Proteste gegen AfD-JugendStadt Gießen will Demoverbotszone vor Gericht durchsetzen

Der Streit um eine von der Stadt Gießen verfügte Demoverbotszone geht nun in die nächste Instanz, vor den Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Die Stadt beharrt darauf, die Proteste weit weg von der AfD-Veranstaltung zu verlegen.

Ortsschild mit Gießen und durchgestrichene AfD-Jugend
In Gießen wird es Massenproteste gegen die rechtsradikale AfD-Jugend geben. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten imago-giessen-afd-jugend-montage

Im Vorfeld der erwarteten Großproteste gegen die Gründungsveranstaltung der rechtsradikalen AfD-Jugend am kommenden Wochenende ist die Stadt Gießen beim lokalen Verwaltungsgericht mit dem Versuch gescheitert, eine Art Demoverbotszone in der West-Hälfte der Stadt zu errichten. Vor dem Gericht waren etliche Eilanträge gegen die Stadt erfolgreich.

Nun legt die Stadt jedoch Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts ein. Damit ist wieder offen, ob die Versammlungen am angemeldeten Ort stattfinden können.

Das Treffen der Rechtsradikalen findet in den Messehallen im Westteil Gießens statt. Gießen wird durch den Fluss Lahn in einen Ost- und Westteil getrennt. Die Stadt will Versammlungen gegen die Rechtsradikalen wegen Sicherheitsbedenken auf die Ostseite verlegen – so wäre allerdings ein Protest in Hör- und Sichtweite des AfD-Treffens nicht möglich.

Rechtsstreit geht weiter

Dagegen hatten sich die Anmelder:innen von elf Versammlungen vor dem Verwaltungsgericht in Gießen gewehrt. Das Gericht hatte am Mittwoch zwar die Verlegung der Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes bestätigt, heute aber gleich mehrere Kundgebungen, Mahnwachen und ein Protestcamp im Westen der Stadt wieder erlaubt. Der DGB und der Anmelder einer weiteren Versammlung ziehen wegen der von der Stadt verfügten Verlegung nun in die nächste Instanz, vor den Hessischen Verwaltungsgerichtshof.

Eine Pressesprecherin der Stadt Gießen bestätigte am Donnerstagabend gegenüber netzpolitik.org, dass die Stadt gegen die heutigen Beschlüsse ebenfalls Beschwerde bei der nächsten Instanz einlegen wird. Bei den dadurch umstrittenen Veranstaltungen handelt sich laut einer Sprecherin um folgende:

  • Versammlung von der Partei Die Linke – 1.000 Teilnehmer:innen angemeldet – Rodheimer Str. Ecke / An der Hessenhalle
  • Versammlung Protestcamp für 1.000 Teilnehmer:innen auf der „Hundewiese“ hinter Lidl
  • Versammlung Attac 1 / Kundgebung in der Hardtallee, 20-50 Teilnehmer:innen
  • Versammlung Attac 2 / Kundgebung Krofdorfer Str/ Ecke Kropbacher Weg, 20-50 Teilnehmer:innen
  • Versammlung Attac 3 Lehmweg, 20-50 Teilnehmer:innen

Die Versammlungsfreiheit darf nicht der Polizeitaktik geopfert werden

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Versammlungsfreiheit heißt: Proteste in Hör- und Sichtweite

Das Ordnungsamt der Stadt argumentiert, dass wegen der Versammlungen und des fehlenden Platzes und der möglichen Blockade von Fluchtwegen die Unversehrtheit aller Beteiligten nicht gewährleistet werden könne. Dem gegenüber steht das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, das eigentlich die freie Wahl des Ortes sowie einen Protest in Hör- und Sichtweite des Adressaten garantiert.

David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sagt gegenüber netzpolitik.org: „Die Versammlungsfreiheit umfasst auch die freie Wahl des Ortes, dem insbesondere bei Gegenprotesten eine besondere Bedeutung zukommt.“ Der kommunikative Zweck einer Versammlung würde nur erreicht, wenn die Proteste in Sicht- und Hörweite ihres Gegenstandes – hier die Gründungsversammlung der AfD-Jugend – stattfinden könnten, so Werdermann. „Versammlungsfreie Zonen mögen zwar aus polizeitaktischer Sicht praktisch sein, sind aber unter Berücksichtigung der Versammlungsfreiheit unverhältnismäßig.“

Großeinsatz der Polizei

Zu den Protesten gegen die AfD werden laut Innenministerium und Polizei mehr als 50.000 Menschen erwartet. Gesichert dürfte sein, dass mindestens 10.000 Menschen mit Bussen aus dem ganzen Bundesgebiet anreisen, hinzu kommen die Gießener:innen, die zuletzt im Februar bei einer Demonstration gegen den Rechtsruck alleine 13.000 Menschen auf die Straße gebracht haben. Angekündigt sind neben klassischen Demonstrationen auch Aktionen des zivilen Ungehorsams wie Straßenblockaden. Insgesamt sind laut Polizeiangaben 20 Versammlungen gegen die AfD-Jugend angemeldet.

Die Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz mit einer „mittleren vierstelligen Zahl“ von Polizist:innen sowie schwerem Gerät wie Wasserwerfern, Räumpanzern und Spezialfahrzeugen vor. Sie spricht von einem „herausfordernden Wochenende“.

Durch die Beschwerden vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof bleibt vorerst offen, wo in der Stadt es am Wochenende offiziell angemeldete Versammlungen geben wird. Sollte sich die Stadt mit ihrer Demoverbotszone durchsetzen, dürfte die Polizei alle, die dennoch auf der Westseite protestieren, ohne den Schutz der Versammlungsfreiheit und mit deutlich weitergehenden Befugnissen am Protest hindern.

Die in der Messehalle versammelten Rechtsradikalen könnten sich dann freuen, dass die Polizei ihnen den Weg ebnet und direkt sichtbaren Protest vom Leib hält.

Übersicht der Versammlungen (Stand 28.11. – 16 Uhr):

  • Mahnwache von Attac: Lehmweg/An den Hessenhallen: Eilantrag vor VG Gießen erfolgreich / Stadt legt Beschwerde ein
  • Mahnwache von Attac Krofdorfer/Kropbacher: Eilantrag vor VG Gießen erfolgreich / Stadt legt Beschwerde ein
  • Mahnwache von Attac Hardtallee: Eilantrag vor VG Gießen erfolgreich / Stadt legt Beschwerde ein
  • Kundgebung der Linkspartei Rodheimer Str. / Hessenhalle: Eilantrag vor VG Gießen erfolgreich / Stadt legt Beschwerde ein
  • Protestcamp von Anarchietage: Eilantrag vor VG Gießen erfolgreich / Stadt legt Beschwerde ein
  • Mahnwache von Anarchietage Rodheimer Straße/Lidl: Eilantrag vor VG Gießen erfolgreich
  • Demo des DGB: Eilantrag vor VG Gießen erfolglos / DGB reicht Beschwerde ein
  • Kundgebung Lehmweg von Anarchietage: Eilantrag vor VG Gießen erfolglos / Anmelder legt Beschwerde ein

9 Ergänzungen

  1. Ohne große Worte wie eine Verwaltung gegen die Interessen ihrer Bürger vorgeht. Sicherheitsbedenken spielen hier offenbar nur eine untergeordnete Rolle. Es stärkt das Bild von einer Bürgerrechtsunfreudlichen Politik. Vielleicht sollten sich die Bürger von Gießen nicht die Frage stellen ob sie ihren Bürgermeister nicht abwählen wollen. Man kann nur hoffen das vor oberen Instanzen die Verwaltung weiter in ihren Positionen verliert. z.Bsp Auflagen zum Lärmschutz werden Grundrechte weiter eingeschränkt. Mal Butter bei den Fische, wenn die Veranstaltung nicht abzusichern ist, dann ist die Veranstaltung der AFD zu untersagen!

    1. „wie eine Verwaltung gegen die Interessen ihrer Bürger vorgeht.“

      Die Verwaltung hat im abgewogenen Interesse aller Bürger vorzugehen, das beinhaltet übrigens auch die Anwohner. Die Weststadt ist der wesentlich kleinere Teil einer nicht allzu großen Stadt.

      „wenn die Veranstaltung nicht abzusichern ist, dann ist die Veranstaltung der AFD zu untersagen!“

      Sie ist abzusichern, dafür die angestrebte räumliche Trennung. Wenn durch Drohung politische Veranstaltungen unterbunden werden können, würde man das als undemokratisch bezeichnen.

      1. Die hier untersagten Demonstrationen bestehen Teilweise nur aus 20 Menschen, maximal 1000 mit Ausnahme der DGB Kundgebung. Die DGB Kundgebung wurde rechtzeitig Angemeldet und die jetzt untersagten Flächen wurde von der Polizei und jener Verwaltung sogar vorgeschlagen! Um sie am Ende zu untersagen, was ist das für eine Verwaltung? Die kürzlich vor Gericht verhandelten Kompromisse hätte man auch akzeptieren können. Die Verwaltung hat auch bei Kundgebungen mit 20 Menschen Widerspruch eingelegt, wie verbohrt kann man sein? Sicher kann man auch der Meinung sein die AFD hat auch ein Recht sich zu versammeln. Hat Sie? Wenn dort einschlägig Rechtsextreme teilnehmen ? Wer passt denn dort ganz genau auf das es zu keinen Strafbaren Handlungen kommt? Das Problem ist die Verhältnismäßigkeit und die Versammlung der AFD steht auf ganz wackligen Beinen der Verfassungsmäßigkeit. Nicht nur das auch organisatorisch, Hotels haben gekündigt und die Küche bleibt auch kalt.

        1. „Das Problem ist die Verhältnismäßigkeit und die Versammlung der AFD steht auf ganz wackligen Beinen der Verfassungsmäßigkeit.“

          Ganz explizit nein. Das entscheiden aus sehr guten Gründen weder Sie noch Polizei oder Verwaltung und damit ist es für die Behörden eine Veranstaltung wie jede andere auch.

          „Wir sind die Guten“ zusammen mit einem starken Drang zu Gesinnungsrecht ist ein Grund, weswegen die bürgerlichen Wähler den „linken“ so sehr misstrauen. Gerade in Ostdeutschland, wo erstaunlich viel der „linken“ Antifa-Rhetorik gut 40 Jahre Teil einer repressiven Propaganda war.

    2. Eine Menge Leute scheinen nicht zu verstehen, dass Poppers Toleranz-Paradoxon eben genau das ist: ein nicht auflösbarer Widerspruch.

      Die tolerante Gesellschaft kann nicht einfach tolerant gegenüber intoleranten Mitgliedern sein, denn dann setzen die sich durch und zerstören die tolerante Gesellschaft.

      Die tolerante Gesellschaft kann nicht einfach intolerant gegenüber intoleranten Mitgliedern sein, denn dann ist sie keine tolerante Gesellschaft mehr und in intoleranten Strukturen kommen am besten ihre intoleranten Mitglieder klar.

      Es bleibt eine stetige Auseinandersetzung und Aushandlung in möglichst gewaltfreien und geregelten Strukturen, es gibt keine endgültige Lösung. Unbefriedigend aber das kleinste Übel.

      „Bildung“ ist keine Lösung unterhalb von Umerziehungslagern. „Intolerante raus“ ist keine Lösung unterhalb von Säuberungen. Hatten wir alles, war Scheisse.

  2. Das Hauptproblem ist auch wie konnte die Messe Gießen diese Veranstaltung überhaupt zulassen? Sie hätte dies auch ablehnen können, da sie einer der wenigen privaten Gesellschaften ist. Wer aber genau hinschaut stellt fest das jene Messe Gießen offenbar nicht so ganz unbefangen mit der AFD ist. Die Zwerenz Gruppe viel schon öfter mit umstritten Veranstaltungen auf und das Ehepaar Zwerenz lässt sich offenbar vom Rechtsanwalt Ralf Höcker vertreten. Der auch die AFD schon juristisch vertreten hat. Der Schaden ist enorm, nicht nur für die Stadt Gießen sondern auch für die Messe GmbH selbst, mehrere Veranstalter haben ihre Veranstaltungen schon abgesagt. Komischerweise haben alle anderen Messen die auch öffentlich betrieben werden es geschafft abzusagen, nur die Messe Gießen war der Meinung die Halle der AFD zur Verfügung zu stellen. Nachzulesen hier https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/andere-liessen-die-afd-abblitzen-wer-steckt-hinter-der-messe-in-giessen-94026380.html Meiner Meinung nach ist die Verwaltung nicht ganz unbefangen, Sie hätte im Vorfeld auch Einfluss nehmen können. Die Veranstaltungen der AFD ist das Problem nicht der zivile Protest!

    1. Das Unterehmen verweist in auf § 5 Abs. 1 PartG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und verweist auch auf entsprechende Urteile.

      Es ist in einer Demokratie nicht so einfach, unliebsames zu unterdruecken.

  3. Die räumliche Trennung einer Gegendemo vom eigentlichen Ort ist lange etabliert.
    Großzügige Bannmeilen bei Staatsbesuchen oder um staatliche Institutionen sind bekannt.
    Auch die in den 2010er Jahren häufigeren Demos gegen Moscheeneubauten durften i.d.R. nicht wie gewünscht zu den Baustellen ziehen.

    Grundsätzlich ist es auch einleuchtend, dass der ideale Ort für den Prozess vor der Verhinderung von Straßenschlachten etwas zurückstehen muss. Relevant ist vor allem, dass eine Demo überhaupt an gut sichtbarem Platz in der Innenstadt stattfinden kann (und nicht auf einer Waldlichtung).

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