da auch noch weiter drüber nachdenken…
Auf jeden Fall ist eine Speicherung der Daten welcher Natur sie auch sein mögen, immer kritisch zu betrachten, nicht nur im Hinblick auf die Belange des Staates.
Es wurde auch schon in Kommentaren zu anderen Artikeln hier auf die Entwicklung eines Parallelnetzes zum Internet verwiesen. Aber auch dort werden die gleichen Probleme vorherrschen wie im konventionellen Internet, denn wo Daten anfallen werden sie auch benutzt und gespeichert. Somit wäre der Sinn der Entwicklung wieder infrage gestellt.
Aus diesem Grund muss die Speicherung und Nutzung von personenbezogenen Daten international in klar definierte, eng gesteckte Grenzen gefasst werden. Vor allem muss auch klar definiert werden, was personenbezogen ist. Es reicht da nicht, wenn man sagt eine IP ist nicht personenbezogen solange ich in meinem Datenbestand nicht den Klarnamen habe. Den findet man heutzutage sehr schnell über die gepriesenen sozialen Netzwerke heraus.
Papier stellt eine unmögliche Forderung.
Daten, einmal gesammelt, lassen sich nun mal für beliebige Zwecke nutzen. Wie auch immer man Verfahren zur Sammlung, Bereithaltung und Verwertung der Daten gestalten wird, das Missbrauchspotential kann nicht einmal wesentlich gesenkt werden.
Denn egal wie man die Daten vorhält, verschlüsselt oder kodiert, sie werden letztendlich dekodiert, entschlüsselt und übermittelt werden müssen.
Zuvor müssen sie gewonnen, gesammelt und gespeichert werden.
Sowohl eingehend als auch ausgehend haben die Daten das volle Missbrauchspotential.
Es gibt nur eine Möglichkeit, Menschen vor Daten in Sicherheit zu bringen: die Daten dürfen erst gar nicht gewonnen und gesammelt werden.
Viele Grüsse,
VB.
@Volker Birk: Das sehe ich genauso. Aber das ist wohl eine politische Forderung.