Sven Hilbig ist Rechtswissenschaftler und Experte für Digitalisierung und Handelspolitik bei Brot für die Welt. Ingo Dachwitz ist Kommunikationswissenschaftler und arbeitet als Journalist in unserer Redaktion.
Ihr neues Buch „Digitaler Kolonialismus. Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen“ erschien am 20. Februar 2025 im Verlag C.H.Beck. In sieben Kapiteln beleuchten sie die globalen Macht- und Ausbeutungsverhältnisse hinter der Digitalisierung: von den unsichtbar gemachten Arbeitskräften hinter KI und Sozialen Medien über Daten- und Rohstoffextraktivismus bis zu Infrastruktur und Handelspolitik.
Dieser Buchauszug erscheint mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
Big Techs Machtübernahme auf dem Meeresgrund
Langlebig […] erweist sich das Engagement der Tech-Konzerne für eine Infrastruktur, die sich dem Blick der Öffentlichkeit lange entzog: Unterseekabel. Obwohl sie essenziell für die weltweite Kommunikation sind, befinden sich die Unterwasserleitungen seit der Eröffnung der ersten transatlantischen Telegrafenverbindung im Jahr 1858 fast ausschließlich in privater Hand. Nur etwa 1 Prozent der weltweiten Unterseekabel sind Schätzungen zufolge heute im Besitz von Staaten.
Zur Jahrtausendwende gab es insgesamt etwa hundert Unterseekabel, die damals vor allem für den Transport von wissenschaftlichen Daten und Telefongesprächen genutzt wurden. Damals war die Infrastruktur fest in der Hand westlicher Telekommunikationsanbieter wie etwa der US-amerikanischen AT&T, der British Telecommunications, France Télécom oder auch der Deutschen Telekom.
Mit dem Wandel des Internets von einem fast ausschließlich schriftbasierten Medium hin zu seiner immer stärkeren Ausrichtung auf Bild- und Videomaterial nahm der von Internetdiensten ausgelöste Datenverkehr rasant zu. Tech-Unternehmen begannen daher, sukzessive eigene Kapazitäten bei den Kabelbetreibern zu buchen. Als ihr Datenbedarf weiter in die Höhe schnellte, investierten die Tech-Konzerne zu Beginn der 2010er Jahre in eigene Leitungen. Im Jahr 2010 wurde das erste von Google mitfinanzierte Unterseekabelsystem Unity in Betrieb genommen, mit einer Länge von 10.000 Kilometern verbindet es Japan und die Vereinigten Staaten. Mehrere asiatische Telekommunikationsanbieter waren Teil des Konsortiums. In der Folge starteten auch andere Tech-Konzerne wie Facebook, Amazon und Microsoft gemeinsame Unterseekabelprojekte mit Telekommunikationskonzernen.

In den darauffolgenden Jahren wurde der Meeresgrund Zeuge einer stillen Machtübernahme. Nach dem Investment in mehr als ein Dutzend Kabel mit anderen Partnern löste Google sich gegen Ende der 2010er aus der Rolle des Teilhabers und startete 2018 drei eigene Projekte. Darunter das nach der französischen Physikerin Marie Curie benannte Kabel Curie, das Kalifornien mit Chile verbindet. Stolz verkündete Google, es sei „das erste große Nicht-Telekommunikationsunternehmen, das ein privates Interkontinental-Kabel baut“.
Doch der Datenkonzern sollte nicht das einzige Tech-Unternehmen bleiben, das seine eigenen Kabel verlegt. Während Apple die Ausnahme unter den Big Five darstellt und weiter ausschließlich darauf setzt, Kapazitäten bei anderen zu buchen, besitzen inzwischen auch Meta, Microsoft und Amazon mehrere Unterseekabel, entweder vollständig oder in Partnerschaft mit anderen Unternehmen. Heute befinden sich zwar immer noch die meisten Unterseekabel in der Hand von klassischen Telekommunikationskonzernen, doch Big Tech holt schnell auf.
Die französische Zeitung Le Monde hat 2023 die Machtübernahme unter den Wellen intensiv untersucht. Europas führender Hersteller von Unterwasser-Glasfaserkabeln, Alcatel Submarine Networks, schätzt demzufolge, dass siebzig Prozent der aktuellen Unterseekabelprojekte von Big Tech unterstützt werden. Inzwischen habe sich das Verhältnis zwischen Telekommunikations- und Tech-Konzernen komplett umgekehrt.
Immer mehr Telekommunikationsunternehmen mieten Kabelkapazitäten bei Big Tech, da ihnen selbst das Kapital fehlt, um ausreichend Kabel verlegen zu lassen, um den Datenhunger ihrer Kund:innen zu stillen. Etwa 300 Millionen US-Dollar kostet ein Unterseekabel, Big Tech zahlt das aus der Portokasse. Verändert hat sich damit auch das Governance-Modell, weg von großen Konsortien hin zu Projekten mit wenigen Beteiligten, die fast immer von einzelnen Tech-Unternehmen dominiert werden.
Dass Unternehmen Kabelkapazitäten nicht nur für sich nutzen, sondern diese auch vermieten, ist in der Branche aber bis heute üblich. Denn niemand möchte von einzelnen Kabeln abhängig sein, die häufig und in aufwendigen Verfahren repariert werden müssen, was wie im Fall der Unterseekabel vor der westafrikanischen Küste mehrere Wochen dauern kann. Für die Reparatur werden die gleichen Schiffe benötigt, die auch für die Verlegung der Kabel zuständig sind: Von ihrem Bautyp gab es Ende 2022 weltweit gerade mal 60 Stück.
Le Monde zufolge setzt Big Tech neue Standards in Bezug auf die Kapazität der Übertragung und Geschwindigkeit. Googles neuestes transatlantisches Kabel Grace Hopper, das im Oktober 2023 in Betrieb genommen wurde und die USA mit Spanien und dem Vereinigten Königreich verbindet, hat sogar eine Kapazität von 350 Terabit pro Sekunde. Das sind 100 Terabit pro Sekunde mehr, als Googles Unterseekabel Dunant aus dem Jahr 2021 schaffte. Damals hielt es den Geschwindigkeitsrekord, weil es das Äquivalent der gesamten digitalisierten Bibliothek des US-Kongresses dreimal pro Sekunde übertragen konnte.
Eine Herausforderung für die Souveränität
Ist es angesichts der digitalen Spaltung nicht begrüßenswert, wenn Tech-Konzerne Geld in die Hand nehmen, um unterversorgte Regionen besser an das globale Kommunikations- und Datennetz anzuschließen? Meta beispielsweise investiert in Afrika nicht nur in Unterseekabel, sondern sogar auch in die Kabelinfrastruktur an Land. Viele Millionen US-Dollar fließen beispielsweise in ein 900 Kilometer langes Kabel in Sambia und in 2.000 Kilometer Kabel in der Demokratischen Republik Kongo, um einen „digitalen Korridor“ zwischen dem Atlantischen und dem Indischen Ozean zu schaffen.
Dass Konnektivität ein Motor für Wachstum und Entwicklung ist, sagen schließlich auch die Vereinten Nationen. Sie haben es sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 allen Menschen Zugang zum Internet zu ermöglichen. Doch dass es ausgerechnet die mächtigsten Tech-Konzerne mit dem intensivsten Datenaufkommen sein sollen, die beim Erreichen dieses Ziels helfen wollen, stößt vielerorts auf Skepsis. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Tech-Konzernen durch ihre Kontrolle über kritische Infrastruktur eine Machtposition zukommt.
Zum einen bieten ihnen die eigenen Kabel Geschwindigkeit und Konnektivität, die Voraussetzungen sind für weiteres Wachstum. Zum anderen bedeutet die Hoheit über Datenleitungen auch Entscheidungsmacht. Eine Studie der Universitäten Bologna, Oxford und Yale von 2024 kommt zu dem Schluss, dass mit dieser Kontrolle Gefahren für die digitale Souveränität von Staaten und für das Prinzip der Netzneutralität einhergehen: „Unternehmen können auch indirekt die digitale Souveränität eines Landes beeinflussen, indem sie die Kontrolle über ein Unterseekabel nutzen, um bei der Auswahl des Datenverkehrs Prioritäten zu setzen.“
Netzneutralität ist ein Grundprinzip der globalen Internetverwaltung, nach dem alle Datenpakete bei der Übertragung gleichbehandelt werden müssen. Dass Netzbetreiber also nicht etwa Geld dafür nehmen dürfen, die Daten bestimmter Dienste schneller zu transportieren und diesen somit einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Auch die eigenen Daten dürfen nicht schneller transportiert werden als die von Wettbewerbern. Die Netzneutralität gilt vielen als einer der Gründe, warum das Internet so viele Innovationen hervorgebracht hat, verhindert sie doch, dass die reichsten Unternehmen sich einen uneinholbaren Wettbewerbsvorteil erkaufen. Doch da Unterseekabel in der Regel zwischen zwei oder mehr Regionen mit unterschiedlichen Rechtsordnungen verlaufen und es kaum einen regulatorischen Konsens zur Netzneutralität gibt, ist unklar, wie die Länder die Priorisierung des Datenverkehrs durch die Unternehmen wirksam regulieren könnten.
Bislang nutzen die Tech-Konzerne die Machtstellung, die ihnen die eigenen Unterseekabel bieten, nicht aus. Doch es gab in der Vergangenheit immer wieder andere Fälle: Google und Meta etwa stellten in Ländern wie Kanada, Australien oder Spanien den Betrieb bestimmter Dienste ein, um dort politischen Druck für oder gegen bestimmte Regulierungen zu erzeugen. Warum also nicht irgendwann den Datenverkehr über die konzerneigenen Unterseekabel an Bedingungen knüpfen?
Insbesondere für Länder im Globalen Süden sind die Infrastrukturprojekte von Big Tech eine ambivalente Sache. Die Konzerne versprechen durch den Anschluss an die Kabel schnellere Übertragungsgeschwindigkeiten und wirtschaftlichen Aufschwung, der durch einen schnelleren Zugang zu Dienstleistungen und Waren entsteht. Und tatsächlich werden die Daten, wie schon geschildert, durch die neuesten Unterseekabel besonders schnell transportiert. Der große Nachteil jedoch ist, dass dies für die meisten Länder bedeutet, dass ihre Daten aus dem eigenen Land abfließen – aus dem Globalen Süden in die Rechenzentren und Konzernzentralen im Globalen Norden, und mit ihnen mögliche Wertschöpfung und Profite.
Einmal mehr finden sich die Länder damit in einer Abhängigkeit wieder, die nicht nur ungefähr an koloniale Zeiten erinnert. „So wie die Siedler einst zu wirtschaftlichen und militärischen Zwecken Eisenbahnen bauten, so bauen heute die Tech-Kolonisatoren digitale Infrastrukturen“, analysiert Michael Kwet von der Universität Johannesburg. Kwet war einer der ersten Kritiker der kolonialen Praktiken von Big Tech und hat das Konzept „Infrastructure as Debt“ geprägt, also Infrastruktur als Schulden oder vielmehr: als Schuld.
Denn Kwet bezieht seine Analyse der Infrastrukturabhängigkeiten nicht im engeren Sinne auf finanzielle Schulden, sondern nutzt diese als Analogie: Während die Schuldenpolitik des Westens nach dem formalen Ende des Kolonialismus den Globalen Süden in einer permanenten Abhängigkeit gehalten habe, seien Infrastrukturprojekte heute ein Mittel, diese Abhängigkeiten fortzuführen. Denn Big Techs Großprojekte sind die Voraussetzung für den Datenextraktivismus und gleichzeitig ein Garant langfristiger Kontrolle, so Kwet. Wo bereits Infrastrukturen bestehen, werden die Staaten des Globalen Südens kaum parallel eigene Bauprojekte starten.
FYI
https://www.submarinenetworks.com/en/systems/trans-atlantic/waterworth/meta-unveils-50,000km-waterworth-subsea-cable-project
Meta announced its most ambitious subsea cable endeavor yet: Project Waterworth, a 50,000 km subsea cable to connect the U.S., India, Brazil, South Africa, and other key regions across five major continents, making it the world’s longest subsea cable project using the highest-capacity technology available.
Meta said that Project Waterworth will be a multi-billion dollar, multi-year investment to strengthen the scale and reliability of the world’s digital highways by opening three new oceanic corridors with the abundant, high speed connectivity needed to drive AI innovation around the world.
Es sind die Adern für Propaganda und Datenabflüsse, die der neue US-Imperialismus braucht, für seinen Daten-Kolonialismus.
Da die Trump-Administration jetzt auch russische Narrative übernimmt, drohen auch kaum Gefahren durch deren Anker.
Was man mit AI doch alles rechtfertigen kann.
Was hindert die Länder im Globalen Süden eigentlich daran Experten in’s Land zu holen, eigene Leitungen (an Land) zu verlegen und auch eigene Rechenzentren auf zu bauen – und damit zumindest einige Daten im eigenen Land zu halten. Nach Ende des Aufbaus und Schulung lokaler Kräfte werden die Experten dann Bezahlt und fahren nach Hause. Ist doch bestimmt insgesamt Billiger als ein Unterseekabel. Aber vermutlich teurer als das was Big-Tech so „anbietet“ – und damit eine Milchmädchen-Rechnung. Wirklich? Es wäre aber sicher nachhaltiger weil es die Lokalen Kräfte (Arbeit, Wirtschaft u.s.w.) stärkt, fördert und für Unabhängigkeit ein Garant wäre. Außer man wäre eine Bananenrepublik in der es alle paar Jahre eine Palastrevolte gibt und alles aufgebaute zerschossen wird. So wie aktuell in USA, DE, u.ä. auch bei anderen!
Und BTW „Portokasse“. Hätte man die Tech-Bro’s gleich durch adäquate Besteuerung und schließen der Schlupflöcher eingehegt hätten die die besagte „Umkehr“ nicht einfach aus der Portokasse finanzieren können und das Heutige Problem wäre kleiner – und hoffentlich beherrschbarer. Von Regierungen! Technikfolgen-abschätzung mal Finanziell betrachtet.
Wenn Laender des globalen Suedens sowas versuchen, haben sie meist nicht genug Kapital, das komplett selbst zu finanzieren. Und im Zweifel werden die Big Techs dann diese Angebote regional so kraeftig unterbieten, dass es nicht fliegt. Passiert ja schon in .de bei Glasfaserausbau…
> Passiert ja schon in .de bei Glasfaserausbau…
Könnten Sie bitte in ein paar erläuternde Sätze investieren, um ein Verständnis dessen zu ermöglichen, was Sie versuchen anzudeuten. Danke!
Zitat aus dem Buch:
„Kolonialismus“ ist nur ein Begriff. Ein Begriff kann nicht ausbeuten. Wenn man also schreibt „Kolonialismus beutet aus“, dann abstrahiert das so weit, dass es fast schon verharmlosend und nebulös wird. Schön, es gibt Zeitgenossen, die auf Reizwörter anspringen. Kolonialismus bzw. Neo-Kolonialismus sind sicherlich solche Wörter, die Gemüter in Wallung bringen. Aber gegen wen? Abstrahiert man weiter, dann kommt man auf „die Verhältnisse“, noch allgemeiner, unbestimmter. Diffuse Unzufriedenheit durch Erregung mittels Reizwörter (Buzzwords), wem nützt das, und welcher Sache schadet das?
„Big Tech“ ist auch so ein Wort, worüber sich Verantwortliche wie Musk, Zuckerberg, Besos et al. nur freuen können, denn sie als verantwortliche Personen werden nicht mehr genannt und Benannt für den Schaden, den sie anrichten.
Es sind nicht Begriffe, die ausbeuten, sondern Menschen, die mittels Finanzkraft und Macht andere Menschen ausbeuten. Diese Exemplare unserer Spezies können nur dann entmachtet werden, wenn sie klar benannt und geächtet werden.
„Enhancing marine resource development capabilities, advancing the blue economy and building China into a maritime powerhouse constitute critical components of realizing the Chinese dream,“ explained researcher Hu Haolong of the China Ship Scientific Research Centre (CSSRC), writing in the peer-reviewed journal Mechanical Engineer.
The device in question is a robotic arm-mounted circular saw, designed to operate in water depths of up to 4,000 meters – a typical depth for the Pacific abyssal plain. Dozens of subsea cables crisscross the Pacific, linking data customers in Asia’s thriving business hubs with markets in the West. These cables – and others just like them around the world – handle about 95 percent of all international data traffic, including phone calls, internet data and private network data.
At water depths greater than about 2,000 meters, the cable lay industry does not typically bury subsea data cables, and avoids the cost and hassle of trenching by simply placing the cables on the seabed instead. These fiber-optic lines are thin and unobtrusive, just 20-60 mm in diameter, but they are comparatively strong, capable of withstanding a strain of up to 20-70 tonnes before breaking.
https://citizenwatchreport.com/chinas-deep-sea-cable-cutter-threatens-95-of-global-communications-operates-at-4000-meters/