Unternehmen haben mehr Rechte als Menschen: Details zum Abgasbetrug sollen geheim bleiben

Das Bundesverkehrsministerium unter Digitalminister Dobrindt blockiert weiterhin die Aufklärung des Abgasbetrugs bei Volkswagen und weiteren Autoherstellern („Diesel-Gate“). Wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) mitteilte, verweigert das Verkehrsministerium mit seinem Kraftfahrt-Bundesamt seit einem halben Jahr die Auskunft über Details der Abgasmanipulationen.

Dabei geht es neben möglichen Manipulationen von Autoherstellern wie Daimler und Opel unter anderem um Akten zur Rückrufaktion des Kraftsfahrt-Bundesamts im vergangenen Oktober. Bis heute ist unklar, wie genau die 2,4 Millionen bei VW betroffenen Autos technisch nachgebessert werden sollen. Die dazugehörigen Akten hat das Kraftfahrt-Bundesamt auf Antrag der DUH jetzt in folgender Form herausgegeben:

Die 596 Aktenseiten, die es an die DUH übersandte, sind durch die weitreichenden Schwärzungen ohne jede Aussage. Aber auch sonst ist die Informationspolitik der Verwaltung abenteuerlich: Nachdem die DUH schon im Oktober einen Antrag auf Akteneinsicht nach dem Umweltinformationsgesetz gestellt hatte, verschleppte das Kraftfahrt-Bundesamt erst das Verfahren und gab einer Untätigkeitsklage drei Monate später nur widerwillig nach.

Der Hintergrund der Schwärzungen: Weil das Kraftfahrt-Bundesamt in seinen Dokumenten die Interessen von VW berührt sieht, gab es dem Konzern die Möglichkeit zur Stellungnahme. VW untersagte der Behörde daraufhin mit Unterstützung seiner Anwaltskanzlei Freshfields die Veröffentlichung der Inhalte, da es dadurch angeblich die Offenlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen fürchtete. Dabei argumentierte VW, dass nicht nur Geheimnisse selbst geschützt werden müssten, sondern auch Daten, die indirekt Rückschlüsse auf Geheimnisse zulassen würden – was letztlich auf fast die gesamte Kommunikation angewendet wurde.

Volkswagen untersagt Behörde Veröffentlichung

Das Kraftfahrt-Bundesamt folgte dieser Argumentation, wie aus dem Schriftwechsel mit VW und der DUH deutlich wird. Dabei stufte es das öffentliche Interesse an einer Veröffentlichung als geringer ein als das wirtschaftliche Interesse von VW.

Die DUH will die Veröffentlichung auch bisher geschwärzter Akten erreichen: „Wir rechnen damit, dass sich dies erfahrungsgemäß noch einige Monate, wenn nicht sogar ein Jahr hinziehen kann“, sagt Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH in dem Verfahren vertritt.

Eine Veröffentlichung wäre nach dem Umweltinformationsgesetz aber auch trotz des Einspruchs eines Unternehmens möglich: Sind in angefragten Akten mutmaßlich Geschäftsgeheimnisse enthalten, müssen Behörden entscheiden, ob das Recht auf Geheimhaltung oder das öffentliche Interesse an Herausgabe der Informationen überwiegt. Im Fall VW dürfte das öffentliche Interesse in vielen Fällen überwiegen, sofern überhaupt Geschäftsgeheimnisse betroffen sind. Informationen über Emissionen sind ein Spezialfall: Für sie gelten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse grundsätzlich nicht, was auch auf Teile der Akten in diesem Fall zutreffen könnte.

Geschäftsgeheimnisse bleiben auch bei öffentlichem Interesse geheim

Die Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und Unternehmensinteressen, die bei Umweltinformationen möglich ist, ist bei Informationen in anderen Bereichen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) unmöglich. So können Unternehmen praktisch dem Staat die Veröffentlichung von Dokumenten unter Berufung auf wirtschaftlich notwendige Geheimhaltung untersagen – auch bei Dokumenten, die einen Rechtsverstoß von ihnen belegen würden. Sind Informationen tatsächlich als solche Geheimnisse zu klassifizieren, gibt es keine Möglichkeit, sie offenzulegen.

Damit haben Unternehmen mehr Rechte als Privatpersonen: Sind in Dokumenten nämlich personenbezogene Daten enthalten, wird bei einer möglichen Veröffentlichung der Datenschutz gegen das öffentliche Interesse abgewogen. Die Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten fordert daher schon seit zehn Jahren, eine Abwägung zwischen Geschäftsgeheimnissen und öffentlichem Interesse einzuführen.

Geplante EU-Richtlinie stärkt Unternehmen weiter

Bald könnte die Position der Unternehmen aber noch weiter gestärkt werden: Mit der geplanten EU-Richtlinie zum „Schutz von Geschäftsgeheimnissen“ wird es nicht nur Journalistinnen und Whistleblower weiter erschwert, Missstände in Unternehmen aufzudecken. Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen könnten zudem künftig solch eine große Priorität bekommen, dass keine Abwägung mehr mit öffentlichem Interesse stattfinden kann. Zudem könnten Verwaltungsmitarbeiter durch hohe mögliche Bußgelder davon abgeschreckt werden, Daten über Unternehmen zu veröffentlichen. Das Europäische Parlament wird am 13. April in erster Lesung über die Richtlinie beraten.

18 Ergänzungen

  1. Bald, wenn das so weiter geht, brauchen die Firmen gar nichts mehr mitzuteilen. Dann können sie machen, was sie wollen – es kommt ja eh nicht an’s Licht. Das leistet dann Situationen Vorschub, wie z. B. in „Robocop“. Darin war es die privatisierte Polizei- GEWALT, die das Gesetz zum eigenen Wohl verbogen hat. Im Fall VW & Co scheinen wir kurz davor zu stehen. – Schade!

  2. Ist ja auch kein Wunder, dass gemauert wird, denn die Politik hat verhindert, dass das KBA als Aufsichtsbehörde die Abgaswerte überprüft und damit die Kontrolle unterbunden. Die Zulassungen erfolgten pauschal nach Herstellerunterlagen („Typenzulassung“). Auch der TÜV monierte, ihm sei es untersagt, die eigenen Messwerte zu hinterfragen. Und als weisungsgebundene Bundesbehörde muss sie jetzt die Politik verteidigen, sonst würde der Überbringer der Mauscheleien schlechten Nachricht erschossen. Dort versucht gerade jeder seinen *rsch zu retten.

    Das Kraftfahrtbundesamt und der Bundesverkehrsminister müssen selber auf den rollenlosen Prüfstand, da seit Jahrzehnten bekannt ist, dass auch die Verbrauchswerte mit freundlicher Genehmigung der Politik durchgängig nach unten frisiert sind.

    „Zahlreiche Mitgliederanfragen beim ADAC belegen, dass der vom Automobilhersteller im Rahmen der Typgenehmigung ermittelte Kraftstoffverbrauch eines Pkw-Modells beim Autofahrer durchaus als realistischer Wert angenommen wird und entsprechende Abweichungen in der Praxis zu großer Verärgerung führen. Hier muss folgendes berücksichtigt werden:

    Der daraus ermittelte Kraftstoffverbrauch spiegelt jedoch nicht unbedingt den Praxisverbrauch eines Fahrzeugs wieder. Denn, die individuelle Nutzung eines Fahrzeugs ist sehr vielfältig und die Fahrweise/Fahrbedingungen in der Praxis weichen in der Regel vom Prüfzyklus und den Prüfbedingungen ab. So wird beispielsweise im Prüfzyklus das Auto auf dem Prüfstand zwi-schen 20 und 30 °C (üblich 22-24 °C), mit sämtlichen Verbrauchern abgeschaltet gestartet.

    Außerdem erstreckt sich der gesamte EU-Zyklus für die Verbrauchs- und Abgasmessung nur auf 11 km.

    Sie stellen zumeist die Untergrenze dessen dar, was in der Praxis erreichbar ist.
    …“

  3. wie das alles helfen soll, die environmental protection agency zu überzeugen, sich mit volkswagen zu einigen, bleibt schleierhaft.

    .~.

  4. Liebe Autoren von netzpolitik.org,

    wie Sie hier richtig schreiben, wird sowohl bei personenbezogenen Daten stets der Datenschutz mit dem Interesse der Öffentlichkeit abgewogen, als auch bei einem Anspruch aus dem UIG das datenschutzrechtliche Interesse des Unternehmesn mit dem Interesse der Öffentlichkeit. Hierbei muss die Abwägung im Rahmen eines ordnungsgemäßen Ermessen getroffen werden. Sofern eine „Ermessensreduzierung auf Null“ vorlag beziehungsweise ein Ermessensnichtgebrauch oder Ermessenfehlgebrauch durch das Kraftfahrtbundesamt stattfand wird dies Bestandteil richterlicher Überprüfung sein. Daher kann ich Ihre „Stimmungsmache“ an dieser Stelle nicht ganz nachvollziehen und auch nicht teilen. Im Übrigen erschließt sich mir nicht, in welchem Umfang hier ein Unternehmen – Volkswagen AG – stärker geschützt wird als eine Privatperson. Sowohl bei natürlichen als auch jursitischen Personen muss das Interesse der jeweiligen Person mit dem der Öffentlichkeit abgewogen werden. Warum sollte zulasten von Unternehmen hierbei eine Verschiebung der Ermessensentscheidung durch die Behörde stattfinden? Sind Behörden und öffentlcihe Einrichtunge nich aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG verpflichtet Ungleiches ungleich und Gleiches gleich zu behandeln, also sowohl das Interesse von Unternehmen A als auch das Interesse von Unternehmen B gleichermaßen richtig abzuwägen? Sicherlich besteht – aufgrund der Vielzahl der Fälle – ein gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit an der Funktionsweise der von Volkswagen verbauten Abgaswerte-Manipulationssoftware in den Steuergeräten der Fahrzeuge, nicht nur im Rahmen zivilrechtlicher Schadensersatzklagen der einzelnen Autofahrer, auch im Rahmen einer Klage der DUH. Jedoch frage ich mich beim lesen Ihres Artikels weshalb natürliche Personen im Gegensatz zu juristischen Personen durch die Entscheidung des Kraftfahrtbundesamtes – unabhängig davon ob man diese (als Laie) für richtig hält oder nicht – einen geringeren Schutz genießen würden. Auch eine Privatperson kann sich richtigerweise gegen die Veröffentlichung von Details aus der Intims- und Privatsphäre nach unseren datenschutzrechtlichen Standards wehren. Nehmen Sie das Beispiel Caroline von Monaco: Fand hier eine fehlerhafte Abwägung zulasten der Öffentlichkeit statt? Auch wenn dies die Boulevardpresse wohlmöglich anders sieht, glaube ich das nicht.

    Nun frage ich Sie: Haben juristische Personen vielleicht nur andere Rechte und Pflichten als natürliche Personen und nicht mehr? Angenommen das Bauamt Mitte würden nach Ausübung einer Abwägung dem illegalen Betrieb eines „Spätis“ am Rosenthaler Platz mittels Verwaltungsaktes genehmigen. Auf Anfrage eines nicht in unmittelbarer Nähe wohnenden Nachbarn jedoch die Veröffentlichung der Details der Baugenehmigung verweigern. Würden Sie hier im gleichen Maße die Abwägung zulasten des Öffentlichen Interesse kritisieren? Dies beträfe ja ebenfalls eine Vielzahl von Menschen, Nachbarn, Konkurrenten. Würden Sie auch hier polemisch schreiben: „Unternehmen haben mehr Rechte als Menschen“?

    Ich bin sehr neugierig und freue mich über eine Antwort, insbesondere wann Menschen im Einzelnen einen geringeren Datenschutz als Unternehmen genießen, wann die Rechte der Menschen stärker eingeschränkt werden als die der Unternehmen (vgl. Art. 2 I GG) und wann Menschen mehr Pflichten treffen als Unternehmen. Zur Beantwortung der Frage verweise ich gerne auf diverse Kommentierungen zu Art. 2 I GG, Art. 14 I GG, § 823 I BGB, UIG, AktG, etc. und wünsche mir in Zukunft stichhaltigere Kommentierungen zu äußerst wichtigen Themen.

    1. Im Gegensatz zu dem von Ihnen genannten Fall CvM ist durch die Manipulation gesundheitlich die gesamte Bevölkerung unmittelbar betroffen und es handelt sich zudem um Steuerbetrug. Letztlich hat nur die schiere Masse die Fahrzeuginhaber vor einer Nachforderung oder gar Stilllegung der betroffenen Fahrzeuge bewahrt: Ohne diese Manipulationen hätten diese PKW nie eine Zulassung erhalten, deshalb existiert rein rechtlich gesehen auch keine gültige Zulassung.

      Daraus leitet sich das öffentliche Interesse ab.

      1. Das kann ich mir nun gar nicht vorstellen. Das wär doch viel zu dumm und durchschaubar. Nöööö! Sowas hat unsere saubere Industrie doch nie nötig. Stell dir mal vor, das würde rauskommen. Dann warens bestimmt die Russen.

  5. Ich glaube viel Schweigen in diesem Fall wird auch dadurch erzeugt das Bundesländer Anteile oder Aktien von VW inne haben. Gibt man alles an Dokumenten frei muss man sich ja zumindest teilweise mit anschwärzen, denn ich kann mir nicht so recht vorstellen das dass Bundesland NDS Anteile von VW inne hat, ohne nicht doch Einfluss auf VW zu nehmen.

    VW nun durch die Aufklärung in die Mangel zu nehmen würde ja auch dem Bundesland zumindest minimal schaden.

    Für mich schein logisch das auch daher eine extrem schlechte Informationspolitik praktiziert wird, obwohl sie bedeutend besser sein müsste da ja auch unsere Steuermittel in Form von Subventionen in diesem Konzern stecken. Auch wenn er Privatwirtschaftlich ist denke ich doch das eine gewisse Informationspflicht bestehen sollte, wenn man öffentliche Mittel erhält.

  6. Wenn die deutschen Behörden und VW so weiter machen, werden die US Behörden an VW ein Exempel statuieren was unter Umständen unbezahlbar sein könnte – naja Arbeitnehmer kann man dann ja „freistellen“ – denke nicht das der Vorstand arbeitslos wird.
    Ich empfinde das VW Verhalten als extrem dilletantisch – wie kann sich so ein Konzern so schlecht beraten lassen – unbegreiflich.

    1. Mal angenommen, TTIP wäre schon vor dem VW-Abgas Skandal in Kraft getreten.
      Würde das nun das Risiko für VW vergrößert oder verkleinert haben?

    2. Man sollte nicht vergessen das Volkswagen auch in den USA ordentlich Arbeitsplätze geschaffen hat. Dort wird ein Werk nach dem anderen aus dem Boden gestampft und das sollte zumindest ein extremes Exempel verhindern.
      Letztlich weiß jeder das alle nur mit Wasser kochen, in diversen Tests sind alle möglichen Hersteller aufgefallen und VW gehörte sogar noch zu den saubersten…
      Diese Scheinheiligkeit kotzt mich einfach nur an.

  7. Kann man eigentlich die Kanzlerin und ihre Minister wegen Meineids verklagen? Die haben alle unter Eid geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Doch was (nicht nur) diese Regierung tut, ist das genaue Gegenteil:
    Permanent verkauft sie die Interessen der Bevölkerung an die Wirtschaft, macht sich zum Handlanger von Wirtschaftskriminalität und ist rührend bemüht, diese zu legalisieren oder zumindest per Geheimhaltung unter den Teppich zu kehren ….. VW, Glyphosat, TTIP/CETA etc. Was VW betreibt, ist Betrug am Verbraucher und am Staat (= Steuerzahler) in Verbindung mit Umweltschädigung und damit Körperverletzung. Zum Unwohl der Bevölkerung. Doch die Bevölkerung interessiert die Regierung nur insoweit, wie sie sie zur nächsten Wahl braucht. Aber das klappt ja mit 2,50 € mehr Kindergeld und ein paar Nebelkerzen immer wieder prächtig.

    1. Der ADAC hat mit dem Amarok ja schon einen Test durchgeführt (ADAC Heft sowieso), mit dem Ergebnis, das die Motorsteuersoftware jetzt Gesetzmäßig ist der Stickoxidausstoß in etwa gleich hoch und der Verbrauch ist um 0,7 Liter gestiegen … zum Glück die Leistung ist nicht gesunken, ist doch schon mal was, nicht?
      Klar das den AMIs das nicht gefällt, der Bläst immernoch mehr Schadstoffe aus, als es die Abgaseinstufung vorschreibt … eine eine Herabstufung der Abgasklasse und eine kräftige Nachzahlung wären nicht nur bei den AMIs fällig … auch das KBA und unser Finanzminister müssten sich rühren!
      … auch dürften die Fahrzeuge die Abgastests nicht mehr überstehen … oder hat sich hier VW einen „Persilschein“ bei einem der Minister eingekauft … für ein Pöstchen nach der Amtszeit?

      Hinzufügen möchte ich hier auch, das die anderen Hersteller auch nicht viel besser sind, sie wurden eben nicht mit sooooviel Aufmerksamkeit erwischt!

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